Normen
§ 14 Abs. 3 UStG
Tatbestand:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Kfz-Vertragswerkstatt ohne eigenes Verkaufsrecht. Verkaufsgeschäfte wickelte sie über eine Niederlassung des Kfz-Herstellers ab. Der in dieser Niederlassung tätige Angestellte X spiegelte der Klägerin vor, sein früherer Arbeitgeber verfüge über eine Vielzahl von Fahrzeugen, die über Seitenkanäle an bereits bekannte Abnehmer verkauft werden sollten. X schlug der Klägerin vor, die Geschäfte dergestalt abzuwickeln, daß sein ehemaliger Arbeitgeber die Fahrzeuge an die Klägerin und diese sie ihrerseits an die Abnehmer verkaufe. Die Klägerin sollte hierbei weder die Fahrzeuge noch die Fahrzeugbriefe erhalten. Aufgrund dieses Vorschlags übergab X der Klägerin in den Streitjahren (1986 und 1987) auf Geschäftspapieren seines ehemaligen Arbeitgebers ausgestellte Rechnungen über den Verkauf der Fahrzeuge an sie. Die Klägerin händigte X entsprechende von ihr ausgestellte Rechnungen über den Weiterverkauf der Fahrzeuge an die von X benannten Abnehmer aus. Daß diese tatsächlich nicht existierten, wußte die Klägerin nicht.
Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) von diesem Sachverhalt aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung Kenntnis erlangt hatte, verweigerte das FA der Klägerin mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 25. Juni/27. November 1991 den Abzug der in den Rechnungen über den Ankauf der Fahrzeuge gesondert ausgewiesenen Steuer als Vorsteuer und nahm die Klägerin wegen der in den von ihr ausgestellten Rechnungen über den Verkauf der Fahrzeuge gesondert ausgewiesenen Steuerbeträge gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) in Anspruch. Das FA setzte die Umsatzsteuer für 1986 auf 741 736 DM und für 1987 auf 147 233 DM fest.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im wesentlichen aus, die Klägerin habe den Steuertatbestand des § 14 Abs. 3 Satz 2, zweite Alternative UStG 1980 dadurch erfüllt, daß sie die Rechnungen ausgestellt und an X übergeben habe, obwohl die abgerechneten Lieferungen von ihr nicht ausgeführt worden seien. Dem stehe nicht entgegen, daß die in den Rechnungen genannten Adressaten nicht existierten. Ob X die Rechnungen, wie von der Klägerin behauptet, sofort nach Empfang vernichtet habe, könne zwar unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens eines Gefährdungstatbestands von Bedeutung sein. Diese Behauptung sei aber nicht bewiesen. X, von dem eine entsprechende Erklärung vorgelegen habe, sei nicht glaubwürdig. Eine Beweiserhebung über die Frage der Rechnungsvernichtung durch Vernehmung von X und zweier weiterer Zeugen - wie von der Klägerin beantragt - sei nicht erforderlich gewesen. Die beiden anderen Zeugen hätten ihr Wissen nur aus Aussagen von X herleiten können. Die Inanspruchnahme der Klägerin gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1980 scheide auch nicht aus Billigkeitsgründen aus.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie ist der Auffassung, das FG habe die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) sowie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es ihren Beweisantrag abgelehnt habe. Die Tatsache der Vernichtung der "Rechnungen" sei entscheidungserheblich, da die Frage, ob die Steuer wegen sachlicher Unbilligkeit nicht erhoben werden dürfe, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits im Rahmen der Anfechtung des Steuerbescheids von Bedeutung sei.
Materiell-rechtlich rügt die Klägerin Verletzung des § 14 Abs. 3 UStG 1980 in mehrfacher Hinsicht und macht geltend, diese Vorschrift sei auf die von ihr erstellten Belege, die keinen Bezug zu einer existierenden Person aufwiesen, nicht anwendbar. Es fehle zudem an einer Begebung der Urkunden, da X als Empfänger keinen Begebungswillen gehabt habe. Ihre Inanspruchnahme gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1980 trotz Fortfalls der Gefährdungslage durch Vernichtung der Belege seitens X verstoße gegen Gemeinschaftsrecht. Zur Begründung verweist die Klägerin auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 13. Dezember 1989 Rs. C-342/87 (Slg. 1989, 4227, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1991, 83).
