Keine Familienbeihilfe, wenn entsprechende Aufenthaltstitel (§ 3 FLAG idF bis 30.6.2006) nicht vorliegen.
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2009/16/0123 (vormals 2008/15/0128) eingebracht. Mit Erk. v. 24.6.2010 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit BE zur Zl. RV/0859-L/10 erledigt.
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom 20. Februar 2006 gegen den Bescheid des Finanzamtes Linz vom 13. Februar 2006 betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für die Kinder xxx, für die Zeit ab 1.1.2006 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Das Finanzamt hat mit Bescheid vom 23.2.2006 den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für die drei minderjährigen Kinder der Berufungswerberin für die Zeit ab 1.1.2006 unter Hinweis auf die §§ 3 Abs. 1. Abs. 2 und Abs. 3 sowie 55 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 abgewiesen. Da sich weder die Berufungswerberin noch die Kinder gem. §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten würden und weder ihr noch den Kindern Asyl nach dem Asylgesetz 2005 gewährt worden sei, bestehe ab 1.1.2006 kein Anspruch auf Familienbeihilfe. Die dagegen eingebrachte Berufung vom 20.2.2006 wird damit begründet, dass die Berufungswerberin bereits seit mehreren Jahren in Österreich entsprechend den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtmäßig unselbständig beschäftigt sei bzw. habe sie bereits Anspruch auf Bezug von Arbeitslosengeld und verfüge über eine gültige Arbeitserlaubnis. Die Finanzierung der Familienbeihilfe erfolge durch Beiträge aller Dienstgeber, die im Inland Dienstnehmer beschäftigen würden, mit Ausnahme des Bundes (Bahn, Post), der Länder, der größeren Gemeinden und der gemeinnützigen Krankenanstalten. Dies bedeute, dass auch im Fall der Berufungswerberin der Dienstgeber Beiträge in den Familienlastenausgleichfond einzuzahlen gehabt habe und nach wie vor habe. Die Berufungswerberin habe bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl. 100/2005 des FLAG 1967 am 1.1.2006 die Voraussetzungen des § 3 des FLAG erfüllt und bereits mehrere Jahre Familienbeihilfe für ihre minderjährigen Kinder rechtmäßig bezogen. Die Berufungswerberin und ihre Kinder würden sich als Asylwerber in Österreich befinden und über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. den Bestimmungen des Asylgesetzes (§ 19 Aslygesetz 1997) verfügen. Sie würden sich rechtmäßig in Österreich aufhalten. Nach Ansicht von UNHCR ("Analyse der Regierungsvorlage für das Fremdenrechtspaket") solle dieser rechtmäßige Aufenthalt - ebenso wie bei nach dem NAG zum Aufenthalt berechtigten Fremden - bei der Gewährung der Familienbeihilfe berücksichtigt werden. Schließlich erscheine eine diesbezügliche unterschiedliche Behandlung von Flüchtlingen, die in Österreich in der Regel eine neue Existenzgrundlage aufbauen müssten, gegenüber Migranten nicht nachvollziehbar. Die Regelungen des § 3 Abs. 1 und 2 des FLAG 1967 idF der Novelle BGBl. I Nr. 100/2005, die nur auf ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG, nicht jedoch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz abstellen würden, seien sachlich nicht gerechtfertigt und somit gleichheitswidrig. Auch handle es sich bei der Neuregelung des § 3 des FLAG durch die Novelle BGBl. I Nr. 100/2005 um einen unzulässigen Eingriff in die wohl erworbenen Rechte der Berufungswerberin und es werde dadurch der aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Vertrauensschutz verletzt. Verfassungswidrig seien nämlich auch nur pro Futura wirkende Beschränkungen wohl erworbener Rechte, soferne es sich um schwerwiegende und plötzlich eintretende Eingriffe in die Rechtsposition handle, auf deren Bestand die Betroffenen mit guten Gründen vertrauen könnten (VfSlg. 11.309/1987). Eine Übergangsbestimmung finde sich in der hier angesprochenen Novelle des FLAG nicht. Vertrauensschutz würden überdies auch faktisch getroffene Dispositionen von Privatpersonen genießen, die diese im Vertrauen auf den Bestand bestimmter Rechtsnormen getroffen hätten. Die bis zur Novelle des FLAG der Berufungswerberin rechtmäßig zustehende und ausgezahlte Familienbeihilfe stelle einen wesentlichen Bestandteil der Mittel zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten (Miete, Aufwand für das tägliche Leben, insbesondere auch für die Kinder) dar und die Berufungswerberin habe auf den Fortbezug der Familienbeihilfe vertraut, um die tägliche Existenz sichern zu können. Mit der plötzlichen und unvorhergesehenen Änderung durch die Novelle des FLAG sei die Familie allerdings in der finanziellen Existenz bedroht.
Zusätzlich zu den obigen Ausführungen sei die Berufungswerberin als türkische Staatsangehörige nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei begünstigt zu behandeln. Im Wesentlichen wird darauf hingewiesen, dass der EuGH in zwei Urteilen bestätigt habe, dass Artikel 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates unmittelbar anzuwenden sei, sodass jede Diskriminierung auf Grund der Staatsbürgerschaft unzulässig sei, sobald türkische Staatsangehörige dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates angehören würden. Da die Berufungswerberin in Österreich seit Juni 2003 unselbständig erwerbstätig sei, würden die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates bei ihr vorliegen.
