BFH

BFHI R 78/9517.4.1996

Amtlicher Leitsatz:

1. Fließen einem Steuerpflichtigen, der im Laufe eines Kalenderjahres vom Inland ins Ausland zieht, in der Zeit seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht Dividenden zu, so kann er mit den Dividenden in Zusammenhang stehende Werbungskosten, die während der Zeit seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht anfallen, nicht einkunftsmindernd berücksichtigen.

2. Ein Antrag nach § 50 IV S. 1 EStG i. d. F. des Grenzpendlergesetzes kann im Revisionsverfahren nicht mehr gestellt werden.

Normen

§ 11 EStG
§ 50 Abs. 4 EStG

 

Tatbestand:

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der am 12. September 1981 seinen Wohnsitz aus dem Inland in die Schweiz verlegte, hatte von seinem Vater 1972 aufgrund eines Schenkungsvertrages einen Anteil an der X-OHG erhalten. Die OHG-Anteile wurden im selben Jahr in eine GmbH eingebracht. Einer vertraglichen Verpflichtung entsprechend räumte der Kläger seinem Vater 1973 den Nießbrauch am Gewinnstammrecht der GmbH-Anteile ein. Am 16. Januar 1981 "verkaufte und übertrug" der Vater sein Nießbrauchsrecht auf den Kläger gegen einen Kaufpreis, der in zehn Jahresraten, jeweils zum Ende eines Kalenderjahres, zu zahlen war. Die jeweils verbleibende Restschuld war mit 2 % über dem Diskontsatz jährlich zu verzinsen. Die Zinsen wurden zugleich mit den Kaufpreisraten fällig und gezahlt.

Der Kläger gab für das Streitjahr 1981 zwei Steuererklärungen ab. Für die Zeit seiner unbeschränkten Steuerpflicht wies er Dividenden aus einer Gewinnausschüttung der GmbH am 3. Juli 1981 aus. Ferner machte er für diesen Zeitraum die aufgrund des Vertrages vom 16. Januar 1981 zu zahlenden Schuldzinsen in Höhe von ... DM als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen geltend. Für die Zeit ab dem 12. September 1981 erklärte der Kläger keine Einkünfte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nur in Höhe des Werbungskostenpauschbetrages an.

Hiergegen erhob der Kläger Klage, mit der er begehrte - entgegen dem Abflußprinzip -, den Teil der Schuldzinsen, die rechnerisch auf die Zeit bis zum 12. September 1981 angefallen waren, bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen als nachträgliche Werbungskosten zu berücksichtigen. Die Klage hatte keinen Erfolg (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1995, 872).

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und beantragt unter Aufhebung des Finanzgerichtsurteils und in Abänderung des Einkommensteueränderungsbescheides 1981 die im Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht zugeflossenen Einkünfte aus Kapitalvermögen, gekürzt um Werbungskosten in Höhe von ... DM, der Besteuerung zugrunde zu legen, hilfsweise den Abzug der Schuldzinsen im Zusammenhang mit dem durch den Wohnsitzwechsel ausgelösten fiktiven Veräußerungsgewinn nach § 21 Abs. 1 Satz 2 des Umwandlungs-Steuergesetzes (UmwStG) zuzulassen; hilfsweise die Schuldzinsen gemäß § 50 Abs. 2 EStG zum Ausgleich zu bringen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Bei einem Wechsel von unbeschränkter zu beschränkter Einkommensteuerpflicht und umgekehrt während eines Kalenderjahres sind zwei Einkommen zu ermitteln.

Grundsätzlich sind die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer, d. h. die Einkünfte, der Gesamtbetrag der Einkünfte und das zu versteuernde Einkommen jeweils für ein Kalenderjahr zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Satz 2 EStG). Besteht die unbeschränkte oder beschränkte Einkommensteuerpflicht - wie im Streitfall - nicht jeweils während eines ganzen Kalenderjahres, so tritt an die Stelle des Kalenderjahres der Zeitraum der jeweiligen beschränkten oder unbeschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG). Aus dem Zusammenwirken der Sätze 2 und 3 des § 2 Abs. 7 EStG folgt, daß die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer für den Zeitraum der jeweiligen Einkommensteuerpflicht zu ermitteln sind. So werden, bezogen auf den Streitfall, zwei getrennte Gesamtbeträge der Einkünfte bzw. Einkommen ermittelt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. Mai 1995 I R 163/94, BFH/NV 1996, 310, Internationales Steuerrecht 1995, 536; BFH-Beschluß vom 16. März 1994 I B 155/93, BFH/NV 1994, 852; Gesetzesbegründung zum dritten Steuerreformgesetz - StRG - BTDrucks 7/1470 S. 239).

