Vorschreibung von Kapitalertragsteuer verstößt gegen Unionsrecht, wenn diese im EU-Staat der Muttergesellschaft nicht voll anrechenbar ist
Beachte:
fortgesetztes Verfahren zu Zl. RV/0263-L/04
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der HC., vertreten durch Dr. Claus Staringer, Steuerberater, 1010 Wien, Seilergasse 16, vom 16. Dezember 2003 gegen den Bescheid des Finanzamtes Linz vom 9. Oktober 2003 betreffend Haftung für Kapitalertragsteuer gemäß § 95 EStG 1988 für 2002 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Bei der Rechtsvorgängerin der Berufungswerberin (Bw.) handelte es sich um eine inländische GmbH, deren ausländische Muttergesellschaft bis zu einem Gesellschafterwechsel im März 2003 (woraus sich das Fehlen der Behaltefrist im Sinne des § 94 a Abs. 1 Z 4 EStG 1988 in der Fassung vor BGBl. I Nr. 71/2003 ergibt) an ihr zu 100% beteiligt war.
Hinsichtlich einer am 15. Mai 2002 erfolgten Gewinnausschüttung vertrat die Bw. die Ansicht, dass eine Kapitalertragsteuer unter Berufung auf die Grundfreiheiten des Unionsrechts nicht anfalle.
Das Finanzamt teilte diese Ansicht nicht und schrieb am 9. Oktober 2003 im Haftungsweg in Anwendung von Art. 10 Abs. 1 lit. a des DBA zwischen Österreich und Großbritannien von der erfolgten Ausschüttung in Höhe von 4,167.339,98 € 5 % Kapitalertragsteuer vor.
In der erhobenen Berufung führte die Bw. aus, dass die Vorschreibung der Kapitalertragsteuer in Höhe von 208.367,00 € eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten begründe.
Der Unabhängige Finanzsenat wies mit Entscheidung RV/0263-L/04 vom 8. April 2005 die Berufung ab. Im Wesentlichen wurde die Ansicht vertreten, dass eine Verpflichtung zur Meistbegünstigung sowie eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs im gegenständlichen Fall nicht erblickt werden könne.
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 23.9.2010, 2008/15/0086 die Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates als inhaltlich rechtswidrig aufgehoben, da es einen Verstoß gegen das Unionsrecht darstellt, wenn in Österreich auch dann Kapitalertragsteuer vorgeschrieben wird, wenn diese im EU-Staat der Muttergesellschaft (Großbritannien) nicht voll anrechenbar ist.
Im fortgesetzten Verfahren wurde die Bw. aufgefordert, glaubhaft nachzuweisen, dass eine volle Anrechnung der in Österreich vorgeschriebenen Kapitalertragsteuer in Großbritannien nicht möglich war.
Am 4. Februar 2011 führte die steuerliche Vertretung aus, dass im Streitjahr das englische Körperschaftsteuerrecht ein System der indirekten Steueranrechnung vorsah. Danach seien Dividenden ausländischer Tochtergesellschaften bei der empfangenden englischen Muttergesellschaft steuerpflichtig (Steuersatz 30%) gewesen, dies allerdings unter Anrechnung der ausländischen Steuer, die auf den ausgeschütteten Gewinnen gelastet sei. Anrechenbar sei dabei zunächst die ausländische (hier österreichische) Körperschaftsteuer der ausschüttenden Tochtergesellschaft, sollte zusätzlich noch Kapitalertragsteuer auf die Dividende anfallen, wäre diese zusätzlich anrechenbar. Für die gesamte Anrechnung ausländischer Steuern sei jedoch als Höchstgrenze jener Betrag an englischer Steuer vorgesehen, der auf die Dividenden entfalle (somit 30% der Dividende). Im Fall der Dividende der H.C. GmbH sei dieser Anrechnungshöchstbetrag bereits durch die österreichische Körperschaftsteuer, die bei der H.C. GmbH angefallen war (damaliger Steuersatz 34%), (mehr als) ausgeschöpft. Zusätzlich anfallende Kapitalertragsteuern konnten daher (eben wegen Überschreitung des Anrechnungshöchstbetrages) nicht mehr angerechnet werden.
In einer weiteren Eingabe vom 1. Juni 2011 präzisierte die steuerliche Vertretung ihre Ausführungen, wonach eine tatsächliche Anrechnung österreichischer Kapitalertragsteuer in Höhe von 5% - auf Grund der über dem britischen Niveau liegenden österreichischen Körperschaftsteuervorbelastung [Steuersatz im Berufungsjahr 34%] bei der englischen Muttergesellschaft - nicht möglich war: "Im Jahr 2002 wurde die (indirekte) Anrechnung ausländischer Steuern in Kapitel II des Income and Corporate Taxes Act 1988 (ICTA) geregelt: § 793 ICTA statuiert in diesem Zusammenhang die generelle Verpflichtung zur Anrechnung ausländischer Steuern. Gemäß § 797 ICTA darf der Anrechnungsbetrag die auf die ausländischen Einkünfte entfallende britische Körperschaftsteuer, deren Steuersatz im Zeitpunkt der Gewinnausschüttung 30% betragen hat, nicht übersteigen. Gemäß § 795 ICTA ist bei der Berechnung der österreichischen Dividendeneinkünfte neben der Kapitalertragsteuer auch die österreichische Körperschaftsteuer zu berücksichtigen. Aus § 792(1) ICTA ergibt sich, dass der Begriff "underlying tax" jedenfalls die österreichische Körperschaftsteuer umfasst, weil die Körperschaftsteuer nicht unmittelbar auf die Dividende erhoben oder abgezogen wird."
