Normen
§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG 1993
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, ist auf dem Gebiet der Steuerberatung tätig. Gesellschafter der Klägerin sind Steuerberater und eine Steuerberatungs-GmbH; auch die Geschäftsführer der Klägerin sind Steuerberater. Im Jahre 1995 hatte sie Umsätze von über 1 000 000 DM erzielt; von der Buchführungspflicht ist sie nicht befreit.
Die Klägerin beantragte im Jahre 1996, ihr zu gestatten, die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Sie stützte ihren Antrag auf § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) mit der Begründung, daß sie bzw. ihre Geschäftsführer eine Tätigkeit als Angehörige eines freien Berufes i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausübten.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte den Antrag ab. Die anschließende Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete das FA, der Klägerin zu gestatten, die Umsätze nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG zu berechnen. Es leitet dieses Recht aus dem Grundsatz der Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer ab und sieht den Zweck des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG weniger in der Schaffung buchtechnischer Erleichterungen als in der Verschaffung eines Finanzierungsvorteils. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1371 veröffentlicht.
Das FA wendet sich mit der Revision gegen das Urteil. Es meint, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG seien nicht erfüllt.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung.
Entgegen der Ansicht des FG wird die Klägerin von dem Tatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG nicht erfaßt. Die Vorschrift setzt voraus, daß ein Unternehmer Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufes i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausführt. Die selbständige Berufstätigkeit der Steuerberater ist zwar eine freiberufliche Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Gleichwohl ist eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH keine Angehörige eines freien Berufs; sie übt demzufolge keine Tätigkeit als Angehörige eines freien Berufs aus; ihre Tätigkeit gilt vielmehr stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes).
Daß eine Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG fällt, zeigt auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift.
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1967/1973 konnte das FA auf Antrag gestatten, daß ein Unternehmer, der von der Verpflichtung, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, nach § 161 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung befreit war, die Steuer nicht nach den vereinbarten Entgelten für die ausgeführten Umsätze (Solleinnahmen), sondern nach den vereinnahmten Entgelten (Isteinnahmen) berechnet. Hierunter fielen auch die in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Freiberufler (vgl. Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages vom 30. März 1967 zu BTDrucks V/1581, unter Allgemeines, 6. Vereinfachungsmöglichkeiten; vgl. auch zur weiteren Entwicklung Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 10 Rz. 18), nicht aber Freiberufler-Gesellschaften m. b. H. Der Freiberufler, der seinen Gewinn durch Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung ermittelt und damit nur die "Isteinnahmen" aufzeichnet, sollte nicht gezwungen werden, für umsatzsteuerliche Zwecke auch noch die "Solleinnahmen" aufzuzeichnen. Die Freiberufler-Gesellschaft m. b. H. , die zur Bilanzierung verpflichtet ist (vgl. § 41 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG a. F. --, §§ 264 ff. des Handelsgesetzbuches --HGB--) und deshalb ohnehin die "Solleinnahmen" aufzeichnet, fiel nicht unter die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG 1967/1973.
Um den Freiberuflern auch nach Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) die Möglichkeit der Ist-Besteuerung zu erhalten, wurde die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG durch Art. 17 Nr. 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) in das Umsatzsteuergesetz eingefügt. Eine Ausdehnung der Ist-Besteuerung auf die in § 12 Abs. 2 Nr. 6 Buchst. a UStG 1973 genannten Freiberufler-Gesellschaften (mit "der freiberuflichen Tätigkeit entsprechenden Leistungen") war nicht beabsichtigt. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ist zwar auch dann tatbestandsmäßig erfüllt, wenn der Freiberufler freiwillig seinen Gewinn durch Bestandsvergleich ermittelt und damit auch die "Solleinnahmen" aufzeichnet; gleichwohl sollte dem Freiberufler nur deshalb die Möglichkeit der Ist-Versteuerung eingeräumt werden, weil er nicht gezwungen ist, seinen Gewinn durch Bestandsvergleich zu ermitteln, sondern ihn auch durch Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung ermitteln kann. Es mag sein, daß die Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG den Freiberuflern neben der aufzeichnungsmäßigen Erleichterung einen Liquiditätsvorteil verschaffen soll (so die Vorentscheidung unter Berufung auf Lippross, Umsatzsteuer-Rundschau 1997, 209); hieraus kann aber nicht geschlossen werden, daß dieser Vorteil auch Freiberufler-Gesellschaften zukommen soll, denen die Vorschrift keine Erleichterung ihrer Aufzeichnungspflichten bringen kann.
Es mag auch sein, daß die --seit 1996 geltende-- Vorschrift des § 20 Abs. 2 UStG den dort genannten Gesellschaften in den neuen Bundesländern bis zum Jahre 2004 einen Liquiditätsvorteil verschaffen soll; dies gilt aber nur für die in dieser Vorschrift genannten Gesellschaften mit einem Gesamtumsatz von nicht mehr als 1 000 000 DM, und nicht für die Klägerin, die einen höheren Gesamtumsatz hatte.
Auch die "Rechtsformneutralität" der Umsatzsteuer, die aus dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer hergeleitet wird, gestattet es nicht, die Vorschrift des § 20 UStG auf dort nicht genannte Unternehmer auszudehnen, die ebenfalls in den Genuß des mit dieser Vorschrift verbundenen Liquiditätsvorteils kommen möchten. Der "Rechtsformneutralität" der Umsatzsteuer ist genügt, wenn die Steuerpflichtigen unabhängig davon, ob sie eine Steuerberatungsleistung von einem Steuerberater oder einer Steuerberatungsgesellschaft in Anspruch nehmen, in gleicher Höhe mit Umsatzsteuer belastet werden. Dies ist durch die Vorschriften des § 12 UStG und der Steuerberatergebührenverordnung sichergestellt.
Dem entsprechen die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 4. März 1998 XI R 53/96 (BFHE 185, 305). Nach dieser Entscheidung sind Umsätze aus ambulanter Zahnbehandlung nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei, gleichgültig ob sie von einem freiberuflich tätigen Zahnarzt oder von einer Zahnarztpraxis in Rechtsform einer GmbH ausgeführt werden. Die Umsatzsteuerbelastung des Empfängers zahnärztlicher Leistungen soll nicht davon abhängen, ob die Leistungen von einem selbständig tätigen Zahnarzt oder einer GmbH erbracht werden. Auch die Empfänger der Steuerberatungsleistungen der Klägerin werden nicht mit höherer Umsatzsteuer belastet, als wenn sie die Leistungen von einem freiberuflich tätigen Steuerberater bezogen hätten. Im Streitfall geht es aber nicht um die Umsatzsteuerbelastung des Leistungsempfängers (Verbrauchers), sondern um die den Freiberuflern selbst gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG, Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG eingeräumte Vergünstigung, die Umsatzsteuer erst nach Vereinnahmung des Entgeltes entrichten zu müssen. Diese Vergünstigung knüpft nicht an den Charakter der Umsätze (freiberuflich oder gewerblich) an, sondern an den Umstand, daß Freiberufler ihren Gewinn durch Einnahmen-Ausgaben-Überschußrechnung ermitteln dürfen; sie ist nur verfahrensrechtlicher Art.