Normen
§ 3 Abs. 3 UStG 1991/1993
§ 3 Abs. 11 UStG 1991/1993
§ 4 UStG 1991/1993
Art. 6 Abs. 4 Richtlinie 77/388/EWG
Art. 28 Abs. 3 Buchst. e Richtlinie 77/388/EWG
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, erzielte in den Streitjahren 1992 bis 1995 Provisionseinnahmen durch die Anlage von Geldern ausländischer Geldgeber bei inländischen Banken. Die Klägerin legte die ihr von den ausländischen Firmen zur Verfügung gestellten Geldbeträge im eigenen Namen bei inländischen Banken als Termingelder an. Für jeden Auftraggeber wurde ein eigenes Konto angelegt. Die Klägerin erhielt von den ausländischen Treugebern ein Entgelt in Höhe einer Zinsmarge.
Dem lagen Treuhandverträge zugrunde, die die Klägerin mit den Geldgebern abgeschlossen hatte. Danach sollte die Klägerin nach außen --im Verhältnis zu den inländischen Banken-- als Treuhänderin wie eine Eigentümerin des Treuguts auftreten und im Innenverhältnis das Treugut im Interesse der Treugeber verwalten. Die Klägerin war verpflichtet, ihre Rechte und Pflichten als treuhänderische Kontoinhaberin nach Anweisungen der Treugeber auszuüben bzw. zu erfüllen; für den Fall, dass die Treugeber keine Anweisungen erteilten, sollte sie in deren Interesse handeln. Die Klägerin war weiterhin gegenüber den Treugebern zur Rechnungslegung und Auskunftserteilung sowie --nach Aufforderung des Treugebers-- zur Herausgabe dessen verpflichtet, was sie aufgrund des Treuhandverhältnisses erlangte. Außerdem trat die Klägerin in den Treuhandverträgen die durch die Treuhandtätigkeit bei den inländischen Banken auf ihren Namen lautenden Guthaben nebst Zinsansprüchen an den jeweiligen Treugeber ab. Für ihre Treuhandtätigkeit sollte sie von den Treugebern ein angemessenes Entgelt erhalten, dessen Höhe aufgrund besonderer Vereinbarungen in jedem Einzelfall gesondert ausgehandelt werden sollte.
Die Klägerin behandelte in ihren Umsatzsteuererklärungen die ihr aus der Treuhandtätigkeit erzielten Erlöse als steuerfrei, da sie die Auffassung vertrat, sie sei als verdeckter Kreditvermittler oder Kreditverwalter tätig geworden, so dass die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1991 und 1993 (UStG) eingreife.
Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung die Auffassung, die Treuhandtätigkeit sei eine steuerpflichtige Vermögensverwaltung für die Treugeber gewesen (Umsatzsteuerbescheide für 1992 und 1993 vom 14. Februar 1995; Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juni 1994 vom 10. Februar 1995; Bescheid über Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung für das Kalenderjahr 1995 vom 23. März 1995).
Die Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 1992 und 1993 und den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Juni 1994 sowie den Bescheid über Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung für das Kalenderjahr 1995 hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidungen vom 14. Dezember 1995). Während des anschließenden Klageverfahrens (Az. des Finanzgerichts --FG-- 5 K 159/96 U) ergingen die Umsatzsteuerbescheide für 1994 (vom 27. Dezember 1995) und 1995 (vom 21. Februar 1997), in denen das FA die Treuhandumsätze ebenfalls als steuerpflichtig behandelte. Die Klägerin machte daraufhin den Umsatzsteuerbescheid für 1994 zum Gegenstand der Klage 5 K 159/96 U und erhob gegen den Umsatzsteuerbescheid 1995 Sprungklage (Az. des FG 5 K 1621/97 U). Gleichzeitig beantragte sie nicht mehr die Aufhebung des --durch den Jahresbescheid für 1995 erledigten-- Bescheids über die Sondervorauszahlung, sondern die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit, da nur so geklärt werden könne, ob das FA im Zusammenhang mit diesem Bescheid Aussetzungszinsen gemäß § 237 der Abgabenordnung (AO 1977) habe festsetzen dürfen.
Die Klagen hatten in vollem Umfang Erfolg, da das FG unter Berufung auf § 3 Abs. 3 UStG (Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--) eine Leistungskommission annahm; das Urteil 5 K 159/96 U ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 830 veröffentlicht.
Hiergegen wendet sich das FA mit den vorliegenden Revisionen.
Seines Erachtens verstoßen die Vorentscheidungen gegen § 3 Abs. 3 und Abs. 11 UStG. In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH), auf die sich das FG gestützt habe (richtig: Urteil vom 7. Oktober 1999 V R 79, 80/98, BFHE 190, 235), sei die Vorschrift des Art. 28 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG übersehen worden; danach könnten die Mitgliedstaaten von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Regelungen weiterhin anwenden. Im Übrigen liege auch gar keine Leistungskommission gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG vor, denn die Leistungskommission setze grundsätzlich zwei gleichgerichtete Leistungen voraus. Hieran fehle es im Streitfall. Die Klägerin habe sich nämlich nicht darauf beschränkt, die ihr anvertrauten Gelder steuerfrei anzulegen, vielmehr habe sie Vermögen der Treugeber entgegen den Bestimmungen der Heimatländer der Treugeber im Inland "versteckt". Das erkläre auch die Provision von 0, 5 % des Darlehensbetrags, die doppelt so hoch sei, wie andere Provisionen für Treuhandkredite.
