1) Konkretisierung von Wiederaufnahmsgründen2) (keine) Behaltefrist bei der Investitionszuwachsprämie
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw. gegen die Bescheide des Finanzamtes Kitzbühel Lienz vom 25. März 2008 über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 sowie Investitionszuwachsprämie 2003 entschieden:
Der Berufung gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 wird Folge gegeben. Dieser angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Die Berufung gegen den Sachbescheid betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 wird als unzulässig (geworden) zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (Bw.), eine Kommanditgesellschaft, betrieb ein Transportunternehmen. Mit Beschluss des Landesgerichtes X. vom 30. Dezember 2009, AZ. xxx, wurde über das Vermögen der Gesellschaft der Konkurs eröffnet.
Mit dem am 6. Februar 2004 beim Finanzamt eingereichten Formular E 108e beantragte die Bw. für das Jahr 2003 eine Investitionszuwachsprämie in Höhe von 942.763,80 €. Am 10. Februar 2004 brachte sie beim Finanzamt ein berichtigtes Formular E 108e ein, in dem die Investitionszuwachsprämie 2003 mit 949.563,80 € ausgewiesen wurde. Am 21. Juli 2004 wurde die Investitionszuwachsprämie auf dem Abgabenkonto der Bw. mit dem berichtigten Betrag antragsgemäß gutgeschrieben.
Im Juli/August 2004 führte das Finanzamt bei der Bw. eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch, deren Hauptgegenstand (laut einer aktenkundigen Mitteilung des Prüfers vom 10. August 2004 an das damals für die Bw. zuständig gewesene Veranlagungsreferat) jedoch "die beim Finanzamt beantragte Investitionszuwachsprämie für den Ankauf der LKW und Auflieger" gewesen sei. Änderungen der (bereits gutgeschriebenen) Investitionszuwachsprämie 2003 ergaben sich auf Grund der Prüfung nicht.
Am 19. November 2004 reichte die Bw. beim Finanzamt - zusammen mit der Erklärung der Einkünfte von Personengesellschaften - ein neuerlich berichtigtes Formular E 108e ein, in dem die Investitionszuwachsprämie 2003 mit 955.593,30 € errechnet wurde. Mit Bescheid vom 22. November 2004 setzte das Finanzamt die Investitionszuwachsprämie 2003 in Höhe des berichtigten Betrages fest.
Bei einer Nachschau im Februar 2008 vertrat der Prüfer die Auffassung, für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Investitionszuwachsprämie 2003 dürften die in den Kaufpreisen der Sattelzugmaschinen enthaltenen Zinsen nicht angesetzt werden. Weiters stehe eine Investitionszuwachsprämie für jene Sattelzugmaschinen und Sattelauflieger nicht zu, deren Anschaffungskosten "nicht zumindest mehr als die Hälfte ihrer Nutzungsdauer im Wege der AfA abgesetzt" worden seien (Tz 1 der Niederschrift vom 26.2.2008). Aus den der Niederschrift angeschlossenen Tabellen ist ersichtlich, dass die Bw. im Jahr 2003 100 Sattelzugmaschinen und 100 Sattelauflieger angeschafft hatte, die großteils innerhalb der in der Niederschrift vom 26. Februar 2008 genannten Frist wieder verkauft wurden (im Oktober 2004: 20 Sattelauflieger, im Dezember 2004: 50 Sattelzugmaschinen und 79 Sattelauflieger, im Mai und August 2005: je eine Sattelzugmaschine und im Jahr 2006: 16 Sattelzugmaschinen). Drei Sattelzugmaschinen und ein Sattelauflieger waren durch Unfälle bzw. Diebstahl aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden. Die restlichen Fahrzeuge wurden im Laufe des Jahres 2006, jedoch nach Ablauf von jeweils mehr als der Hälfte ihrer Nutzungsdauer, verkauft. Rechnerisch ergab sich auf Grund der Nachschau ein Investitionszuwachs von 2,325.278,79 €, wobei der Prüfer allerdings - ohne Begründung - nicht von der im Formular E 108e vom 19. November 2004 ausgewiesenen (und in den Bescheid vom 22. November 2004 übernommenen) Bemessungsgrundlage, sondern von den mit Formular E 108e vom 10. Februar 2004 erklärten Daten ausging.
Mit Bescheid vom 25. März 2008 "über die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Festsetzung folgender Prämie für das Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr 2003: Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988" nahm das Finanzamt das Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und setzte die Investitionszuwachsprämie 2003, dem Ergebnis der Nachschau folgend, mit 232.527,88 € fest. Die Bescheidbegründung lautet wie folgt:
"Die prämienbegünstigten Wirtschaftsgüter müssen zum langfristigen Einsatz im Betrieb bestimmt sein (VwGH 20.4.2006, 2005/15/0156). Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten müssen daher zumindest mehr als die Hälfte ihrer Nutzungsdauer im Wege der AfA abgesetzt werden. Ist dies nicht der Fall, stellt das vorzeitige Ausscheiden ein rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO dar, das nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zu einer Änderung der Prämiengewährung führt. Davon ist nur abzusehen, wenn das Wirtschaftsgut, das zunächst für den langfristigen Einsatz im Betrieb bestimmt war, auf Grund nachträglicher Unwägbarkeiten (zB Schaden auf Grund höherer Gewalt, unvorhergesehene Unbrauchbarkeit im Betrieb) aus dem Betriebsvermögen ausscheidet.
