Nachsicht, Verwendungsänderung von Liegenschaften, geringe Pension
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2013/13/0097 eingebracht. Mit Erk. v. 21.9.2016 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Rechtsanwälte, vom 14. Juni 2010 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg vom 20. Mai 2010 betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO im Beisein der Schriftführerin nach der am 30. Juli 2013 in 1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 7, durchgeführten Berufungsverhandlung entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Mit Ansuchen vom 5. Oktober 2009 beantragte der Berufungswerber (Bw.), die Umsatzsteuer 1995 der GesbR G.L. und Mitbesitzer in Höhe von € 153.726,80 und die hierauf entfallenden Nebengebühren, insbesondere zwei Säumniszuschläge á € 3.077,55 und Einbringungsgebühren von € 1.600,34 sowie € 585,00 (gemeint wohl: € 5,85), nachsehen zu wollen. Begründend brachte er vor, dass die Vorschreibung der Umsatzsteuer 1995 deshalb erfolgt wäre, weil die Miteigentümer ihre ursprüngliche Absicht, die hergestellten Häuser zu vermieten, nicht verwirklicht hätten. Diese Absicht hätten sie nicht aus eigenem Entschluss, sondern lediglich notgedrungen aufgegeben, weil die von ihnen mit der Errichtung der vier Häuser betraute Baufirma ihre Arbeiten nur äußerst mangelhaft durchgeführt und die Häuser schließlich in einem Zustand übergeben hätte, welcher jegliche Vermietungsmöglichkeit ausgeschlossen hätte.
Die Miteigentümer hätten sich zwar bemüht, die Baufirma zur Behebung der Mängel zu bewegen, doch wäre diese hierzu nicht bereit gewesen und hätten sie selbst nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, um die Häuser durch eine andere Firma fertigstellen bzw. die von der die von ihnen beauftragten Baufirma hinterlassenen Mängel beheben zu lassen. Die Miteigentümer wären zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr kreditwürdig gewesen, weshalb die benötigten Mittel nicht hätten aufgebracht werden können. Letztlich hätten sie die Häuser über Aufforderung und Drängen der finanzierenden Bank weit unter den Gestehungskosten verkaufen müssen, weshalb ihnen dadurch ein erheblicher Verlust und zusätzlich durch die Zeitverzögerung von einigen Jahren auch ein unermesslicher Schaden in Höhe der weiterlaufenden Zinsen des aufgenommenen Kredites von mehr als ATS 10.000.000,00 entstanden wäre. Allein der letztgenannte Schaden belaufe sich auf mehrere Millionen ATS. Nach Abverkauf der Häuser hätten die Miteigentümer der Bank noch viele Millionen ATS geschuldet. Hätten sie die vorangeführten Umstände im Rahmen eines rechtzeitig gegen den Umsatzsteuerbescheid eingelegten Rechtsmittels dargelegt, wäre diesem Rechtsmittel zweifellos Folge gegeben worden und wäre diese Zahlungsverpflichtung gar nicht gegeben gewesen.
Bezüglich der finanziellen Verhältnisse verwies der Bw. darauf, dass er nach wie vor nur eine unter dem Existenzminimum liegende Pension samt Ausgleichszulage beziehe und ihn nach wie vor die bereits mitgeteilten Sorgepflichten treffen würden. Hinsichtlich der finanziellen Situation werde auf die Eingabe vom 14. April 2008 und die mit dieser vorgelegten Vermögensverzeichnisse verwiesen.
Mit Bescheid vom 20. Mai 2010 wies das Finanzamt dieses Ansuchen als unbegründet ab und führte aus, dass der Säumniszuschlag 1997 von € 3.077,55 für die gutgeschriebene Umsatzsteuer 1996 bereits am 5. Dezember 2008 gutgeschrieben worden wäre, weshalb der Bescheid nicht mehr dem Rechtsbestand angehöre.
Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO könne persönlicher oder sachlicher Natur sein. Eine persönliche Unbilligkeit wäre jedoch dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation des Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts ändere (VwGH 14.10,1999, 99/16/0267; VwGH 27.4.2000, 99/15/0161; VwGH 10.5.2001, 2001/15/0033). Dieser Sachverhalt treffe zu.
Die sachliche Unbilligkeit wäre nicht gegeben, da lediglich die Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliege, die alle von dem betreffenden Gesetz erfassten Abgabepflichtigen in gleicher Weise treffe. Dass die Errichtung der Häuser mit unvorhergesehenen Schwierigkeiten belastet gewesen wäre, liege im allgemeinen Unternehmerrisiko. Durch die Bestimmung über die Gewährung der Nachsicht solle der Abgabenbehörde die Möglichkeit eröffnet werden, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern. Nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffen würden, Konjunkturschwankungen oder Geschäftsvorfälle, die dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen wären, würden hingegen eine Nachsicht nicht rechtfertigen.
In der dagegen am 14. Juni 2010 rechtzeitig eingebrachten Berufung beantragte der Bw. die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung und brachte vor, dass die Begründung des Bescheides keinerlei Feststellungen enthalten würde, von welchem Sachverhalt die Abgabenbehörde erster Instanz ausgehe, sondern werde nur hinsichtlich der persönlichen und sachlichen Unbilligkeit der Abgabeneinhebung Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zitiert und dann festgehalten, dass die geschilderten Sachverhalte angeblich auch auf den Bw. zutreffe. Die Abgabenbehörde erster Instanz hätte aber genau feststellen müssen, welchen Sachverhalt sie annehme und welcher ihrer Meinung nach zutreffe. Hätte sie dies getan, hätte sie zu einer anderen Entscheidung kommen müssen.
Der Bw. hätte in seinem Nachsichtsgesuch festgehalten, dass die verfahrensgegenständliche Abgabenschuld ohne das Verschulden der Miteigentümer entstanden wäre. Es wäre zwar zutreffend, dass Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, welche alle Abgabepflichtigen in gleicher Weise treffen würden, nicht Grundlage einer Nachsicht sein könnten, doch hätte der Verwaltungsgerichtshof zB mit Erkenntnis vom 9.7.1953, 0199/51, festgehalten, dass eine Unbilligkeit nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass die Festsetzung einer Abgabe dem Gesetz entspreche.
Wichtig wäre auch, dass der VwGH in seinem Erkenntnis vom 21.3.1956, 0686/55, den Standpunkt vertreten hätte, dass Nachteile, die ein Kaufmann im Rahmen seines gewöhnlichen Unternehmerrisikos erleide, nicht als ausreichend erachtet werden könnten, die Einhebung einer Abgabe als unbillig erscheinen lassen würden. Im gegenständlichen Fall liege aber kein Nachteil im Rahmen eines gewöhnlichen Unternehmerrisikos vor. Das auf ein schweres Verschulden des von den Miteigentümern beauftragten Bauunternehmers zurückzuführende Scheitern ihres Projektes wäre nicht unter diesen Begriff einzuordnen, sondern falle unter die Kategorie eines nicht vorhersehbaren völlig außergewöhnlichen Risikos, sodass sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung vorliege.
Auch die persönliche Unbilligkeit liege vor, weil es die auch Kreditinstituten bekannten erheblichen Abgabenverbindlichkeiten verhindern würden, dass die Miteigentümer eine normale Bankverbindung eingehen könnten und sie dadurch auch keine Möglichkeit hätten, einen kleineren Kredit aufzunehmen, um ein übliches Leben zu führen. Die Miteigentümer würden kein Unternehmen mehr betreiben, welches bereits existenzgefährdend wäre, sondern es gehe ihnen darum, durch die Abgabennachsicht die Möglichkeit zu haben, ein Leben wie jeder andere Abgabepflichtige mit normalen Bankverbindlichkeiten zu führen.
