Normen
§ 118 EStG
§ 39a FGO
Tatbestand:
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und beziehen beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren 1990 beantragten sie u. a. , für Abzugsbeträge nach § 10e Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1990 und für die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 2 EStG einen Freibetrag von 39 256 DM je zur Hälfte auf ihren Lohnsteuerkarten einzutragen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte insgesamt nur einen Freibetrag von 19 200 DM. Der Einspruch der Kläger war erfolglos.
Mit der Klage hielten die Kläger zunächst an ihrem ursprünglichen Begehren fest. In der mündlichen Verhandlung machten sie nur noch einen Betrag von 36 860 DM geltend. Das Finanzgericht (FG) entsprach dem Antrag und verpflichtete das FA, diesen Betrag je zur Hälfte auf den Lohnsteuerkarten der Kläger einzutragen. Das Urteil des FG wurde im Anschluß an die mündliche Verhandlung vom 28. November 1990 verkündet.
Einen Tag nach der Urteilsverkündung, am 29. November 1990, trug das FA auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin einen Freibetrag von 29 656 DM ein. Da auf der Lohnsteuerkarte des Klägers für die Abzugsbeträge nach § 10e Abs. 2 EStG und die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 2 EStG bereits ein Freibetrag von 9 600 DM eingetragen war, wurden insgesamt 39 256 DM - wie ursprünglich im Lohnsteuerermäßigungsverfahren von den Klägern beantragt - berücksichtigt.
In den Einkommensteuerakten befindet sich ein Vermerk, der auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragene, vom FG telefonisch durchgegebene Betrag sei falsch; der Fehler sei im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung richtigzustellen.
Nach Zustellung des FG-Urteils erhob das FA Nichtzulassungsbeschwerde, der das FG im Hinblick auf eine inzwischen bekanntgewordene, von dem finanzgerichtlichen Urteil abweichende Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) abhalf.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10e Abs. 4 EStG. Es führt zur Zulässigkeit der Revision aus: Diese sei trotz der Eintragung des begehrten Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin nach Erlaß des finanzgerichtlichen Urteils zulässig. Es - das FA - sei durch das FG-Urteil verpflichtet worden, den von den Klägern begehrten Freibetrag einzutragen. Nur weil sich der Freibetrag im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr hätte auswirken können, wenn eine rechtskräftige Entscheidung abgewartet worden wäre, sei dieser - um Nachteile für die Kläger zu vermeiden - am 29. November 1990 auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragen worden. Gleichwohl bestehe ein Rechtsschutzinteresse für die Revision, weil das FG die die Eintragung ablehnenden Verwaltungsakte für rechtswidrig gehalten habe, eine Revisionsentscheidung auch von Bedeutung für das Veranlagungsverfahren sei und wegen der Pflicht des FA, die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens zu tragen. Insofern habe sich der Rechtsstreit auch nicht in der Hauptsache erledigt. Selbst wenn eine Erledigung der Hauptsache vorläge, wäre die Revision nicht unzulässig. Eine Beschwer sei auch anzunehmen, wenn sich die Hauptsache nach Ergehen des FG-Urteils, aber vor Ablauf der Revisionsfrist erledige. Die Einlegung der Revision sei erforderlich, damit der durch das Urteil Beschwerte die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklären könne.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage festzustellen, daß die ablehnenden Verwaltungsakte des FA rechtswidrig waren.
Sie führen zur Zulässigkeit der Revision aus: Die Behauptung des FA, es sei durch das finanzgerichtliche Urteil zur Eintragung verpflichtet worden, lasse sich dem erst am 7. Juni 1991 zugestellten Urteil nicht entnehmen. Das FA habe den Freibetrag abweichend von dem FG-Urteil eingetragen. Daraus werde deutlich, daß das FA den Streitfall aus eigener Entscheidung durch einen neuen, geänderten Freibetrag abgeschlossen habe. Nach der Aktennotiz habe der Fehler auch erst in der Veranlagung richtiggestellt werden sollen.
