Normen
§ 33 Abs. 2 EStG
§ 179 Abs. 2 VVG
§ 1601 BGB
§ 1602 Abs. 1 BGB
§ 1610 Abs. 1 BGB
Gründe
I.
Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erzielten im Streitjahr 2001 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte überschritt 100 000 DM. Zu ihrem Haushalt gehörte ihr 1981 geborener Sohn, der durch einen Verkehrsunfall am ... 2001 querschnittsgelähmt wurde. Sein Schwerbehindertenausweis weist einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Kennzeichen G, aG und H aus. Im Erdgeschoss des Einfamilienhauses der Kläger befanden sich die Küche, der Sanitärbereich und ein Arbeitsraum, im ersten Stock u.a. das Wohnzimmer und das Zimmer ihres Sohnes.
Der Sohn erzielte 2001 keine Einkünfte. Die Klägerin hatte zu seinen Gunsten (§ 179 Abs. 2 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag) eine Unfallversicherung abgeschlossen, für die nach einer Zusage vom 14. März 2002 zunächst 32 591,95 EUR und nach einem Schreiben vom 29. Oktober 2002 sodann weitere 23 166,61 EUR --insgesamt 55 758,56 EUR-- auf das Girokonto der Kläger überwiesen wurden. Aus dem Schreiben ergibt sich, dass über die unterlassene Anzeige der Änderung der Berufstätigkeit des Sohnes gestritten worden war.
In ihrer Einkommensteuererklärung für 2001 machten die Kläger Aufwendungen für den Einbau eines Treppenliftes in Höhe von 28 687,52 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid 2001 nicht. Der Einspruch der Kläger war erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) ließ die Aufwendungen durch Urteil vom 12. Oktober 2006 2 K 1859/04 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 931) zum Abzug als außergewöhnliche Belastung zu. Es führte aus, die Aufwendungen für den Treppenlift blieben nicht nach der Gegenwertlehre unberücksichtigt, da es sich um ein medizinisches Hilfsmittel handele. Die Kläger hätten sich den Aufwendungen aus sittlichen Gründen nicht entziehen können. Der dem Sohn aus der Unfallversicherung zustehende Betrag habe zwar den ihm unterhaltsrechtlich zustehenden Notgroschen und das sozialhilferechtliche Schonvermögen überstiegen, sei aber erst 2002 gezahlt worden. Im Streitjahr 2001 sei ungewiss gewesen, wann und in welcher Höhe der Versicherer leisten würde; im Falle einer unberechtigten Zahlungsverweigerung hätte eine gerichtliche Durchsetzung erhebliche Zeit in Anspruch nehmen können. Während dieser Zeitspanne habe der Sohn den Treppenlift mangels eigenen Vermögens nicht anschaffen können. Eine andere Wohnmöglichkeit habe für ihn nicht bestanden.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 33 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das FG habe zu Unrecht eine sittliche Verpflichtung der Kläger angenommen, weil der Sohn mit dem Anspruch gegen den Unfallversicherer über eigenes, nicht geringfügiges Vermögen verfügt habe und den Treppenlift daher selbst hätte bezahlen können. Bis zur Leistung des Versicherers hätte er einen Kredit in Anspruch nehmen oder die Kläger ihm den Betrag für den Treppenlift darlehensweise überlassen können. Zum Verzicht auf Ersatz- oder Rückzahlungsansprüche seien die Kläger nicht verpflichtet gewesen. Da der Anspruch auf die Versicherungsleistungen bereits mit dem Unfall entstanden sei, fehle es an einer endgültigen Belastung.
Das FA beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet, sie ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die den Klägern für den Treppenlift entstandenen Aufwendungen zwangsläufig waren und als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.
1.
Die Einkommensteuer wird nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 EStG).
Die Zwangsläufigkeit ergibt sich im Streitfall daraus, dass die Kläger ihrem Sohn zivilrechtlich zur Übernahme der Kosten des Treppenliftes verpflichtet waren und ihn nicht auf die Beleihung seines Anspruchs gegen den Unfallversicherer verweisen konnten.
a)
Die Kläger hatten ihrem Sohn angemessenen Unterhalt zu leisten (§§ 1601, 1610 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Sein von ihnen aufzubringender Lebensbedarf umfasste auch den behinderungsbedingten Mehrbedarf (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98, BFHE 189, 449, BStBl II 2000, 75; Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 23. Juli 2003 XII ZR 339/00, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2003, 1468; Oberlandesgericht --OLG-- Hamm , Beschluss vom 11. Februar 2005 11 WF 312/04, FamRZ 2006, 640; Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 1610 Rz 6). Der Treppenlift war unerlässlich, da der Sohn ohne ihn nicht in sein im ersten Stockwerk gelegenes Zimmer gelangen konnte.
