§ 69 Abs. 3 FGO
§ 2b EStG
Art. 3 Abs. 1 GG
Art. 20 Abs. 3 GG FG Sachsen - 08.03.2007 - AZ: 2 V 2108/06
Gründe
I.
In den Jahren 1996 bis 1999 errichtete die Vorgängergesellschaft der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ein Wohnobjekt. Nach Umwandlung in eine KG beteiligten sich 13 Kommanditisten an der Antragstellerin, u.a. A, B, C und D, die im Jahr 2001 der Antragstellerin beitraten. Die Kommanditisten finanzierten ihre Gesellschaftereinlage über Darlehensverträge, die sie bei der E abgeschlossen hatten. Als Vermittlerin trat die F auf. Das erste Darlehen hatte eine Laufzeit von 10 Jahren und wurde voll valutiert. Die Tilgung erfolgte über die Einzahlung auf einen Immobilienfonds der E. Das andere Darlehen sollte durch zu erwartende Steuererstattungen getilgt werden.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stellte antragsgemäß in den Jahren 2001 bis 2004 negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest. Für 2004 wurden zudem Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 5 430 EUR festgestellt. Im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 1999 bis 2003 gelangte die Prüferin zu der Auffassung, dass allen Gesellschaftern, die der Antragstellerin nach dem 31. Dezember 2000 beigetreten seien, die Einkünfte nach § 2b des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht mehr zurechenbar seien, da es sich bei den fremdfinanzierten Gesellschaftereinlagen um modellhaft fremdfinanziertes Eigenkapital handele, welches nicht in die Vergleichsberechnung des § 2b Satz 3 EStG 1999 einzubeziehen sei. Dem folgte das FA und änderte die Bescheide am 6. September 2006 entsprechend.
Die Einsprüche der Antragstellerin gegen die Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung für die Jahre 2001 bis 2004 wurden am 11. April 2007 zurückgewiesen. Über die hiergegen gerichtete Klage der Antragstellerin vom 10. Mai 2007 ist noch nicht entschieden.
Einen Aussetzungsantrag der Antragstellerin, in dem diese geltend machte, dass eine modellhafte Finanzierung der Gesellschaftereinlagen nicht vorliege und § 2b EStG 1999 wegen Unbestimmtheit verfassungswidrig sei, lehnte das FA ab.
Die Antragstellerin beantragte beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung der Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2001, 2002, 2003 und 2004 vom 6. September 2006 auszusetzen.
Das FG wies den Antrag als unbegründet zurück. Zweifel in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensteuer 2001 bis 2004 seien nicht ersichtlich. Insbesondere seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2b EStG 1999 nach summarischer Prüfung erfüllt. Zweifel bestünden hinsichtlich der rechtlichen Anwendbarkeit der Norm, da in der Literatur vertreten werde, dass sie wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--) sowie den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig sei (z.B. Raupach/Böckstiegel, Finanz-Rundschau --FR-- 1999, 620, 623 ff.; Birk/Kulosa, FR 1999, 433, 435 ff.; Günkel/Fenzl, Deutsches Steuerrecht 1999, 649). Das FG teile zwar alle geäußerten Bedenken. Gleichwohl sei ein besonderes Interesse der Antragstellerin bzw. der Anleger an der Aussetzung der Vollziehung, wie z.B. Existenzgefährdung oder der Eintritt irreversibler Nachteile, nicht ersichtlich. Daher müsse das öffentliche Interesse bis zur abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. September 2006 XI R 26/04, BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 den Vorrang haben, so dass selbst wenn der Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken der Literatur oder des BFH teilen würde, eine Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht komme.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, dass die von den Erwerbern in Anspruch genommene Fremdfinanzierung nicht "modellhaft" gewesen sei. Sie sei weder im Rahmen des Prospekts angeboten worden noch sei sie Bestandteil des Gesamtkonzepts. Vielmehr habe die Entscheidung über eine etwaige Fremdfinanzierung der Gesellschaftereinlage jeder Gesellschafter individuell für sich getroffen. Die Vermittlung durch den Bauträger führe grundsätzlich nicht zu einer Anwendung des § 2b EStG (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 22. August 2001, Tz. 25). Diese Grundsätze kämen im vorliegenden Fall auch zur Anwendung, da es sich vorliegend um ein "... Modell" handele. Die Gesellschafter hätten auf dieser Basis einen Anteil gezeichnet, der wirtschaftlich einer Wohnung entspreche, was zu einer bauträgerähnlichen Struktur führe. In dem Prospekt finde sich keinerlei Hinweis auf konkrete Darlehenskonditionen, eine finanzierende Bank oder ähnliches. Auch wichen die Zinskonditionen der jeweiligen Darlehensverträge der Gesellschafter --sogar innerhalb des Zeitraumes von einem Jahr-- voneinander ab. Die den Anlegern übergebenen Unterlagen enthielten keine Werbung mit Steuerwirkungen, auf diese sei nur hingewiesen worden, um etwaige Haftungsrisiken aufzuzeigen. Im Übrigen sei das Bestimmtheitsgebot sowie der Grundsatz der Normenklarheit verletzt, da § 2b EStG eine ungewöhnlich große Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe (wie z.B. ähnliches Modell, Einkunftsquelle, im Vordergrund, Betriebskonzept, nach Steuern, vor Steuern, Betriebsführung, überwiegend beruhen, in Aussicht stellen) enthalte.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Vollziehung der Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2001 bis 2004 hinsichtlich der Nichtanerkennung der zugewiesenen Ergebnisse für die Gesellschafter A, B, C und D auszusetzen.
