Ein ein Anbringen ergänzender Schriftsatz ist nicht gesondert entscheidungspflichtig
Entscheidungstext
Bescheid
Der unabhängige Finanzsenat hat über den Devolutionsantrag des LP, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg bezüglich des Antrages vom 12. November 2007 auf endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2004 entschieden:
Der Devolutionsantrag wird zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Das Finanzamt erließ mit Datum 12. April 2006 den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2004 gemäß § 200 Abs. 1 BAO als vorläufigen Bescheid und begründete die Vorläufigkeit damit, dass der Umfang der Abgabepflicht von den Ergebnissen eines noch nicht beendeten Rechtsmittelverfahrens abhänge. Gegen diesen Bescheid erhob der Devolutionswerber (Dw) mit Schriftsatz vom 21. April 2006 Berufung, die das Finanzamt mit Bericht vom 5. Mai 2006 dem unabhängigen Finanzsenat vorlegte und von diesem unter der Geschäftszahl RV/0884-W/06 protokolliert wurde. Die Berufung wandte sich nicht gegen die Vorläufigkeit der Abgabenfestsetzung. Mit Bescheid vom 30. Mai 2006 wurde die Entscheidung über die gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2004 erhobene Berufung gemäß § 281 iVm § 282 BAO ausgesetzt.
Am 12. November 2007 brachte der Dw den im Spruch näher bezeichneten Antrag auf endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer 2004 persönlich beim Finanzamt ein, das diesen Antrag mit Begleitzettel vom 22. November 2007 als Ergänzung zur Berufung Umsatzsteuer 2004 dem unabhängigen Finanzsenat vorlegte. In der Antragsbegründung führte der Dw aus, dass nicht nachvollziehbar sei, welche Ungewissheit noch herrsche.
Am 14. Mai 2008 bringt der Dw den verfahrensgegenständlichen Devolutionsantrag beim unabhängigen Finanzsenat ein.
Über den Devolutionsantrag wurde erwogen:
1. Rechtsgrundlagen: Gemäß § 200 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde die Abgabe vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiß, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiß ist. Die Ersetzung eines vorläufigen durch einen anderen vorläufigen Bescheid ist im Fall der teilweisen Beseitigung der Ungewißheit zulässig.
Gemäß § 200 Abs. 2 BAO ist, wenn die Ungewißheit (Abs. 1) beseitigt ist, die vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen. Gibt die Beseitigung der Ungewißheit zu einer Berichtigung der vorläufigen Festsetzung keinen Anlaß so ist ein Bescheid zu erlassen, der den vorläufigen zum endgültigen Abgabenbescheid erklärt.
Gemäß § 243 sind gegen Bescheide, die Abgabenbehörden in erster Instanz erlassen, Berufungen zulässig, soweit in Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmt ist.
§ 281 Abs. 1 BAO lautet: Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Berufung anhängig oder schwebt sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Berufung ist, so kann die Abgabenbehörde die Entscheidung über diese unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe aussetzen, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei (§ 78) entgegenstehen.
Gemäß § 281 Abs. 2 BAO ist nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens, das Anlass zur Aussetzung gemäß Abs. 1 gegeben hat, das ausgesetzte Berufungsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.
Gemäß § 85 Abs. 1 BAO sind Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).
Gemäß § 311 Abs. 1 BAO sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen (§ 85) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.
2. Rechtliche Würdigung: Bestehen die Voraussetzungen des § 200 Abs. 1 BAO, so liegt die Erlassung vorläufiger Bescheide im Ermessen der Abgabenbehörde. Die Bezeichnung eines Bescheides als vorläufig ist Spruchbestandteil; die Vorläufigkeit eines Bescheides ist mit Berufung anfechtbar. In der Bescheidbegründung sind die Gründe anzugeben, welche für die Ungewissheit für die Vorläufigkeit ausschlaggebend waren, sowie jene für die Ermessensübung (BAO-Kommentar, Ritz3, Lindeverlag, § 200, Tz 6, 7 und 9, mwN).
Ein Antrag auf Endgültigerklärung bzw. auf endgültige Festsetzung unterliegt der Entscheidungspflicht (BAO-Kommentar, Ritz3, aaO, Tz 11, mwN), auch wenn das Gesetz einen solchen Antrag nicht vorsieht. Letztlich spreche - trotz zuvor von Ritz im Kommentar angeführter widersprüchlicher VwGH-Judikatur - der Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation für eine weite Auslegung des § 311 Abs. 1. Daher unterliegen Anbringen, auch wenn sie nicht gesetzlich vorgesehen sind, jedenfalls dann der Entscheidungspflicht, wenn die Erledigung nicht im Eremessen liegt, wenn also die Behörde auch ohne Anbringen zur Bescheiderlassung verpflicht wäre. Dazu kommt (seit BGBl. I 2002/97), dass im § 311 Abs. 1 die als Argument für die gegenteilige Ansicht heranziehbare Wortfolge "in Abgabenvorschriften vorgesehene" nicht mehr enthalten ist (BAO-Kommentar, Ritz3, aaO, § 311, Tz 7, mwN).
