Antrag auf Aufhebung der Zurückweisung eines Fristverlängerungsantrages gemäß Art. 239 ZK
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Beschwerde der Bf., vertreten durch Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft, gegen die Berufungsvorentscheidung des Hauptzollamtes Innsbruck vom 5. November 2002, GZ. 800/07165/2002, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Fristverlängerung gemäß Artikel 239 Abs.2 Zollkodex (ZK) als nicht fristgerecht eingebracht, entschieden:
Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 85c Abs.8 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) iVm § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Gemäß § 85c Abs.7 ZollR-DG steht der Berufungsbehörde der ersten Stufe das Recht zu, gegen diese Entscheidung innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung (Kenntnisnahme) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom 22. Mai.2002, Zl: 800/05146/1/2002 wurde der Antrag der Bf. auf Verlängerung der Antragsfrist auf Erlass gemäß Artikel 239 ZK der mit Bescheid vom 12. April 2001, Zl: 800/1449/01/2000 festgesetzten Zollschuld, als nicht fristgerecht eingebracht, zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Bf. fristgerecht Berufung und führte dazu - unter Hinweis auf die in Artikel 236 Abs.2 ZK enthaltene Reglung über die Voraussetzungen der Verlängerung der für die Einbringung eines Antrages gemäß Artikel 236 ZK bestimmten Dreijahresfrist - sinngemäß an, dass auch gemäß Artikel 239 ZK, die Möglichkeit vorgesehen wäre, einen an sich schon verfristeten Antrag verspätet zu stellen.
Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde dem Fristverlängerungsantrag stattgeben müssen und in der Folge über den gleichzeitig eingebrachten Erlassantrag entscheiden müssen.
Mit der im Spruch angeführten Berufungsvorentscheidung wurde diese Berufung als unbegründet abgewiesen und dazu im Wesentlichen angeführt, dass aus der Bestimmung des Artikel 239 ZK nicht ausdrücklich hervorgehe, dass ein Antrag auf Verlängerung der in Artikel 239 Abs.2 vorgesehenen Einjahresfrist, ausserhalb dieser Frist zulässig gestellt werden kann. Nur in den Fällen, in welchen die zollrechtlichen Vorschriften die Möglichkeit einer rückwirkenden Verlängerung einer Frist vorsehen, kann ein Fristverlängerungsantrag nach Ablauf der Frist gestellt werden.
Dazu wurde auf einen entsprechenden Fachartikel aus 1999 (Lang, AW-Prax 1999, 247) hingewiesen.
Zudem wurde angeführt, dass es sich bei der Möglichkeit der Fristverlängerung nach Artikel 236 ZK Abs.2 um eine zollrechtliche Bestimmung handle, welche ausdrücklich - unter bestimmten Voraussetzungen- eine Fristverlängerung auch nach Ablauf der ursprünglich festgesetzten Frist vorsieht. Hieraus wäre jedoch nicht der Schluss zu ziehen, dass eine Antragstellung nach Artikel 239 ZK - selbst in begründeten Ausnahmefällen - auch nach Ablauf der leg.cit. bestimmten Zwölfmonatsfrist möglich ist.
Letztlich erklärte die Amtspartei dass, wegen der nicht fristgerechten Einbringung des Fristverlängerungsantrages mit Zurückweisung vorzugehen gewesen wäre, und somit sich das nähere Eingehen auf die von der Partei vorgebrachten Begründung für das Vorliegen eines begründeten Einzelfalles erübrigen würde.
Dagegen erhob die Partei fristgerecht Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen folgendermaßen:
- Die der Berufungsvorentscheidung zugrunde liegende Rechtsansicht, würde der für die Stellung eines Antrages gemäß Artikel 239 ZK gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Fristverlängerung jeden Anwendungsbereich nehmen, da sich die Frage stellt, warum jemand vor Ablauf der Antragsfrist überhaupt einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist stellen sollte. Gerade die in Abs.2 vorgesehene Verlängerungsmöglichkeit soll dem Abgabenschuldner ermöglichen, unter bestimmten Voraussetzungen, den Antrag auch auf Ablauf nach der dafür gesetzlich vorgesehenen Frist zu stellen.
- Die in den Artikeln 236-239 ZK vorgesehene Fristverlängerungsmöglichkeit, wäre im nationalen Recht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung vergleichbar, welcher naturgemäß auch erst nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist gestellt werden könne.
- Nur wenn die Bestimmung des Artikel 239 ZK ausdrücklich festlegen würde, dass ein Fristverlängerungsantrag vor Ablauf der Einjahresfrist zu stellen ist, wäre die Ansicht der bekämpften Behörde richtig.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß Artikel 239 ZK Abs.1 können Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben in anderen als in den Artikel 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden.