Nachdem im Berufungsverfahren auch Neuerungen möglich wären, würde der Bw. seinen Antrag auf Nichteinhebung der verfahrensgegenständlichen Abgabe ausdrücklich auch darauf stützen, dass das Finanzamt schon seit zehn Jahren versuche, die gegenständliche Abgabe einbringlich zu machen, jedoch alle Eintreibungsversuche zufolge seiner Vermögenslosigkeit erfolglos geblieben und weitere Einbringungsmaßnahmen offensichtlich aussichtslos wären. Deshalb werde der Anspruch auf Nichteinhebung der verfahrensgegenständlichen Abgabe nicht nur auf die Bestimmung des § 236 BAO, sondern auch auf jene des § 235 BAO gestützt, welcher die Abschreibung einer Abgabe bei Uneinbringlichkeit vorsehe.
Mit Schreiben vom 17. Juli 2013 teilte der Bw. mit, dass es zwar zutreffe, dass er lediglich eine geringe Pension beziehe, doch wäre diese - wenn auch nur in geringem Umfang - pfändbar. Wesentlich wäre aber, dass er sich immer wieder bemühe, seine finanzielle Lage durch Annahme von anderen Beschäftigungen zu verbessern, wobei er bei seinen Bewerbungsgesprächen allerdings meistens daran scheitere, dass er über Befragen der möglichen Auftraggeber nach Bestehen von Verbindlichkeiten und der damit verbundenen Möglichkeit von Pfändungsmaßnahmen bestätigen müsse, dass diese Gefahr bestehe, sodass er schon aus diesem Grund kaum Aufträge erhalte. Zuletzt wäre es ihm aber dennoch gelungen, eine Beschäftigung zu erhalten. Den am 6. Februar 2013 mit der Firma C-GmbH abgeschlossenen Handelsvertretervertrag lege er im Anhang vor.
Da die Finanzverwaltung offensichtlich über bessere Informationen als normale Gläubiger verfüge, hätte der Bw. kurz nach Abschluss des vorliegenden Vertrages den ebenfalls in Ablichtung beiliegenden Bescheid über die Pfändung seiner Forderungen gegenüber der C-GmbH erhalten. Diese Pfändung wäre einerseits in einer nicht gerechtfertigten Höhe erfolgt, weil über vom Verwaltungsgerichtshof zugesprochenen Kosten der VwGH-Beschwerde eine Kompensation erfolgt wäre, und enthalte andererseits der Pfändungsbescheid auch keinen Hinweis darauf, dass die gepfändeten Forderungen wegen seines dienstnehmerähnlichen Verhältnisses zur Drittschuldnerin den Bestimmungen des Lohnpfändungsgesetzes unterliegen würden. Der Bw. hätte daher gegen diesen Bescheid die ebenfalls in Kopie vorgelegte Berufung vom 24. Juni 2013 eingelegt, über welche bisher noch nicht entschieden worden wäre.
Allerdings hätte diese Pfändung dazu geführt, dass seine Auftraggeberin die weitere Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt hätte und daher der Bw. dazu genötigt worden wäre, in eine einvernehmliche Auflösung des bestehenden Vertrages einzuwilligen, welcher Vorgang mit dem ebenfalls in Ablichtung vorgelegten Schreiben der C-GmbH vom 8. Juli 2013 festgehalten worden wäre. Er hätte diesem Ersuchen leider zustimmen müssen und durch die Pfändung sein Nebeneinkommen verloren. Bis dato hätte der Bw. noch keine Zahlung seitens seiner Vertragspartnerin erhalten und halte er fest, dass er durch sein Nebeneinkommen zumindest gleich viel ins Verdienen hätte bringen können wie seine Pension betrage. Zum Nachweis der Höhe seiner möglichen Ansprüche lege er die Abrechnungen für die Monate Februar, März und April 2013 vor, aus welchen sich ergebe, dass er in diesen Monaten € 990,00, € 1.865,33 und € 610,00 verdient hätte.