Die angeschafften Sattelzugmaschinen über die A.Bank Leasing wurden auf 6 Jahre, die restlichen angekauften Sattelzugmaschinen generell auf 5 Jahre abgeschrieben. Die Nutzungsdauer der Sattelauflieger wurde laut Anlagenverzeichnis mit 5 Jahren angesetzt.
Die Aktivierung von Fremdkapitalzinsen ist grundsätzlich unzulässig (Aktivierungsverbot). Ausnahmsweise ist im Falle von kreditfinanzierten Anzahlungen oder Vorauszahlungen im Zusammenhang mit der Anschaffung von Neuanlagen mit längerer Bauzeit von einem handelsrechtlichen Aktivierungswahlrecht der bis zum Anschaffungszeitpunkt anfallenden Zinsen auszugehen. Eine Abzinsung einer Verbindlichkeit im Zusammenhalt mit der Ermittlung von Anschaffungskosten ist dann notwendig, wenn im Rückzahlungsbetrag Zinskomponenten enthalten sind, die nicht Bestandteil der Anschaffungskosten des fremdfinanzierten Wirtschaftsgutes sind (VwGH 23.11.1994, 91/13/0111).
Für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Investitionszuwachsprämie sind beim Kaufpreis der Sattelzugmaschinen über die B.Bank Leasing die enthaltenen Zinsen nicht anzusetzen."
Die Bw. erhob gegen den "Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Festsetzung der Investitionszuwachsprämie vom 25.3.2008" durch ihre steuerliche Vertreterin Berufung, in der sie um "Anerkennung der vollen ursprünglichen Prämie" ersuchte. Begründend führte sie aus, wesentlichstes Argument in der Begründung des bekämpften Bescheides sei die Behauptung, dass eine Investitionszuwachsprämie nur dann zustehe, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten im Wege der AfA zumindest mehr als die Hälfte ihrer Nutzungsdauer lang abgesetzt würden, wobei auf das Erkenntnis des VwGH vom 20.4.2006, 2005/15/0156, verwiesen werde. Im Gesetz sei eine Behaltefrist nicht vorgesehen. Auch aus dem zitierten VwGH-Erkenntnis ergebe sich nicht, dass prämienbegünstigte Wirtschaftsgüter mehr als die Hälfte der Nutzungsdauer im Betrieb genutzt werden müssten. Die Bw. habe im Jahr 2003 Sattelzugmaschinen und Sattelauflieger im Wert von 9,498.211,75 € angeschafft. Daneben sei noch in Betriebs- und Geschäftsausstattung investiert worden. Für diese Investitionen sei die Investitionszuwachsprämie geltend gemacht worden. Das Finanzamt habe vor Zuerkennung der Investitionszuwachsprämie eine sehr genaue und umfangreiche Prüfung vorgenommen und dabei auch die Höhe der Anschaffungskosten untersucht. Als Ergebnis dieser Prüfung sei die Investitionszuwachsprämie in Höhe von 955.583,80 € gewährt worden. Die Sattelzugmaschinen und Sattelauflieger seien im Betrieb genutzt worden. Als Nutzungsdauer sei, wie bei Anlagevermögen vorgeschrieben, die Lebensdauer der Fahrzeuge von 5 bis 6 Jahren anzusetzen gewesen. Es sei langjährige Praxis der Bw., die Sattelzugmaschinen mit Anhängern nicht über die gesamte technisch mögliche Nutzungsdauer einzusetzen. Es sei Firmenpolitik, die Sattelzugmaschinen und Anhänger im zweiten Jahr, in Einzelfällen im dritten Jahr zu tauschen, da es auf Grund von Rahmenkäufen größerer Stückzahlen gelinge, fabriksneue Fahrzeuge zu einem besonders günstigen Preis zu erwerben, und der Verkauf nach einer Nutzung von 15 bis 30 Monaten am Markt zu Preisen möglich sei, die nur einen geringen Wertverlust bedeuteten. Dass einige Auflieger im vorliegenden Fall bereits nach knapp 10 Monaten (Anmerkung: im Oktober 2004) verkauft worden seien, sei am günstigen Angebot eines Herstellers gelegen, diese Auflieger gegen neuartige Auflieger in Leichtbauweise zu tauschen. Die Bw. habe sich unterschiedlicher Rechtskonstruktionen für die Beschaffung der notwendigen Fahrzeuge und Anhänger bedient. Diese seien seit dem Bestehen der Gesellschaft zum Teil geleast, zum Teil von der Industrie direkt angemietet und genauso auch im Eigentum erworben und mit Bankdarlehen oder Mietkaufverträgen oder Finanzierungsleasingverträgen finanziert worden. Die Einführung der Investitionsbegünstigung habe es der Bw. ermöglicht, beim planmäßigen Tausch die Fahrzeuge und Anhänger im Eigentum zu erwerben und daher die Prämie in Anspruch zu nehmen. Genau dies sei Absicht des Gesetzgebers gewesen. Die Fahrzeuge und Anhänger, für die die Investitionszuwachsprämie beantragt worden und nach langer Prüfung auch vom Finanzamt zugestanden worden sei, seien völlig vergleichbar eingesetzt worden wie die Fahrzeuge früher und nach dem Ablauf der Möglichkeit einer Investitionszuwachsprämie. Es seien keine Gestaltungen erfolgt, um Investitionszuwachsprämien zu lukrieren. Es sei auch von vornherein klar gewesen, dass die Fahrzeuge nicht über die gesamte Nutzungsdauer und auch nicht über die Hälfte der Nutzungsdauer eingesetzt würden, da dies zu keinem Zeitpunkt der Gebarung der Bw. entsprochen hätte.