Zur Ansicht, dass der Beschluss 1/80 nicht für das Sozialrecht gelte, sei - neben der bestehenden Judikatur des EuGH auf die seit 1.6.2003 geltende VO 859/2003 hinzuweisen, wonach die VO 1408/71 und die VO 574/72 auch auf Drittstaatsangehörige, welche in Österreich wohnhaft seien, anzuwenden seien, sodass auch auf diese die Bestimmungen zur Gewährung der Familienbeihilfe anzuwenden sei, soweit es Leistungen iSd Art 4 Abs. 1 VO 1408/71 betreffe. In ähnlicher Weise verbiete nun auch § 30 Z 1 Gleichbehandlungsgesetz Diskriminierungen auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit beim Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste.
Das Finanzamt hat die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 28.9.2006 als unbegründet abgewiesen. Die Neuregelung der Ansprüche von Personen, die nicht österreichische Staatsbürger seien, sei im Rahmen umfangreicher Änderungen im Bereich des Fremdenrechts erfolgt. Die befristete Arbeitserlaubnis im Sinne des Ausländerbeschäftigungsgesetzes sei somit nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung seit 1.1.2006 nicht mehr ausreichend, um einen Anspruch auf Familienbeihilfe zu vermitteln. Auch die Tatsache, dass die Berufungswerberin außerdem Asylwerberin sei und über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz verfüge, vermittle keinen Anspruch auf Familienbeihilfe. Nach § 3 Abs. 3 FLAG seien Asylsuchende erst ab dem Zeitpunkt, ab dem ihnen mit Bescheid Asyl gewährt werde, begünstigt. Durch die neue Rechtslage habe die Gleichstellung des Art. 8 des Europäischen Abkommens über soziale Sicherheit keinen Anwendungsspielraum mehr, da der Beschluss 3/80 EG-Türkei, der ein grundsätzliches Diskriminierungsverbot von türkischen Arbeitnehmern bei der Familienbeihilfe vorsehe, nicht anwendbar sei, da dieser die Freizügigkeit von Arbeitnehmern behandle und nicht für Personen gedacht sei, die vor der Türkei internationalen Schutz begehren würden.
Mit Schreiben vom 5.10.2006 wurde die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragt.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 in der ab 1.1.2006 geltenden Fassung haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten. Nach § 3 Abs. 2 leg.cit. besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtmäßig in Österreich aufhalten. § 3 Abs. 3 leg.cit. besagt: Abweichend von Abs. 1 haben Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, gewährt wurde, Anspruch auf Familienbeihilfe. Anspruch besteht auch für Kinder, denen nach dem Asylgesetz 2005 Asyl gewährt wurde. Bis 31.12.2005 galt für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, folgende gesetzliche Regelung des § 3 Abs. 1 FLAG 1967: Danach hatten solche Personen dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt waren und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet bezogen. Kein Anspruch bestand, wenn die Beschäftigung nicht länger als drei Monate dauerte, außerdem, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstieß. Die oben zitierte Neuregelung der Ansprüche von Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, erfolgte im Rahmen umfangreicher Änderungen im Bereich des Fremdenrechtes. Danach besteht der Anspruch auf Familienbeihilfe nur mehr für die Personen, die auch zur Niederlassung in Österreich berechtigt sind, wobei diese Berechtigung nach den Bestimmungen des ebenfalls im Rahmen des Fremdenrechtspaketes 2005 erlassenen Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes erteilt wird. In deren §§ 8 und 9, auf die sich das Gesetz bezieht, sind die Arten und Formen der Aufenthaltstitel im Sinn des Gesetzes aufgezählt.
Die Berufungswerberin konnte keinen Aufenthaltstitel nach der neuen gesetzlichen Regelung nachweisen. Eine (vorläufige) Beschäftigungsbewilligung ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung seit 1.1.2006 nicht mehr ausreichend, um einen Anspruch auf Familienbeihilfe zu vermitteln. Die Berufungswerberin kann auch aus der Tatsache, dass sie Asylwerberin ist und über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 Asylgesetz 1997 verfügt, nichts für ihren Standpunkt gewinnen, da der oben zitierte § 3 Abs. 3 FLAG 1967 Asylsuchende erst ab dem Zeitpunkt begünstigt, ab dem ihnen mit Bescheid endgültig Asyl gewährt wurde. Diese Regelung entspricht überdies in ihrem wesentlichen Inhalt der bereits vor dem 1.1.2006 geltenden Rechtslage (§ 3 Abs. 2 FLAG 1967 i.d.F. BGBl. I Nr. 142/2004).
Das von der Berufungswerberin angeführte Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei (Beschluss Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf türkische Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige; Amtsblatt der EG Nr. C 110 vom 25. April 1983) ist nicht anwendbar, weil dieser Beschluss die Freizügigkeit von Arbeitnehmern behandelt und nicht für Personen gedacht ist, die vor der Türkei internationalen Schutz begehren.
Die Berufungswerberin zweifelt weiters die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der neuen gesetzlichen Regelung an.
Diesbezüglich wird aber auf die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes (z.B. B 1986/06 vom 16.3.2007) hingewiesen, mit denen dieser die Behandlung von Beschwerden, in denen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Neufassung des § 3 FLAG 1967 behauptet wurde, abgelehnt hat.
Da die Abgabenbehörde ihre Entscheidungen im Sinn der Gesetze zu treffen hat, liegen für die drei Kinder der Berufungswerberin ab Jänner 2006 die Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe nicht vor.
Aus den angeführten Gründen war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Linz, am 12. April 2007
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 3 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte: | Familienbeihilfe, Asyl |