Normen
§ 249 HGB
Tatbestand:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine AG - betreibt ein regionales Energieversorgungsunternehmen. In den Jahren 1974 bis 1983 stellte sie insgesamt 370 Auszubildende ein und übernahm im gleichen Zeitraum 78 in ihrem Betrieb ausgebildete Personen in ein festes und 24 in ein befristetes Arbeitsverhältnis. Die Zahlen betrugen in den einzelnen Jahren:
Jahr Neueinstellung nach Ausbildung übernommen
unbefristet befristet
kfm. techn. gesamt kfm. techn. gesamt kfm. techn. gesamt
1974 8 27 35 6 4 10 0 0 0
1975 8 27 35 3 2 5 2 0 2
1976 12 31 43 4 3 7 2 0 2
1977 6 31 37 3 8 11 2 0 2
1978 11 31 42 7 4 11 3 0 3
1979 13 32 45 5 2 7 2 0 2
1980 9 27 36 7 3 10 2 0 2
1981 9 17 26 4 4 8 1 0 1
1982 12 23 35 5 0 5 5 0 5
1983 17 19 36 1 3 4 5 0 5
Summe 105 265 370 45 33 78 24 0 24
Nach Angabe der Klägerin teilte sie den Auszubildenden bereits bei der Einstellung mit, sie könnten nicht davon ausgehen, nach Abschluß der Ausbildung von der Klägerin weiterbeschäftigt zu werden.
Der Klägerin entstanden durch die Ausbildung erhebliche Aufwendungen, insbesondere durch die Zahlung der Ausbildungsvergütungen nebst Sozialversicherungsbeiträgen, die Unterbringung der Auszubildenden in einem Jugenddorf, die Bezahlung der Ausbilder und die für die Ausbildung benötigten Räume, Maschinen und Materialien. Die Auszubildenden wurden überwiegend nicht produktiv eingesetzt. Soweit sie an der Herstellung von Anlagevermögen mitwirkten und ihre Arbeit verwertbar war, aktivierte die Klägerin die entsprechenden Leistungen.
Da nach Auffassung der Klägerin der Wert ihrer künftigen Verpflichtungen aufgrund der abgeschlossenen Berufsausbildungsverträge den Wert der künftigen Leistungen der Auszubildenden überstieg, bildete die Klägerin in den Bilanzen auf den Schluß der Jahre 1976 bis 1980 (Streitjahre) Rückstellungen für zu erwartende Ausbildungskosten in folgender Höhe:
zum 31. Dezember 1976 1 500 000 DM,
zum 31. Dezember 1977 1 900 000 DM,
zum 31. Dezember 1978 1 900 000 DM,
zum 31. Dezember 1979 2 070 000 DM,
zum 31. Dezember 1980 2 040 000 DM.
Die Höhe der Rückstellungen ermittelte die Klägerin nach folgendem Schema (Zahlen für die Rückstellung zum 31. Dezember 1980):
TDM TDM
Vergütungen der Auszubildenden
(incl. Sozialabgaben) vom Bilanzstich-
tag bis zur Beendigung des
jeweiligen Ausbildungsverhältnisses
- kaufmännisch Auszubildende 289
- technisch Auszubildende 840 1 129
Unterdeckung der Unterbringungs-
kosten im Jugenddorf für die durch-
schnittliche Restlaufzeit der Ausbil-
dungsverträge
Rechnung Jugenddorf 1 062
von Auszubildenden einbehalten - 235
Unterdeckung 827
x durchschnittliche Restlaufzeit 1,1 910
Summe 2 039
Rückstellung (aufgerundet) 2 040
Nach einer Außenprüfung änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre und berücksichtigte dabei die Rückstellungen nicht einkommensmindernd. Einspruch und Klage waren erfolglos.
Die Klägerin stützt ihre Revision sinngemäß auf Verletzung des § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975/1979 i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1975 bzw. § 8 Abs. 1 KStG 1977.
Sie beantragt, das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG) vom 18. Dezember 1990 VI 145/85 aufzuheben und unter Abänderung der Körperschaftsteuerbescheide die Körperschaftsteuer neu festzusetzen und dabei die Rückstellungen für zu erwartende Ausbildungskosten insoweit gewinnmindernd zu berücksichtigen, als sie 100 % der Kosten für die Unterbringung im Jugenddorf und 75 % der übrigen bei der Bildung der Rückstellung berücksichtigten Ausbildungskosten umfassen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Auf das Zwischenurteil des erkennenden Senats vom 28. August 1991 I R 37/91 (BFHE 166, 100 , BStBl II 1992, 282) wird Bezug genommen.
Sie ist jedoch unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klägerin durfte in den Streitjahren keine Rückstellungen für drohende Verluste aus den von ihr abgeschlossenen Berufsausbildungsverträgen bilden. Die dennoch gebildeten Rückstellungen mindern daher nicht den Gewinn und das zu versteuernde Einkommen der Klägerin und wirken sich folglich auch nicht auf die Höhe der Körperschaftsteuer aus.
1. Für welche Zwecke die Klägerin in den Bilanzen der Streitjahre Rückstellungen bilden darf, ergibt sich aus § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes (AktG) a. F. Um Vermögensminderungen bilanziell zu berücksichtigen, die aufgrund der Berufsausbildungsverträge nach den Bilanzstichtagen erwartet werden, kommt - darüber sind sich die Beteiligten zu Recht einig - nur die Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften in Betracht (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AktG a. F.; jetzt: § 249 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -). Sind die Voraussetzungen für die Bildung der Rückstellungen erfüllt, müssen die Rückstellungen gebildet werden. Dies entspricht den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die auch steuerrechtlich verbindlich sind (§ 5 Abs. 1 EStG 1975/1979; s. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Juli 1983 VIII R 160/79, BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56; vom 11. Februar 1988 IV R 191/85, BFHE 153, 23, BStBl II 1988, 661).
a) Ein schwebendes Geschäft i. S. des § 152 Abs. 7 Satz 1 AktG a. F. (jetzt: § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) liegt vor, wenn ein gegenseitiger auf Leistungsaustausch gerichteter Vertrag abgeschlossen und hinsichtlich der vereinbarten Sach- oder/und Dienstleistungsverpflichtungen - abgesehen von unwesentlichen Nebenpflichten - noch nicht voll erfüllt ist (s. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1982 I R 142/81, BFHE 137, 448, BStBl II 1983, 369; vom 25. Januar 1984 I R 7/80, BFHE 140, 449, BStBl II 1984, 344; vom 25. Februar 1986 VIII R 134/80, BFHE 147, 8, BStBl II 1986, 788; Blümich/Schreiber, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 5 EStG RdNrn. 245 f.; Nieland in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., §§ 4, 5 EStG RdNrn. 397, 892; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., 1992, § 5 Anm. 45 b).
Ein Verlust aus einem schwebenden Geschäft droht, wenn konkrete Anzeichen dafür vorliegen, daß wahrscheinlich der Wert der eigenen Verpflichtungen aus dem Geschäft den Wert der Ansprüche auf die Gegenleistungen übersteigt (sog. Verpflichtungsüberschuß; s. BFH-Urteile vom 25. Februar 1986 VIII R 377/83, BFHE 146, 146, BStBl II 1986, 465; vom 16. Dezember 1987 I R 68/87, BFHE 152, 250, BStBl II 1988, 338; vom 27. Juli 1988 I R 133/84, BFHE 154, 121, BStBl II 1988, 999, m. w. N.).
b) Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften sind nicht auf Schuldverhältnisse beschränkt, die auf einmalige Leistungen gerichtet sind. Sie können auch bei Dauerschuldverhältnissen - wie z. B. aufgrund von Miet-, Arbeits- oder Leasingverträgen - geboten sein (s. BFH-Urteile in BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56; in BFHE 146, 146, BStBl II 1986, 465, und in BFHE 154, 121, BStBl II 1988, 999).
Anderer Ansicht ist Biener (Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften bei Dauerschuldverhältnissen, in Festschrift für Döllerer, S. 45, 60 f.). Er meint, Rückstellungen für drohende Verluste aus Dauerschuldverhältnissen dürften nicht gebildet werden, weil Dauerschuldverhältnisse keine "Geschäfte" i. S. des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zum Gegenstand hätten und sich aus dem einzelnen dem Dauerschuldverhältnis zugrunde liegenden Vertrag buchführungstechnisch kein Ertrag und somit auch kein Verlust im bilanzrechtlichen Sinne ergeben könne. Der erkennende Senat folgt dieser Auffassung nicht. Das HGB verwendet den Begriff "Geschäfte" im weitesten Sinne. Er umfaßt insbesondere die zum Betrieb des Handelsgewerbes des Kaufmanns gehörenden Rechtsgeschäfte (s. § 343 Abs. 1, § 344 Abs. 1 HGB; Heymann/Horn, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 1989/1990, § 343 RdNr. 7, § 344 Rdnr 5; Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 28. Aufl., 1989, § 343 Anm. 1; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 5. Aufl., § 249 HGB RdNr. 79). Dem Gesetz läßt sich auch nicht entnehmen, daß nur die Unterschiedsbeträge zwischen bilanzierungsfähigen Erträgen und höheren Aufwendungen Verluste i. S. des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind (gleicher Ansicht Blümich/Schreiber, a. a. O., § 5 EStG RdNr. 879; ablehnend z. B. auch Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O., § 249 HGB RdNr. 86; Mathiak, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1988, 291, 295).