Über die Berufung wurde erwogen:
I.) Mit der mit "Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Festsetzung folgender Prämie für das Wirtschaftsjahr/Kalenderjahr 2003: Investitionszuwachsprämie gemäß § 108e EStG 1988" überschriebenen Erledigung vom 25. März 2008 hat das Finanzamt - formularmäßig verbunden - die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 verfügt und die Prämie neu festgesetzt. Die Berufung vom 28. April 2008 richtet sich erkennbar sowohl gegen den Wiederaufnahms- als auch gegen den neuen Sachbescheid betreffend Investitionszuwachsprämie 2003.
II.) Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter anderem in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 Abs. 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gemäß § 305 Abs. 1 BAO für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde. Dabei ist es Aufgabe dieser Behörde, die von ihr verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen und Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind. Aufgabe der Berufungsbehörde ist es nur, zu prüfen, ob das Verfahren aus den von der Abgabenbehörde erster Instanz gebrauchten Gründen wiederaufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Gründen zulässig gewesen wäre. Wurden die Wiederaufnahmegründe im Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz nicht angeführt, ist der Berufung gegen diesen Bescheid stattzugeben (siehe aus jüngerer Zeit etwa VwGH 17.4.2008, 2007/15/0062; VwGH 18.10.2007, 2002/14/0104; VwGH 26.4.2007, 2002/14/0075).
Da die Investitionszuwachsprämie 2003 - worauf die Bw. zutreffend hinweist - vor der bescheidmäßigen Festsetzung vom 22. November 2004 bereits Gegenstand einer Prüfung durch das Finanzamt war, konnte die Wiederaufnahme dieses Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO nur auf Tatsachen oder Beweismittel gestützt werden, die zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 22. November 2004 bereits vorhanden waren, dem Finanzamt aber erst später (bei der im Jahr 2008 durchgeführten Nachschau) bekannt geworden sind. Der angefochtene Bescheid vom 25. März 2008 lässt eine Anführung jener Gründe, auf die das Finanzamt die Wiederaufnahme des Verfahrens stützen wollte, jedoch vermissen. Sind aber die Wiederaufnahmsgründe im angefochtenen Bescheid nicht dem Gesetz entsprechend dargestellt worden, war der Berufung gegen die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens schon aus diesem Grund stattzugeben.
III.) Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides tritt das Verfahren betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 in die Lage zurück, in der es sich vor der Wiederaufnahme befunden hat (§ 307 Abs. 3 BAO). Der Sachbescheid betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 vom 25. März 2008 schied damit aus dem Rechtsbestand aus. Soweit sich die Berufung vom 28. April 2008 gegen den Sachbescheid betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 richtet, war sie daher als unzulässig (geworden) zurückzuweisen. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Ansicht des Finanzamtes, wonach § 108e EStG 1988 für die Gewährung der Investitionszuwachsprämie eine Behaltefrist verlange, nicht geteilt werden kann (siehe etwa UFS 3.6.2009, RV/0183-I/09; UFS 25.2.2009, RV/0588-S/08). Der angefochtene Sachbescheid betreffend Investitionszuwachsprämie 2003 kann sich folglich auch nicht insoweit, als nach Ergehen des Erstbescheides vom 22. November 2004 Verkäufe von Sattelzugmaschinen und Sattelaufliegern erfolgten, auf § 295a BAO (als eigenständige verfahrensrechtliche Grundlage) stützen.
Innsbruck, am 26. April 2010
Ergeht auch an: Finanzamt als Amtspartei
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |