Normen
Art. XI Abs. 1 DBA-Großbritannien
Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien
Tatbestand:
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielt als Theaterintendant in Berlin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie als Theater- und Opernregisseur Einkünfte aus selbständiger Arbeit. In dieser Funktion als Regisseur hat er im Streitjahr in Großbritannien Einkünfte von ... DM erzielt. Zwischen ihm und dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) ist streitig, ob - wie der Kläger annimmt - diese Einkünfte steuerfrei und lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind, oder ob - so das FA - sie vollen Umfangs der deutschen Einkommensteuer unterfallen.
Das Finanzgericht (FG) folgte dem Kläger. Es handele sich im Streitfall um Einkünfte nach Art. XI Abs. 6 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26.11.1964 (BGBl II 1966, 359) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23.3.1970 - DBA-Großbritannien - (BGBl I 1971, 46). Danach seien Einkünfte, die berufsmäßige Bühnenkünstler aus ihrer in dieser Eigenschaft persönlich ausgeübten Tätigkeit beziehen, in dem Gebiet zu besteuern, in dem sie die Tätigkeit ausgeübt haben. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 11.4.1990 I R 75/88 (BFHE 160, 513) diese Rechtsauffassung des erkennenden FG-Senats (Urteil vom 17.5.1988 V 416/86, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 460) bestätigt, daß es sich bei Regisseuren um Bühnenkünstler im vorbezeichneten Sinne handele.
Seine dagegen gerichtete Revision begründet das FA - unter Hinweis auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 30.5.1995 IV B 4 - 5 2303 - 64/95 (BStBl I 1995, 337) - mit Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Der Kläger hat in Berlin seinen Wohnsitz und ist damit im Sinne des Abkommens in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ansässig (Art. II Abs. 1 Buchst. h und i DBA-Großbritannien). Er unterliegt in der Bundesrepublik auch mit den Einkünften aus seiner im Streitjahr in Großbritannien ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Gastregisseur der Einkommensteuer.
2. Die fraglichen Einkünfte sind nicht steuerbefreit. Es handelt sich hierbei nicht um Einkünfte, die nach Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien in Großbritannien besteuert werden können.
a) Nach Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien können abweichend von Abs. 1 und 2 der Vorschrift Einkünfte, die berufsmäßige Künstler, wie Bühnen-, Film-, Rundfunk- oder Fernsehkünstler und Musiker, sowie Sportler aus ihrer in dieser Eigenschaft persönlich ausgeübten selbständigen Tätigkeit beziehen, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sie diese Tätigkeit ausüben.
b) Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hat der Kläger die streitige Tätigkeit selbständig in Großbritannien ausgeübt. Ferner ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß diese Tätigkeit als Opernregisseur künstlerisch ist.
c) Entgegen der Auffassung des Klägers gilt Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien allerdings nur für vortragende Künstler, die unmittelbar oder allenfalls mittelbar über die Medien in der Öffentlichkeit oder vor Publikum auftreten. Das Besteuerungsrecht für einen selbständig tätigen Regisseur steht demnach nicht dem Vertragsstaat zu, in dem er seine Tätigkeit ausgeübt hat. Soweit der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 160, 513 für den mit Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien wortgleichen Art. 17 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 11.4.1967 (BGBl II 1969, 18) einen gegenteiligen Standpunkt eingenommen hat, hält er hieran - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung der abkommensrechtlichen Auslegung zu der (ihrerseits mit Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien gleichlautenden) Vorschrift in Art. 17 des OECD-Musterabkommens von 1977 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens und des Vermögens (OECD-MustAbK) - nicht länger fest.
aa) Auch die nunmehrige Auslegung ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem in dem im Abkommen enthaltenen Begriff des "berufsmäßigen Künstlers". Dieser Begriff enthält als solcher keine Beschränkung auf vortragende Künstler, die unmittelbar oder mittelbar über die Medien in der Öffentlichkeit oder vor Publikum auftreten. Sie läßt sich jedoch aus dem Sachzusammenhang der Regelung schließen. Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien enthält lediglich eine beispielhafte Aufzählung von Künstlern: Bühnen-, Film-, Rundfunk- und Fernsehkünstler sowie Musiker. Die Aufzählung einer bestimmten Gruppe von Künstlern als beispielhafte Erläuterung dieses Begriffs im Wortlaut der Vorschrift stellt indes einen Zusammenhang zwischen den Beispielen und dem abstrakten Begriff her (zutreffend Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, 21. Aufl., § 49 EStG Rdnr. 508, m.w.N.; Mody, Die deutsche Besteuerung international tätiger Künstler und Sportler, 1994, S. 79; FW, Internationales Steuerrecht - IStR - 1993, 172; Wassermeyer, IStR 1995, 555). Den beispielhaft aufgeführten Künstlern ist sämtlich zu eigen, daß sie in der genannten Weise unmittelbar oder mittelbar (über die Medien) darstellerisch vor Publikum auftreten, in der Öffentlichkeit selbst in Erscheinung treten und dabei Darbietungen erbringen, welche künstlerischen oder auch unterhaltenden Charakter haben.
