BFH

BFHIII R 8/0023.5.2002

Amtlicher Leitsatz:

Wird einem Fuhrunternehmer durch einen angestellten Fahrer die Mitbenutzung eines Raumes in dessen Privatwohnung ohne vertragliche Grundlage gestattet, so fehlt es an der für die Annahme einer Betriebsstätte unerlässlichen mindestens allgemein-rechtlichen Absicherung einer nicht nur vorübergehenden, unbestrittenen Verfügungsmacht des Unternehmers bezüglich dieses Raumes.

Normen

§ 12 S. 1 AO 1977
§ 2 S. 1 Nr. 1 InvZulG 1991

FG Hessen - 13 K 3423/98

 

Gründe

I.

Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) in den Streitjahren 1991 und 1992 im Fördergebiet Betriebsstätten unterhalten hat.

Der Kläger betreibt seit 1989 in der Rechtsform eines Einzelunternehmens einen Fuhrbetrieb (Transport von Sand, Kies und Basalt) mit dem Schwerpunkt im Nahverkehr in X. Am 19. Februar 1991 meldete er beim Landkreis Y/Thüringen mit Wirkung zum 15. Februar 1991 einen selbständigen Fuhrbetrieb für den Nahverkehr unter der Anschrift Z an. Nach dessen Abmeldung zum 22. Juni 1993 meldete er den Betrieb am selben Tag unter der Anschrift . . . Straße . . . in Y/Thüringen erneut an.

In den Kalenderjahren 1991 und 1992 erwarb der Kläger mehrere Transportfahrzeuge nebst Zubehör, die er dem Betrieb in Z zuordnete. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die hierfür beantragte Investitionszulage zunächst antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für 1991 auf 30 652 DM und für 1992 auf 37 784 DM fest.

Im Anschluss an eine im Jahr 1996 durchgeführte Außenprüfung gelangte das FA zu der Auffassung, der Kläger habe im Beitrittsgebiet keine Betriebsstätten unterhalten, so dass ihm keine Investitionszulage zu gewähren sei. Der Prüfer hatte folgenden Sachverhalt ermittelt:

Der zum Büro erklärte Raum in Z befand sich in einem Nebengebäude der Pension O. Zum Nachweis von Mietzahlungen legte der Kläger eine Quittung über einen Betrag von 250 DM für den Zeitraum Mai bis September 1991 vor, ferner eine schriftliche Bestätigung der Pension O vom 23. August 1996, nach der dem Kläger von 1991 bis 1993 ein Büroraum zur Verfügung gestellt worden sei. Teilweise sei dies kostenlos geschehen, da der Kläger für einen Umbau Baumaterial geliefert habe. Ein beantragter Telefonanschluss war nicht eingerichtet worden. Der Kläger beschäftigte in Z kein Personal. Die in den Briefkasten eingelegte Post entnahm der Kläger jeweils selbst zur Bearbeitung.

Laut schriftlicher Bestätigungen eines Fahrers des Klägers, Herrn B, vom 23. August 1996 und vom 13. Juni 1998 hat dieser dem Kläger in seiner Privatwohnung in Y unentgeltlich einen Büroraum zur Verfügung gestellt und an seiner Haustür ein Firmenschild angebracht. Der Fahrer soll Aufträge entgegengenommen und an die Firma T weitergeleitet haben. In dem Raum befand sich ein vom Kläger als Geschäftsanschluss beantragtes Telefon, an dessen Kosten sich der Kläger beteiligt hat. Die Telefonnummer war mit dem Zusatz "T- Fuhrbetrieb" in einem regionalen Firmenverzeichnis aufgelistet.

Das FA hob die Zulagenbescheide für 1991 und 1992 auf und setzte die Zulage auf Null DM sowie Zinsen auf die Rückzahlungsbeträge fest.

Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 530 veröffentlichtem Urteil der Klage statt.

Das FA rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts (§ 12 der Abgabenordnung --AO 1977--).

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat zu geringe rechtliche Anforderungen an das Vorliegen einer Betriebsstätte i. S. von § 12 Satz 1 AO 1977 gestellt. Unbeschadet des Vorliegens einer Betriebsstätte in Z hat jedenfalls eine Betriebsstätte in Y/Thüringen nicht bestanden, so dass die 1991 und 1992 angeschafften Wirtschaftsgüter nicht mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte im Fördergebiet gehört haben.