Das FA beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II.
Die Beschwerde ist begründet.
1.
Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.).
Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung kann nach ständiger Rechtsprechung auch bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine einem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtsnorm gewährt werden (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663, m.w.N.).
2.
Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der für die streitigen einheitlichen und gesonderten Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen maßgeblichen Norm des § 2b EStG ergeben sich aus der fehlenden Folgerichtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Unbestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) ihrer Regelungsaussage.
a)
§ 2b EStG soll bezogen auf Verlustzuweisungsgesellschaften zur Verminderung unerwünschter Steuersparmodelle beitragen (BTDrucks 14/443, S. 20). Der BFH hat in Fortführung seiner Rechtsprechung zur Gewinnerzielungsabsicht speziell für sogenannte Verlustzuweisungsgesellschaften besondere Beweislastregeln aufgestellt, wobei er als Verlustzuweisungsgesellschaft eine Gesellschaft definiert, deren Initiatoren selbst oder durch Dritte --meist durch Prospekt-- interessierte Kapitalanleger mit dem Versprechen von Einkommensteuerminderungen durch Verlustzuweisungen werben und nach deren Ergebnisvorschau die Kapitalanlagen regelmäßig ganz oder teilweise durch Steuerersparnisse finanziert werden, so dass das Streben nach einem Totalüberschuss von persönlichen Gründen, nämlich der Absicht der Erzielung von Einkommensteuerersparnissen, verdrängt wird (vgl. zuletzt noch BFH-Beschluss vom 5. Juli 2002 IV B 42/02, BFH/NV 2002, 1447; BFH-Urteil vom 21. November 2000 IX R 2/96, BFHE 193, 460, BStBl II 2001, 789). Liegt eine Verlustzuweisungsgesellschaft vor, spricht eine widerlegliche Vermutung dafür, dass für ihre Gründung und Fortführung nicht die Absicht Gewinne zu erzielen, sondern einkommensteuerrechtlich nicht relevante persönliche Gründe bestimmend waren.
Mit dieser allgemeine einkommensteuerrechtliche Grundsätze konkretisierenden gefestigten Rechtsprechung ist § 2b EStG nur unzureichend abgestimmt. Aus dem Tatbestandsmerkmal der "negativen Einkünfte" i.S. von § 2b Satz 1 EStG ergibt sich, dass der Gesetzgeber für seine von ihm definierten Verlustzuweisungsgesellschaften eine gegebene Einkünfteerzielungsabsicht voraussetzt, während eine solche Absicht nach der BFH-Rechtsprechung regelmäßig gerade nicht gegeben ist. Der Begriff der Verlustzuweisungsgesellschaft wird nicht einheitlich gehandhabt, so dass die vorzitierte BFH-Rechtsprechung jedenfalls fortgilt, ohne dass sich aus § 2b EStG hinreichend klar ergäbe, welche Merkmale eine Verlustzuweisungsgesellschaft sowie ein "ähnliches Modell" im Sinne der Regelung aufweisen muss. Der unbestimmte Rechtsbegriff "steuerlicher Vorteil" erfährt weder aus dem systematischen Zusammenhang des § 2b EStG im Einkommensteuerrecht noch aus § 2b Satz 3 EStG eine hinreichend eindeutige Bestimmung.
b)
Auch § 2b Satz 3 EStG konkretisiert § 2b Satz 1 EStG nicht hinreichend klar. Denn diese Definition ist zum einen nicht abschließend, zum anderen enthalten die genannten Beispiele wiederum eine Ansammlung unbestimmter Begriffe, so "Rendite vor und nach Steuern, überwiegendes Beruhen, Betriebsführung", insbesondere aber "in Aussicht stellen von Steuerminderungen durch Verlustzuweisungen". Denn jede Verlustzuweisung führt typischerweise zur Verminderung der Steuerlast. Eine Abstimmung mit einer etwaigen zusätzlichen Prospekthaftung ist aus der gesetzlichen Regelung nicht ersichtlich (zu den auch in der Literatur vielfach geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. z.B. Schmidt/Seeger, EStG, 26. Aufl., § 2b Rz 23 ff., m.w.N.).
