BFH V R 73/03

BFHV R 73/036.5.2004

Amtlicher Leitsatz:

Bezieht ein Unternehmer im Inland Leistungen, die er im Ausland für eine Grundstücksvermietung verwendet, ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu prüfen, ob die Grundstücksvermietung steuerfrei (vorsteuerabzugschädlich) wäre, wenn sie im Inland ausgeführt würde. Dies bestimmt sich nach den Vorschriften des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG und des § 9 UStG. Die Grundstücksvermietung wäre im Inland nicht steuerfrei gewesen, wenn der Grundstücksvermieter die Grundstücksvermietung im Ausland tatsächlich als steuerpflichtig behandelt hat und die Voraussetzungen des § 9 UStG für den Verzicht auf die Steuerbefreiung einer Grundstücksvermietung vorlagen (entgegen Abschn. 205 Abs. 1 UStR).

Normen

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG
§ 15 Abs. 2 UStG
§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG
§ 9 UStG

FG Bremen - 05.11.2003 - AZ: 2 K 526/02 (5)

 

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform einer GmbH & Co KG. Gegenstand der Gesellschaft ist gemäß § 2 des Gesellschaftsvertrages der Erwerb, die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten in den Niederlanden, insbesondere der Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an Bürogebäuden in S. Mit der Verwaltung des Grundbesitzes wurde ein Unternehmen in den Niederlanden beauftragt.

Gesellschafter der Klägerin sind die A-Verwaltungs-GmbH als Komplementärin und die B-GmbH als Kommanditistin. Die Kommanditbeteiligung betrug 10 150 000 DM. Die Kommanditistin hält ihre Beteiligung treuhänderisch für eine Vielzahl von Kapitalanlegern. Die Klägerin ist Eigentümerin von in Holland belegenen Büroimmobilien im Wert von ca. 17 Mio. DM. Die Klägerin führte in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) keine umsatzsteuerbaren Leistungen aus.

Im Jahre 1997 erwarb die Klägerin zwei Bürogebäude in S. Diese Gebäude vermietete sie an andere Unternehmer und verzichtete für diese Umsätze auf die Umsatzsteuerfreiheit. Die Vermietungsumsätze wurden daher in den Niederlanden der Umsatzsteuer unterworfen.

Mit ihren Umsatzsteuererklärungen 1997 und 1998 machte die Klägerin Vorsteuerbeträge geltend, die ihr durch verschiedene inländische Dienstleister mit deutscher Umsatzsteuer in Rechnung gestellt worden waren. Nach der Sachverhaltsschilderung des Finanzgerichts (FG) handelte es sich hauptsächlich um Leistungen, die für die Errichtung des Gebäudes (richtiger wohl: der Gebäude) benötigt worden waren, wie Objektauswahl, rechtliche und steuerliche Beratung.

Nach einer Betriebsprüfung lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Vorsteuerabzug unter Berufung auf die Vorschrift des § 15 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) und Abschn. 205 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) ab, da Auslandsumsätze vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen seien, die als Inlandsumsätze steuerfrei wären. Das gelte auch für solche Umsätze, für die bei ihrer Ausführung im Inland zur Steuerpflicht optiert werden könne. Das FA setzte die Umsatzsteuer mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 26. Februar 2001 jeweils auf 0 DM fest.

Das FG gab der hiergegen nach erfolglosem Einspruch eingelegten Klage statt. Es lehnte die Auffassung des FA ab, § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG sei i.S. von Abschn. 205 Abs. 1 UStR dahin auszulegen, dass die Vermietung eines ausländischen Grundstücks auch dann zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führe, wenn eine Vermietung im Inland nach § 9 UStG als steuerfrei behandelt werden könnte (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2004, 230, mit Anmerkung Meyer).

Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision ist begründet, sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG, da der Senat auf Grund der Feststellungen des FG nicht erkennen kann, wo der Ort der bezogenen Leistungen liegt (vgl. unten unter 1.) und ob die Voraussetzungen des § 9 UStG für einen Verzicht auf eine steuerfreie Grundstücksvermietung vorliegen (vgl. unten unter 2. d).

1.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer als Vorsteuerbeträge die in Rechnungen gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen.

Bei der in den Rechnungen ausgewiesenen Steuer muss es sich um deutsche Umsatzsteuer handeln. Außerdem muss die ausgewiesene Steuer für den abgerechneten Umsatz geschuldet sein (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 13. Dezember 1989 Rs. C-342/87 --Genius Holding--, Slg. 1989, 4227, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1991, 83; Bundesfinanzhof --BFH--, Urteile vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, und vom 10. April 2003 V R 35/01, BFHE 202, 187, BStBl II 2003, 782). Der abgerechnete Umsatz muss also der deutschen Umsatzbesteuerung unterliegen. Der Senat kann auf Grund der Feststellungen des FG nicht erkennen, inwieweit dies bei den streitigen Leistungsbezügen der Fall ist. Nach der Vorentscheidung handelte es sich hauptsächlich um Leistungen, die für die Gebäudeerrichtung benötigt worden waren, wie Objektauswahl, rechtliche und steuerliche Beratung. Es kommt deshalb ernsthaft in Betracht, dass sie --jedenfalls teilweise-- gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG (Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--) "im Zusammenhang" mit den in den Niederlanden belegenen Grundstücken standen und deshalb dort zu besteuern waren.

