Zeitpunkt der Bildung einer Rückstellung
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2010/15/0157 eingebracht. Mit Erk. v. 24.4.2013 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren nicht durch BE erledigt.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der H-GmbH gegen die Bescheide des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom 14. Dezember 2006 bzw. 19. Dezember 2006 betreffend Körperschaftsteuer für 2004 und 2005 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.
Entscheidungsgründe
(1) Unternehmensgegenstand der berufungswerbenden GmbH (im Folgenden: Bw) ist Handel mit Waren aller Art. Das Wirtschaftsjahr entspricht dem Kalenderjahr. Die Bilanzen der Bw. zum 31. Dezember 2004 bzw. zum 31. Dezember 2005 wiesen unter der Position "Sonstige Rückstellungen" jeweils einen Betrag iHv. EUR 52.050 (gegenüber EUR 50 zum 31. Dezember 2003) auf. Die Steuererklärung samt Beilagen für 2004 wurde am 12. Dezember 2005 beim Finanzamt eingereicht.
(2) Im Zuge einer den Zeitraum 2002 bis 2004 umfassenden Außenprüfung stellte ein Prüfer als Organ der Amtspartei ua. fest (Pkt. 6 der Niederschrift über die Schlussbesprechung vom 14. November 2006 bzw. Tz 6a des Berichtes über das Ergebnis der Außenprüfung bei der Bw. vom 12. Dezember 2006): Im Jahr 2004 seien sonstige Rückstellungen (EUR 50.000 Klage, EUR 2.000 für damit zusammenhängende Rechtsanwaltskosten) dotiert worden. Diese gründe sich auf eine Markenrechts-/Urheberrechtsklage der Fa. T, Bozen: 2004 seien seitens der Bw. Engelseifen in Verkehr gebracht worden, die dem geschützten "Bozener Engel" ähnelten. Die Bildung von Verbindlichkeitsrückstellungen sei nur zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen würden, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder entstehen einer Verbindlichkeit ernsthaft zu rechnen sei (§ 9 Abs. 3 EStG 1988). Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten dürften daher nur gebildet werden, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden (dh. Nachweis, dass "Schaden" bis zum Bilanzstichtag tatsächlich entstanden sei, keine bloße Vermutung) und nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder Entstehen einer Verbindlichkeit ernsthaft zu rechnen sei. Die bloße Möglichkeit der Inanspruchnahme reiche somit nicht aus. Der Abgabepflichtige müsse vielmehr entweder ausdrücklich mit einer Inanspruchnahme konfrontiert werden oder selbst Schritte zur Sanierung eines eingetretenen Schadens gesetzt haben. Bei diesen Voraussetzungen handle es sich um Beurteilungskriterien, die dem Grunde nach bereits zum Bilanzstichtag vorliegen müssten (keine Frage der Werterhellung). Ein in der Vergangenheit wirtschaftlich verursachter Aufwand müsse also am Bilanzstichtag mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, also ernsthaft, drohen. Die wirtschaftliche Verpflichtung müsse dabei im Abschlussjahr gelegen sein (VwGH 30.10.2003, 99/15/0261).
(3) aus im Arbeitsbogen des Prüfers befindlichen Unterlagen ergibt sich, dass - die strittigen Engelseifen erstmals im Oktober 2004 nach Italien verkauft wurden (Rechnung an einen italienischen Händler vom 25. Oktober 2004) sowie - die Klageschrift der Fa. T (Klagssumme: EUR 100.000 sowie EUR 75 je verkauftem Engel) mit 3. November 2005 datiert ist und sie die Bw. am 28. November 2005 erhalten hat.
(4) Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfers, nahm die Verfahren hinsichtlich Körperschaftsteuer für 2004 und 2005 wieder auf und berücksichtigte in den am 14. bzw 19. Dezember 2006 erlassenen Körperschaftsteuerbescheiden der beiden Jahre die strittige Rückstellung nicht mehr - wie von der Bw. erklärt - im Jahr 2004, sondern erst im Jahr 2005.