2. Dauerschuldverhältnisse sind auch die Berufsausbildungsverhältnisse i. S. des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl I 1969, 1112). Sie werden durch einen Berufsausbildungsvertrag begründet (§ 3 BBiG). Dieser ist ein gegenseitiger auf Leistungsaustausch gerichteter Vertrag.
Das ausbildende Unternehmen verpflichtet sich durch ihn, dafür zu sorgen, daß dem Auszubildenden die Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden, die zum Erreichen des vereinbarten Ausbildungsziels in der vorgesehenen Ausbildungszeit erforderlich sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BBiG). Die dafür benötigten Ausbildungsmittel muß es dem Auszubildenden kostenlos zur Verfügung stellen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 BBiG). Diesem ist außerdem eine Vergütung zu gewähren (§ 10 Abs. 1 BBiG). Der Auszubildende seinerseits übernimmt dem ausbildenden Unternehmen gegenüber die Verpflichtung, sich zu bemühen, die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben und insbesondere die ihm aufgetragenen Verrichtungen sorgfältig auszuführen (§ 9 BBiG).
Gegen die Qualifizierung des Berufsausbildungsvertrags als einen auf Leistungsaustausch gerichteten Vertrag spricht nicht, daß dem Auszubildenden nur Verrichtungen übertragen werden dürfen, die dem Ausbildungszweck dienen (§ 6 Abs. 2 BBiG) und die somit - zumindest auch, wenn nicht gar vorrangig - im Interesse des Auszubildenden liegen. Denn diese Beschränkung ändert nichts daran, daß der Auszubildende seine Arbeitskraft dem ausbildenden Unternehmen zur Verfügung stellt und ihm damit eine Leistung erbringt.
Ein Berufsausbildungsverhältnis ist ein schwebendes Geschäft, solange es nicht beendet ist. Es endet - falls es nicht zuvor gekündigt wird - mit Ablauf der Ausbildungszeit; besteht der Auszubildende die Abschlußprüfung vorher, endet es mit Bestehen der Prüfung (§ 14 Abs. 1 und 2, § 15 Abs. 1 und 2 BBiG). Besteht der Auszubildende die Abschlußprüfung nicht, verlängert sich das Berufsausbildungsverhältnis auf sein Verlangen bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, längstens um ein Jahr (§ 14 Abs. 3 BBiG).
3. Umstritten ist, unter welchen Voraussetzungen dem ausbildenden Unternehmen ein Verlust aus einem noch nicht beendeten Berufsausbildungsverhältnis droht.
a) Nach dem Urteil des erkennenden Senats in BFHE 140, 449, BStBl II 1984, 344 droht ihm jedenfalls dann kein Verlust, wenn der Berufsausbildungsvertrag zu den üblichen Bedingungen abgeschlossen wurde und das ausbildende Unternehmen durch ihn den Vorteil erlangt, aus einem im eigenen Haus ausgebildeten Bestand an Fachkräften auswählen zu können - sog. "Auswahlvorteil" - (zustimmend z. B. Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O., § 249 HGB RdNr. 100; Clemm/Nonnenmacher in Beck'scher Bilanzkommentar, 2. Aufl., 1990, § 249 HGB RdNr. 100 "Ausbildungskosten"; Fumi, Steuerrechtliche Rückstellungen für Dauerschuldverhältnisse, 1991, S. 111; Bordewin, Finanz-Rundschau - FR - 1984, 461; Jonas, Der Betrieb - DB - 1986, 1733, 1736; a. A. z. B. Hartung, Verpflichtungen im Personalbereich in Handels- und Steuerbilanz sowie in der Vermögensaufstellung, 1987, S. 166, 173 f., 200 f.; Herzig, Steuerberater-Jahrbuch - StbJb - 1985/86, S. 87, 93; ders., DB 1985, 1301; Lempenau, FR 1984, 462; Streim, FR 1984, 464; E. Schmidt, Betriebs-Berater - BB - 1984, 1482).
