BFH XI R 97/92

BFHXI R 97/9213.7.1994

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine durch den Zusammenschluß mehrerer Bauunternehmen gegründete Arbeitsgemeinschaft, die anläßlich eines Großprojekts die Rohbauarbeiten durchführte. Sie beschäftigte zu diesem Zweck verschiedene Subunternehmer, u. a. die L-GmbH. Diese erteilte der Klägerin am 30. September 1982 eine Rechnung über 81 523,37 DM (netto) und wies darin Umsatzsteuer in Höhe von 10 598,03 DM aus.

Im Anschluß an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte das seinerzeit zuständige Finanzamt (FA) mit Umsatzsteuerbescheid 1982 vom 22. August 1985 der Klägerin den Vorsteuerabzug aus dieser Rechnung, weil sie nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i. V. m. § 31 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) genüge. Die L- GmbH habe keine Werklieferungen erbracht, sondern unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung betrieben. Außerdem handele es sich bei ihr um eine Scheinfirma.

Die L-GmbH wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 16. Februar 1982 gegründet, am 7. Juni 1982 ins Handelsregister eingetragen und am 2. März 1983 wieder gelöscht. Es handelte sich bei ihr um eine Strohmann- GmbH innerhalb einer Kette von Firmen, die aus dem Ausland (A) gesteuert wurden und unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung betrieben. Als faktische Geschäftsführer waren unbekannte, in A ansässige Personen anzusehen. Der als Geschäftsführer eingesetzte Kraftfahrer L war in kaufmännischen Dingen gänzlich unerfahren und erhielt für seinen Beitrag im Zusammenhang mit der Errichtung der L-GmbH lediglich rd. 1 000 DM. Bei der im Briefkopf der L-GmbH angegebenen Anschrift handelte es sich um eine Wohnung, die durch den Prokuristen T für die GmbH angemietet worden war, aber nicht benutzt wurde, sondern leerstand. Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Urteil des Landgerichts X vom 24. November 1988, durch das T wegen Beihilfe zur fortgesetzten Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat das Finanzgericht (FG) stattgegeben. Es führt im wesentlichen aus, gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG könne der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden seien, als Vorsteuer abziehen. Die Regelung knüpfe an die Regelung in § 14 Abs. 4 UStG an (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. September 1987 V R 50/85 und V R 125/86, BFHE 153, 65 und 77, BStBl II 1988, 688 und 694). Danach sei als Rechnung jede Urkunde anzusehen, mit der ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter über eine Lieferung oder sonstige Leistungen gegenüber dem Leistungsempfänger abrechne. Diesen Anforderungen genüge die Rechnung der L-GmbH vom 30. September 1982. Sie beziehe sich auf die Abschlagsrechnungen Nr. 1 bis 11, in denen die erbrachten Leistungen als Außenwandschalung, Innenwandschalung und Stutzenschalung bezeichnet und entsprechende Quadratmeterangaben gemacht seien. Diese Leistungsbezeichnung genüge auch dann den an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung zu stellenden Anforderungen, wenn die erbrachte Leistung in der Überlassung von Arbeitnehmern für derartige Schalungsarbeiten bestanden habe (BFH-Urteile in BFHE 153, 65 und 77, BStBl II 1988, 688 und 694). Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils gegen T gehe der Senat zwar davon aus, daß die L-GmbH nicht von dem als Gesellschafter und Geschäftsführer eingesetzten L, sondern von anderen Personen, die unerkannt bleiben wollten, initiiert und beherrscht worden sei. Der der L-GmbH dadurch zukommende Charakter einer sog. Strohmann-GmbH lasse jedoch weder ihre Unternehmereigenschaft noch die umsatzsteuerrechtliche Zuordnung der streitigen Umsätze zu ihrem Unternehmen entfallen. Die L-GmbH sei durch Eintragung ins Handelsregister als juristische Person entstanden. Die streitigen Umsätze seien ihr auch zuzurechnen. Dafür seien grundsätzlich die zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen maßgebend. Umsätze würden regelmäßig demjenigen zugerechnet, der sie im eigenen Namen und für eigene Rechnung ausführe. Die L-GmbH sei im Streitfall nach außen aufgetreten. Ihr habe die Klägerin den den streitigen Verträgen zugrundeliegenden Auftrag erteilt. Die L- GmbH sei auch gegenüber Dritten (Stadtverwaltung, Finanzamt, AOK) als Unternehmerin nach außen aufgetreten. Sie sei als juristische Person des Privatrechts auch selbständig, denn für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) sei im Streitfall nichts dargetan. Der Vorsteuerabzug aus der streitigen Rechnung könne schließlich auch nicht mit dem Argument versagt werden, bei der angegebenen Anschrift habe es sich um eine reine Briefkastenanschrift gehandelt. Die Bezeichnung des leistenden Unternehmers mit Namen und Anschrift diene dem Zweck, den Rechnungsaussteller eindeutig zu identifizieren. Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung werde dieser Zweck jedenfalls dann erreicht, wenn Firma und Sitz der Gesellschaft zutreffend angegeben würden. Die L-GmbH habe unter der angegebenen Anschrift Räume angemietet und sei postalisch erreichbar gewesen. Als Sitz einer GmbH müsse nicht der Ort der Verwaltungs- oder der Geschäftstätigkeit gewählt werden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i. V. m. § 14 Abs. 4 i. V. m. § 2 UStG 1980.