Sowohl die Berufung als auch der Antrag auf endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2004 sind grundsätzlich Anbringen zur Geltendmachung von Rechten. Entscheidungspflicht, also die Pflicht zum bescheidmäßigen Abspruch über ein Anbringen, bedeutet den Anspruch auf eine die Verwaltungssache gänzlich erledigen Bescheid. Teil- oder Zwischenerledigung sind nicht ausreichend (BAO-Kommentar, Ritz3, aaO, § 311, Tz 4).
Zweck des § 281 Abs. 1 BAO ist es, aus Gründen der Prozessökonomie zu vermeiden, dass die gleiche Rechtsfrage in zwei Verfahren erörtert werden muss (VwGH 18.4.1990, 89/16/0200). Wenn daher eine Abgabenbehörde zweiter Instanz, während vor dem VwGH ein Verfahren zur Klärung einer bestimmten Rechtsfrage anhängig ist, Berufungsverfahren, bei denen die gleiche Rechtsfrage strittig ist, aussetzt (und nicht durch Erlassung weiterer Berufungsentscheidungen mehrfache Beschwerden an den VwGH "verursacht"), dient die Aussetzung auch Parteiinteressen (Wegfall des Kostenrisikos von VwGH-Beschwerden) sowie letztlich auch der Entlastung des VwGH (BAO-Kommentar, Ritz3, aaO, § 281 Tz 1 und 2, mwN).
Nach dem Wortlaut des Paragrafen § 281 Abs. 2 BAO ist eine Erledigung der Berufung erst nach Entscheidung des VwGH zu jenen Beschwerden zulässig, zu dem die Aussetzung ausgesprochen wurde. Die Aussetzung erfolgte zu den Dw betreffenden VwGH-Verfahren bezüglich der Vorjahre. Die dem § 281 BAO innewohnende Zweckmäßigkeit der Prozessökonomie ist im Fall des Dw von besonderer Bedeutung, denn derzeit sind dem VwGH die Bescheide und Berufungsentscheidungen bezüglich Umsatzsteuer für die Jahre 1996 bis 2003 vorgelegt, wobei in jedem Beschwerdefall zum überwiegenden Teil dieselben Sachverhalte zu beurteilen sind.
Die Erledigung des Antrages auf endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2004 ist ohne Auseinandersetzung mit dem Berufungsbegehren nicht möglich. Eine Annäherung der Abgabenbehörde 1. Instanz, die den endgültigen Umsatzsteuerbescheid 2004 erlassen müsste, an den Rechtsstandpunkt des Dw, also eine teilweise Stattgabe der Berufung, ist auszuschließen. Denkbar wäre eine endgültige Umsatzsteuerfestsetzung in der derselben Höhe wie im vorläufig ergangenen Bescheid verbunden mit einer Weiterwirkung der Berufung gegen den endgültigen Bescheid gemäß § 274 BAO. Dies wäre aber nur eine "Pro-forma-Erledigung" wegen des nunmehr erhobenen Vorwurfs der Säumigkeit der Entscheidung. Da aber vorläufige Bescheide grundsätzlich dieselben Rechtswirkungen wie endgültige haben und im gegenständlichen Fall der Bescheidspruch hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Abgabe gar keine Änderung erfahren könnte, weil die Berufung wegen der ausgesprochenen Aussetzung derzeit nicht erledigt werden kann und eine Erledigung des Antrages auf endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer 2004 nur eine Zwischenerledigung darstellen würde, ist unter Berücksichtigung all dieser Aspekte festzustellen, dass berechtigte Rechtsschutzinteressen an der Entscheidung über den Antrag auf endgültige Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2004 losgelöst vom Rechtsmittelverfahren nicht erkennbar sind.
Wenn auch eine Berufung und ein Antrag auf endgültige Bemessung einer Abgaben grundsätzlich als zwei die Entscheidungspflicht begründende Anbringen iSd §§ 85 anzusehen sind, ist bei gegebener Prozesslage des Umsatzsteuerverfahrens für das Jahr 2004 wie oben ausgeführt davon auszugehen, dass der Antrag auf endgültige Bemessung der Umsatzsteuer 2004 vom 12. November 2007 kein eigenständig der Entscheidungspflicht unterliegendes Anbringen iSd § 311 Abs. 1 BAO, sondern als ein die Berufung lediglich ergänzender Schriftsatz zu beurteilen ist.
Wien, am 29. Mai 2008
Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 85 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Rechtsschutz, Entscheidungspflicht, Antrag, Berufung |