(5) In der gegen die Körperschaftsteuerbescheide für 2004 und 2005 am 27. Dezember 2006 erhobenen Berufung führte die Bw. im Wesentlichen aus: Die Bw. habe im Jahr 2004 Engelseiten erzeugt und geliefert, die dem geschützten "Bozener Engel" geähnelt hätten. Zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung für das Jahr 2004 sei bereits bekannt gewesen, dass die Fa. T aus Bozen gegenüber der Bw. wegen Erzeugung und Verkehrbringung eine Markenrechts-/Urheberklage geltend gemacht und einen Betrag von EUR 100.000 sowie je verkauftem Engel einen weiteren Betrag von je EUR 75 gefordert habe. Dieser Tatsache sei im Zuge der Bilanzerstellung Rechung getragen und für die Rechtsverletzung, mit welcher ernsthaft habe gerechnet werden müssen, ein Betrag von EUR 50.000 sowie für die notwendigen Rechtsanwaltskosten ein Betrag von EUR 2.000 einer Rückstellung zugeführt worden. Auch sei darauf hinzuweisen, dass die Bw. schon vor Zustellung der Klage mit dieser Bedrohung konfrontiert worden sei, wobei bis zum Erhalt der Klage zumindest die Möglichkeit - wenn auch sehr eingeschränkt - bestanden habe, dass die behauptete Urheberrechtsverletzung widerlegt werden könnte. Da auf Grund des Sachverhaltes sämtliche Kriterien, die zu einer Rückstellungsverpflichtung zwängen, vorgelegen seien, sei die Nichtanerkennung dieser Rückstellung im Jahr 2004 nicht nachvollziehbar. Die Rückstellungsverpflichtung werde auch in der Bescheidbegründung bekräftigt, letztlich aber unter Bezug auf die Klageschrift vom 3. November 2005 behauptet, dass die Rückstellung erst 2005 zu bilden gewesen wäre, obwohl sämtliche Voraussetzungen zum Bilanzstichtag bereits vorgelegen seien. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 seien Rückstellungen für sonstige ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Laut EStR 2000, Rz 3301, dienten Rückstellungen dazu, Ausgaben, die erst in späteren Perioden anfielen, der Periode ihres wirtschaftlichen Entstehens als Aufwand zuzuordnen, wobei eine derartige Rückstellung auch nur in diesem Jahr geltend gemacht und nicht in einem späteren Jahr nachgeholt werden dürfe (EStR 2000, Rz 3308). Gerade auch in den EStR 2000, Rz 3313, werde unter Hinweis auf VwGH 30.10.2003, 99/15/0261, darauf hingewiesen, dass die wirtschaftliche Verursachung im Abschlussjahr gelegen sein müsse. Diese Ursache könne nicht in Abrede gestellt werden. Der Ansatz einer Rückstellung sei auch zwingend durch die HGB-Bestimmungen (Vollständigkeitsgebot/Imparitätsprinzip und dem Prinzip der Periodenreinheit) erforderlich. Diese Rückstellungen hätten der zeitabschnittmäßig richtigen Erfolgsabgrenzung zu dienen (VwGH 29.4.1965, 1058/63). Auch die UFS-Entscheidung vom 25.9.2006, RV/0160-L/04 weise darauf hin, dass die Rückstellung in jenem Jahr zu bilden sei, in dem mit dem vorliegen oder Entstehen einer Verbindlichkeit ernsthaft gerechnet werden müsse. Dies sei hier das Jahr 2004, da durch den Verkauf dieser Engel im Jahr 2004 mit einer drohenden Inanspruchnahme einer Markenrechts-/Urheberrechtsverletzung gerechnet habe werden müssen.
Über die Berufung wurde erwogen:
(6) Gemäß § 9 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 dürfen Rückstellungen nur für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet werden. Gemäß Abs. 3 leg.cit ist die Bildung von Rückstellungen nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit (eines Verlustes) ernsthaft zu rechnen ist.