Durch die vorgelegten Unterlagen wäre sohin der Beweis erbracht, dass ihn die Verweigerung der Nachsicht der strittigen Abgabe sehr wohl in seiner Existenz gefährde. Mit jeder Pfändung verliere er - wenn es ihm überhaupt gelinge, eine Vereinbarung über eine Nebentätigkeit abschließen zu können - sofort seine Beschäftigung und erleide daher einen großen Nachteil. Da nach Anbringen von Pfändungen seine Vertragspartner die Zusammenarbeit mit ihm sofort beenden würden, erhalte auch das Finanzamt letztlich die betriebene Forderung nicht bezahlt.
Außerdem halte der Bw. fest, dass das zuständige Finanzamt gegen ihn auch einen Antrag auf Konkurseröffnung eingebracht, in der Folge aber keinen Kostenvorschuss erlegt hätte, sodass dieser Antrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden wäre. Diese Information scheine natürlich bei den Gläubigerschutzverbänden auf und wäre daher allen möglichen Vertragspartnern bekannt. Die Tatsache, dass das Finanzamt in Kenntnis seiner finanziellen Situation einen Konkursantrag eingebracht, in der Folge aber keinen Kostenvorschuss erlegt hätte, zeige im Zusammenhang damit, dass es nach mehr als 15-jähriger Betreibung der Forderung noch keinen Eingang gegeben hätte, deutlich auf, dass die gegenständliche Abgabe uneinbringlich wäre, und sämtliche Maßnahmen des Finanzamtes aber ausschließlich dazu führen würden, dass er daran gehindert werde, seine äußerst prekäre wirtschaftliche Situation ein wenig zu verbessern.
Dazu lege der Bw. Ablichtungen des Auftrages zum Erlag des Kostenvorschusses und des Beschlusses über die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens bei.
Durch die dargestellten Umstände wäre sohin jedenfalls die subjektive Unbilligkeit der weiteren Betreibung der Forderung anzuerkennen, seiner Berufung daher Folge zu geben und die beantragte Nachsicht für gerechtfertigt zu erklären.
In der am 30. Juli 2013 durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung brachte der Bw. bzw. sein steuerlicher Vertreter ergänzend vor, dass seine derzeitigen Pensionseinkünfte € 610,00 betragen würden, wovon noch Unterhaltsverpflichtungen für die Tochter in Höhe von € 122,00 bestehen würden. Weitere Einnahmen erziele er nicht, da die kurzzeitige Einkunftsquelle durch die vom Finanzamt vorgenommene Pfändung weggefallen wäre. Der Bw. hätte sich zwar seit seinem Pensionsantritt im November 2007 stets bemüht, weitere Einkunftsquellen zu erschließen. Dies wäre ihm jedoch wegen der drohenden Pfändungen, die er anführen hätte müssen, nicht gelungen. Auch sein Alter von 71 Jahren hätte die Jobsuche erschwert.
Die Bankverbindlichkeiten würden mit rund € 800.000,00 aushaften, allerdings wären sie von der Bank seit weit über zehn Jahren ruhend gestellt worden. Außerdem wären ca. zwei Drittel der Verjährungsfrist von 30 Jahren seit der Schaffung des Exekutionstitels bereits abgelaufen.
Der Amtsvertreter brachte vor, dass eine persönliche Unbilligkeit mangels eines pfändbaren Mindesteinkommens nicht vorliege.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Als der Entscheidung zu Grunde gelegter Sachverhalt wird die Darstellung des Bw. - weil unbestritten - unverändert übernommen und - um Wiederholungen zu vermeiden - darauf verwiesen. Eine Beweiswürdigung war nicht vorzunehmen, da es kein widersprüchliches Parteivorbringen gab, das hätte gewürdigt werden können.
Zur rechtlichen Würdigung:
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu verneinen, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (VwGH 3.10.1988, 87/15/0103; sowie Stoll, BAO, 583).
Die in § 236 BAO geforderte Unbilligkeit kann entweder persönlich oder sachlich bedingt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder den Steuergegenstand ergeben (VwGH 9.12.1992, 91/13/0118).
