Daueraufenthaltskarte: nur deklaratorische Wirkung
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bwin. vom 19. Jänner 2011, gerichtet gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom 7. Jänner 2011, betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für das Kind XY., für den Zeitraum vom 1. August 2010 bis 31. Oktober 2010, entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin hat bei ihrem zuständigen Wohnsitzfinanzamt einen Antrag auf Gewährung der am 6. August 2010 nach Österreich eingereisten Stieftochter ab dem Monat der Einreise eingebracht.
Das Kind wohnt seit der Einreise nach Österreich bei der Berufungswerberin und deren Ehegatten, dem Vater. Die Berufungswerberin selbst hat, wie aus dem an ihren Ehegatten gerichteten aktenkundigen Bescheid des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 10. Februar 2010 hervorgeht, "einen Freizügigkeitstatbestand" gesetzt.
Aufgrund behördlicher Ermittlungen verzögerte sich die Ausstellung der Aufenthaltskarte bis 9. November 2010.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat das Finanzamt den Antrag für die Monate vor Ausstellung der Aufenthaltskarte abgewiesen. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Berufung wurde vom Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung vom 26. Juli 2011 abgewiesen. Sie gilt jedoch zufolge des fristgerecht eingebrachten Vorlageantrages wiederum als unerledigt.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG) 1967 haben Personen die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Nach dessen Abs. 2 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.
Die im Spruch genannte Stieftochter der Berufungswerberin ist nigerianische Staatsangehörige und wurde durch die Verehelichung ihres Vaters, ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger, mit der Berufungswerberin, sie ist österreichische Staatsbürgerin, zur Angehörigen der Berufungswerberin und damit zu einer EWR-Bürgerin.
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 NAG wird zur Dokumentation eines gemeinschaftsrechtlichen Aufenthalts- und Niederlassungsrechts für Angehörige von EWR-Bürgern, die Drittstaatsangehörige sind, über Antrag eine "Daueraufenthaltskarte" (§ 54), wenn der EWR-Bürger das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, ausgestellt.
§ 54 NAG, auf den hier verwiesen wird, lautet in seinem Abs. 1:
Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die nicht EWR-Bürger sind und die in § 52 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung zu stellen.
Die Richtlinie 2004/38/EG wurde in Österreich im Rahmen des Fremdenrechtspaktes 2005 durch das NAG innerstaatlich umgesetzt. Das 4. Hauptstück des 2. Teils (§§ 51 bis 57) regelt das gemeinschaftsrechtliche Aufenthalts- und Niederlassungsrecht. Das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht ergibt sich in diesen Fällen nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts. Dieses bereits nach Gemeinschaftsrecht bestehende Aufenthalts- und Niederlassungsrecht ist durch besondere Dokumente nachzuweisen, denen aber lediglich deklaratorische Wirkung zukommt und die die Existenz des bestehenden subjektiven Rechts an sich nicht betreffen.
Im vorliegenden Fall hat die Stieftochter der Berufungswerberin mit ihrer Einreise ins Gemeinschaftsgebiet und Niederlassung bei der Berufungswerberin nach Gemeinschaftsrecht Aufenthalts- und Niederlassungsrecht erworben. Die erst später erfolgte Ausstellung der Daueraufenthaltskarte dokumentiert dieses Recht lediglich. Tatsächlich hielt sich die Stieftochter der Berufungswerberin seit dem Tag ihrer Einreise nach § 9 NAG rechtmäßig in Österreich auf.
Daher waren die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FLAG nicht erst ab Ausstellung der Daueraufenthaltskarte, sondern bereits seit der Einreise ins Bundesgebiet erfüllt.
Da sich der angefochtene Bescheid sohin als rechtswidrig erweist, war der Berufung, wie im Spruch geschehen, Folge zu geben, und der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Graz, am 27. März 2012
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 3 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte: | NAG-Karte, deklaratorisch, konstitutiv, abgeleitetes Recht, EU-Recht, Unionsrecht, Gemeinschaftsrecht |
Verweise: | § 9 NAG, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 |