Schließlich rügt das FA auch, das FG habe den "Antrag" vom 1. April 1997 übersehen, zu entscheiden, ob es (das FA) zur Gewährung der beantragten Dauerfristverlängerung berechtigt gewesen sei, die Sondervorauszahlung festzusetzen.
Das FA beantragt, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin ist den Revisionen entgegengetreten.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es bekräftigt den Vortrag des FA, dass eine Besorgung i. S. des § 3 Abs. 11 UStG nur vorliege, wenn ein Unternehmer im eigenen Namen für Rechnung eines anderen Leistungen, die er selbst nicht schulde, durch einen Dritten erbringen lasse (sog. Leistungseinkauf), nicht aber wenn er Leistungen für Rechnung eines anderen im eigenen Namen erbringe (sog. Leistungsverkauf). Insoweit habe die Bundesrepublik Deutschland von ihrem in Art. 28 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG verbrieften Recht Gebrauch gemacht, ihre von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG abweichenden Vorschriften weiter anzuwenden.
II.
1. Die Verbindung der Revisionen beruht auf § 73 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
2. Die Revisionen sind unbegründet.
a) Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den Treuhandgeldern keine steuerpflichtigen Leistungen erbracht hat.
b) Ihre Umsätze gegenüber den Banken sind steuerfrei; dabei kann dahinstehen ob eine steuerfreie Kreditgewährung (§ 4 Nr. 8 Buchst. a UStG) oder ein steuerfreier Umsatz im Einlagengeschäft (§ 4 Nr. 8 Buchst. d UStG) vorliegt.
c) Das FG hat auch zutreffend einen steuerpflichtigen Umsatz der Klägerin an die Treugeber verneint, da eine Besorgungsleistung i. S. des § 3 Abs. 11 UStG vorliegt.
Nach dieser Vorschrift sind die für die für besorgte Leistungen geltenden Vorschriften auf die Besorgungsleistungen entsprechend anzuwenden, wenn ein Unternehmer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen eine sonstige Leistung besorgt.
aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
Die Klägerin hat für die Treugeber deren Gelder im eigenen Namen bei inländischen Banken angelegt. Sie hat damit für die Treugeber die o. g. Geschäfte (Kreditgewährung oder Einlagen) besorgt.
Entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung (Abschn. 32 Abs. 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR--) findet die Vorschrift des § 3 Abs. 11 UStG nicht nur auf Geschäftsbesorgungen Anwendung, bei denen der Geschäftsbesorger für Rechnung seines Auftraggebers Leistungen bezieht (sog. Leistungseinkauf), sondern auch auf Geschäftsbesorgungen, bei denen der Geschäftsbesorger für Rechnung seines Auftraggebers Leistungen ausführt (sog. Leistungsverkauf).
Auch im Bürgerlichen Recht ist der Begriff "Geschäftsbesorgung" nicht auf den "Einkauf von Leistungen" beschränkt, sondern meint jedwedes Geschäft, das für einen anderen besorgt wird (vgl. §§ 675 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--).
So versteht auch die österreichische Finanzverwaltung den Begriff "besorgen", worauf die Klägerin zutreffend in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat. Zu § 3a Abs. 4 S. 1 des österreichischen UStG, der dem § 3 Abs. 11 des deutschen UStG entspricht, heißt es in den österreichischen Umsatzsteuer-Richtlinien: "Ein Besorgen liegt vor, wenn ein Unternehmer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen Leistungen durch einen Dritten erbringen lässt oder wenn ein Unternehmer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen Leistungen an Dritte erbringt. "
Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift folgt nichts anderes. Die durch das UStG 1980 eingeführte Neuregelung des § 3 Abs. 11 UStG ist an die Stelle des § 3 Abs. 11 UStG 1973 getreten. Nach § 3 Abs. 11 UStG S. 1 UStG 1973 galt die Besorgung von Beförderungen als im Ausland ausgeführt, wenn die besorgten Leistungen im Ausland bewirkt wurden. Statt dessen bestimmt § 3 Abs. 11 UStG 1980 ff. ganz allgemein: "Besorgt ein Unternehmer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen eine sonstige Leistung, so sind die für die für besorgten Leistungen geltenden Vorschriften auf die Besorgungsleistungen entsprechend anzuwenden. "
Die Gesetzesbegründung (BTDrucks 8/1779 vom 5. Mai 1978 und BRDrucks 145/78 vom 15. März 1978) lautet: "Mit dieser Neuregelung wird eine Gleichstellung der Besorgungsleistungen mit den besorgten Leistungen herbeigeführt. Dadurch wird z. B. sichergestellt, dass die Steuerbefreiungen des § 4 Nr. 2, § 8 und des § 4 Nr. 3 auch für die Besorgung der dort bezeichneten Leistungen in Betracht kommen, ohne dass dies in den Befreiungsvorschriften ausdrücklich erwähnt wird. "
Dafür, dass die Neuregelung trotz ihrer allgemeinen Formulierung nicht den sog. Leistungsverkauf erfassen sollte, gibt es keine Anhaltspunkte.
