Normen
Art. 49 EG
Art. 149 EG
§ 3 Nr. 26 EStG
§ 53 EStG
§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO
BFH - 01.03.2006 - AZ: XI R 43/02
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger wohnt und arbeitet in seinem Hauptberuf als Rechtsanwalt in Deutschland. Er nahm im Streitjahr 1991 einen 16 Stunden umfassenden Lehrauftrag an der Universität Straßburg wahr, für den er im Streitjahr 5 760 Französische Francs --FF-- (brutto) erhielt. Die Universität zahlte dem Kläger im Jahre 1991 nach Abzug französischer Sozialabgaben 4 814,79 FF aus.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unterwarf im Einkommensteuerbescheid 1991 die Bruttozahlungen in Höhe von 1 612 DM (5 760 FF x 0,28) der Einkommensteuer.
Mit dem Einspruch machten die Kläger geltend, dass für die von der Universität Straßburg erhaltenen Zahlungen der Freibetrag des § 3 Nr. 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gewährt werden müsse. Die Beschränkung dieser Vorschrift auf Vergütungen von inländischen Körperschaften des öffentlichen Rechts verstoße gegen den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft a.F. (EGV). Die einbehaltenen französischen Zwangsabzüge dürften nicht angesetzt werden, da sie dem Kläger nicht zugeflossen seien und er davon niemals irgendeinen wirtschaftlichen Vorteil haben werde. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2002, 1307 veröffentlicht.
Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision machen die Kläger vor allem geltend: § 3 Nr. 26 EStG diskriminiere Tätigkeiten bei Körperschaften des öffentlichen Rechts im EU-Ausland. Außerdem habe das FA die gemäß § 53 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung erhöhten Kinderfreibeträge nicht berücksichtigt.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die festgesetzte Einkommensteuer unter Berücksichtigung verfassungsmäßiger Kinderfreibeträge und nach Maßgabe eines um 824,20 EUR --hilfsweise um 135,25 EUR-- verringerten Gesamtbetrags der Einkünfte herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Der für dieses Revisionsverfahren seinerzeit zuständige XI. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 1. März 2006 XI R 43/02 (BFHE 212, 489, BStBl II 2006, 685) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- 1. Ist Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft n.F. --EG--) dahingehend auszulegen, dass von seinem Schutzbereich auch die nebenberufliche Tätigkeit als Lehrer im Dienst oder Auftrag einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (Universität) erfasst wird, wobei für diese Tätigkeit als quasi ehrenamtliche Tätigkeit nur eine Aufwandsentschädigung geleistet wird?
- 2. Für den Fall, dass Frage 1 bejaht wird: Ist die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass Entschädigungen nur steuerbegünstigt sind, wenn sie von inländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gezahlt werden (hier: § 3 Nr. 26 EStG) dadurch gerechtfertigt, dass die nationalstaatliche Steuerbegünstigung nur durch eine Tätigkeit zugunsten einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts legitimiert ist?
- 3. Für den Fall, dass Frage 2 verneint wird: Ist Art. 126 EGV (jetzt Art. 149 EG) dahin auszulegen, dass eine steuerrechtliche Regelung, mit deren Hilfe das Bildungssystem ergänzend gestaltet wird (wie hier § 3 Nr. 26 EStG), im Hinblick auf die insoweit fortbestehende Verantwortung der Mitgliedstaaten zulässig ist?
III.
Der EuGH --3. Kammer-- hat mit Urteil vom 18. Dezember 2007 Rs. C-281/06 (BFH/NV 2008, Beilage 2, 93) entschieden:
1.
Eine Lehrtätigkeit, die ein in einem Mitgliedstaat Steuerpflichtiger im Dienst einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, hier einer Universität, ausübt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, fällt auch dann in den Anwendungsbereich von Art. 49 EG, wenn die Tätigkeit nebenberuflich und quasi ehrenamtlich ausgeübt wird.
2.
Die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, die darin liegt, dass nach einer nationalen Regelung nur das Entgelt, das im Inland ansässige Universitäten, die juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, als Gegenleistung für eine nebenberufliche Lehrtätigkeit zahlen, von der Einkommensteuer befreit ist, während diese Befreiung versagt wird, wenn ein solches Entgelt von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Universität gezahlt wird, ist nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.
3.
Der Umstand, dass die Mitgliedstaaten selbst für die Gestaltung ihres Bildungssystems zuständig sind, ist nicht geeignet, eine nationale Regelung, nach der eine Steuerbefreiung denjenigen Steuerpflichtigen vorbehalten ist, die im Dienst oder Auftrag inländischer öffentlicher Universitäten tätig sind, mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen.
Hinsichtlich der Begründung wird auf das genannte Urteil des EuGH Bezug genommen.
IV.
Die Revision der Kläger ist begründet. Gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und der Klage teilweise stattzugeben. FA und FG haben zu Unrecht den von der Universität Straßburg an den Kläger geleisteten Betrag von umgerechnet 1 612 DM (824,20 EUR) nicht gemäß § 3 Nr. 26 EStG steuerfrei gelassen. Hingegen sind die für die drei Kinder der Kläger berücksichtigten Kinderfreibeträge verfassungsgemäß.
