Kein Anspruch auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung), wenn beide Elternteile ausschließlich den Rechtsvorschriften Ungarns unterliegen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., P., Ungarn, gegen den Bescheid des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart betreffend Familienbeihilfe ab Februar 2011 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw) ist verheiratet. Er und seine Gattin sind ungarische Staatsbürger. Der Bw lebt mit seiner Gattin und den vier minderjährigen Kindern in Ungarn.
Der Bw beantragte im März 2011 die Gewährung einer Differenzzahlung zur Familienbeihilfe für seine vier minderjährigen Kinder ab Februar 2011.
Das Finanzamt wies den Antrag nach Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen mit Bescheid vom 13. Juni 2012 mit der Begründung ab, dass der Bw in Österreich keine Einkünfte hätte, weshalb in Österreich auch kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.
Der Bw erhob gegen den Abweisungsbescheid fristgerecht Berufung und führte darin aus, dass ihm in Österreich Familienbeihilfe zustehe, da er im beantragten Zeitraum in Österreich erwerbstätig und pflichtversichert gewesen sei und die vorgeschriebenen Beiträge einbezahlt hätte.
Die Rechnungen, die seine Erwerbstätigkeit unterstützen (gemeint wohl: untermauern oder bestätigen) habe er dem Finanzamt bereits zukommen lassen. Die Rechnungen seien auch vom Geschäftspartner ausbezahlt worden, somit habe er auch Einkünfte in Österreich.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 3. August 2012 mit folgender Begründung ab:
"Gem. Art. 2 der EU-VO 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gilt diese Verordnung für alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates.
Gem. Art. 11 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel. Für Zwecke dieses Titels muss geprüft werden, in welchem Mitgliedstaat diese Person eine selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit ausübt. Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates.
Für Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die auf Grund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben.
Zum Nachweis Ihrer Tätigkeit wurden einige Rechnungen vorgelegt. Die amtlichen Ermittlungen führten zu folgendem Ergebnis:
Am angegebenen Betriebsstandort laut Rechnungslegung befinden sich weder Geschäftsunterlagen noch Räumlichkeiten, die darauf schließen lassen, dass von dort aus Geschäfte geplant und durchgeführt werden. Die Empfänger der behaupteten Leistungen sind durchwegs in Ungarn wohnhaft. Art und Umfang der Leistungen und Leistungsort konnten nicht ermittelt werden, da sich in Österreich keine Betriebsstätte befindet.
Da es keine Anzeichen gibt, dass in Österreich oder von Österreich aus Geschäfte getätigt werden, kommt Art. 11 der VO nicht zur Anwendung und es besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Da der Verdacht auf Missbrauch besteht, behält sich das Finanzamt vor, auch in steuerrechtlicher Hinsicht die Geschäftstätigkeit zu überprüfen und Kontakt mit der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft aufzunehmen."
Am 5. Oktober 2012 richtete das Finanzamt folgendes Schreiben an den Bw:
"Sie werden ersucht, bis spätestens 4.11.2012 zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
- Wenn Sie, wie Sie schreiben, in ganz Österreich tätig sind, wie kommt es, dass Sie im fraglichen Zeitraum nur ungarische Kunden hatten?
- Wo bewahren Sie Ihre Geschäftsunterlagen auf? Worin genau besteht Ihre Tätigkeit?
- Legen Sie bitte Ihre Angebote, Ihre Kalkulationen und Ihren Schriftverkehr mit den Kunden offen.
- Wie werben Sie Ihre Kunden an? Besitzen Sie eine Homepage?
Belegen Sie bitte den Zahlungsfluss der ausgestellten Rechnungen"
Am 20. Dezember 2012 langte folgendes Schreiben des Bw beim Finanzamt ein:
"Ich bin in Österreich Unternehmer geworden, damit ich den ungarischen Partnern in Österreich Partner finden kann.
Ich bin Diplom Ökonom von Beruf. Ich habe keine Geschäftsregister. Ich habe jede Daten, jede Information, was ich gebraucht habe, von öffentlichen Datenbanken (Internet, Telefonbuch und durch meine persönlichen Beziehungen/Bekanntenkreis. Ich habe nur einen Laptop und Telefon gebraucht. Ich habe den Kontakt per Telefon und natürlich persönlich aufgenommen und ich habe die Besteller/Auftraggeber und die Anbieter/Dienstleister direkt in Beziehung gesetzt.
Meine Tätigkeit dauerte nicht lange (1,5 Jahr) und sie war zeitweilig, nicht kontinuierlich.
Ich hatte keine Werbung, keine WebSeite, aber ich hätte eine Webseite 2013 starten mögen.
Ich habe meine Provision als Vermittler Bar (mit Kassenzettel) von dem ungarischen Partner (dem ich Business verschafft habe) vorheriger mündlicher Vereinbarung nach erhalten."
Über die Berufung wurde erwogen:
Folgender Sachverhalt steht fest:
Der Bw, seine Gattin und die vier minderjährigen Kindern wohnen ständig in X. in Ungarn und haben dort den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen.
Die Gattin des Bw bezog im Streitzeitraum auf Grund einer beruflichen Tätigkeit in Ungarn Familienbeihilfe.
Der Bw hatte vom 1. Februar 2011 bis 28. Februar 2011 in G., X-Straße (Unterkunftgeber: R O.) einen Nebenwohnsitz gemeldet.
An der vom Bw angegebenen Firmenadresse 9999 U, Y-Straße, wohnt seit 24. Mai 1950 Hr P R., geboren am 1924.
Die Firma des Bw existiert an der angegebenen Adresse nicht.
Es handelt sich um eine Scheinfirma, die in Österreich nicht existiert und keine Geschäftstätigkeit entfaltet.
Der Bw ist in Österreich bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft seit 1. Februar 2011 als gewerblich selbständig Erwerbstätiger gemeldet.
Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung:
Die persönlichen Verhältnisse des Bw sind unbestritten.
Der Familienbeihilfenbezug des Bw in Ungarn ist durch das im FA-Akt befindliche Formular E 411 erwiesen.
Die Meldung eines Nebenwohnsitzes des Bw an der im Sachverhalt angeführten Adresse ist unbestritten.
Dass an der vom Bw angegebenen Firmenadresse Hr P R. wohnt, ist durch die im FA-Akt befindliche Abfrage aus dem Zentralen Melderegister vom 22. Jänner 2013 und durch die Nachschau des FA vom 27. Juli 2012 erwiesen.
Dass die Firma des Bw an der angegebenen Adresse nicht existiert, ist durch die Erhebungen des FA erwiesen. Laut den vom FA durchgeführten Erhebungen inklusive Nachschau am angegebenen Firmensitz vom 27. Juli 2012 wohnt dort Hr P R. mit seiner Familie. Der Bw wurde dort nicht angetroffen. An dieser Adresse hat die Fa PF GesnbR, welche Büroräume angemietet hat, ihren Betriebssitz. Des Weiteren hat auch die Fa XYZ OG an derselben Adresse eine Betriebsstätte, da der Gesellschafter Hr K B. sowohl an der Fa PF als auch an der Fa XYZ OG beteiligt ist. Nach der Aussage des Hrn B. im Zuge der Nachschau durch das FA hat der Bw an der angegebenen Adresse keinen Betriebssitz und es befinden sich in den Büroräumlichkeiten keine geschäftlichen Unterlagen des Bw. An der Adresse des Hrn P R. wurden mehrere - meist ungarische - Unternehmer mit Formular Verf 24 beim FA gemeldet. Hr R. hatte dort früher eine KFZ-Werkstätte. In dieser Halle wurden vor kurzem mit Rigipswänden einige Räume abgetrennt. Diese sollen nach Fertigstellung als Büros an diverse Unternehmer vermietet werden. Die Räume sind sehr klein. In einen dieser Räume wurden ein alter Tisch und ein Sessel gestellt. Unterlagen oder irgendwelche Hinweise auf ein "Büro" gibt es nicht. Auf der Eingangstür zur Halle wurde ein Papier im Format A4 in Plastikfolie mit folgendem Text angebracht: "Haupteingang Büroräume - U. Y-Str.". Darunter hängt eine weitere Plastikfolie mit 26 verschiedenen ungarischen Namen. Unter Nr. 8 steht auch der Name "K. I. " (Bw). Es gibt keine Hinweise, dass auch nur einer dieser "Unternehmer" dort einen Firmensitz oder eine Betriebsstätte hätte. Mietverträge konnten auf Nachfrage des FA von Hrn R. nicht vorgelegt werden. Nach den vom FA durchgeführten Erhebungen inklusive Nachschau und der darüber abgefassten Niederschrift (die Feststellungen wurden zusätzlich durch Fotos dokumentiert) ist erwiesen, dass es an der vom Bw angeführten Adresse keinerlei Hinweise auf irgendeine betriebliche Tätigkeit des Bw gibt. Die Erhebungen des FA haben somit zweifelsfrei ergeben, dass der Bw an der angegebenen Adresse keinen Firmensitz oder Betriebsstätte hatte und dort keine Geschäftstätigkeit entfaltete.
Es existiert auch kein anderer inländischer Firmensitz oder Betriebsstätte und es wurde vom Bw ein solcher auch gar nicht behauptet.
Dass der Bw in Österreich keine betriebliche Tätigkeit entfaltete, konnte auch durch die Vorlage der im Akt aufliegenden - vom Bw ausgestellten "Rechnungen" nicht widerlegt werden. Diese sind ausschließlich an ungarische Personen bzw Firmen adressiert. Um welche Tätigkeit es sich dabei handelt, konnte vom Bw nicht schlüssig erklärt werden. Die am Briefkopf der Rechnungen angeführte Tätigkeit "Informationsvermittlung" ist wenig aussagekräftig, die am Briefkopf angeführte Adresse existiert nicht (siehe oben). Der auf den Rechnungen angegebenen Leistungsinhalt "Weitergeben von Wirtschaftsinformationen im Bereich Export" bzw "Weitergabe von Wirtschaftsinformationen im Bereich Tourismus" ist auch nicht aussagekräftig. Ein Leistungszeitraum ist auf den Rechnungen nicht angegeben. Über Aufforderung des FA konnten weder Angebote noch Kalkulationen oder Schriftverkehr mit den Kunden vorgelegt werden. Der Zahlungsfluss der ausgestellten Rechnungen konnte nicht nachgewiesen werden. Die Aussage, alle Zahlungen seien bar erfolgt, ist unglaubwürdig. Die allgemeinen und vagen Aussagen des Bw können nicht als Hinweis auf eine betriebliche Tätigkeit dienen. Dass der Bw auch keine Homepage hatte und keine Werbung betrieb, passt ebenso ins Bild wie die Ausführungen, die Tätigkeit habe "nicht lange" (ca 1 ½ Jahre) gedauert und sei nur "zeitweilig" ausgeübt worden. Auch die für das Jahr 2011 in der Einkommensteuererklärung angegebenen Einnahmen von € 6.060,-- passen zum Gesamtbild, denn für Einnahmen in dieser Höhe fällt jedenfalls keine Einkommensteuer an. Auch die Ausführungen im Vorlageantrag sind nicht geeignet, eine betriebliche Tätigkeit in Österreich glaubhaft zu machen. Die Papiere und Geschäftsunterlagen habe der Bw immer bei sich, da er sich in den Wohnungen der Kunden mit diesen treffe und weil er nicht wisse, welche Unterlagen im jeweiligen Fall gebraucht würden; der Betriebsort würde aber trotzdem vom Bw für die Vorbereitung benutzt. Dass der Bw immer alle Geschäftsunterlagen bei sich führen müsse, ist unglaubwürdig und ändert nichts daran, dass er sie über Aufforderung des FA nicht vorlegen konnte. Darüber hinaus handelt es sich bei den angeblichen Kunden des Bw laut Rechnungen ausschließlich um ungarische Personen bzw Firmen mit ungarischen Adressen, sodass auch aus diesem Grund eine Erwerbstätigkeit im Inland nicht nachvollziehbar ist.
Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse besteht für den UFS kein Zweifel daran, dass es sich bei der angegebenen Firma des Bw um eine Scheinfirma, die in Österreich nicht existiert und keine Geschäftstätigkeit entfaltet, handelt.
Dass der Bw in Österreich bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft seit 1. Februar 2011 als gewerblich selbständig Erwerbstätiger gemeldet ist, ist durch den Versicherungsdatenauszug erwiesen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bw tatsächlich Einkünfte aus einer betrieblichen Tätigkeit erzielt.
Rechtlich ist auszuführen wie folgt:
Nach § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe. Nach § 2 Abs 1 lit b leg cit haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist, Anspruch auf Familienbeihilfe.
Nach Abs 2 leg cit hat jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist. Nach § 2 Abs 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat. Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben gemäß § 3 Abs 1 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl I Nr 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten. Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 3 Abs 2 leg cit für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten. § 4 Abs 1 FLAG 1967 normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige Beihilfe haben, keinen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe haben. In § 4 Abs 2 FLAG 1967 ist vorgesehen, dass österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 und § 5 Abs 5 vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung erhalten, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beilhilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre. § 4 Abs 6 FLAG normiert, dass die Ausgleichszahlung, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe, als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt. Gemäß § 5 Abs 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Unbestritten ist, dass der Bw aG mangelnder Haushaltszugehörigkeit, mangelndem Mittelpunkt der Lebensinteressen im Inland sowie aG des ständigen Aufenthalts der Kinder im Ausland nach rein innerstaatlicher Rechtslage keinen Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs 1 FLAG 1967, dass Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten. Nach Wittmann/Papacek, Der Familienlastenausgleich, Kommentar § 53, wird dadurch die Gebietsgleichstellung mit Österreich bezüglich des ständigen Aufenthaltes der Kinder im EWR bzw in der EU im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen hervorgehoben.
Bei gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalten werden die innerstaatlichen Normen durch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen überlagert. Die für den Bereich der Familienbeihilfe anzuwendende Wanderarbeitnehmerverordnung hat allgemeine Geltung, ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat ("Durchgriffswirkung"). Die Verordnung geht dem nationalen Recht in ihrer Anwendung vor ("Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts").
Daher finden die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs 1 FLAG, des § 2 Abs 8 FLAG und des § 5 Abs 3 FLAG zufolge des Anwendungsvorrangs der Wanderarbeitnehmerverordnung im vorliegenden Fall keine Anwendung.
Auch die Bestimmungen des § 3 Abs 1 und 2 FLAG 1967 finden wegen des in der Wanderarbeitnehmerverordnung normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, keine Anwendung.
Im Berufungsfall sind nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten.
Vielmehr ist der Bw als ungarischer Staatsbürger von der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme über soziale Sicherheit (in der Folge "VO") erfasst. Die VO gilt ihrem Art 91 zufolge ab dem Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung. Die Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO trat ihrem Art 97 zufolge am 1.5.2010 in Kraft. Somit gilt die VO ab 1.5.2010 und ist demzufolge für den Streitzeitraum anzuwenden.
Gemäß Art 1 der VO bezeichnet für Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt, während der Ausdruck "selbständige Erwerbstätigkeit" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt, bezeichnet.
Familienangehöriger ist gemäß Art 1 lit i) Z 1 sublit i) der VO jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.
Nach Art 1 lt j) der VO bezeichnet der Ausdruck "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.
Nach Art 1 lit z) der VO bezeichnet der Ausdruck "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen.
Die VO gilt nach ihrem Art 2 Nr 1 uA für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Die VO gilt nach ihrem Art 3 Abs 1 lit j auch für die Familienleistungen.
Nach Art 4 der VO haben Personen, für die diese VO gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aG der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, wie die Staatsangehörigen dieses Staats.
Sofern in der VO nichts anderes bestimmt ist, dürfen gemäß ihrem Art 7 Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser VO zu zahlen sind, nicht aG der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt oder wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.
Nach Art 67 der VO hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten die in Art 68 der VO ausgeführten Prioritätsregeln.