Diese Fälle werden entweder nach dem Ausschussverfahren festgelegt (erster Anstrich) oder ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder ofensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind (zweiter Anstrich). Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
Gemäß Abs.2 erster Anstrich erfolgt die Erstattung oder der Erlass der Abgaben aus den in Abs.1 genannten Gründen auf Antrag, welcher innerhalb von zwölf Monaten nach Mitteilung der Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen ist. Diese Frist kann die Zollbehörde in begründeten Ausnahmefällen verlängern.
Für die Erstattungs- oder Erlassfrist ist es ohne Belang, ob der Abgabenbescheid in dem zu erlassenden oder zu erstattende Abgaben festgesetzt wurden, bestandskräftig geworden ist, also nach nationalem Recht möglicherweise nicht mehr geändert werden könnte. (Witte, 3.Auflage, Rz. 54 zu Art. 236).
Bei der Beurteilung ob im Einzelnen ein begründeter Ausnahmefall vorliegt, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ein Ausnahmefall ist nicht der übliche, sondern der von der Regel abweichende Fall. So liegt ein derartiger Fall immer dann vor, wenn die Fristüberschreitung vom Betroffenen nicht in zumutbarer Weise verhindert werden konnte (FG Bremen vom 18. Februar 1992, II/151/86 K, EFG 1992/401).
Wird eine Fristverlängerung nachtäglich gewährt, so ist sie im materiellen Ergebnis, der nationalen Wiederaufnahme gleichzusetzen. Allerdings weist die Wiederaufnahme ein anderes rechtliches Konstrukt auf. Durch sie wird keine versäumte Frist nachträglich verlängert, sondern nur die versäumte Rechtshandlung, unter bestimmten Umständen, als rechtzeitig erfolgt fingiert.
Gemäß § 173 Abs.1 lit. b Bundesabgabenordnung (BAO), hat die Abgabenbehörde erster Instanz eine Berufung, die gegen einen von ihr erlassenen Bescheid eingebracht worden ist, durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Berufung nicht fristgerecht eingebracht wurde.
Zu der im bekämpften Bescheid dargelegten Rechtsansicht der wird bemerkt:
Laut Amtspartei ist bei allen Fristen des gemeinschaftlichen Zollrechts eine rückwirkende Fristverlängerung d.h. die Verlängerung einer Frist wenn der diesbezügliche Antrag erst nach deren Ablauf gestellt wurde, nur dann zulässig, wenn dieses in den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen ist. Diese Meinung wird im Zusammenhang mit behördlichen Fristen (Fristen, die von den Zollbehörden festgesetzt werden) von Witte in seinem Kommentar Art. 17 Rz. 7) vertreten.
Auch in dem ins Treffen geführten Fachartikel, wird ausschließlich die Zulässigkeit der rückwirkenden Fristverlängerung bei behördlichen Fristen behandelt. Diese Fristen wurden seitens der Zollbehörde den Verfahrensinhabern von Zollverfahren (z.B: passive Veredelung) zu deren Einhaltung gesetzt .
Von diesen begünstigten Personen ist die Kenntnis des Fristenablaufes für die ihnen bewilligte Verfahren, wohl vorauszusetzen. Dennoch wird ihnen die Möglichkeit einer rückwirkenden Fristverlängerung dann eingeräumt, wenn es ihnen nach objektiven Maßstäben unmöglich war, die von der Behörde gesetzte Frist so zu überwachen, um einen Fristverlängerungsantrag innerhalb dieser einzubringen.
Bei der in Artikel 239 ZK normierten Zwölfmonatsfrist zur Stellung eines Antrages auf Erlass bzw. Erstattung handelt es sich um eine durch das Gesetz vorgegebene Frist, welche gemäß Abs.2 leg.cit. in begründeten Ausnahmefällen verlängerbar ist. Der Wortlaut dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift stellt nicht darauf ab, dass eine derartige Verlängerung nur dann zulässig ist, wenn ein entsprechender Antrag innerhalb dieser Frist eingebracht wird.
Die Ansicht, dass eine nachträgliche rückwirkende Fristverlängerung dennoch nicht in Betracht kommt, weil eine solche nur bei bestimmten Zollverfahren ausdrücklich vorgesehen ist, bedeutet, dass die Regelung der Bundesabgabenordnung (BAO) betreffend die Verlängerungsmöglichkeit von gesetzlichen und behördlichen Fristen, in ihrer strikten Form auf das gemeinschaftsrechtliche Zollrecht angewendet wird. Diese Schlussfolgerung ist insoferne problematisch, weil das Gemeinschaftsrecht nicht so kohärent strukturiert und aufgebaut ist wie die BAO.