Die Berufungsergänzungen wurden dem Finanzamt zur Kenntnis gebracht und in einer Besprechung am 11. Juli 2011 dagegen keine Einwendungen erhoben.
Über die Berufung wurde erwogen:
Strittig ist, ob sich die aus § 94 a Abs. 1 Z 4 EStG 1988 iVm Art. 10 Abs. 1 lit. a DBA Österreich-Großbritannien ergebende Versteuerung mit 5 Prozent des von der Bw. an ihre englische Muttergesellschaft im Jahr 2002 ausgeschütteten Gewinnes gemeinschaftsrechtswidrig ist oder nicht?
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 23.9.2010, 2008/15/0086 die Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates RV/0263-L/04 vom 8. April 2005 mit folgender Begründung als inhaltlich rechtswidrig aufgehoben:
"Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass die in § 94 a EStG 1988 enthaltenen Voraussetzungen für den Entfall des Abzugs der Kapitalertragsteuer gemäß § 93 Abs. 1 EStG 1988 nicht erfüllt sind. Aus dem Urteil des EuGH vom 5. Juli 2005, Rs C-376/03 , D., - auf den Schlussantrag des Generalanwaltes in dieser Rechtssache hat sich die belangte Behörde in ihrer Begründung des angefochtenen Bescheides berufen - ergibt sich, dass es nicht gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrages verstößt, wenn eine Vorschrift eines bilateralen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unter den Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht auf den Einwohner eines nicht an diesem Abkommen beteiligten Mitgliedstaats erstreckt wird. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde die Ansicht vertreten hat, dass eine Verpflichtung zur so genannten Meistbegünstigung nicht besteht. Die Beschwerdeführerin behauptet im Beschwerdeverfahren allerdings - bezugnehmend auf den Schlussantrag des Generalanwalts in der Rechtssache C-170/05 , Denkavit Internationaal BV - auch einen Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten unter Hinweis darauf, dass eine "DBA-Anrechnung" tatsächlich nicht in vollem Ausmaß hätte erfolgen können, weil - wie schon im angefochtenen Bescheid erwähnt - der strittige Betrag den in Großbritannien auf die Dividendenzahlungen entfallenden Steuerbetrag übersteige. Damit zeigt die Beschwerdeführerin eine relevante Rechtsverletzung durch den angefochtenen Bescheid auf. In seinem (zwischenzeitig ergangenen) Urteil vom 14. Dezember 2006, Rs C-170/05 , Denkavit Internationaal BV, brachte der EuGH zum Ausdruck, dass die Artikel 43 EG und 48 EG dahin auszulegen sind, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die allein für gebietsfremde Muttergesellschaften eine Quellensteuer auf von ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden vorsehen, auch wenn ein Besteuerungsabkommen zwischen diesem Mitgliedstaat und einem anderen Mitgliedstaat diese Quellensteuer zulässt und die Anrechnung der nach den Rechtsvorschriften des erstgenannten Staates auferlegten Belastung auf die Steuerschuld in diesem anderen Staat erlaubt, soweit für eine Muttergesellschaft in diesem anderen Mitgliedstaat die in dem genannten Abkommen vorgesehene Anrechnung nicht möglich ist (vgl. hiezu auch das Urteil des EuGH vom 3. Juni 2010, Rs C-487/08 , Kommission gegen Spanien). Im angefochtenen Bescheid ist nicht widerlegt worden, dass eine volle Anrechnung der in Österreich vorgeschriebenen Kapitalertragsteuer in Großbritannien tatsächlich unterblieben ist. Mit jenem Betrag an Kapitalertragsteuer, für den tatsächlich eine Anrechnung nicht möglich war, führt die Vorschreibung von Kapitalertragsteuer zu einer dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden Belastung der ausländischen Muttergesellschaft der Beschwerdeführerin (vgl. Rz 46 ff des Urteils Denkavit Internationaal BV und Rz 60 ff des Urteils Kommission gegen Spanien, sowie Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, 1050 ff). Da insoweit die innerstaatliche Norm durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt ist, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig."
Die Bw. hat im fortgesetzten Verfahren in glaubhafter Weise dargelegt, dass die Anrechnung der in Österreich vom Finanzamt vorgeschriebenen Kapitalertragsteuer in Großbritannien tatsächlich nicht möglich war.
Schon die Anrechenbarkeit der österreichischen Körperschaftsteuer (34%) gegenüber dem britischen Anrechnungshöchstbetrag (30%) führt zu einem [steuerlich nicht relevanten] Anrechnungsüberhang. Im Ergebnis ist der Gesamtanrechnungshöchstbetrag in Höhe von 30% bereits auf dieser Ebene vollständig ausgeschöpft und verbleibt keine weitere Anrechnungsmöglichkeit für eine österreichische Kapitalertragsteuer.
Da die Vorschreibung an Kapitalertragsteuer in Höhe von 208.367,00 € zu einer dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden Belastung der ausländischen Muttergesellschaft der Bw. führt, ist der Bescheid ersatzlos aufzuheben.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
Linz, am 13. Juli 2011
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | Art. 43 EGV, EG-Vertrag, ABl. Nr. C 340 vom 10.11.1997 S. 1 |
Verweise: |