2. Von dieser Aufspaltung eines Kalenderjahres in mehrere Steuerbemessungszeiträume abgesehen, gelten für die Ermittlung der jeweiligen Besteuerungsgrundlagen die allgemeinen Einkommensermittlungsgrundsätze, d. h. für Einkünfte nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG u. a. auch das Zufluß- und Abflußprinzip des § 11 EStG (vgl. Kirchhof in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 2 H 46; Raupach/Schencking in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 2 EStG Rdnr. 629; Handzik/Hellwig in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 2 EStG Rdnr. 201). In diesem Sinne hat der Senat im Urteil vom 22. Januar 1992 I R 55/90 (BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550) bei vergleichbarem Rechtsproblem entschieden, daß für die Abzugsfähigkeit von Sonderausgaben der Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung maßgeblich ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 6. April 1984 VI R 162/81, BFHE 141, 136, BStBl II 1984, 587). Für den Zeitpunkt des Abzugs von Werbungskosten gilt nichts anderes (vgl. hierzu auch BFH in BFHE 167, 58, BStBl II 1992, 550, m. w. N.).

3. Auch für den Wechsel von unbeschränkter zu beschränkter Einkommensteuerpflicht während eines Kalenderjahres gilt nichts besonderes. § 11 EStG macht insoweit keinen Unterschied. Eine hiervon abweichende ausdrückliche gesetzliche Regelung, wie sie z. B. in § 23 Abs. 4 EStG vorgesehen ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 17. Juli 1991 X R 6/91, BFHE 165, 85, BStBl II 1991, 916) oder sich aus der gesetzlichen Definition des Besteuerungsgegenstandes (vgl. z. B. zu § 16 Abs. 2 EStG Beschluß des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteil vom 6. Oktober 1993 I R 97/92, BFHE 173, 47, BStBl II 1994, 287) oder zwangsläufig aus der Art einmaliger Leistungen i. S. des § 22 Nr. 3 EStG ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 91/90, BFHE 168, 272, BStBl II 1992, 1017), fehlt für den Wechsel von unbeschränkter zu beschränkter Steuerpflicht und umgekehrt.

Eine Abweichung ergibt sich - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Abgesehen davon, daß dieser Grundsatz nicht dagegen spricht, die Leistungsfähigkeit auf den jeweils zu beurteilenden Einkommensermittlungszeitraum (hier: 1. Januar 1981 bis 11. September 1981) zu beziehen, ist er keine dem geschriebenen Gesetz (hier: § 11 EStG) vorrangige Norm, sondern Maßstab für die Gesetzesauslegung, ggf. auch für die Anwendung von Billigkeitsmaßnahmen (§ 163 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Dies verdeutlicht für Fälle der vorliegenden Art insbesondere § 50 Abs. 5 EStG, wonach die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug unterliegen (hier: § 43 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) durch den Steuerabzug als abgegolten gilt. Da danach die Berücksichtigung von Werbungskosten bei kapitalertragsteuerpflichtigen Einkünften für die Zeit der beschränkten Steuerpflicht kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, ist insoweit das Nettoprinzip und damit das Prinzip der Leistungsfähigkeit normativ eingeschränkt.

