UFS RV/2250-W/11

UFSRV/2250-W/111.9.2011

Antrag auf Bescheidaufhebung (Rückzahlung von Zuschüssen zum Kinderbetreuungsgeld) gemäß § 299 BAO wegen Aufhebung der Rechtsgrundlage durch den VfGH

 

Beachte:
VfGH-Beschwerde zur Zl. B 1184/11 eingebracht. Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 3.12.2011 abgelehnt.

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Dr. Josef Sailer, Rechtsanwalt, 2460 Bruck an der Leitha, Schlossmühlgasse 14, vom 11. Mai 2011 gegen den Bescheid des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart vom 18. April 2011 betreffend Abweisung eines Antrages gemäß § 299 BAO auf Aufhebung des Rückforderungsbescheides vom 27. Oktober 2010 entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw.) wurde mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 auf Grund des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG zur Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004 verpflichtet. Eine dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Berufungsentscheidung vom 5. Jänner 2011 als unbegründet abgewiesen.

Am 14. April 2011 langte beim Finanzamt ein Antrag des Bw. auf Aufhebung des Bescheides vom 27. Oktober 2010 gemäß § 299 BAO ein. Dazu wurde ausgeführt, der Spruch habe sich als nicht richtig erwiesen. Der Verfassungsgerichtshof habe § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG in seiner Stammfassung wegen Verfassungswidrigkeit mit Wirkung ex tunc aufgehoben. Das Finanzamt wies den Aufhebungsantrag mit Bescheid vom 18. April 2011 ab, da das angesprochene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes für bereits rechtskräftige Bescheide keine Wirkung entfalte.

In der Berufung brachte der Vertreter des Bw. nach Schilderung des bisherigen Verfahrensablaufes vor, dass von der Abgabenbehörde nunmehr noch nicht rechtskräftige Bescheide unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. März 2011, G 184-195/10, ersatzlos aufgehoben werden. Auch im Fall des Bw. sei durch die Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG die Rechtsgrundlage seiner Zahlungsverpflichtung weggefallen. Der ihn betreffende Bescheid über die Rückzahlungsverpflichtung sei jedoch schon in Rechtskraft erwachsen, die Berufungsentscheidung sei dem Bw. am 11. Jänner 2011 zugestellt worden. Es werde daher bei völlig identen Sachverhalten danach differenziert, ob eine Entscheidung bereits rechtskräftig sei.

Die Rechtskraft diene der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit. Wohlerworbene Parteirechte sollen geschützt werden. Dem Gesetzgeber könne jedoch nicht unterstellt werden, dass er bei Schaffung der Bestimmungen über die Rechtskraft gewollt hätte, dass eklatantes Unrecht und gleichheitswidrige Differenzierungen Teil des Bestandes der österreichischen Rechtsordnung bleiben, nur weil sie bereits in Rechtskraft erwachsen seien. Es sei gleichheitswidrig, wenn gleich Sachverhalte ungleich behandelt werden.

Die gesetzliche Grundlage des Bescheides vom 27. Oktober 2011 sei weggefallen, daher werde die Aufhebung des Bescheides vom 18. April 2011 beantragt sowie in der Sache selbst die ersatzlose Aufhebung des Bescheides vom 27. Oktober 2010.

Über die Berufung wurde erwogen:

Der Bw. beantragte die Aufhebung des Bescheides vom 27. Oktober 2010 über die Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld für das Jahr 2004. Strittig ist, ob in Hinblick auf die Aufhebung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. März 2011, G 184-195/10, die Rechtsgrundlage des Bescheides vom 27. Oktober 2010 weggefallen ist.

Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.

Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht (Ritz, BAO, § 299 Tz 10).

Die Berufung gegen den Rückforderungsbescheid vom 27. Oktober 2010 wurde mit Berufungsentscheidung vom 5. Jänner 2011, welche sich u.a. auf § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG gestützt hat, als unbegründet abgewiesen. Mit der Zustellung an den Bw. am 11. Jänner 2011 trat die formelle Rechtskraft der Berufungsentscheidung ein. Am 4. März 2011 erging das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, G 184/10, mit dem der Verfassungsgerichtshof die Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG, BGBl. I Nr. 103/2001, in seiner Stammfassung betreffend Rückzahlung ausbezahlter Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld als verfassungswidrig aufhob. Aufgrund der Verfügung des Verfassungsgerichtshofes, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist, dürfen ab der Kundmachung der Verfassungsgerichtshofentscheidung im Bundesgesetzblatt am 16. März 2011 keine (neuen) Rückzahlungsaufforderungen für vergangene Jahre ergehen bzw sind noch nicht rechtskräftige Rückforderungsbescheide aufzuheben.

Für das gegenständliche Verfahren ist jedoch folgende Aussage des Verfassungsgerichtshofs von Relevanz: "§ 18 Abs. 1 Z 1 KBGG in der Stammfassung steht mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich weiterhin in Geltung ." Das bedeutet, dass Rückzahlungsaufforderungen, die bereits rechtskräftig wirksam sind, von der Aufhebung der Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG nicht betroffen sind. Tatsache ist auch, dass der Bw. die Berufungsentscheidung vom 5. Jänner 2011 nicht mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof angefochten hat und somit das Rückforderungsverfahren des Bw. kein sogenannter Anlassfall beim Verfassungsgerichtshof geworden ist.

Festzustellen ist somit, dass die Rückforderung des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld gegenüber dem Bw. auf einem (unbestritten) rechtskräftigen Bescheid basiert, dessen Rechtsgrundlage weiterhin in Geltung steht. Eine Durchbrechung der Rechtskraft des Bescheides vom 27. Oktober 2010 durch Aufhebung gemäß § 299 Abs. 1 BAO ist daher nicht zulässig.

Der steuerliche Vertreter wendete ein, dass die Aufrechterhaltung der Rückforderung des Zuschusses zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führe. Dem ist zu entgegnen, dass der Verfassungsgerichtshof im gegenständlichen Erkenntnis zum Ausdruck gebracht hätte, wenn die Aufhebung der Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 1 KBGG auch für bereits rechtkräftige Rückzahlungsaufforderungen wirksam werden sollte. Dies hat er jedoch nicht getan. Vielmehr ist der genannten VfGH-Entscheidung - wie oben zitiert - ausdrücklich zu entnehmen, dass die Bestimmung für die Vergangenheit weiter gilt (siehe auch Presseinformation des VfGH vom 9. März 2011 zu G 184/10 - G 195/10).

Da also die Ausführungen seitens des Bw. eine Gesetzwidrigkeit des Rückforderungsbescheides vom 27. Oktober 2010 nicht aufzuzeigen vermögen, bietet § 299 BAO keine verfahrensrechtliche Handhabe zur Aufhebung dieses Bescheides, sodass dem diesbezüglichen Antrag des Bw. vom Finanzamt nicht Folge gegeben werden konnte.

Die Berufung gegen den Bescheid vom 18. April 2011 war daher abzuweisen.

Wien, am 1. September 2011

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 18 Abs. 1 Z 1 KBGG, Kinderbetreuungsgeldgesetz, BGBl. I Nr. 103/2001
§ 299 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Verweise:

VfGH 04.03.2011, G 184/10

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