Eine Verlängerung der in Rede stehenden Zwölfmonatsfrist entspricht durchaus den Vorgaben der Europäischen Kommission, welche bei den sogenannten Bangladesch-Fällen kein Hindernis für die Fristverlängerung, lange nach deren Ablauf, sah. Auch geht aus dem Urteil des FG Bremen vom 18. Februar 1992 (II 151/86 K) hervor, dass ein Antrag gemäß Artikel 239 Abs.2 ZK nach Ablauf der Zwölfmonatsfrist zulässig ist.
Bei der Frist gemäß Artikel 239 ZK handelt es sich um keine Frist zur Einhaltung eines Zollverfahrens, von deren Ablauf ein sorgfältiger Verfahrensinhaber Kenntnis haben muss. Sondern um eine Frist, innerhalb welcher, in manchen Fällen, ein potentieller Antragsteller - ohne dass ihn der geringster Sorgfaltsvorwurf zur Last gelegt werden kann - um die für einen Antrag gemäß Artikel 239 ZK sprechenden Besonderheit seiner Situation nicht wissen kann, da er unter Umständen erst nach dem Ergehen eines EuGH Urteils, ausserhalb der Zwölfmonatsfrist, darauf hingewiesen wird.
Würde aber ein solcher Beteiligter, welchem die Stellung eines Antrages auf Fristverlängerung innerhalb der Zwölfmonatsfrist objektiv nicht zumutbar war, bei der Frage der Verlängerbarkeit dieser Frist - ohne objektiv nachvollziehbaren Grund - schlechter gestellt werden als beispielsweise ein sich in der gleichen Situation befindlicher Verfahrensinhaber des Verfahrens der passiven Veredelung, wie es die Rechtsauslegung der Amtspartei praktisch vorsieht, so würde das einen Verstoß gegen den allen europäischen Rechtssystemen immanenten Gleichheitsgrundsatz bedeuten.
Witte führt in seinem Kommentar (3.Auflage Rz 3 zu Art. 17) zu verlängerbaren gesetzlichen Fristen als Beispiel die Dreijahresfrist für den Antrag auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 236 ZK an. Im Sinne dieser Gesetzesbestimmung kann diese Frist verlängert werden, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder infolge höherer Gewalt an der fristgerechten Stellung dieses Antrages gehindert war. Auch bei Witte hängt die Verlängerbarkeit dieser Frist nur von dem gelungenen Nachweis des Bestehens einer solchen Voraussetzung ab.
Weder im Wortlaut des Artikel 236 Absatz 2 noch in den o.a. Kommentar findet sich ein Hinweis dass der Antrag auf Verlängerung nur zulässig innerhalb der Dreijahresfrist gestellt werden kann.
Zu der in Artikel 239 ZK Abs.2 normierten Möglichkeit der Fristverlängerung verweist Witte (3.Auflage Rz.39 zu Art.239 ZK) auf die sinngemäß gleichlautende Regelung des Artikel 236 ZK und gleichzeitig auf das o.a. Urteil des FG Bremen vom 18. Februar 1992.
Die Gründe der Amtspartei für die rechtliche Differenzierung zwischen des Bestimmung des Artikel 239 Abs.2 ZK und Artikel 236 Abs.2 ZK hinsichtlich der Zulässigkeit der rückwirkenden Fristverlängerung ist somit nicht nachvollziehbar.
Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Zurückweisung eines, ausserhalb der in Artikel 239 Abs.2 ZK normierten Zwölfmonatsfrist eingebrachten, Antrages auf Fristverlängerung zur Einbringung eines Antrages auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 239 ZK, als nicht fristgerecht eingebracht, mit Rechtswidrigkeit behaftet ist. Die Verlängerung der Zwölfmonatsfrist wird ausdrücklich nur vom Vorliegen eines von dem Antragsteller nachzuweisenden begründeten Einzelfalls abhängig gemacht (Artikel 239 Abs.2 ZK). Bei der Beurteilung ob ein derartiger Fall vorliegt ist seitens der Zollbehörde ein strenger Maßstab anzulegen.
Wäre, im gegenständlichen Fall, die Behörde erster Instanz zur Ansicht gekommen, dass ein begründeter Einzelfall vorliegt, so hätte sie dem Antrag auf Fristverlängerung stattgeben und gleichzeitig über den Antrag auf Erlass absprechen müssen.
Wäre sie zu der gegenteiligen Ansicht gelangt, so hat sie den Fristverlängerungsantrag als unbegründet abweisen müssen.
Jedenfalls wäre über den zugrundeliegenden Fristverlängerungsantrag mit einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Sache selbst abzusprechen gewesen.
Der Berufung war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, 12. Juni 2003
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Zoll |
betroffene Normen: | Art. 239 ZK, VO 2913/92 , ABl. Nr. L 302 vom 19.10.1992 S. 1 |
Schlagworte: | Antrag auf Erlass der Zollschuld, Antrag auf Verlängerung der Frist zur Einbringung des Antrages auf Erlass der Zollschuld, Zurückweisung als nicht fristgerecht eingebracht |