Auch der Grundsatz der Steuergerechtigkeit (Art. 3 des Grundgesetzes) ist nicht verletzt. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang auf die Berücksichtigung von Veräußerungskosten bei Veräußerungsgewinnen und auf die Rechtsprechung zu § 22 Nr. 3 EStG verweist, bleibt darauf hinzuweisen, daß es sich jeweils um einmalige Besteuerungsvorgänge handelt und die Sachlage mit den laufend fließenden Einnahmen und Ausgaben aus Kapitalvermögen nicht vergleichbar ist. Hinzu kommt, daß - im Gegensatz zu den einmaligen Besteuerungsvorgängen - die für den Kläger nachteilige Rechtsfolge sich auch zugunsten der Steuerpflichtigen auswirken kann, so z. B. wenn ein unbeschränkt Steuerpflichtiger ein ungesichertes verzinsliches Darlehen gewährt und nach Wegzug aus dem Inland die vereinbarungsgemäß jährlich zu zahlenden Zinsen anfallen. Auch wenn ein beschränkt Steuerpflichtiger, der während der Zeit seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht aus dem Inland Dividenden bezogen hat und nach Zuzug in das Inland Refinanzierungskosten für die Gesellschaftsanteile zu zahlen hat, kann sich das Abflußprinzip nach § 11 Abs. 2 EStG zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, da eine zeitliche Aufteilung der Ausgaben nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Verursachung ausscheidet.

Im übrigen ist der Grundsatz der wirtschaftlichen Verursachung kein dem Abfluß- oder Zuflußprinzip vorrangiges Prinzip. Er dient der sachlichen Verknüpfung von wirtschaftlich zusammengehörenden Einnahmen und Ausgaben und ist im Vergleich zum Abfluß-/Zuflußprinzip, das den Zeitpunkt ihrer steuerlichen Erfassung regelt, ein aliud. Der Senat vermag daher der von Schmidt/Heinicke (Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 49 Rdnr. 8) vertretenen Auffassung nicht zuzustimmen.

4. Die streitigen Schuldzinsen können auch nicht den fiktiven Veräußerungsgewinn nach § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG, den das FA zur Besteuerung im Streitjahr herangezogen hatte, mindern. Veräußerungsgewinn ist nach der vom Gesetz gegebenen Definition der Veräußerungspreis nach Abzug von Veräußerungskosten und Anschaffungskosten. Finanzierungskosten für die Anschaffung eines Wirtschaftsgutes sind weder Veräußerungskosten (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 26. März 1987 IV R 20/84, BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561; in BFHE 173, 47, BStBl II 1994, 287) noch Anschaffungskosten i. S. des § 20 Abs. 4 UmwStG (vgl. im übrigen § 255 des Handelsgesetzbuches; BFH-Urteil vom 19. Juli 1995 I R 56/94, BFHE 179, 19, BStBl II 1996, 28).

5. Eine Berücksichtigung der in der Zeit der beschränkten Steuerpflicht gezahlten Schuldzinsen gemäß § 10d EStG ist nicht möglich, da die hier maßgeblichen steuerpflichtigen Einnahmen dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen (§ 50 Abs. 2 Satz 2 EStG; vgl. hierzu z. B. auch Scholz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 2 Rdnr. 52). Eine gegenteilige Auffassung würde auch dem für Einkünfte aus Kapitalvermögen geltenden Bruttoprinzip widersprechen (vgl. auch § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung).

6. § 50 Abs. 4 Satz 8 EStG i. d. F. des Grenzpendlergesetzes, der nach § 52 Abs. 30a Satz 2 EStG auf nicht bestandskräftige Bescheide rückwirkend Anwendung finden kann, kann im Streitfall mangels entsprechender Antragstellung nicht eingreifen. Danach gilt ein Antragsteller abweichend von § 2 Abs. 7 EStG insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig, wenn er in einem Teil des Jahres unbeschränkt steuerpflichtig ist. Wie dem Wort "Antragsteller" und der systematischen Stellung des § 50 Abs. 4 Satz 8 EStG i. d. F. des Grenzpendlergesetzes zu entnehmen ist, setzt die Anwendung dieser Norm voraus, daß ein Antrag i. S. des § 50 Abs. 4 Satz 1 EStG i. d. F. des Grenzpendlergesetzes gestellt wurde. Dies ist nicht geschehen. Eine Nachholung im Revisionsverfahren scheidet aus (vgl. BFH-Urteile in BFHE 149, 557, BStBl II 1987, 561; vom 19. Mai 1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; vom 21. September 1990 VI R 87/86, BFHE 161, 557, BStBl II 1991, 262; vom 14. April 1993 I R 120/91, BFHE 171, 431, BStBl II 1993, 738).

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