BFH VI R 7/09

BFHVI R 7/0922.10.2009

Orientierungssatz:

Behinderungsbedingte Umbaumaßnahmen als außergewöhnliche Belastungen

Amtlicher Leitsatz:

Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau eines Hauses können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein, wenn sie so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit stehen, dass die etwaige Erlangung eines Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände des Einzelfalles in den Hintergrund tritt.

BFH überrascht: Behindertengerechter Umbau kann außergewöhnlich sein

Der BFH hat Aufwendungen eines Steuerzahlers für den behindertengerechten Umbau seines Wohnhauses als "außergewöhnliche Belastung" anerkannt. Entgegen früherer Entscheidungen ließ das höchste Finanzgericht einen durch die Kosten "etwa erlangten Gegenwert" nämlich unberücksichtigt. (Hier erlitt ein verheirateter Mann nach einem Schlaganfall eine schwere Behinderung. Um ihm "trotz seiner außergewöhnlich starken Gehbehinderung weiterhin ein Leben in seiner gewohnten Umgebung zu ermöglichen und ihm den Aufenthalt in einem Pflegeheim zu ersparen", wurden an dem Einfamilienhaus umfangreiche Umbaumaßnahmen im Wert von 70.000 EUR durchgeführt. Der BFH ließ den vollen Betrag — abzgl. einer am Einkommen orientierten zumutbaren Eigenbelastung — als Abzug vom steuerpflichtigen Einkommen zu. Die Aufwendungen stünden "so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit", dass auch "die etwaige Erlangung eines Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände des Einzelfalles in den Hintergrund" trete.

Quelle: Wolfgang Büser

Normen

§ 33 EStG
§ 33b EStG

FG Hessen - 24.05.2007 - AZ: 9 K 1043/03

 

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger zu 1. bis 3. (Kläger) sind die Erben des verstorbenen A, der mit der Klägerin zu 1. im Streitjahr (2000) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurde. A erlitt im Jahre 1999 einen schweren Schlaganfall, der längere Rehabilitations- und Kurmaßnahmen zur Folge hatte und zum Ausweis eines Grads der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen G (gehbehindert), aG (außergewöhnlich gehbehindert), H (hilflos) und RF (Rundfunkgebührenbefreiung) führte.

Um A trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin ein Leben in seiner gewohnten Umgebung zu ermöglichen und ihm den Aufenthalt in einem Pflegeheim zu ersparen, nahmen die Ehegatten im Streitjahr verschiedene Umbaumaßnahmen an ihrem Einfamilienhaus in B vor. Dabei handelte es sich um den Bau einer Rollstuhlrampe, die Einrichtung eines behindertengerechten Bades in einem Teil der bisherigen Küche, die Errichtung einer neuen Küche im verbliebenen Teil des früheren Küchenraumes sowie im Hauswirtschaftsraum und Umwandlung des Arbeitszimmers in einen Schlafraum.

Die von der Krankenkasse nicht bezuschussten Umbaukosten machten A und die Klägerin zu 1. in Höhe von 139.715,34 DM in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als außergewöhnliche Belastung geltend.

Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) mit dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ab, gewährte jedoch den Behinderten-Pauschbetrag in Höhe von 7.200 DM und den Pflege-Pauschbetrag von 1.800 DM.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) stützte sein klageabweisendes Urteil auf die sog. Gegenwertlehre und führte im Wesentlichen aus, der Bau der Rollstuhlrampe habe ebenso wie die Errichtung des behindertengerechten Bades den Wert des Grundstücks erhöht, weil die entsprechenden Einrichtungen auch von jedem anderen Bewohner des Gebäudes genutzt werden könnten. Die Umgestaltung der Küche sei lediglich eine Folge der Vergrößerung des Bades gewesen und daher wie diese Maßnahme zu beurteilen. Dies müsse auch für die das Arbeitszimmer betreffenden Umbaumaßnahmen gelten, wenn diese durch den behindertengerechten Umbau des Bades ausgelöst worden seien. Alle Umbaumaßnahmen seien A und der Klägerin zu 1. auch nicht zwangsläufig erwachsen, denn sie hätten auch eine behindertengerechte Mietwohnung beziehen können.

