UFS RV/0557-I/06

UFSRV/0557-I/0610.10.2006

Fehlende Begründung bei Aufhebungsbescheiden gemäß § 299 BAO

 

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Berufungswerbers, vertreten durch die Steuerberaterin, vom 8. September 2005 gegen die Bescheide des Finanzamtes, vertreten durch Finanzanwältin, vom 5. September 2005 betreffend Aufhebung von Einkommensteuerbescheiden gemäß § 299 BAO für die Jahre 2003 und 2004 sowie Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004 entschieden:

Der Berufung gegen die Bescheide über die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 gemäß § 299 BAO wird Folge gegeben.

Die Bescheide über die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 gemäß § 299 BAO werden aufgehoben.

Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 (beide mit Ausfertigungsdatum 5. September 2005) scheiden aus dem Rechtsbestand aus. Die Berufung gegen diese Bescheide wird gemäß § 273 BAO als unzulässig zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber ist mit seiner Familie in der Gemeinde Wohnort wohnhaft. Die Tochter, besuchte vom 24. September 2001 bis zum 28. Mai 2004 als ordentliche Schülerin die Schule in Schulort und war im dortigen Internat der Schule untergebracht (vgl. die Schulbesuchsbestätigung der Schule- vom 21. Dezember 2005).

Anlässlich der bei der Abgabenbehörde elektronisch eingereichten Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2003 und 2004 beantragte der Berufungswerber die steuerliche Berücksichtigung der auswärtigen Berufsausbildung seiner Tochter am Ausbildungsort "A-Postleitzahl" als außergewöhnliche Belastung (für zwölf Monate Berufsausbildung im Jahr 2003 sowie für sechs Monate im Jahr 2004). Die Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004 wurde mit Einkommensteuerbescheiden vom 18. Juni 2004 (für das Jahr 2003) bzw. 5. August 2005 (für das Jahr 2004) antrags- und erklärungsgemäß veranlagt, wobei der Einkommensteuerbescheid 2003 wiederum gemäß § 295 Abs. 1 BAO mit Einkommensteuerbescheid vom 4. August 2005 abgeändert wurde.

In Folge einer Berufungsvorentscheidung betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2001 und 2002 hob das Finanzamt zum einen die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2003 und 2004 gemäß § 299 BAO auf und erließ zum anderen (neue) Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004, in welchen dem Berufungswerber keine außergewöhnliche Belastung in Folge einer auswärtigen Berufsausbildung gewährt wurde (sämtliche Bescheide mit Ausfertigungsdatum 5. September 2005). Begründend führte die Abgabenbehörde in den Bescheiden über die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 aus wie folgt:

"Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist."

Die Begründung der (neuen) Einkommensteuerbescheide der Jahre 2003 und 2004 lautete ua. wie folgt:

"Da die inhaltliche Rechtswidrigkeit eine nicht bloß geringfügige Auswirkung hat, war die Aufhebung des im Spruch bezeichneten Bescheides vom Amts wegen zu verfügen. Die Entfernung der Schule (Internatsbesuch) und des Wohnortes liegt unter 25 km (siehe BVE 2001 und 2002)."

In der gegen obige Aufhebungs- und Einkommensteuerbescheide fristgerecht erhobenen Berufung vom 8. September 2005 führte der Berufungswerber ua. aus, die drei beigelegten Routenbeschreibungen des Routenplaner1 würden eine Fahrtstrecke zwischen Wohnort und der Schule- von 26,08 km (Vorgabe ohne Benützung der Autobahn; Fahrzeit cirka 26 Minuten) bzw. 25,16 km (Vorgabe Route mit kürzester Fahrzeit; Fahrzeit cirka 20 Minuten) ausweisen. Da beide Strecken die geforderten 25 Kilometerentfernung gerade noch erfüllen würden, würde der Antrag zu Recht bestehen. Die Berufung gegen die Aufhebungsbescheide begründete der Berufungswerber nicht.

Die Berufung vom 8. September 2005 wurde dem Unabhängigen Finanzsenat direkt ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vorgelegt. Der Berufungswerber führte mit Schreiben vom 15. September 2006 zu dem vom Referenten am 11. September 2006 erlassenen Mängelbehebungsauftrag hinsichtlich der Berufung gegen die Bescheide betreffend Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 fristgerecht aus wie folgt:

"Die Abgabenbehörde erster Instanz hebt mit den Bescheiden vom 05.09.2005 den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 04.08.2005 und den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 05.08.2005 unter Hinweis auf § 299 BAO auf und verletzt den Steuerpflichtigen durch diesen Spruch in seinen gesetzlich geschützten Rechten. Die Begründung zum Spruch des Aufhebungsbescheides verweist nur auf die allgemeine Gesetzesbestimmung des § 299, jedoch nicht auf das konkrete Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO im konkreten Abgabeverfahren. Nach der im Kommentar von Ritz (TZ 40 ff zu § 299 BAO) zitierten Rechtsprechung des VwGH hat die Begründung des Aufhebungsbescheides jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO darzulegen (VwGH 2.7.1998, 98/16/0105), ebenso hat die Begründung weiters die Gründe für die Ermessensübung eingehend darzustellen (VwGH 29.9.1993, 92/13/0102). Im Übrigen setzt die Aufhebung eines Bescheides nach § 299 BAO die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus; die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (zB BMF, AÖF 2003/65; Abschn 3; VwGH 5.8.1993, 91/14/0127, 0128). Nach der Auffassung des Steuerpflichtigen hat die Abgabenbehörde den Nachweis der Gewissheit nicht erbracht und wird ihr ein solcher auch nicht gelingen. Überdies wird nach Ritz bei der Ermessensübung zu beachten sein, dass eine Aufhebung idR dann zu unterlassen ist, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist (z.B. VfGH 19.6.1965, G24/64; VwGH 27.5.1999, 97/15/0028, 0029; 14.12.2000, 95/15/0113; 5.6.2003, 2001/15/0133) bzw. wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen hat, was im gegenständlichen Abgabeverfahren nach Ansicht des Steuerpflichtigen eindeutig vorliegen dürfte. Aus den dargelegten Gründen leidet der Bescheid an Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb wir auftragsgemäß beantragen, den in Berufung stehenden Bescheid ersatzlos aufzuheben, sodass die Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2003 und 2004 wieder in den Status der Rechtskraft zurückgelangen."

Über die Berufung wurde erwogen:

Im vorliegenden Fall ist vorerst strittig, ob die Aufhebungsbescheide betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2003 und 2004 rechtmäßig ergangen sind. Die Abgabenbehörde erster Instanz kann gemäß § 299 Abs. 1 BAO idF Abgaben-Änderungsgesetz 2003 (AbgÄG 2003), BGBl I 2003/124, auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden (§ 299 Abs. 2 BAO idgF). Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat (§ 299 Abs. 3 BAO idgF).

Aufhebungen gemäß § 299 Abs. 1 BAO idgF setzen die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus, die bloße Möglichkeit reicht nicht. Der Inhalt eines Bescheides ist im Sinne des § 299 Abs. 1 BAO idgF rechtswidrig, wenn der Spruch des Bescheides rechtswidrig ist, dh. nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt (etwa bei einer unrichtigen Auslegung einer Bestimmung, bei mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, bei Übersehen von Grundlagenbescheiden), ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 BAO nicht ausschlaggebend. Der Spruch eines Bescheides ist somit nicht nur dann rechtswidrig, wenn eine Rechtsvorschrift unzutreffend ausgelegt oder übersehen wurde. Ein Bescheid ist überdies inhaltlich rechtswidrig, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt wurden; dies auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung auf mangelnde Kenntnis der Abgabenbehörde (z.B. aus Folge mangelnder Offenlegung durch die Partei) zurückzuführen ist (Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar³, Tz. 9ff zu § 299, 918).

Die Aufhebung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde; dies unabhängig davon, ob sie von Amts wegen oder auf Antrag erfolgt oder ob sich die Maßnahme zu Gunsten oder zu Ungunsten des Abgabepflichtigen auswirkt. Ermessensentscheidungen erfordern eine Abwägung und Anführung der ermessensrelevanten Umstände. Diese Abwägung ist nach Maßgabe des § 93 Abs. 3 lit a BAO in der Begründung des Aufhebungsbescheides darzustellen. Ermessensentscheidungen sind weiters nach § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen (Ritz, BAO-Handbuch, § 299, Seite 250; Ritz, Aufhebung von Bescheiden nach § 299 BAO, ÖStZ 2003/240).

Die Begründung des Aufhebungsbescheides hat nach Maßgabe des § 93 Abs. 3 lit a BAO das Vorliegen der Voraussetzungen des § 299 BAO darzulegen (Ritz, Aufhebung von Bescheiden nach § 299 BAO, ÖStZ 2003/240). In der Bescheidbegründung von Aufhebungsbescheiden muss nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 2.7.1998, 98/16/0105) der/die Aufhebungsgrund/Aufhebungsgründe enthalten sein. Die Begründung hat weiters die Gründe für die Ermessensübung eingehend darzustellen (VwGH 29.9.1993, 92/13/0102), wobei ein Hinweis auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vielfach ausreichend sein wird (VwGH 16.11.1993, 89/14/0287; VwGH 22.2.2001, 98/15/0123; Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar³, Tz 40 zu § 299).

Zusammenfassend ist sohin auszuführen, dass ein Aufhebungsgrund im Sinne des § 299 Abs. 1 BAO idgF ein Sachverhalt ist, der bewirkt, dass der Spruch eines Bescheides rechtswidrig ergangen ist. Dieser Sachverhalt ist im Begründungsteil des Aufhebungsbescheides festzustellen und darzulegen.

Im vorliegenden Fall begründet die Abgabenbehörde die strittigen Bescheide über die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 gemäß § 299 BAO lediglich wie folgt:

"Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist."