(7) Eine Rückstellung ist somit nur zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist. Es muss sich um eine bereits drohende Inanspruchnahme handeln. Eine mögliche Inanspruchnahme alleine reicht daher nicht aus (Doralt, EStG12, § 9, Tz 30/1 unter Verweis auf ua. VwGH 30.9.1987, 86/13/0153 bzw. VwGH 18.1.1994, 90/14/0124, zur möglichen Rückzahlungspflicht eines Investitionszuschusses; VwGH 15.3.1995, 92/13/0271, zu einer Garantieverpflichtung; bzw. UFS 1.2.2005, RV/3053-W/02, zur bloß möglichen Inanspruchnahme aufgrund eines Betriebsanlagengenehmigungsbescheides). Bei einem im durch Klage geltend gemachten Anspruch liegt jedenfalls eine Inanspruchnahme vor (Doralt, EStG12, § 9, Tz 30/1 unter Verweis auf BFH 30.1.2002, I R 68/00, BStBl 2002 II 688). Liegen im Einzelfall konkrete Umstände vor, nach denen mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist, müssen außerdem auch konkrete Umstände vorliegen, dass die Verbindlichkeit ernsthaft droht. Nach der jüngsten Rspr des VwGH muss die Verbindlichkeit mit "größter Wahrscheinlichkeit" drohen (Doralt, EStG12, § 9, Tz 30/2). Dabei ist es nicht erforderlich, dass "das die Verpflichtung auslösende Ereignis zum Bilanzstichtag bereits eingetreten" (VwGH 21.12.1994, 89/13/0007) oder "die Verpflichtung am Bilanzstichtag bereits entstanden ist" (VwGH 25.1.1994, 90/14/0073). Angesichts der im November 2005 tatsächlich eingebrachten Klage der Fa. T steht daher die Zulässigkeit der Rückstellungsbildung an sich außer Zweifel.
(8) Prozesskosten können nur für am Bilanzstichtag bereits laufende Prozesse (zB. durch Erhebung der Klage) rückgestellt werden, mit Aufwendungen aus dem Rechtsstreit muss daher ernsthaft zu rechnen sein (zB. im Fall des Prozessverlustes oder eines Vergleichs). Ist im Jahr des Schadensereignisses noch von einer ordnungsgemäßen Auftragserfüllung auszugehen, kommt eine Rückstellung nicht in Betracht (VwGH 26.7.2006, 2006/14/0106). Die Erhebung der Klage stellt für sich keine wirtschaftliche Verursachung dar (VwGH 3.7.1968, 1067/66; vgl. weiters Jakom/Laudacher, EStG, 2010, § 9 Rz 41, Stichwort "Prozesskosten").
(9) Nach diesen allgemeinen Ausführungen kann zu jenem Bilanzstichtag (dh. 31. Dezember 2004), hinsichtlich dessen die Bw. die Bildung der Rückstellung begehrt, von einer drohenden Inanspruchnahme aus einer (ungewissen) Verbindlichkeit (hier Kosten eines Rechtsstreits) im Sinn einer wirtschaftlichen Verursachung (vgl. VwGH 30.10.2003, 99/15/0261) noch nicht die Rede sein. Dies würde nämlich bedeuten, dass bereits die bloße - dem üblichen Unternehmensgegenstand entsprechende - Lieferung und Erzeugung der Engel durch die Bw. - ohne Kenntnis dieses Umstandes seitens der klagenden Firma und ohne Erkennen einer allfälligen Urheberrechtsverletzung bzw. einer daraus resultierenden Klagsdrohung seitens der Bw. - ein rückstellungsauslösendes Ereignis darstellen würde. Die Bw. hat nämlich nicht dargetan, dass eine derartige Bedrohung bereits im Jahr 2004 bestanden hätte. Nach Ansicht des Referenten kann für den Standpunkt, dass die Lieferung bzw. Erzeugung von Waren für den Zeitpunkt der Rückstellungsdotierung nicht von Relevanz sein kann, auch darauf verwiesen werden, dass bei einer Hinterziehung von Steuern oder Sozialversicherungsabgaben ebenfalls erst im Jahr der Aufdeckung eine Rückstellung gebildet werden kann. Wer Abgaben nicht