VfGH G123/2014

VfGHG123/20148.10.2014

Unzulässigkeit des Individualantrags einer Gemeinde auf Aufhebung des Stmk GemeindestrukturreformG zur Gänze als zu weit gefasst; Eventualantrag zu eng gefasst

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
Stmk GemeindestrukturreformG §3 Abs4 Z2
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
Stmk GemeindestrukturreformG §3 Abs4 Z2

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit ihrem auf Art140 B‑VG gestützten (Individual-)Antrag begehrt die einschreitende Gemeinde, der "Verfassungsgerichtshof möge das StGsrG idF LGBl Nr 36/2014 zur Gänze[,] in eventu […] die in §3 Abs4 Z7 StGsrG idF LGBl Nr 36/2014 angeführte Wortfolge 'Saifen-Boden' als verfassungswidrig aufheben". Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die im StGsrG angeordnete Vereinigung der antragstellenden Gemeinde mit den Gemeinden Pöllau, Rabenwald, Schönegg bei Pöllau und Sonnhofen zur Gemeinde Pöllau aus näher bezeichneten Gründen unsachlich sei.

2. Die Stmk. Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, den Individualantrag als unzulässig zurückzuweisen, weil u.a. der Antrag, das ganze StGsrG als verfassungswidrig aufzuheben, zu weit gefasst sei; des Weiteren sei "[d]ie Vereinigung der antragstellenden Gemeinde mit der Marktgemeinde Pöllau und den Gemeinden Rabenwald, Schönegg bei Pöllau und Sonnhofen zur Marktgemeinde Pöllau […] eine komplexe Regelung; die Aufhebung einzelner Gesetzesstellen würde die nur im Rahmen eines Gesamtplanes sinnhafte Gemeindestrukturmaßnahme derart verändern, dass sie dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck zuwiderliefe". In eventu wird die Abweisung des Individualantrages begehrt.

II. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

1.1. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

1.2. Die antragstellende Gemeinde ist zur Antragstellung auf Grund des Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG legitimiert: Sie wird durch die bekämpfte, gesetzlich verfügte Gemeindevereinigung – wie sie in §3 Abs4 Z7 StGsrG vorgesehen ist – entsprechend ihrem Vorbringen schon deswegen nachteilig in ihrer Rechtssphäre berührt, weil sie durch die Vereinigung mit anderen Gemeinden ihre Rechtspersönlichkeit verliert. Diese Bestimmung greift auch unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre der antragstellenden Gemeinde ein; ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes steht der antragstellenden Gemeinde nicht zur Verfügung (vgl. VfGH 23.9.2014, G44/2014, V46/2014).

2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

2.1. Der Antrag, soweit damit die Aufhebung des ganzen StGsrG begehrt wird, erweist sich als zu weit gefasst und sohin als unzulässig: Von einer Aufhebung des StGsrG zur Gänze wären nämlich Bestimmungen (insb. jene über die Vereinigung anderer Gemeinden) mitumfasst, von welchen die antragstellende Gemeinde in keiner Weise rechtlich betroffen ist und die mit den sie rechtlich betreffenden Bestimmungen auch in keinem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl. VfGH 23.9.2014, G44/2014, V46/2014).

2.2. Der Eventualantrag auf Aufhebung nur einer einzelnen, die jeweilige Gemeinde bezeichnenden Wortfolge, konkret "Saifen-Boden" des §3 Abs4 Z7 StGsrG würde die Bedeutung dieser Bestimmung in einer Weise ändern, die dem Stmk. Landesgesetzgeber nicht zusinnbar ist (vgl. dazu VfSlg 9793/1983): Wie sich aus dem Gemeindestrukturrefomprozess und insbesondere den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (vgl. RV 2347/1 BlgLT [Stmk.] 16. GP, 104 ff.) ergibt, war die Vereinigung sämtlicher in dieser Ziffer genannten Gemeinden beabsichtigt, nicht aber nur die Vereinigung von Pöllau, Rabenwald, Schönegg bei Pöllau und Sonnhofen (vgl. auch bereits VfGH 23.9.2014, G43/2014, V45/2014). Der Eventualantrag erweist sich als zu eng gefasst.

III. Ergebnis

1. Der Antrag der antragstellenden Gemeinde ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden, ohne dass das Vorliegen der übrigen Prozessvoraussetzungen näher zu prüfen war.

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