Normen
§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO 1977
§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG
Gründe
I.
Die zusammen veranlagten Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind kirchensteuerpflichtig. In ihrer Einkommensteuererklärung für 1999 machten sie gezahlte Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 1 914 DM als Sonderausgaben geltend. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus einer Kirchensteuernachzahlung für 1997, Kirchensteuervorauszahlungen und einbehaltener Kirchenlohnsteuer. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die Kirchensteuerzahlungen antragsgemäß als Sonderausgaben.
Der Einkommensteuerbescheid 1999 wurde bestandskräftig. Er führte zu einer Erstattung von Kirchensteuer in Höhe von 1 258,65 DM, die im Jahr 2001 an die Kläger ausbezahlt wurde. Das FA verrechnete die Erstattung bei der Einkommensteuerveranlagung für 2001 mit der im Veranlagungszeitraum 2001 gezahlten Kirchensteuer in Höhe von 1 024 DM. Da der Erstattungsbetrag die gezahlte Kirchensteuer überstieg, erließ es für das Streitjahr 1999 einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem es die bisher als Sonderausgaben anerkannten Kirchensteuern um 234 DM verringerte.
Die Klage hatte Erfolg. Erstattete Kirchensteuern seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) mit der im Jahr der Erstattung gezahlten Kirchensteuer zu verrechnen. Dies gelte nur dann nicht, wenn Kirchensteuern im Jahr der Verausgabung mangels Kirchenmitgliedschaft rechtsgrundlos gezahlt worden seien (BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 X R 73/94, BFHE 181, 144 , BStBl II 1996, 646) oder willkürliche, die voraussichtliche Kirchensteuerschuld weit übersteigende Zahlungen geleistet worden seien (BFH-Urteil vom 25. Januar 1963 VI 69/61 U, BFHE 76, 384, BStBl III 1963, 141). Keiner dieser Ausnahmefälle liege hier vor. Einer weiter gehenden Rückbeziehung stünden der Gesetzeswortlaut und das Prinzip der Abschnittsbesteuerung entgegen.
Mit seiner Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Das Urteil des Finanzgerichts (FG) weiche von der ständigen Rechtsprechung des BFH ab. Danach sei der Sonderausgabenabzug des Jahres der Verausgabung um nachträgliche Erstattungen zu mindern, sofern im Jahr der Erstattung eine Verrechnung nicht möglich sei. Dabei sei unerheblich, ob die Kirchensteuer ursprünglich mit oder ohne Rechtsgrund gezahlt worden sei.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.
Die vom FA zitierte Rechtsprechung erfasse nur Erstattungen solcher Beträge, die ohne Rechtsgrund geleistet worden seien. Die Kläger seien jedoch kirchensteuerpflichtig. Die spätere Erstattung von Kirchensteuer sei daher kein nachträgliches Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
II.
Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG ist die Erstattung von Kirchensteuer, soweit sie im Jahr der Erstattung nicht mit gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden kann, ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Die im Jahr der Erstattung nicht verrechenbaren Rückzahlungen mindern die im Jahr der Zahlung bisher nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG anerkannten Sonderausgaben.
1.
Der (bestandskräftige) Einkommensteuerbescheid für 1999 war zu ändern. Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977).
Die Erstattung von Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 181, 144 , BStBl II 1996, 646; vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, m.w.N.; vom 24. April 2002 XI R 40/01, BFHE 199, 167, BStBl II 2002, 569). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden (BFH in BFHE 181, 144 , BStBl II 1996, 646).
Bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie z.B. der Kirchensteuer hat der BFH zwar aus Gründen der Praktikabilität und Rechtskontinuität eine Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung im Grundsatz zugelassen. Die Verrechnung erstatteter mit gezahlten Sonderausgaben ist aber im Jahr der Zahlung insoweit geboten, als anderenfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile einträten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn im Erstattungsjahr keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind (BFH in BFHE 181, 144 , BStBl II 1996, 646). Dasselbe gilt, wenn im Erstattungsjahr die gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben niedriger sind als die Erstattung. Auch in diesen Fällen fehlt es an einer endgültigen wirtschaftlichen Belastung im Zahlungsjahr. Das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. Juli 2002 IV C 4 -S 2221- 191/02 (BStBl I 2002, 667) enthält insoweit eine zutreffende Gesetzesinterpretation (ebenso Söhn in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. B 57; Fischer in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, Kompaktkommentar, 3. Aufl., § 10 Rdnr. 4). Soweit in der Literatur eine andere Auffassung vertreten wird (vgl. z.B. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 10 EStG Rdnr. 22a), ist diese durch neuere Rechtsprechung überholt. Zudem wird übersehen, dass die zur Begründung herangezogenen Entscheidungen (z.B. BFH-Urteil vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, m.w.N.) zwar die Verrechnung im Jahr der Erstattung zugelassen, aber nicht zur Behandlung von Erstattungsüberhängen Stellung genommen haben.
Entgegen der Auffassung des FG lässt sich aus den Urteilen des BFH in BFHE 181, 144 , BStBl II 1996, 646 und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 nichts Abweichendes entnehmen. Zwar lagen diesen Entscheidungen Fälle zu Grunde, in denen Sonderausgaben mangels Kirchensteuer- bzw. Sozialversicherungspflicht erstattet wurden. Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob "Aufwendungen" i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung aber unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, unabhängig davon, ob Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder auf Grund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird. Auch bei der Verrechnung gezahlter und erstatteter Versicherungsbeiträge im selben Steuerabschnitt wird nicht danach unterschieden, ob die Erstattung ihren Rechtsgrund in der fehlenden Beitragspflicht oder in einer Beitragsermäßigung hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422).
§ 11 EStG steht der Annahme, dass die Erstattung von Kirchensteuer ein rückwirkendes Ereignis ist, nicht entgegen. Diese Vorschrift betrifft grundsätzlich nur die zeitliche Zuordnung steuerbarer Einnahmen bzw. steuerlich abzugsfähiger Aufwendungen (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 11 Rdnr. 3). Die Erstattung von Sonderausgaben fällt nicht unter die steuerbaren Einnahmen (Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 10 Rdnr. 8).
2.
Die Erstattung von Kirchensteuer auf Grund der Erstveranlagung zur Einkommensteuer 1999 konnte nicht bereits bei Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides berücksichtigt werden (vgl. zu nachträglichem Ereignis z.B. auch BFH-Beschluss des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. a). Im Zeitpunkt der Veranlagung war zwar die Erstattung von Kirchensteuer vorhersehbar. Ein Anspruch auf Erstattung bestand vor Erlass des Einkommensteuer- und Kirchensteuerbescheides aber noch nicht. Auch kann im Umkehrschluss zu § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG erst die "gezahlte" Erstattung von Kirchensteuer die "gezahlte" Kirchensteuer mindern.
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