Sachlich bedingte Unbilligkeit liegt nur dann vor, wenn sie in den Besonderheiten des Einzelfalles begründet ist. Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einziehung "nach der Lage des Falles unbillig" (VwGH 28.4.2004, 2001/14/0022).
Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn das außergewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Der in der anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (VwGH 29.1.2004, 2002/15/0002).
Entgegen der Ansicht des Bw. ist diese Interpretation des Verwaltungsgerichtshofes zur sachlichen Unbilligkeit auf den gegenständlichen Fall nicht anwendbar, da zwar die letztliche Unmöglichkeit der Vermietung der Häuser infolge der aufgetretenen und nicht behobenen Baumängel für den Bw. subjektiv ein außergewöhnliches und nicht vorhergesehenes Ereignis darzustellen vermag, objektiv aber zum gewöhnlichen Unternehmerrisiko zählt, das keinesfalls als selten angesehen werden kann, weshalb das erwähnte Erkenntnis des VwGH vom 21.3.1956, 0686/55, dem Standpunkt des Bw. nicht zum Durchbruch zu verhelfen vermag.
In diesem Zusammenhang muss dem Vorbringen des Finanzamtes gefolgt werden, weil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffen (nämlich diesfalls zu berichtigende Vorsteuer im Falle einer Verwendungsänderung) und Geschäftsvorfälle, die dem Bereich des Unternehmerwagnisses zuzuordnen sind (nämlich im gegenständlichen Fall faktische Unmöglichkeit der Vermietung auf Grund von Baumängeln), eine Nachsicht nicht rechtfertigen (VwGH 16.12.2003, 2003/15/0099; 25.1.2001, 98/15/0176).
Ein außergewöhnlicher Geschehensablauf, den die Judikatur des VwGH für die Begründung einer sachlichen Unbilligkeit heranzieht, kann darin daher nicht erblickt werden.
Darüber hinaus wäre auch bei einer Bejahung eines außergewöhnlichen Geschehensablaufes die Berichtigung der am 11. Jänner 1996 für den Voranmeldungszeitraum 11/1995 geltend gemachten Vorsteuer aus der Errichtung der zur Vermietung vorgesehenen Häuser in Höhe von ATS 2.117.424,00 auf Grund des vor dem Ablauf der neunjährigen Frist vorgenommenen Verkaufes und damit der Änderungen der Verhältnisse gemäß § 12 Abs. 10 UStG keinesfalls eine nicht vorherzusehende Rechtsfolge.
Im Bereich der Unbilligkeit nach § 236 BAO kommt es nämlich auf die Vorhersehbarkeit der steuerlichen Rechtsfolge bei Verwirklichung eines Sachverhaltes (ob vorhersehbar oder nicht) an.
Entscheidend ist nicht, ob der Handlungsverlauf (diesfalls Unmöglichkeit einer Vermietung infolge von Baumängeln) nicht vorhersehbar war, sondern die Tatbestandsverwirklichung der Abgabenschuld. Diese war aber vorhersehbar, da bei einer vorzeitigen Verwendungsänderung der Liegenschaft durch deren Verkauf als logische Folge die Vorsteuerberichtigung nach § 12 Abs. 10 UStG eintritt.
Darüber hinaus würde eine Bejahung der Unbilligkeit bei dieser Fallkonstellation bedeuten, dass das Unternehmerrisiko auf den Abgabengläubiger abgewälzt wird.
Auch aus dem angezogenen Erkenntnis des VwGH vom 9.7.1953, 0199/51, wonach eine Unbilligkeit nicht durch eine dem Gesetz entsprechende Festsetzung einer Abgabe ausgeschlossen werde, lässt sich nichts gewinnen, weil diese Feststellung ohnehin unbestritten ist. Damit eine dem Gesetz entsprechende Abgabe aber als unbillig angesehen werden kann, muss sie nicht vorhersehbar gewesen sein, was auf die Vorsteuerberichtigung als logische Folge des Liegenschaftsverkaufes nicht zutrifft.