1. Nach § 2 Satz 1 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes 1991 (InvZulG 1991) sind Investitionen --neben weiteren Voraussetzungen-- nur zulagenbegünstigt, wenn die angeschafften neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung zum Anlagevermögen eines Betriebs oder einer Betriebsstätte im Fördergebiet gehören.

a) Die Voraussetzungen für eine Betriebsstätte sind auch für das Zulagenrecht § 12 AO 1977 und der hierzu ergangenen Rechtsprechung zu entnehmen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Juni 2000 III R 9/96, BFHE 192, 363 , BStBl II 2000, 592, m. w. N. ; vom 7. Dezember 2000 III R 49/98, BFH/NV 2001, 911). Danach ist eine Betriebsstätte u. a. dann gegeben, wenn einem Steuerpflichtigen Räume zur ständigen Benutzung zur Verfügung stehen, über die er nicht nur eine vorübergehende Verfügungsmacht besitzt. Der Nutzende muss eine einem Mieter ähnliche Rechtsposition innehaben, die ihm nicht ohne weiteres entzogen oder ohne seine Mitwirkung nicht verändert werden kann. Ob diese Rechtsposition auf einer entgeltlichen oder unentgeltlichen Nutzungsüberlassung beruht, ist hingegen nicht ausschlaggebend. Die Tatsacheninstanz hat dafür sämtliche Umstände des Einzelfalles zu würdigen (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 911); denn für die Beurteilung ist die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten maßgebend. Einzelnen Beweisanzeichen kann je nach Art des Unternehmens und der von diesem ausgeübten Tätigkeit eine unterschiedliche Bedeutung zukommen (BFH-Urteil in BFHE 192, 363 , BStBl II 2000, 592; BFH-Beschluss vom 12. September 2000 III B 48/99, nicht veröffentlicht --NV--, juris).

b) Die Rechtsprechung ist dahin gehend fortentwickelt worden, dass für die Annahme einer Betriebsstätte letztlich entscheidend ist, ob eine bestimmte unternehmerische Tätigkeit in einer Geschäftseinrichtung mit fester örtlicher Bindung ausgeübt wird und sich in der Bindung eine gewisse "Verwurzelung" des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrückt. Aus dem Begriff der Betriebsstätte könne nämlich nicht abgeleitet werden, dass diese "Verwurzelung" notwendigerweise rechtlich abgesichert sein müsse. Vielmehr könne es im Einzelfall genügen, wenn aus tatsächlichen Gründen anzunehmen sei, dass dem Steuerpflichtigen ein bestimmter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung gestellt und seine Verfügungsmacht darüber nicht bestritten werde (BFH-Urteil vom 3. Februar 1993 I R 80-81/91, BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462, unter II. C. 3. e der Gründe, m. w. N. ; BFH-Beschluss vom 10. November 1998 I B 80/97, BFH/NV 1999, 665).

c) Die bloße Mitbenutzung von Räumen und Einrichtungen begründet indes für sich genommen noch keine Betriebsstätte (BFH-Urteil in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462, unter II. C. 3. e der Gründe, m. w. N. ). Insbesondere bei einem auch privat genutzten Raum, der Teil einer Wohnung ist, kann der Schluss gerechtfertigt sein, dass anderen Mitarbeitern des den Raum nutzenden Unternehmers nicht jederzeit uneingeschränkt Zutritt zu dem Raum gestattet werden würde (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 665).

2. In Anwendung dieser Maßstäbe kann nach den vom FG getroffenen und mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen jedenfalls der in der Privatwohnung eines Fahrers des Klägers in Y vom Kläger mitgenutzte Raum nicht als Betriebsstätte i. S. von § 12 Satz 1 AO 1977 qualifiziert werden.

Auch unter Berücksichtigung der vom BFH fortentwickelten Rechtsprechung zu dem Merkmal der Verfügungsmacht des Unternehmers über den genutzten Raum sind die Voraussetzungen dafür im Streitfall nicht erfüllt. Der Fahrer des Klägers hat zwar die --kostenlose-- Überlassung des Raums in zwei Bescheinigungen vom 23. August 1996 und vom 13. Juni 1998 bestätigt. Diese tatsächliche Nutzungsüberlassung beruhte indes nicht auf einer ausreichenden rechtlichen Absicherung.

Der BFH hat es zwar im Urteil in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462 im Einzelfall als entbehrlich angesehen, dass die Zurverfügungstellung eines Raumes auf einem speziellen Vertrag beruht und stattdessen eine nur allgemeine rechtliche Absicherung zur Annahme einer Betriebsstätte genügen lassen, wenn aus tatsächlichen Gründen anzunehmen sei, dass dem Steuerpflichtigen zumindest ein bestimmter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung gestanden habe und seine Verfügungsmacht darüber auch nicht bestritten werde (im Ergebnis ebenso BFH-Urteil vom 13. September 2000 X R 174/96, BFHE 194, 222 , BStBl II 2001, 734, unter II. 1. b der Gründe, m. w. N. ; ferner BFH-Beschluss vom 19. Februar 1999 III B 99/98, BFH/NV 1999, 971, unter 1. der Gründe).

In dem in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462 entschiedenen Fall waren indes in den zunächst auf 20 Jahre abgeschlossenen Betriebsführungs- und Managementverträgen konkret Nutzungsrechte sowie im Hotel selbst zu erbringende umfassende Leistungen vereinbart worden. Daraus hatte der BFH abgeleitet, dass damit zugleich die Zurverfügungstellung von Arbeitsräumen an den General Manager auf Dauer fest versprochen war.

Im Streitfall leitet das FG hingegen allein aus dem Umstand eines beruflichen Abhängigkeitsverhältnisses und aus dem Bezug eines höheren Gehaltes des Fahrers B im Vergleich zu den übrigen Fahrern eine ausreichend abgesicherte Nutzungsbefugnis des Klägers ab. Jedoch besteht insoweit keinerlei rechtliche Absicherung, deren Inhalt aufgrund der Gesamtumstände den Schluss darauf zuließe, dass ein einseitiger Entzug des Raumes gegen den Willen des Klägers faktisch unmöglich erschiene. Das FG hat selbst nicht festgestellt, dass der Arbeitsvertrag zwischen dem Fahrer B und dem Kläger irgendwelche Anhaltspunkte für eine Verpflichtung zur Nutzungsüberlassung des Raumes enthielt. Es wäre im Übrigen auch nach der Art der Tätigkeit und der dienstlichen Stellung eines angestellten LKW-Fahrers im Nahverkehr ungewöhnlich, wenn ein solcher Fahrer verpflichtet wäre, in seiner nicht von dem Unternehmer angemieteten Privatwohnung einen Raum zur geschäftlichen Mitbenutzung durch den Unternehmer zu überlassen.

In dem Beschluss in BFH/NV 1999, 665 hat der BFH sogar in einem Fall, in dem Gebietsleiter arbeitsvertraglich ausdrücklich verpflichtet waren, bestimmte Räume der Unternehmerin nicht nur vorübergehend für die gewerbliche Benutzung als Regionalbüros zur Verfügung zu stellen, die Verfügungsmacht deshalb nicht als unbestritten angesehen, weil die Räume Teil der Wohnungen der Gebietsleiter waren und von ihnen auch privat benutzt werden konnten. Deshalb war der Schluss gerechtfertigt, dass die Gebietsleiter anderen Mitarbeitern der Unternehmerin nicht jederzeit uneingeschränkt Zutritt zu den Räumen gestattet hätten.

Allein die vom Kläger im Streitfall behauptete Abgeltung der Bereitstellung des Büroraumes durch ein höheres Gehalt vermag die notwendige, mindestens allgemeine rechtliche Absicherung der Verfügungsmacht nicht zu ersetzen. Abgesehen davon sind das Bestehen eines Arbeitsvertrages zwischen dem Fahrer B und dem Kläger und vor allem dessen genauer Inhalt nicht festgestellt worden. Auch steht die vom FG seiner Würdigung zugrunde gelegte Behauptung des Klägers in klarem Widerspruch zu den zweimaligen schriftlichen Bestätigungen des Fahrers B, der Raum sei kostenlos überlassen worden.

3. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen. Fehlte es spätestens ab dem 22. Juni 1993 an einer Betriebsstätte im Fördergebiet, so ist die mindestens durchgängige dreijährige Zugehörigkeit der 1991 und 1992 vom Kläger angeschafften Wirtschaftsgüter zu einer Betriebsstätte im Fördergebiet i. S. von § 2 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1991 nicht gewahrt und damit eine Voraussetzung für die Gewährung der Investitionszulage nicht erfüllt.

Der Senat braucht daher weder zu prüfen, ob das FG hinsichtlich des angemieteten Raums in Z die Voraussetzungen für die Annahme einer Betriebsstätte zu Recht angenommen hat, noch zu entscheiden, welcher Betriebsstätte dann die Wirtschaftsgüter zulagenrechtlich zuzuordnen wären (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 192, 363 , BStBl II 2000, 592, m. w. N. ; in BFH/NV 2001, 911).

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