2.

Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist die Steuer für Leistungsbezüge, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG) oder zur Ausführung von Umsätzen im Ausland verwendet, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG).

a)

Die Klägerin hat die Leistungsbezüge, um die es hier geht, zur Ausführung von Umsätzen im Ausland --nämlich der Vermietung der Grundstücke in den Niederlanden-- verwendet. Der Ort dieser Vermietungsumsätze lag nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a UStG in den Niederlanden.

Nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist deshalb zu prüfen, ob die Grundstücksvermietung steuerfrei (vorsteuerabzugschädlich) wäre, wenn sie im Inland ausgeführt würde.

b)

Dies bestimmt sich nach den Vorschriften des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG und § 9 UStG. Nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ist die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken grundsätzlich steuerfrei. Nach § 9 UStG kann der Unternehmer aber einen derartigen Umsatz unter den dort genannten Voraussetzungen als steuerpflichtig behandeln.

Da die Klägerin die Grundstücksvermietung nach den Feststellungen des FG in den Niederlanden als steuerpflichtig behandelt hat, wäre darin auch in der Bundesrepublik ein Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG zu sehen, wenn die Klägerin die Grundstücke in der Bundesrepublik vermietet hätte und die übrigen Voraussetzungen des § 9 UStG vorlägen.

c)

Soweit die Finanzverwaltung (in Abschn. 205 Abs. 1 UStR) bei der Prüfung, ob die Grundstücksvermietung (wäre sie in der Bundesrepublik erfolgt) steuerfrei gewesen wäre, lediglich die Vorschrift des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG, nicht aber die des § 9 UStG entsprechend anwenden will, folgt der Senat dem nicht (wie hier auch Wenzel in Rau/Dürrwächter, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Stand Juni 2003, § 9 Anm. 65; Meyer in EFG 2004, 231).

Eine derartige Auslegung ist nach dem Wortlaut der Vorschriften des § 15 Abs. 2 Nr. 2, § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 UStG nicht geboten. Sie widerspricht dem "Grundelement des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems", dass nur der Endverbraucher mit Steuer belastet werden soll und die Steuerverwaltung letztlich keinen Steuerbetrag erheben darf, der den vom Endverbraucher gezahlten übersteigt (ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 24. Oktober 1996 Rs. C-317/94 --Elida Gibbs--, Slg. 1996, I-5339 Rdnr. 19, 23 und 24, UR 1997, 265). Dieses Neutralitätsprinzip wird zwar durch die in § 15 Abs. 2 UStG aufgeführten (unechten) Steuerbefreiungen durchbrochen, durch die Möglichkeit des Verzichts auf die Steuerbefreiung aber gerade wiederhergestellt.

d)

Der Vorentscheidung kann nicht entnommen werden, ob die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 UStG für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung einer Grundstücksvermietung vorlagen. Nach dieser Vorschrift ist der Verzicht auf die Steuerbefreiung bei der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Nach den Feststellungen des FG handelte es sich bei den Mietern zwar um Unternehmer; bei Bürogebäuden kann aber nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass diese die gemieteten Räume ausschließlich für Umsätze verwandten oder zu verwenden beabsichtigten, die den Vorsteuerabzug nicht ausschlossen. So kommen als Mieter z.B. auch Banken und Versicherungen in Betracht, die die gemieteten Räume für die in § 4 Nr. 8, Nr. 10 UStG genannten Umsätze verwenden; diese Umsätze wären in der Bundesrepublik steuerfrei und schließen deshalb den Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 UStG aus. Das FG wird somit feststellen müssen, ob die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 UStG für einen Verzicht auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze vorlagen. Möglicherweise reicht es aus, sich die Niederländischen Steuerbescheide vorlegen zu lassen, wenn das Niederländische Recht in den Streitjahren eine dem § 9 Abs. 2 UStG entsprechende Regelung kannte (vgl. EuGH-Urteil vom 29. April 2004 Rs. C-487/01 --Gemeente Leusden-- und C-7/02 --Holin Groep BV cs--).

3.

Dahinstehen kann, ob der streitige Vorsteuerabzug außerdem zur Voraussetzung hat, dass der Vorsteuerabzug auch in den Niederlanden möglich gewesen wäre, wenn der Ort der Besteuerung der maßgeblichen Eingangsleistungen (vgl. oben unter 1.) nicht in der Bundesrepublik, sondern in den Niederlanden gelegen hätte (vgl. EuGH-Urteile vom 26. September 1996 Rs. C-302/93 --Debouche--, Slg. 1996, I-4495, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1996, 838, und vom 13. Juli 2000 Rs. C-136/99 --Societe Monte Dei Paschi di Siena--, Slg. 2000, I-6109, HFR 2000, 762). Nach den Feststellungen des FG war dies nämlich der Fall, da die Klägerin die Vermietungsumsätze in den Niederlanden der Besteuerung unterwarf.

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