Dem Vorbringen des Bw., dass einer (aus welchen Gründen auch immer nicht erhobenen) Berufung Folge zu geben gewesen wäre, ist zu entgegnen, dass die Nachsicht nicht dazu dient, im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen (vor allem Rechtsmittel) nachzuholen (VwGH 30.9.2004, 2004/16/0151). Im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Bw. wäre eine etwaige Berufung auf Grund der zwingenden Bestimmungen des § 12 Abs. 10 BAO aber ohnehin nicht von Erfolg gekrönt gewesen, zumal nicht näher dargelegt wurde, inwiefern die Notwendigkeit der Vorsteuerberichtigung anlässlich des Liegenschaftsverkaufes rechtlich anders beurteilt hätte werden können.
Weiters war nunmehr auf Grund des Parteienvorbringens zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall eine persönliche Unbilligkeit vorliegt. Hierbei ist jedoch noch keine Ermessensentscheidung zu treffen, sondern ein unbestimmter Gesetzesbegriff auszulegen.
Eine persönlich bedingte Unbilligkeit liegt im Besonderen dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdet.
Da der Bw. angab, er beziehe eine unter dem Existenzminimum liegende Pension, und verfüge über kein Vermögen, kann eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliegen, weil Einbringungsmaßnahmen ohnedies nicht gesetzt werden können. Entgegen der Rechtsansicht des Bw. ist eine unter dem Existenzminimum liegende Pension nämlich gemäß § 290a EO iVm § 291a EO auch nicht in geringem Ausmaß (seitens des Finanzamtes) pfändbar.
Auch aus dem Vorbringen des Bw., dass er zwischenzeitig eine selbstständige Beschäftigung gehabt hätte, die er aber zufolge der Pfändungen des Finanzamtes sofort wieder verloren hätte, lässt sich nichts gewinnen, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Entscheidung bei Nachsichtsersuchen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend sind (VwGH 7.7.2011, 2008/15/0010) und der Bw. derzeit eben keinen Zusatzverdienst aufweist.
Eine Gefährdung der Existenzgrundlagen kann daher nicht in der Einhebung der aushaftenden Abgaben gesehen werden, da eine Einhebung ohnehin nicht erfolgen kann.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Unbilligkeit dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation des Abgabenschuldners so schlecht ist, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts änderte (VwGH 10.5.2001, 2001/15/0033).
Aus dem Einwand des Bw., dass die mit rund € 800.000,00 aushaftenden Bankverbindlichkeiten seit vielen Jahren ruhend gestellt und bald verjährt wären, lässt sich nichts gewinnen, weil damit keine Aussage über einen Gläubigerverzicht seitens der Bank getroffen wurde. Im Gegenteil dient die Ruhendstellung dazu, nicht zielführende, aber kostenverursachende Exekutionen (vorerst) zu vermeiden, um dann im Falle von späteren Einbringungsmöglichkeiten diese auch wahrzunehmen.
Auch das Vorbringen des Bw. betreffend Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens vermag ihm nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil zufolge der aushaftenden Bankverbindlichkeiten und des mangelnden Vermögens auch ohne Abgabenschulden ein Schuldenregulierungsverfahren nicht durchgeführt werden würde.
Da weder sachliche noch persönliche Unbilligkeit in der Einhebung der auf dem Abgabenkonto mit € 158.366,75 aushaftenden Abgabenschulden gegeben sind, war eine Ermessensentscheidung nicht zu treffen.
Informativ wird zum Antrag auf Löschung des Rückstandes gemäß § 235 BAO mitgeteilt, dass zum Einen kein Antragsrecht auf Löschung besteht und zum Anderen für dessen Erledigung keinesfalls die Abgabenbehörde zweiter Instanz zuständig sein kann, weil diese ansonsten eine ihr nicht zukommende Entscheidungsbefugnis wahrnehmen und damit den Instanzenzug beschneiden würde.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am 31. Juli 2013
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise: | VwGH 16.12.2003, 2003/15/0099 |