1.
Gemäß § 3 Nr. 26 EStG sind u.a. Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher oder für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts steuerfrei. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift gilt diese Steuerbefreiung für den von der Universität Straßburg an den Kläger gezahlten Betrag nicht, weil der Kläger seinen Lehrauftrag nicht im Auftrag einer inländischen, sondern einer ausländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts versehen hat.
Aufgrund des Urteils des EuGH in BFH/NV 2008, Beilage 2, 93 ist indes geklärt, dass der Ausschluss der Steuerbefreiung für Aufwandsentschädigungen, die von ausländischen öffentlichen Körperschaften gezahlt werden, eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) bedeutet und der Kläger dadurch im Vergleich zu denjenigen Steuerpflichtigen diskriminiert wird, die vergleichbare Dienstleistungen im Inland erbringen.
Aufgrund des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts (und damit der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten) ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH der Tatbestand des § 3 Nr. 26 EStG in normerhaltender Weise zu reduzieren, die einschlägige Regelung aber als solche weiter anzuwenden (vgl. BFH-Urteile vom 20. September 2006 I R 113/03, BFH/NV 2007, 220 --zum Abzug von Steuerberatungskosten eines niederländischen Steuerpflichtigen, kritisch dazu Gosch, Deutsches Steuerrecht 2007, 1895, 1996--; vom 20. Dezember 2006 I R 94/02, BFHE 216, 269, unter III.2. der Gründe; vom 13. Juni 2006 I R 78/04, BFHE 215, 82; vom 24. April 2007 I R 39/04, BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95, unter IV.5.b der Gründe). Mithin ist das Merkmal "inländisch" in § 3 Nr. 26 EStG bei der Rechtsanwendung nicht zu beachten.
Dies widerspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn der Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2009 erstreckt den Tatbestand des § 3 Nr. 26 EStG rückwirkend auf solche Tätigkeiten, die für in EU-Mitgliedstaaten belegene juristische Personen des öffentlichen Rechts erbracht worden sind (Nacke, Der Betrieb 2008, 1396, 1397).
Da im Streitfall die übrigen Merkmale der Vorschrift erfüllt sind, ist der von der Universität Straßburg an den Kläger gezahlte Betrag steuerfrei.
2.
Da der Hauptantrag der Kläger in Bezug auf die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 26 EStG in vollem Umfang Erfolg hat, ist über den Hilfsantrag, der die in Frankreich einbehaltenen und abgeführten Sozialabgaben betrifft, nicht mehr zu entscheiden.
3.
Zu Unrecht begehren die Kläger jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen den Ansatz höherer Kinderfreibeträge.
Nach der durch das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4) eingeführten Vorschrift des § 53 EStG ist für das Streitjahr als Existenzminimum für jedes Kind ein Betrag von 5 388 DM steuerfrei zu belassen. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in verfassungskonformer Weise umgesetzt (s. Beschlüsse des BVerfG vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, 2 BvR 1220/93 und 2 BvR 1852, 1853/97, BVerfGE 99, 246, 268, 273, BStBl II 1999, 174, 193, 194; BFH-Urteil vom 22. Februar 2001 VI R 115/96, BFH/NV 2001, 1110; BFH-Beschlüsse vom 5. Februar 2002 VI B 165/99, BFH/NV 2002, 781; vom 9. September 2003 VI B 114, 115/02, BFH/NV 2004, 180).
Zu Unrecht schließen die Kläger aus dieser Vorschrift, dass für ihre Kinder jeweils ein Kinderfreibetrag von 5 388 DM berücksichtigt werden müsse. Vielmehr ist gemäß Satz 3 der Vorschrift für die Prüfung, ob die gebotene Steuerfreistellung des Existenzminimums bereits erfolgt ist, das dem Steuerpflichtigen zustehende Kindergeld mit dem auf das bisherige zu versteuernde Einkommen anzuwendenden Grenzsteuersatz in einen Freibetrag umzurechnen. Nur dann, wenn die Summe aus den bisher abgezogenen Kinderfreibeträgen (im Streitfall jeweils 3 024 DM) und dem in Freibeträge umgerechneten Kindergeld das steuerfrei zu lassende Kindesexistenzminimum (im Streitfall jeweils 5 388 DM) nicht erreicht, ist in Höhe der Differenz ein weiterer Abzug vom Einkommen vorzunehmen (§ 53 Satz 6 EStG). Danach wäre für das Streitjahr ein weiterer Abzug vom Einkommen nur vorzunehmen, wenn das zu versteuernde Einkommen der Kläger den Betrag von 182 952 DM erreicht hätte (zur Berechnung vgl. Anlage 2, Buchst. f des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 14. März 2000 IV C 4 -S 2282 a- 35/00, BStBl I 2000, 413, 418). Das ist jedoch nicht der Fall.
4.
Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuer ist nach Maßgabe eines um die Zahlung der Universität Straßburg (1 612 DM) verringerten Einkommens herabzusetzen. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
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