b)
Da der Eintritt der Querschnittslähmung und die damit verbundene sofortige Erforderlichkeit des Treppenliftes nicht vorhersehbar war, handelte es sich um Sonderbedarf (BGH-Urteil vom 15. Februar 2006 XII ZR 4/04, FamRZ 2006, 612). Mit der Anschaffung des Treppenliftes konnte weder bis zur Auszahlung der Unfallversicherung gewartet werden noch durften die Kläger ihren Sohn --anders als der Senat in seinem Urteil vom 27. Februar 1987 III R 209/81 (BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432) hinsichtlich der Anschaffung eines PKW für das querschnittsgelähmte Kind angenommen hat-- darauf verweisen, eine erhöhte Unterhaltsrente zu beanspruchen und die Anschaffungskosten des Treppenliftes daraus anzusparen.
c)
Unterhaltsberechtigt ist allerdings nur, wer sich nicht selbst unterhalten kann (§ 1602 Abs. 1 BGB).
aa)
Der Sohn erzielte keine Einkünfte und konnte als Schwerbehinderter auch nicht darauf verwiesen werden, seine Arbeitskraft einzusetzen (Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, a.a.O., § 1602 Rz 8). Er hatte aber, da er nicht mehr minderjährig war, auch den Stamm seines Vermögens einzusetzen; die Einschränkung des § 1602 Abs. 2 BGB, nach der bei minderjährigen unverheirateten Kindern das Vermögen außer Betracht zu bleiben hat, gilt bei volljährigen Kindern nicht (vgl. BGH-Urteile vom 18. April 1984 IVb ZR 49/82, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 1813, und vom 5. November 1997 XII ZR 20/96, NJW 1998, 978).
bb)
Ein volljähriger Unterhaltsgläubiger ist daher nicht bedürftig, wenn er es unterlässt, eine Forderung einzuziehen, die er in zumutbarer Weise einziehen könnte (vgl. BGH-Urteile vom 25. Januar 1989 IVb ZR 31/88, FamRZ 1989, 499, 500, und in NJW 1998, 978 ).
Die Verpflichtung, vor der Inanspruchnahme von Unterhaltsleistungen zumutbar verwertbares Vermögen einzusetzen, wird jedoch allgemein durch einen zu belassenden "Notgroschen" für Fälle plötzlich auftretenden Bedarfs eingeschränkt (dazu BGH-Urteil in NJW 1998, 978 , unter II. 3. b). Übersteigt der Wert des Vermögens den "Notgroschen", so können Zumutbarkeitsgesichtspunkte gleichwohl seiner Verwertung entgegenstehen. Vermögen, das vom Großvater zweckgerichtet für die Ausbildung zugewendet wurde, muss daher nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhaltes verbraucht werden, sondern kann auf die voraussichtliche Ausbildungsdauer umgelegt werden (BGH-Urteil in NJW 1998, 978 , unter II. 4. a, betr. Vermächtnis von 50 000 DM; zustimmend Viefhues, jurisPK-BGB Buch 4, § 1602 Rz 49; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Juli 2006 5 WF 89/06, OLGR Frankfurt 2007, 285). Schwerbehinderte volljährige Kinder, die ihren angemessenen Bedarf nicht selbst decken können und bei denen ungewiss ist, ob ihr Unterhaltsbedarf im Alter durch Unterhaltsleistungen der Eltern gedeckt werden kann, dürfen maßvoll Vermögen bilden; eine als Altersvorsorge dienende vermietete Eigentumswohnung braucht deshalb nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhaltes verwertet zu werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. November 1999 2 UF 229/98, FamRZ 2001, 47).
Nach diesen Grundsätzen konnte auch dem querschnittsgelähmten und einkommenslosen Sohn die Verwertung seiner Forderung gegen den Unfallversicherer, seinem einzigen Vermögensgegenstand, nicht zugemutet werden, da er hierauf zur Altersvorsorge und zur Abdeckung seines weiteren lebenslangen behinderungsbedingten Mehrbedarfs angewiesen war.
Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass der Sohn den vom Versicherer bestrittenen Anspruch durch Beleihung hätte verwerten können. Als nicht verwertbarer Vermögensgegenstand wäre der Anspruch ohnehin nicht zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 29. Mai 2008 III R 48/05, BFHE 221, 221, BFH/NV 2008, 1724; vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. Dezember 2007 B 14/7b AS 46/06 R, SozR 4-4200 § 12 Nr. 6).
2.
Die Umstände, aufgrund derer der Sohn nach Auffassung des Senats rechtlich nicht auf die Verwertung seines Anspruchs aus der Unfallversicherung verwiesen werden kann, begründen im Übrigen zumindest eine sittliche Verpflichtung der Kläger, den Treppenlift auf ihre Kosten einbauen zu lassen.
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