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuer für 1986 auf 65 975,51 DM und für 1987 auf 93 952,65 DM festzusetzen, hilfsweise, den Rechtsstreit an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hilfsweise, das Verfahren dem EuGH vorzulegen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Die Auffassung des FG, die Klägerin habe die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 UStG 1980 erfüllt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2, zweite Alternative UStG 1980 schuldet derjenige, der in einer Urkunde, in der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag ausweist, obwohl er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt, den ausgewiesenen Betrag.
a) Die Klägerin hat Abrechnungen über nicht ausgeführte Fahrzeuglieferungen ausgestellt. In diesen Abrechnungen hat sie Umsatzsteuerbeträge gesondert ausgewiesen. Die Abrechnungen hat sie X ausgehändigt. Die in § 14 Abs. 3 Satz 2, zweite Alternative UStG 1980 vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale sind erfüllt.
b) Der Inanspruchnahme der Klägerin aus den Abrechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis steht nicht entgegen, daß die Adressaten der Abrechnungen nicht existierten und die Klägerin die Abrechnungen einem Dritten, nämlich X, ausgehändigt hat (Ausgabe der Rechnung, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1980).
§ 14 Abs. 3 UStG 1980 ist - verfassungsrechtlich unbedenklich - als abstrakter Gefährdungstatbestand besonderer Art ausgestaltet und soll Mißbräuchen durch die Ausgabe von Rechnungen mit offenem Steuerausweis in bezug auf den Vorsteuerabzug entgegenwirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 1993 V R 75/88, BFHE 171, 94, BStBl II 1993, 357 mit Nachweisen). Voraussetzung für das Vorliegen einer Rechnung bzw. einer Abrechnungsurkunde i. S. des § 14 Abs. 3 UStG 1980 ist nicht - entgegen der Auffassung der Klägerin -, daß die als Leistungsempfänger genannte Person tatsächlich existiert. § 14 Abs. 3 Satz 2 UStG 1980 (um den es hier geht) setzt nur voraus, daß das Abrechnungspapier die gemäß § 14 Abs. 4 UStG 1980 erforderlichen Angaben enthält (vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 1994 V R 113/91, BFHE 173, 466, BStBl II 1994, 342 zu dem mit den hier maßgebenden Normen inhaltlich übereinstimmenden § 14 Abs. 3 UStG 1973 und § 14 Abs. 4 UStG 1973 i. V. m. § 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes - 1. UStDV -), nicht aber, daß die Angaben über Leistung, Entgelt, Steuerbetrag und Leistungsempfänger wirklich zutreffen. Tatsächlich bestimmbar muß nur der Aussteller sein, der "wie ein leistender Unternehmer abrechnet".
Zu Recht hat das FG den Rechnungsbegriff in § 14 Abs. 3 i. V. m. Abs. 4 UStG 1980 aufgrund des Schutzzwecks der Vorschrift dahin ausgelegt, daß er jede Abrechnung umfaßt, die geeignet ist, zur unberechtigten Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen verwendet zu werden und dadurch das Steueraufkommen zu gefährden. Dies ist auch bei einer Abrechnung der Fall, die eine nicht existierende Person als Leistungsempfänger bezeichnet. Das FG hat insoweit zutreffend darauf abgestellt, daß ein Empfänger einer derartigen Abrechnung versuchen kann, unter dem - erfundenen - Namen des bezeichneten Leistungsempfängers gegenüber den Finanzbehörden den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Ob dies im Einzelfall erfolgreich geschieht, ist nicht entscheidend.
Im Streitfall kommt es nicht auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage an, ob der Rechnungsadressat bzw. der Dritte, dem der Aussteller das Abrechnungspapier übergibt, beabsichtigt, die Rechnung seinerseits (ggf. mißbräuchlich) im Rechtsverkehr zu verwenden. Ausschlaggebend ist, daß der Aussteller in Kauf nimmt, der Empfänger werde von dem Papier als Rechnung Gebrauch machen (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1993 XI R 103/90, BFHE 171, 125, BStBl II 1993, 531, unter 1.). Die Klägerin ging bei Ausstellung und Ausgabe der Abrechnungspapiere aufgrund der Täuschung durch X sogar davon aus, dieser werde die Abrechnungspapiere gegenüber den vermeintlichen Abnehmern der Fahrzeuge als Verkaufsrechnungen verwenden.