Da der Bw ungarischer Staatsangehöriger, somit Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, gilt die VO für ihn sowie für seine Kinder.
Strittig ist, ob der Bw im Streitzeitraum den österreichischen Rechtsvorschriften unterlag.
Art 11 der VO lautet auszugsweise:
"Art 11 (1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel. (2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die auf Grund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.
(3) Vorbehaltlich der Art 12 bis 16 gilt Folgendes: a) Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats; ... e) Jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anderslautender Bestimmungen dieser VO, nach denen ihr Leistungen auf Grund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats."
Nach den Bestimmungen der VO kommen immer nur die nationalen Vorschriften eines Landes zur Anwendung. (S Art 11 Abs 1 VO). Primär unterliegt eine Person, die eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in einem Mitgliedstaat ausübt, ausschließlich den nationalen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates. (S Art 11 Abs 3 lit a VO).
Es ist daher zu prüfen, ob der Bw eine selbständige Tätigkeit im Inland iSd VO ausübt. Maßgebend ist jener Mitgliedstaat, in dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird. (Territorialitätsprinzip). Eine selbständige Erwerbstätigkeit iSd VO liegt vor, wenn eine eigenverantwortliche Tätigkeit für eigene Rechnung zur Erzielung von Einnahmen ausgeübt wird. Wesentlich ist hierbei die Gewinnerzielungsabsicht.
Nach dem festgestellten Sachverhalt übt der Bw im Inland keine selbständige Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung aus. Er bezieht auch keine Geldleistungen im Inland.
Es handelt sich vielmehr um eine Scheinfirma, die im Inland keine Einkünfte erzielt.
Auch eine einer selbständigen Tätigkeit gleichgestellte Tätigkeit liegt nicht vor. Bei einer solchen handelt es sich um Zeiten, in denen aG oder infolge einer selbständigen Erwerbstätigkeit eine Einkommensersatzleistung gezahlt wird.
Auch eine vorübergehende Unterbrechung einer selbständigen Erwerbstätigkeit liegt nicht vor. Der Bw hat im Inland niemals eine Tätigkeit ausgeübt, sodass eine Unterbrechung begrifflich ausgeschlossen ist.
Die Rechtsvorschriften Österreichs kommen daher für den Bw nicht zur Anwendung. Die Anmeldung bei der Sozialversicherung ohne Ausführung einer tatsächlichen Tätigkeit ist nicht entscheidend
Sollte der Bw eine selbständige Tätigkeit in Ungarn tatsächlich ausgeübt haben, unterläge er aus diesem Grund ausschließlich den ungarischen Rechtsvorschriften. Sollte der Bw keine Tätigkeit ausgeübt haben, unterläge er ebenfalls ausschließlich den ungarischen Rechtsvorschriften, da Ungarn sein Wohnmitgliedstaat ist. (S Art 11 Abs 3 lit e VO).
Die Gattin des Bw erzielt unbestritten in Ungarn Einkünfte und erhält dort Familienbeihilfe. Auch sie unterliegt daher unbestritten ausschließlich den ungarischen Rechtsvorschriften.
Die Prioritätsregeln der VO können daher nicht zur Anwendung gelangen, da der Bw selbst und auch der andere Elternteil ausschließlich den Rechtsvorschriften desselben Mitgliedstaates, nämlich Ungarn, unterliegen. Mangels Anwendbarkeit der Prioritätsregeln kann es zu keiner Differenzzahlung kommen. Eine solche kann nach Art 68 VO nach Maßgabe der dort angeführten Prioritätsregeln nur in Betracht kommen, wenn für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen im Rahmen einer familienhaften Betrachtungsweise Leistungen nach den Rechtsvorschriften zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind.
Der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften beide Elternteile ausschließlich unterliegen, somit Ungarn, ist daher für die Familienbeihilfe allein und ausschließlich zuständig.
Das FA hat somit zu Recht erkannt, dass für den Bw kein Anspruch auf Familienbeihilfe (Differenzzahlung) besteht.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am 13. Mai 2013
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | Art. 1 VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1 |