Entscheidungsgründe
1. Das Lohnsteuerermäßigungsverfahren ist ein Teil des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Der Arbeitgeber hat einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte bei der Ermittlung der vom Arbeitslohn einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer nach Maßgabe der Eintragung auf der Lohnsteuerkarte vom Arbeitslohn abzuziehen (§ 39b Abs. 2 Satz 3 EStG). Der Antrag auf Eintragung eines Freibetrags kann bis zum 30. November des Kalenderjahres gestellt werden, für das die Lohnsteuerkarte gilt (§ 39a Abs. 2 Satz 3 EStG). Am Ende des Kalenderjahres hat der Arbeitgeber das Lohnkonto des Arbeitnehmers abzuschließen und eine Lohnsteuerbescheinigung auszustellen (§ 41b Abs. 1 EStG). Bis zu diesem Zeitpunkt kann sich ein Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte beim Lohnsteuerabzug auswirken. Da der Arbeitgeber einen Lohnsteuerjahresausgleich für den Arbeitnehmer spätestens bei der Lohnabrechnung für den letzten Lohnzahlungszeitraum durchführen muß, der im Monat März des dem Ausgleichsjahr folgenden Kalenderjahres endet, besteht spätestens nach Ablauf dieses Zeitpunkts kein Rechtsschutzinteresse mehr für den Steuerpflichtigen auf Eintragung eines Freibetrags (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 1982 VIII B 36/82, BFHE 137, 232, BStBl II 1983, 232, m. w. N. zur Rechtsprechung, und vom 13. Februar 1991 IX B 5/90, BFH/NV 1991, 746). Der Kläger kann jedoch in solchen Fällen zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) - auch noch im Revisionsverfahren - übergehen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, daß die Ablehnung der Eintragung des Freibetrags rechtswidrig war. Ein berechtigtes Interesse ist gegeben, wenn sich die zu beurteilende Streitfrage auch in dem auf das gleiche Streitjahr bezogenen Lohnsteuerjahresausgleich oder in der Veranlagung stellt (BFH-Urteile vom 29. Mai 1979 VI R 21/77, BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650; vom 16. April 1980 VI R 7/77, BFHE 130, 388, BStBl II 1980, 512, und vom 19. Februar 1982 VI R 31/78, BFHE 135, 449, BStBl II 1982, 467).
2. Hat der Kläger im Lohnsteuerermäßigungsverfahren ein obsiegendes Urteil des FG erstritten, kann - auch wenn sich der dem Kläger zugesprochene Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte wegen Zeitablaufs nicht mehr beim Lohnsteuerabzug auswirkt - nach der Rechtsprechung des BFH ein Rechtsschutzinteresse für die Revision des FA bestehen (z. B. Urteile vom 14. Dezember 1982 VIII R 54/81, BFHE 137, 456, BStBl II 1983, 315; vom 13. Januar 1987 IX R 90/83, BFH/NV 1987, 445, und vom 28. März 1990 X R 160/88, BFHE 160, 481, BStBl II 1990, 815). In den entschiedenen Fällen hatten die FÄ keine Freibeträge auf den Lohnsteuerkarten eingetragen und die Kläger Fortsetzungsfeststellungsanträge gestellt.
3. Anders als in den oben zitierten Entscheidungen ist im Streitfall die Erledigung der Hauptsache nicht durch Zeitablauf eingetreten, sondern dadurch, daß das FA aufgrund des finanzgerichtlichen Urteils einen Freibetrag in der von den Klägern ursprünglich begehrten Höhe auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin eingetragen hat. Damit ist der Rechtsstreit gegenstandslos geworden.