Für ein solches Verständnis läßt sich nicht zuletzt der gleichermaßen verbindliche englische Text des Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien anführen. Mit dem dort verwendeten Begriff "public entertainer" sind nur Künstler gemeint, die hauptberuflich unmittelbar vor Publikum auftreten (vgl. Hornby, Oxford Advanced Dictionary of Current English, "entertain" = "public performance"). Im Einklang hiermit hat der Steuerausschuß der OECD im Jahre 1992 den Kommentar zu Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbK um entsprechende Erläuterungen zum Begriff des Künstlers ergänzt. Nach Ziff. 3 Satz 5 dieses Kommentars werden Personen mit verwaltungsmäßiger oder unterstützender Funktion z.B. Kameraleute bei der Filmproduktion, Produzenten, Filmregisseure, Choreographen, technisches Personal, der Begleittroß einer Popgruppe usw.) ausdrücklich von dem Regelungsbereich des Artikels ausgenommen. Daß auch diese Personen im Einzelfall künstlerisch tätig sein können, steht dabei außer Frage. Dies betrifft vor allem den Regisseur, der - in einem weiteren Sinne - zweifellos als Bühnen- oder Filmkünstler anzusehen sein muß. Dies ändert indes nichts daran, daß er kein Bühnen- oder Filmkünstler i.S. des Abkommensrechts ist, weil ihm die unmittelbare darstellerische Aufgabe fehlt, und zwar auch dann, wenn der eigentliche Darsteller sich nach den Anweisungen des Regisseurs zu richten hat und dessen künstlerische Ideen und Vorstellungen auf der Bühne oder im Film umsetzt (Grossmann, Die Besteuerung des Künstlers und Sportlers im internationalen Verhältnis, 1992, S. 53; vgl. auch Bode/Huber/Stählin, Deutsches Steuerrecht 1989, 130, 131; einschränkend insoweit Mody, a.a.O., S. 80: Einbeziehung von Theaterregisseuren als in "indirekt" mittelbarer Weise Mitwirkende).
bb) Dieses einengende Verständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, nämlich eine einkunftsartunabhängige Zuweisung des Besteuerungsrechts für eine bestimmte Berufsgruppe vorzunehmen, deren steuerliche Erfassung im Wohnsitzstaat infolge spezifischer Mobilität und vielfacher Einnahmemöglichkeiten oftmals besonderen praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt ist (Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., Art. 17 Rdnr. 7; Senatsurteil in BFHE 160, 513). Es erweist sich deshalb als sachgerecht, das Besteuerungsrecht dem jeweiligen Quellenstaat vorzubehalten. Damit geht aber einher, den betroffenen Personenkreis nicht zu weit zu fassen und allgemein auf jegliche künstlerischen Berufe auszudehnen, sondern nur auf diejenigen vortragenden Künstler, die im Tätigkeitsstaat in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten. Zwar können vergleichbare praktische Schwierigkeiten auch bei der Besteuerung von Regisseuren, Bühnen- und Maskenbildnern u.a. auftreten. Bei solchen eher im Hintergrund agierenden Künstlern bestehen gemeinhin aber gleichermaßen - nicht anders als im Wohnsitzstaat - auch für die Behörden im Tätigkeitsstaat Schwierigkeiten, die Besteuerung sicherzustellen. Die Ausweitung des betroffenen Personenkreises wäre deshalb nicht gerechtfertigt; sie würde von Sinn und Zweck der Vorschrift nicht getragen.
cc) Ermöglicht Art. XI Abs. 6 DBA-Großbritannien damit aber eine abkommensrechtlich eigenständige Auslegung des Künstlerbegriffs, besteht keine Veranlassung auf deutsches Einkommensteuerrecht und auf das dort gegebene Begriffsverständnis zurückzugreifen (Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O.; Grossmann, a.a.O., S. 58).
3. Die Vorinstanz hat - dem Urteil des Senats in BFHE 160, 513 folgend - seiner Entscheidung eine abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Ihr Urteil war deshalb aufzuheben. Die spruchreife Klage war abzuweisen.