Nach den Feststellungen des FG sind die Vereinbarungen zwischen den Treugebern und der Klägerin im Streitfall als Geschäftsbesorgungsvertrag zu qualifizieren. Hieran ändert sich selbst dann nichts, wenn die vereinbarte Geldanlage gegen die Devisenbestimmungen der Heimatländer der Treugeber verstoßen sollte.
bb) In den Fällen des § 3 Abs. 11 UStG sind die für die für besorgten Leistungen geltenden Vorschriften auf die Besorgungsleistungen entsprechend anzuwenden.
Nach der neueren Rechtsprechung des Senats entspricht § 3 Abs. 11 UStG hinsichtlich des zu erreichenden Ziels (vgl. Art. 249 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EG--) den Vorgaben des Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG (BFH-Urteile vom 7. Oktober 1999 V R 79, 80/98, BFHE 190, 235, und vom 25. Mai 2000 V R 66/99, BFH/NV 2000, 1318). Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG betrifft die sog. Leistungskommission; nach dieser Bestimmung sind Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Dritten tätig werden, so zu behandeln, als ob sie diese Dienstleistung selbst erhalten und erbracht hätten. Der Senat hat in richtlinienkonformer Auslegung des Umsatzsteuergesetzes den Rechtsgedanken des § 3 Abs. 3 UStG auch auf die Leistungskommission ausgedehnt.
Für den Streitfall bedeutet dies: Die Klägerin (Treuhänderin) ist so zu behandeln, als ob sie ihre Umsätze an die Banken (vgl. oben unter b) von den Treugebern selbst erhalten hätte, als ob also die Treugeber ihr Kredite gewährt oder ihr gegenüber Umsätze im Einlagengeschäft ausgeführt hätten. Da die Umsätze der Klägerin an die Banken (die besorgten Leistungen) steuerfrei sind, gilt dasselbe für die entsprechenden (fingierten) Umsätze der Treugeber ihr gegenüber.
Gegen diese Rechtsprechung wird eingewandt, sie überschreite die Grenzen einer richtlinienkonformen Auslegung des Gesetzes. § 3 Abs. 11 UStG ordne lediglich an, dass die für die besorgte Leistung geltenden Vorschriften (z. B. Steuerbefreiungsvorschriften) auf die Besorgungsleistung entsprechend anzuwenden seien, fingiere aber an Stelle der Geschäftsbesorgungsleistung des Geschäftsbesorgers (Kommissionärs) an den Auftraggeber (Kommittenten) keine Leistung des Kommittenten an den Kommissionär, wenn dieser für Rechnung des Auftraggebers eine Leistung an Dritte erbringe; die Rechtsfolgen des § 3 Abs. 3 UStG könnten nicht analog auf die Leistungskommission angewandt werden (Heidner, Umsatzsteuer-Rundschau 2001, 517).
Es ist einzuräumen, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG berechtigt sind, von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG abweichende Vorschriften während der in Art. 28 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG genannten Übergangszeit weiterhin anzuwenden. Der Senat braucht nicht im Einzelnen darauf einzugehen, welche Bedeutung diese Vorschrift für die Auslegung der zu Beginn der Übergangszeit (dem 1. Januar 1978) bereits bestehenden Vorschrift des § 3 Abs. 3 UStG und der seit dem 1. Januar 1980 in Kraft getretenen Vorschrift des § 3 Abs. 11 UStG hat. Er teilt jedenfalls nicht die Auffassung, dass er die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung verlässt, wenn er § 3 Abs. 3 und Abs. 11 UStG entsprechend den Vorgaben des Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG auslegt.
Im Übrigen sind die streitigen Rechtsfolgen nicht entscheidungserheblich. In jedem Fall ist nämlich die Besorgungsleistung gemäß § 3 Abs. 11 UStG (i. V. m. § 4 Nr. 8 Buchst. a oder d UStG) steuerfrei und dementsprechend vom FA zu Unrecht besteuert worden.
d) Schließlich ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass auch nach Ergehen des Umsatzsteuerjahresbescheides für 1995 ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheides besteht, wenn wegen dessen Vollziehungsaussetzung die Klägerin befürchten muss, mit Aussetzungszinsen in Anspruch genommen zu werden, obwohl seiner Meinung nach die Festsetzung der Vorauszahlungen rechtswidrig war (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 10. Februar 1988 X R 38/82, BFH/NV 1988, 604, und vom 1. Oktober 1992 V R 81/89, BFHE 169, 117, BStBl II 1993, 120). Der Ansicht des FA, dass ein Unternehmer, der Dauerfristverlängerung in Anspruch nimmt, die vom FA festgesetzte Sondervorauszahlung hinnehmen muss, wenn sie aus der Sicht des FA zutreffend berechnet wurde (vgl. Schriftsatz des FA vom 1. April 1997), kann sich der Senat nicht anschließen.