Mit ihrer dagegen gerichteten Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts und tragen vor: Die Rampe repräsentiere keinen Gegenwert, sie sei vielmehr eine den Vorgarten verunstaltende wertmindernde Baumaßnahme, die für nichtbehinderte Besucher des Hauses nur einen Umweg bedeute. Auch die rollstuhlgerechten Türverbreiterungen vermittelten keinen Gegenwert, sie seien vielmehr nachteilig, weil sie zu einer Verringerung des nutzbaren Wohnraums geführt hätten. Schließlich sei es erforderlich geworden, das Schlafzimmer im Erdgeschoss einzurichten.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des FG vom 24. Mai 2007 9 K 1043/03 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Februar 2003 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2000 vom 18. Mai 2007 dahingehend zu ändern, dass weitere 139.716 DM als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es ist der Auffassung, dem Abzug außergewöhnlicher Belastungen stehe der Gegenwert der Umbaumaßnahmen und die fehlende Zwangsläufigkeit der Aufwendungen entgegen. Durch die Baumaßnahmen am Bad hätten A und die Klägerin zu 1. einen Gegenwert erhalten, weil im Streitfall keine neuen Ausstattungsgegenstände eines vorhandenen Badezimmers durch eine behindertengerechte Einrichtung ersetzt, sondern etwas völlig Neues geschaffen worden sei. Auch der Umstand, dass das Bad objektiv von nichtbehinderten Personen genutzt werden könne, begründe einen Gegenwert. Die Rollstuhlrampe verkörpere ebenfalls einen Gegenwert, weil sich nicht ausschließen lasse, dass ein künftiger Erwerber bereit sei, für den behindertengerechten Zugang zum Haus einen höheren Preis für das gesamte Anwesen zu zahlen. Die Rollstuhlrampe schränke auch nicht den Zugang für nichtbehinderte Besucher des Hauses ein. Im Übrigen lasse die fehlende Abgrenzbarkeit krankheitsbedingter von nicht krankheitsbedingten Gestaltungsentscheidungen bei den vorliegenden Baumaßnahmen die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen entfallen.

II.

Die Revision der Kläger ist begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Aufwendungen für die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen zu Unrecht vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen.

1.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).

a)

Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, dass es sich bei den ausschließlich behinderungsbedingten Umbaukosten um außergewöhnliche Aufwendungen i.S. des § 33 Abs. 1 EStG handelt, denn es sind größere Aufwendungen, als sie der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Diese Aufwendungen sind auch nicht durch den A gewährten Behinderten- und Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Der Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur laufende und typische Mehraufwendungen des Behinderten ab, so dass "zusätzliche Krankheitskosten" nicht von der Abgeltungswirkung des Pauschbetrags erfasst werden (Senatsurteil vom 17. Dezember 1965 VI 297/65 U, BFHE 84, 574, BStBl III 1966, 208, und BFH-Urteil vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275, m.w.N.). Dies gilt erst recht für den Pauschbetrag nach § 33b Abs. 6 EStG, der nur die durch die Pflege einer Person veranlassten Aufwendungen erfasst.

b)

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die reinen Umbaukosten im Streitfall aber auch zwangsläufig erwachsen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Aufwendungen infolge Körperbehinderung waren ebenso wie Krankheitskosten von jeher ein Anwendungsfall der Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen. Nach Auffassung des erkennenden Senats gilt dies insbesondere auch für die streitbefangenen Umbaukosten, die nicht anders zu behandeln sind, als die Aufwendungen für den Treppenlift eines Querschnittsgelähmten (BFH-Urteil vom 30. Oktober 2008 III R 97/06, BFH/NV 2009, 728). Durch den für die Klägerin zu 1. und A nicht vorhersehbaren Schlaganfall und die dadurch eingetretene schwerwiegende Behinderung war eine Zwangslage entstanden, die die behinderungsgerechten Umbaumaßnahmen unausweichlich machte. Dass FA und FG den Steuerpflichtigen in dieser Situation auf die möglicherweise langwierige Suche nach einer geeigneten Mietwohnung verweisen, erscheint dem Senat eher fernliegend. Eine tatsächliche Zwangslage ist dadurch gekennzeichnet, dass sie schnelle Reaktion erfordert. Unter diesen Umständen aber hatten die Ehegatten keine die Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen ausschließende Entscheidungsfreiheit. Insofern unterscheidet sich der Streitfall auch von dem Urteil des BFH, das die Vorinstanz herangezogen hat und das den Bau eines behindertengerechten Einfamilienhauses betraf (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491). Der erkennende Senat folgt nicht der Rechtsprechung des III. Senats des BFH, der seine zum behindertengerechten Neubau eines Hauses ergangene Entscheidung auch auf den Fall des Umbaus eines vom Steuerpflichtigen und seiner Familie schon vor der Erkrankung genutzten Hauses angewendet hat (BFH-Urteil vom 6. Februar 1997 III R 72/96, BFHE 182, 551, BStBl II 1997, 607, und BFH-Beschluss vom 15. April 2004 III B 84/03, BFH/NV 2004, 1252).

