Erlassung neuer Sachbescheide, nachdem die Erstbescheide mittels stattgebender BVE aufgehoben wurden, steht 'res iudicata' entgegen
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen der Bw, in W, vertreten durch Bernardini & Co WirtschaftsprüfungsgesmbH, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei, 1130 Wien, Trazerberggasse 85, vom 10. Oktober 2007 gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom 10. September 2007 betreffend Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (DB) und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ) für die Jahre 2001 bis 2004 nach der in 1030 Wien, Vordere Zollamtsstraße 7, durchgeführten Berufungsverhandlung entschieden:
Den Berufungen wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (Bw) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. An der Gesellschaft beteiligt sind neben weiteren Gesellschaftern Herr GF29 zu 29,51 Prozent und Herr DN zu 2 Prozent. Herr GF29 vertritt als Geschäftsführer die Gesellschaft seit 1994 selbstständig, seit Dezember 2003 bis Jänner 2005 neben Herrn GF2. Die Gesellschaft bietet Software-Systemlösungen im Bereich des Werbe- und Messewesens.
Im Rahmen einer Lohnsteuerprüfung stellte die Finanzbehörde fest, dass die an Herrn GF29 ausbezahlten Vergütungen für die Tätigkeit der Geschäftsführung in die Bemessungsgrundlagen für den Dienstgeberbeitrag sowie den Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag einzubeziehen seien, da Herr GF29 in den geschäftlichen Organismus der Bw eingegliedert sei. Bei Herrn DN liege auf Grund der fix vereinbarten Jahresstunden, der über fünf Jahre gleich gebliebenen monatlichen Entlohnung und der Tätigkeit mit den Betriebsmitteln der Gesellschaft in den Räumlichkeiten der Gesellschaft und der Vergütungsmöglichkeit von Spesen ein Dienstverhältnis im Sinne des § 47 Abs. 2 EStG 1988 vor. Die Entlohnung sei daher ebenfalls in die Bemessungsgrundlagen für Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag einzubeziehen.
Es ergingen in der Folge am 12. August 2005 entsprechende Abgabenbescheide für die Jahre 2000 bis 2004. Diesen Bescheiden des Finanzamtes waren lediglich die Nachforderungen an DB und DZ für die Jahre 2000 bis 2004, nicht jedoch die gesamten Bemessungsgrundlagen sowie die Höhe der Abgaben zu entnehmen.
Gegen diese Bescheide wurde Berufung erhoben.
Das Finanzamt gab mit Berufungsvorentscheidung vom 5. September 2007 der Berufung statt und hob die streitgegenständlichen Bescheide aus verfahrensrechtlichen Gründen auf.
Am 10. September 2007 wurden vom Finanzamt ein neuer Abgabenbescheid betreffend Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für das Jahr 2001 und neue Haftungs- und Abgabenbescheide betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2002 bis 2004 erlassen.
Gegen diese Bescheide wurde neuerlich Berufung erhoben, wobei die Bw ihr inhaltliches Berufungsbegehren samt Begründung wiederholte. In einer Ergänzung der Berufung wurde vorgebracht, dass die Berufungsvorentscheidung eine meritorische Entscheidung sei und damit stets in der Sache selbst entscheide. Mit Berufungsvorentscheidung vom 5. September 2007 sei der Berufung bereits stattgegeben worden. Die neuen Haftungs- und Abgabenbescheide seien daher rechtswidrig ergangen, da hinsichtlich der Lohnnebenabgaben der Jahre 2001 bis 2004 auf Grund der Berufungsvorentscheidung bereits res iudicata vorliege.
Der Unabhängige Finanzsenat entschied über diese Berufungen hinsichtlich der Jahre 2001 und 2002 mit Abweisung der Berufung, hinsichtlich der Jahre 2003 und 2004 mit teilweiser Stattgabe. Nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates lag res iudicata nicht vor, weil die Identität einer Sache abgabenrechtlich in erster Linie und ausschlaggebend von dem Inhalt des Spruches und seiner Elemente bestimmt werde. Da sich die Bescheide vom 12. August 2005 und vom 10. September 2007 in ihrem Spruch wesentlich unterschieden, weil mit den späteren Bescheiden erstmals über die Höhe der Bemessungsgrundlagen entschieden wurde und es sich um Festsetzungsbescheide von Selbstbemessungsabgaben handelte, sei keine Sachidentität gegeben gewesen.
Gegen diese Bescheide wurde Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben, da die Fortführung des Verfahrens wegen res iudicata unzulässig sei.
Der Unabhängige Finanzsenat hob unter Bezugnahme auf VwGH 29.9.2010, 2005/13/0101 mit Bescheid vom 26. November 2010 die angefochtene Berufungsentscheidung auf, weil sie in einem wesentlichen Punkt auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung von Verfahrensvorschriften basierte.
In der Folge wurde die Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Jänner 2011 als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.
Durch die Aufhebung der Berufungsentscheidung wurde diese aus dem Rechtsbestand beseitigt. Es ist daher neuerlich über die Berufung zu entscheiden.
Über die Berufung wurde erwogen:
Der Unabhängige Finanzsenat ist bei seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt ausgegangen: Es ergingen am 12. August 2005 erstmals Haftungs- und Abgabenbescheide zur Festsetzung von Selbstbemessungsabgaben betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2000 bis 2004.
Gegen diese Bescheide wurde Berufung erhoben.
Das Finanzamt gab mit Berufungsvorentscheidung vom 5. September 2007 der Berufung statt und hob die streitgegenständlichen Bescheide aus verfahrensrechtlichen Gründen auf.
Am 10. September 2007 wurden vom Finanzamt ein neuer Abgabenbescheid betreffend Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für das Jahr 2001 und neue Haftungs- und Abgabenbescheide betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2002 bis 2004 erlassen.
Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt und ist insoweit nicht strittig.
Rechtliche Würdigung:
Gemäß § 276 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz die Berufung durch Berufungsvorentscheidung erledigen und hiebei den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abändern, aufheben oder die Berufung als unbegründet abweisen.
Gegen einen solchen Bescheid, der wie eine Entscheidung über die Berufung wirkt, kann innerhalb eines Monates der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt werden.
Die Berufungsvorentscheidung der Abgabenbehörde erster Instanz beendet vollwirksam ein Rechtsmittelverfahren und ist - falls der Berufungswerber es bei dieser Entscheidung belässt und keinen Vorlageantrag stellt - wie jeder andere Bescheid der Rechtskraft fähig (vgl. VwGH 7. 12. 1988, 88/13/0098; VwGH 29. 4. 1991, 90/15/0174).
Materielle Rechtskraft bedeutet im Verwaltungsverfahren nach herrschender Lehre Unwiderrufbarkeit, Unwiederholbarkeit und Verbindlichkeit des Bescheides. Im Vordergrund der Lehre steht die mit Bescheiden verbundene Wirkung, dass diese nicht nur für die Partei unanfechtbar sind und dass über eine Sache ein für allemal endgültig entschieden ist, sondern dass der Abspruch über eine bestimmte Sache auch für die Behörden verbindlich, unwiederholbar, unwiderrufbar und unabänderbar ist. Diese Bescheidwirkungen sind mit Bescheiden verbunden, die dem Rechtsbestand angehören, unabhängig davon, ob die Bescheide richtig sind oder nicht (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 943).
Für den vorliegenden Fall bedeutet das:
Seit dem 7. Oktober 2007 liegt durch Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vom 5. September 2007 (zugestellt am 7. September 2007), mit welcher der Berufung vom 31. Oktober 2005 vollinhaltlich stattgegeben worden war und die angefochtenen Bescheide aufgehoben worden waren und welche in Rechtskraft erwuchs, betreffend Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (DB) und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ) für die Jahre 2001 bis 2004 bereits ein rechtskräftiger Abspruch über diese Abgaben des betreffenden Zeitraumes vor (vgl. VwGH 29.9.2010, 2005/13/0101). Daher war die Erlassung der neuen Bescheide betreffend Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (DB) und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ) für die Jahre 2001 bis 2004 vom 10. September 2007 unzulässig. Es wurde dadurch vom Finanzamt in den Bestand von rechtskräftigen Bescheiden eingegriffen und damit in ein und derselben Sache zwei Mal entschieden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am 15. März 2011
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 47 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: |