Die Abgabenbehörde gibt in ihrer Begründung der Aufhebungsbescheide lediglich den Gesetzeswortlaut bzw. die darin enthaltenen Tatbestandsmerkmale wieder, ohne jedoch konkret darzulegen, aufgrund welcher Umstände im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Aufhebung verwirklicht worden wären. Aus der vorliegenden Begründung kann sohin nicht entnommen werden, welche konkreten Sachverhalts- bzw. Tatbestandselemente die Abgabenbehörde zu der streitgegenständlichen Aufhebung nach § 299 BAO berechtigen würden, zumal die Abgabenbehörde auch Ausführungen hierzu unterlässt, welche die Unrichtigkeit des Bescheidspruches aufzuzeigen vermögen könnten. Das bloße Zitieren eines Gesetzeswortlautes ohne Darlegung eines die Aufhebung begründenden konkreten Sachverhaltes stellt keine ausreichende Begründung für das konkrete Vorliegen der Voraussetzung des § 299 BAO dar.

Die Ausführungen der Abgabenbehörde in den Einkommensteuerbescheiden 2003 und 2004, beide mit Ausfertigungsdatum 5. September 2005, demzufolge die "Aufhebung des im Spruch bezeichneten Bescheides von Amts wegen in einer nicht bloß geringfügigen inhaltlichen Rechtswidrigkeit" begründet wäre und "die Entfernung der Schule (Internatsbesuch) und des Wohnortes" unter 25 km liegen würde, können die festgestellten fehlenden Bescheidbegründungen nicht sanieren, da diese Angaben mangels Verweises nicht zum Bestandteil der streitgegenständlichen Aufhebungsbescheide werden. Die Abgabenbehörde unterließ im Begründungsteil der gegenständlichen Aufhebungsbescheide einen Verweis auf die Begründungsteile der nach der Aufhebung der (Sach-)Erstbescheide erlassenen Einkommensteuerbescheide, sodass die hierin wiedergegebenen Umstände nicht den Aufhebungsbescheiden zuzurechnen sind und damit auch keine Begründung der strittigen Aufhebungen darstellen.

Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, dass die streitgegenständlichen Aufhebungsbescheide keine (faktischen) Begründungsausführungen enthalten, auf Grund welcher Umstände und Tatbestandselemente die Abgabenbehörde das Vorliegen der Voraussetzung des § 299 BAO für gegeben erachtet. Die gegenständlichen Bescheide können somit keiner Überprüfung unterzogen werden, ob ein allfällig von der Abgabenbehörde herangezogener Aufhebungstatbestand bzw. ein die Aufhebung rechtfertigender Sachverhalt im konkreten Fall die Aufhebungen nach § 299 BAO rechtfertigt oder ob die Bescheidaufhebungen rechtswidrig vorgenommen wurden.

Die Berufungsbehörde darf eine Bescheidaufhebung nach § 299 BAO nicht aufgrund von Tatsachen bestätigen, die das Finanzamt nicht herangezogen hat. Ein Aufgreifen von Gründen, die von der Abgabenbehörde erster Instanz nicht herangezogen wurden, durch die Berufungsbehörde würde die durch § 289 Abs. 2 BAO eingeräumte Entscheidungskompetenz überschreiten. Im Berufungsverfahren dürfen nämlich nur jene Gründe berücksichtigt werden, die in der Bescheidbegründung des Finanzamtes genannt werden. Abweichend vom Grundsatz, dass Begründungsmängel erstinstanzlicher Bescheide im Berufungsverfahren saniert werden können, ist eine hinsichtlich der Darstellung der Aufhebungsgründe nach § 299 BAO fehlende bzw. mangelhafte Begründung im Berufungsverfahren nicht sanierbar. Der Berufung vom 8. September 2005 gegen die Bescheide über die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 ist daher stattzugeben und die angefochtenen Aufhebungsbescheide, beide mit Ausfertigungsdatum 5. September 2005, sind aufzuheben.

Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides tritt das Verfahren gemäß § 299 Abs. 3 BAO wiederum in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (§ 299 Abs. 1 BAO) befunden hat. Die Aufhebung des aufhebenden Bescheides beseitigt vom Aufhebungsbescheid zwingend abgeleitete Bescheide (somit bei unlösbarem rechtlichem Zusammenhang) aus dem Rechtsbestand (Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar³, Tz 62 zu § 299).

Die bekämpften Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004 (beide mit Ausfertigungsdatum 5. September 2005) gehören somit ex lege nicht mehr dem Rechtsbestand an. Wird ein mit Berufung angefochtener Bescheid ersatzlos aufgehoben, so wird die Berufung unzulässig. Sie ist als unzulässig geworden zurückzuweisen (Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar³, Tz 12 zu § 273).

Die streitgegenständliche Berufung vom 8. September 2005 gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 und 2004, beide mit Ausfertigungsdatum 5. September 2005, war demzufolge zurückzuweisen.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Innsbruck, am 10. Oktober 2006

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Aufhebung, Begründung, Begründungsmangel, Sanierung, Ermessen

Stichworte