Die Zwangsläufigkeit der Umbaumaßnahmen wird im Streitfall schließlich auch nicht durch steuerrechtlich irrelevante private Motive in Frage gestellt, die bei der Umgestaltung des Familienwohnheims mitgewirkt haben könnten. Die durch die eingetretene Behinderung des A veranlassten Umbauten standen so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass eine nicht auf der Behinderung beruhende Motivation des A und der Klägerin zu 1. ohne weiteres auszuschließen ist.

c)

Im Streitfall wird der Abzug der zwangsläufigen Aufwendungen aber auch nicht durch einen Gegenwert gehindert. Dabei kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob er der im Schrifttum geäußerten Fundamentalkritik an der sog. Gegenwertlehre folgen könnte (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 37, m.w.N.; s. auch Arndt, in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 33 Rz B 34 ff.).

Unter den Umständen des Streitfalls kann es auch nicht darauf ankommen, dass die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen weder zu einem realen Gegenwert geführt noch einen marktgängigen Vorteil begründet haben. Zu Unrecht hat das FG allerdings angenommen, dass es nicht auf eine von einem Sachverständigen feststellbare Werterhöhung ankommt. Der Senat vermag der im Beschluss des BFH in BFH/NV 2004, 1252 (m.w.N.) vertretenen Auffassung nicht zu folgen, wonach der Beweis, ob der Steuerpflichtige einen Gegenwert für seine behinderungsbedingten Aufwendungen erhält oder ob es sich dabei um verlorenen Aufwand handelt, grundsätzlich nicht durch ein Sachverständigengutachten geführt werden kann. Denn Häuser und Grundstücke werden auch zu anderen Zwecken von Sachverständigen begutachtet, die Werterhöhungen und Wertminderungen ohne weiteres festzustellen in der Lage sind. Ein Gegenwert, der allein auf der möglichen Nutzung der Umbauten durch nichtbehinderte Familienangehörige beruhen soll, ist indessen kein realer Gegenwert und mithin ungeeignet, ein Abzugsverbot für zwangsläufig erwachsene und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Aufwendungen zu begründen.

Im Streitfall jedenfalls stehen die behinderungsbedingten Aufwendungen so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwertes in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund tritt (Senatsurteil vom 27. November 1959 VI 62/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 33, Rechtsspruch 109). Aus diesem Grunde bedarf es auch keiner Feststellungen zu der von den Klägern aufgeworfenen Frage, ob die behinderungsbedingten Umbaumaßnahmen den Wert des Grundstücks gemindert haben.

d)

Sind die durch die Behinderung veranlassten reinen Umbaukosten danach als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen, so folgt daraus nach dem Gesetzeswortlaut der Sofortabzug der Aufwendungen. Der Auffassung der Finanzverwaltung (z.B. Oberfinanzdirektion Frankfurt, Verfügung vom 13. November 2008 S 2284 A-46-St 216; Bayerisches Landesamt für Steuern, Verfügung vom 23. Oktober 2009 S 2284.1.1-2/2 St32/St33), wonach die Aufwendungen für die behindertengerechte Umrüstung eines PKW auf die Nutzungsdauer des Fahrzeugs zu verteilen sind, ein Sofortabzug aber ausgeschlossen wird, vermag der Senat nicht zu folgen. § 33 EStG enthält weder eine Verweisung auf die Vorschriften über die Absetzungen für Abnutzung noch eine Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung des § 7 EStG nahe legen würde (a.A. Kanzler, Finanz-Rundschau --FR-- 1993, 691, 696, und FR 2002, 1139, 1140). Der Senat hält es jedoch für denkbar, dem Steuerpflichtigen im Wege der abweichenden Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen (§ 163 der Abgabenordnung) ein Wahlrecht auf Verteilung der Aufwendungen einzuräumen, wenn --anders als im Streitfall-- ein zu geringer Gesamtbetrag der Einkünfte dem vollen Abzug der Aufwendungen entgegensteht.

2.

Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang einzelne Aufwendungen nicht durch die eingetretene Behinderung des A veranlasst waren. Das FG hat insoweit zwar festgestellt, dass Heizungsarbeiten durchgeführt, mehrere Fenster ausgetauscht und verschiedene Elektroinstallationen am Haus der Ehegatten ausgeführt worden sind, die entsprechenden, in Rechnung gestellten Beträge aber nicht beziffert.

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