Die in einem BMF-Schreiben festgehaltene Handhabung der Norm durch die Finanzverwaltung kann ein hinreichend konkretes Gesetz nicht ersetzen. Dies gilt auch für das vom FG herangezogene BMF-Schreiben vom 22. August 2001 (BStBl I 2001, 588).
c)
Hinzu kommt, dass § 2b Satz 4 EStG für Verlustausgleich und Verlustabzug von positiven und negativen Einkünften aus Verlustzuweisungsmodellen die entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 3 EStG anordnet, welcher seinerseits verfassungsrechtlichen Zweifeln unterliegt (BFH-Beschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167).
d)
Angesichts der Unklarheit der Regelungsaussage begegnet bei summarischer Prüfung die Anwendung von § 2b EStG im Streitfall auch materiell-rechtlichen Bedenken. Insbesondere spricht die individuelle Finanzierung durch die einzelnen Gesellschafter gegen die Modellhaftigkeit. Auch wird nicht hinreichend deutlich, dass jenseits der Erfüllung der zivilrechtlichen Aufklärungspflichten mit steuerlichen Vorteilen geworben wurde (vgl. BTDrucks 14/443, S. 20).
3.
Die Antragstellerin kann auch verlangen, dass im Streitfall § 2b EStG im Wege der Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Feststellungsbescheide unberücksichtigt bleibt. Ihr verfassungsrechtlicher Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) tritt nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten öffentlichen Haushaltsführung zurück.
a)
Die ständige Rechtsprechung des BFH hält bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer Rechtsnorm ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für erforderlich. Geboten ist danach eine Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung der Vollziehung entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung und den für eine Aussetzung der Vollziehung sprechenden individuellen Interessen des Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. August 2002 XI B 94/02, BFH/NV 2002, 1671; vom 21. Mai 1992 X B 106/91, BFH/NV 1992, 721; vom 30. Januar 2001 VII B 291/00, BFH/NV 2001, 1031, m.w.N.; vom 17. März 1994 VI B 154/93, BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567; vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104, m.w.N.). Im Schrifttum wird diese vom BVerfG gebilligte Rechtsprechung (BVerfG-Beschlüsse vom 6. April 1988 1 BvR 146/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 283; vom 3. April 1992 2 BvR 283/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 726) kritisiert (vgl. Seer, in Steuer und Wirtschaft 2001, 3, 17 f.; ders. in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 97; Drüen in FR 1999, 289; a.A. aber Klaus J. Wagner, Über effektiven vorläufigen Rechtsschutz im finanzgerichtlichen Verfahren, Festschrift für Kruse, 735, 751 ff.; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz 132, 180, m.w.N.). Der Senat kann offen lassen, ob er der bisherigen Rechtsprechung folgt (vgl. auch Beschluss in BFHE 202, 53, BStBl II 2003, 663); er kann diese Frage auch hier unerörtert lassen, weil eine Interessenabwägung im Streitfall jedenfalls zugunsten des Antragstellers ausfällt.
b)
Ein sofortiger Vollzug der hier streitigen Feststellungsbescheide und damit die Nichtberücksichtigung der streitigen Verluste würde eine durch § 2b EStG bewirkte Verletzung der Besteuerungsgleichheit sowie rechtsstaatswidrige Besteuerung konkretisieren und perpetuieren.
Diejenigen Steuerpflichtigen, deren Verluste --wie hier-- gemäß § 2b EStG unberücksichtigt bleiben, würden durch den Vollzug der Norm einen spezifischen Verfassungsverstoß erfahren.
Dagegen sind keine überwiegenden öffentlichen Belange ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, den Rechtsschutzanspruch der Antragstellerin zurückzustellen (vgl. auch zur Mindestbesteuerung gemäß § 2 Abs. 3 EStG BFH-Beschluss vom 31. Januar 2007 VIII B 219/06, BFH/NV 2007, 914). Insbesondere das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft ist im Streitfall nicht so gewichtig, um das Interesse der Antragstellerin hintanzusetzen. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Regelung des § 2b EStG um ausgelaufenes Recht handelt.
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