Es führt im wesentlichen aus, zu den tatbestandsmäßigen Anforderungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG gehöre die Unternehmereigenschaft des Leistenden. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug treffe denjenigen, der ihn geltend mache, die Feststellungslast. Einen Schutz des guten Glaubens daran, daß die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt seien, sehe § 15 UStG nicht vor. Die L- GmbH sei nach den Feststellungen des Strafurteils gegen T eine Strohmann-GmbH gewesen. Zu Unrecht habe das FG die bloße zivilrechtliche Existenz der GmbH und ihr Auftreten gegenüber Behörden als ausreichend für die Anerkennung der Unternehmereigenschaft beurteilt, obwohl nach dem bekannten Sachverhalt die Werkverträge mit der Arbeitsgemeinschaft tatsächlich von den niederländischen Hintermännern unter Verwendung des Namens der eigens zu diesem Zweck gegründeten GmbH abgeschlossen und die Entgelte eingezogen worden seien. Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 7. Oktober 1987 X R 60/82, BFHE 151, 233, BStBl II 1988, 34) müsse aus dem Abrechnungspapier der Lieferant eindeutig und leicht nachprüfbar feststellbar sein. Die vorliegende Rechnung enthalte keinen Hinweis auf die Hintermänner. Diesen seien die Umsätze zuzurechnen (BHF-Urteil vom 15. Juli 1987 X R 19/80, BFHE 150, 459, BStBl II 1987, 746).

Die Klägerin macht geltend, eine rechtlich bestehende GmbH, die nach außen hin im Rechtsverkehr als Unternehmer auftrete, könne Steuerrechtssubjekt sein, dem Umsätze zuzurechnen seien. Es komme rechtlich nicht darauf an, wer wirtschaftlich gesehen über die GmbH bestimmte Interessen verfolge und ob die Art, wie diese Interessen verfolgt würden, rechtlich zu billigen sei. Eine juristische Person diene letztlich jeweils den hinter ihr stehenden Gesellschaftern -- ihren Hintermännern also -- als Instrument zur Verfolgung bestimmter wirtschaftlicher Interessen. Solange man die Existenz juristischer Personen überhaupt noch anerkenne, sei die Frage nach ihren Hintermännern im Bereich der Umsatzsteuer rechtlich unerheblich. Dies müsse auch dann gelten, wenn die Gesellschafter/Hintermänner die juristische Person zur Verfolgung unerwünschter oder unerlaubter Zwecke einsetzten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Zu Unrecht hat das FG die Unternehmereigenschaft der L-GmbH allein wegen deren rechtlichen Existenz bejaht.

Als Vorsteuerbeträge abziehen kann ein Unternehmer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG 1980 derjenige, der eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen selbständig ausübt. Eine rechtlich existente GmbH kann zwar nur unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1980 nicht als selbständig angesehen werden. Aus der rechtlichen Existenz folgt jedoch nicht, daß ihre Tätigkeit auch auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet war (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 1992 V R 95/87, BFH/NV 1993, 202). Hierfür reicht die Absicht, Einnahmen zu erzielen, nicht aus. Die Unternehmerdefinition des § 2 Abs. 1 UStG erfordert vielmehr die Entgeltserzielung, setzt also die Ausführung von Lieferungen oder sonstigen Leistungen gegen Entgelt voraus (BFH-Urteile vom 6. Mai 1993 V R 45/88, BFHE 171, 138, BStBl II 1993, 564, und vom 12. Mai 1993 XI R 68/90, BFH/NV 1994, 131).

Da es sich bei der L-GmbH -- auch nach Meinung des FG -- um eine Strohmann- GmbH handelte, spricht eine Vermutung dafür, daß sie selbst keine Einnahmen erzielte; denn sie war vorgeschoben, damit die hinter ihr stehenden Firmen die Einnahmen erzielen konnten. Zu Unrecht hat das FG im Hinblick auf die Vertragsbeziehungen zwischen der Klägerin und der L- GmbH einen Leistungsaustausch zwischen diesen beiden unterstellt. Die Beteiligten eines Leistungsaustausches begründen die Wechselbeziehung zwischen Leistung und Gegenleistung nicht dadurch, daß sie entsprechende Verträge abschließen, sondern allein dadurch, daß sie diese Leistungen einander in dem dargestellten Sinn gewähren. Die Verträge erleichtern in Zweifelsfällen lediglich die Beantwortung der Frage nach dem Vorhandensein und dem Umfang der Wechselbeziehung (BFH- Urteil vom 28. Februar 1980 V R 90/75, BFHE 130, 430, BStBl II 1980, 535). Da die L-GmbH nur als Mittelsmann dazu diente, den dahinterstehenden Firmen die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung zu ermöglichen, kommt im Streitfall den Vertragsbeziehungen zwischen der L-GmbH und der Klägerin keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Maßgeblich ist vielmehr, ob die L-GmbH der Klägerin oder Dritten gegenüber Leistungen gegen Entgelt erbracht hat.

Der Senat kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden. Die Sache geht an das FG zurück, damit es die entsprechenden Feststellungen nachholt. Sollte das FG die Unternehmereigenschaft der L-GmbH bejahen, so wird es weiterhin zu prüfen haben, ob die L-GmbH auch die in der Rechnung vom 30. September 1982 aufgeführten Leistungen gegenüber der Klägerin tatsächlich erbracht hat. Dagegen spricht zwar ihre Strohmanneigenschaft. Aber auch insoweit reichen die tatsächlichen Feststellungen des FG für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Der Senat verweist im übrigen auf das BFH-Urteil vom 19. Oktober 1978 V R 39/75 (BFHE 127, 71, BStBl II 1975, 345), und den BFH-Beschluß vom 24. Mai 1993 V B 33/93 (BFH/NV 1994, 133).

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