2. Eine einschränkende Auslegung des § 14 Abs. 3 UStG 1980, etwa durch die Berücksichtigung des Ausmaßes der Steuergefährdung nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls - hier im Hinblick auf die von der Klägerin behauptete umgehende Vernichtung der Abrechnungspapiere durch X -, scheidet aus. Durch eine solche Interpretation würde die Vorschrift ihre generalpräventive Wirkung verlieren. Sie enthielte dann lediglich "eine Art Ausfallhaftung des Rechnungsausstellers" für den Fall, daß die Gefährdung des Steueraufkommens in dessen Beeinträchtigung umschlägt, und würde in ihrer Zielsetzung und in ihrem Anwendungsbereich entscheidend reduziert (vgl. Senatsurteil vom 10. Dezember 1981 V R 3/75, BFHE 135, 107, BStBl II 1982, 229, unter 2.).
3. Der Steuerfestsetzung gemäß § 14 Abs. 3 UStG 1980 im Streitfall steht auch nicht das EuGH-Urteil in Slg. 1989, 4227, UR 1991, 83 entgegen. Der EuGH hat in dieser Entscheidung darauf hingewiesen, daß es zur Wahrung des GrundSatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer Sache der Mitgliedstaaten sei, in ihrem innerstaatlichen Recht vorzusehen, daß jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden könne, wenn der Aussteller der Rechnung seinen guten Glauben nachweise - vgl. unter (18) der Entscheidungsgründe -. Nach deutschem - innerstaatlichen - Recht ist über die Berichtigungsmöglichkeit nach den Regeln des Billigkeitserlasses zu entscheiden.
Ob die Festsetzung der Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 im Streitfall sachlich unbillig ist, kann im vorliegenden Rechtsstreit, in dem es um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung geht, nicht geprüft werden. Das Steuerfestsetzungs- und das Billigkeitsverfahren sind jeweils selbständige Verfahren (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402, und vom 8. Dezember 1988 V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 163 Tz. 7, 7 a).
Ob die Klägerin nach Maßgabe der Billigkeit aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls im Verhältnis zur umsatzsteuerrechtlichen Regelung besserzustellen ist, kann daher nur in einem entsprechenden Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 der Abgabenordnung - AO 1977 -) entschieden werden. Nichts anderes hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 21. Februar 1980 V R 146/73 (BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283) ausgesprochen, dessen Inhalt von der Klägerin in ihrer Revisionsbegründungsschrift unzutreffend wiedergegeben worden ist. Der Senat hat in dieser Entscheidung für näher beschriebene Fälle lediglich "eine auf Nichterhebung der Steuer gerichtete Billigkeitsmaßnahme für geboten" erachtet (unter 4. der Gründe). Dies bedeutet nicht, daß Billigkeitsgesichtspunkte bereits im Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen seien. Diese Meinung des Senats läßt sich ebenfalls zweifelsfrei den Ausführungen im vorbezeichneten Urteil entnehmen, daß "Auch das Finanzgericht . . . nicht gehalten (ist), das Vorbringen des Klägers im Rahmen dieses Verfahrens zu würdigen, da eine Entscheidung gemäß § 227 AO 1977 Gegenstand eines besonderen Verfahrens sein müßte" (am Ende der Gründe).
4. Da es auf die Art der Verwendung der Abrechnungspapiere durch X nicht ankommt und die Klägerin den Steuertatbestand des § 14 Abs. 3 UStG 1980 bereits mit der Ausgabe der Abrechnungspapiere an X verwirklicht hat, durfte das FG es im Ergebnis ablehnen, den von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis zur Frage der umgehenden Vernichtung der Abrechnungspapiere durch X zu erheben. Die diesbezügliche Verfahrensrüge der Klägerin bleibt daher erfolglos.