abführt, wird idR. nämlich danach trachten, eine Entdeckung und Nachzahlung zu vermeiden. Daher ist im Jahr der Hinterziehung die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme nicht gegeben. Selbst die Abhaltung einer Prüfung ist noch nicht Garant für das Erkennen der Manipulation. Daher liegt im Ursprungsjahr der Hinterziehung keine ungewisse Verbindlichkeit vor, eine Rückstellung ist erst dann anzusetzen, wenn die Entdeckung der Tat ernsthaft droht (Jakom/Laudacher, EStG, 2010, § 9 Rz 41, Stichwort "Hinterziehung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen mit Verweis auf Doralt, Rückstellungen für Betrug und Steuerhinterziehung, RdW 2006/107, 108). Dass der Umstand einer möglichen Klage - wie in der Berufungsschrift ausgeführt wird - allenfalls zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung, der jedenfalls nach dem für die Bildungsmöglichkeit einer Rückstellung allein relevanten Bilanzstichtag gelegen sein muss, bekannt gewesen sei, ist nicht von Relevanz, würde dies doch bedeuten, dass es damit der Steuerpflichtige in der Hand hätte durch die Wahl des Zeitpunkts der Bilanzerstellung den Rückstellungszeitraum zu steuern.
(10) Auch aus der von der Bw. ins Treffen geführten UFS-Entscheidung vom 25.9.2006, RV/0160-L/04, lässt sich für den Standpunkt der Bw. nichts gewinnen, ging es hier doch darum, dass zum Bilanzstichtag des Berufungsjahres Gewährleistungsansprüche bereits geltend gemacht worden waren und daher davon auszugehen sei, dass eine Inanspruchnahme ernsthaft drohe und die wirtschaftliche Verursachung bereits gegeben sei. Es wurde also in dieser Entscheidung erst die der Erhebung einer Klage durchaus vergleichbare Geltendmachung von Ansprüchen und nicht bereits die Herstellung oder Lieferung von zu derartigen Ansprüchen führenden Gegenständen bzw. die Erbringung von Leistungen als kausal für die Bildung einer Rückstellung beurteilt.
(11) Die Bw. verweist auch noch darauf, dass für Rückstellungen insoweit ein Nachholverbot gelte, als eine Rückstellung nur im Jahr des wirtschaftlichen Entstehens des Schuldgrundes zu bilden sei und eine unterlassene Rückstellung in einem späteren Jahr nicht nachgeholt werden dürfe (vgl. etwa VwGH 29.9.1961, 1463/59; VwGH 16.9.1986, 86/14/0017; VwGH 10.10.1996, 94/15/0089; VwGH 25.2.1998, 97/14/0015 bzw. EStR 2000, Rz 1308). Auch dieser Einwand kann dem Berufungsbegehren nicht zum Durchbruch verhelfen, würde doch auch dieser darauf abzielen, dass bereits die Erzeugung und der Verkauf der Engel - und nicht erst die im nachfolgenden Wirtschaftsjahr gesetzten rechtlichen Schritte der Fa. T rückstellungsbegündend - gewesen seien.
(12) Was den Verweis des Bw. auf handels- bzw. unternehmensrechtliche Bestimmungen betrifft, welche auf Grund des Maßgeblichkeitsprinzips auch im Steuerrecht anzuwenden seien, so ist dem zu entgegnen, dass sich auch daraus kein Umstand ableiten lässt, die strittige Rückstellung bereits im Jahr 2004, also dem jenem Zeitpunkt, in welchem die Engel in Verkehr gebracht worden seien, aber noch keine Forderungen eines Dritten drohten, zu dotieren.
Aus den angeführten Gründen war die Berufung daher abzuweisen.
Linz, am 22. Juli 2010
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 9 Abs. 1 Z 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte: | Rückstellung, Bilanzstichtag, Bilanzerstellungszeitpunkt |
Verweise: |