Nach der Rechtsprechung des BFH (Beschlüsse vom 17. November 1981 VIII R 193/80, BFHE 135, 21, BStBl II 1982, 263, und vom 2. Oktober 1992 VI B 105/91, BFHE 169, 20, BStBl II 1993, 57) fehlt oder entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für ein Rechtsmittel des FA, wenn es durch Erlaß des begehrten Verwaltungsakts vorbehaltlos dem vom FG als rechtmäßig beurteilten Klagebegehren entspricht. Die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte steht zwar stets unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 39a Abs. 4 EStG) und kann daher - anders als Steuerbescheide oder sonstige Verwaltungsakte - vom FA grundsätzlich ohne weiteres geändert werden (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 39a Anm. 8). Aufgrund des Zeitpunkts der Eintragung gegen Ende des Lohnsteuerabzugszeitraums stand jedoch fest, daß eine Entscheidung des BFH nicht innerhalb eines Zeitraums zu erwarten war, in dem sich eine Änderung des Freibetrags noch auf den Lohnsteuerabzug hätte auswirken können. Auch hatte das FA - nach eigenem Vortrag in der Revisionsverhandlung - den Klägern gegenüber in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zu verstehen gegeben, es werde im Falle eines stattgebenden Urteils der Auffassung des FG jedenfalls für das Lohnsteuerermäßigungsverfahren folgen und den Freibetrag eintragen. Es beabsichtigte also im Lohnsteuerermäßigungsverfahren keine Änderung. Dem entspricht, daß das FA nicht einmal den Freibetrag geändert hat, soweit er versehentlich zu hoch eingetragen worden war. Nach der Aktennotiz in den Einkommensteuerakten sollte der Fehler erst bei der Veranlagung richtiggestellt werden.
Wenn auch das FA die Freibeträge nur eingetragen hat, damit den Klägern für den Fall ihres Obsiegens vor dem BFH keine Nachteile entstehen, so hat es durch sein Verhalten doch dem Begehren der Kläger - Berücksichtigung der Abzugsbeträge des § 10e Abs. 2 EStG und der Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 2 EStG - in vollem Umfang entsprochen. Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren, das allein Gegenstand des Rechtsstreits ist, wollte und kann inzwischen das FA seine Entscheidung auch nicht mehr rückgängig machen.
4. Zu Unrecht beruft sich das FA darauf, es sei durch das finanzgerichtliche Urteil zur Eintragung des Freibetrags verpflichtet worden. Eine Verpflichtung des FA zum Erlaß eines Verwaltungsakts ergibt sich nur aus rechtskräftigen oder vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen. Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können aber - wie im finanzgerichtlichen Urteil geschehen - nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden (§ 151 Abs. 3 FGO). Die vom FG ausgesprochene Verpflichtung zur Eintragung der Freibeträge war also nicht vorläufig vollstreckbar. Das FA hat somit dem Begehren der Kläger freiwillig und vorbehaltlos entsprochen. Insofern unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der der vom FA zitierten Entscheidung des BFH vom 5. März 1979 GrS 3/78 (BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378) zugrunde liegt. Denn dort hatte das FG im Wege einer rechtskräftig gewordenen (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1980 VI R 148/77, BFHE 130, 290, BStBl II 1980, 509) einstweiligen Anordnung die vorläufige Eintragung der Freibeträge auf der Lohnsteuerkarte angeordnet.
5. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Revision ergibt sich auch nicht aus der präjudizierenden Wirkung einer BFH-Entscheidung im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für das Veranlagungsverfahren. Denn § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO läßt die Feststellung, daß ein Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, nur zu, wenn der Kläger dies beantragt und wenn er ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 100 FGO Rz. 19c).
6. Das Argument des FA, die Revision sei erforderlich, um die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklären zu können, vermag die Zulässigkeit der Revision ebenfalls nicht zu begründen.
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Revision des im finanzgerichtlichen Verfahren unterlegenen FA könnte bei einer "Erledigung zwischen den Instanzen" allenfalls dann angenommen werden, wenn unklar und streitig wäre, ob das Verhalten des FA zu einer Erledigung des Rechtsstreits geführt hat (vgl. BFH-Zwischenurteil vom 15. Juni 1983 II R 30/81, BFHE 138, 517, BStBl II 1983, 680) oder wenn zu erwarten wäre, daß in der nach Erledigung der Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung (§ 138 Abs. 1 FGO) zumindest eine Kostenteilung zu erwarten wäre. Entspricht das FA - wie im Streitfall - aber freiwillig und vorbehaltlos dem Begehren der Kläger, wären ihm nach § 138 Abs. 2 FGO die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Auch mit der Revision könnte also im Streitfall die durch das FG-Urteil auferlegte Verpflichtung des FA zur Kostentragung nicht aufgehoben werden.