b) Nach einer im Schrifttum weit verbreiteten Auffassung soll ein Verlust jedoch dann drohen, wenn ein Unternehmen Berufsausbildungsverträge mit mehr Personen abgeschlossen hat, als es zur Sicherung eines ausreichenden Bestands an im eigenen Unternehmen ausgebildeten Fachkräften voraussichtlich benötigen wird (sog. "Überbestand" an Berufsausbildungsverhältnissen; s. z. B. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 8. Aufl., 1991, S. 131; Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O., § 249 HGB RdNr. 100; Clemm/Nonnenmacher, a. a. O., § 249 HGB RdNr. 100 "Ausbildungskosten"; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 5 EStG Anm. 940 "Ausbildungskosten"; Schülen, Die Wirtschaftsprüfung - WPg - 1983, 658; Jonas, DB 1986, 1733, 1736; Hartung, BB 1988, 2138, 2141; a. A. Fischer, DB 1980, 169; Bordewin, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1985, 11; Brandenberg, DB 1986, 618; Fumi, a. a. O., S. 116; Schmidt, a. a. O., § 5 Anm. 57 "Ausbildungskosten"; Nieland, a. a. O., §§ 4, 5 EStG RdNr. 949 "Berufsausbildungsverhältnis"; Blümich/Schreiber, a. a. O., § 5 EStG RdNr. 920 "Arbeitsverhältnis").
Diese Auffassung beruht auf drei Annahmen:
1. Der erfolgswirksame Ertrag der Arbeitsleistungen des Auszubildenden (= wirtschaftlicher Wert der unmittelbaren Ergebnisse der Arbeitsleistung für das ausbildende Unternehmen) ist geringer als die Aufwendungen, die dem ausbildenden Unternehmen durch die Ausbildung entstehen.
2. Die Differenz wird - jedenfalls soweit sie durch den Überbestand an Berufsausbildungsverhältnissen entsteht - nicht durch den Auswahlvorteil ausgeglichen.
3. Andere Vorteile, die die Differenz ausgleichen und bei der Bilanzierung berücksichtigt werden müssen, sind - abgesehen von Fällen, in denen Dritte Zuschüsse zur Deckung der Aufwendungen leisten - nicht vorhanden.
Im Streitfall treffen nur die beiden ersten Annahmen zu.
c) Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG setzte die Klägerin die Auszubildenden überwiegend nicht produktiv ein und bildete sie u. a. in Lehrwerkstätten aus. Daraus folgt, daß die unmittelbaren Ergebnisse der Arbeitsleistung der Auszubildenden für die Klägerin wirtschaftlich überwiegend wertlos waren. Der Wert der Arbeitsleistungen der Auszubildenden im Produktivbereich betrug nach Angabe der Klägerin insgesamt nur etwa 100 000 DM pro Jahr. Er lag also weit unter den Aufwendungen, die der Klägerin jährlich aufgrund der Berufsausbildungsverträge entstanden.
d) An den Bilanzstichtagen der Streitjahre war bei der Klägerin ein Überbestand an Berufsausbildungsverhältnissen vorhanden.
Ob ein Überbestand vorhanden ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Nicht nur der künftige Bedarf des ausbildenden Unternehmens an Arbeitskräften mit der speziellen Berufsausbildung spielt eine Rolle, sondern auch das Verhältnis zwischen der Zahl der Auszubildenden, die wahrscheinlich ihre Ausbildung erfolgreich abschließen und die Leistungsanforderungen des Unternehmens für die Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis erfüllen werden und voraussichtlich im Unternehmen weiter beschäftigt werden wollen, zu der Zahl der Auszubildenden, die erfahrungsgemäß die Ausbildung abbrechen, aufgrund ihrer Leistungen für das Unternehmen nicht geeignet sind oder nach Abschluß der Ausbildung das Unternehmen verlassen wollen. Ein Überbestand ist in der Regel nicht bereits dann vorhanden, wenn das Unternehmen voraussichtlich nicht alle Auszubildenden nach Abschluß der Ausbildung in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernehmen wird. Um seinen Bedarf an im eigenen Haus ausgebildeten Fachkräften sicher decken zu können, muß ein Unternehmen vielmehr zur Reserve stets mehr Personen ausbilden, als es nach Beendigung der Ausbildung übernehmen will. Es ist daher zu unterscheiden zwischen dem Bestand, der dem voraussichtlichen Bedarf an im eigenen Unternehmen ausgebildeten Fachkräften entspricht (Bedarfsbestand), dem zusätzlichen Bestand, der benötigt wird, um diesen Bedarf zahlenmäßig und qualitativ sicher decken zu können (Reservebestand), und dem darüber hinausgehenden Überbestand.
Die Klägerin mußte nur geringe Reservebestände einplanen. Sie ist in einer strukturschwachen Region tätig, in der in den Streitjahren ein erheblicher Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen bestand. Daher konnte sie bei der Einstellung der Auszubildenden aus einer großen Zahl von Bewerbern auswählen und nur die ihr am besten geeignet erscheinenden Personen einstellen. Die Gefahr, daß diese die Ausbildung nicht beendeten und den Leistungsanforderungen der Klägerin nicht genügten, war somit gering. Aufgrund des Arbeitsplatzmangels in der Region konnte die Klägerin auch erwarten, daß ein Auszubildender nur selten das Angebot ausschlagen würde, ihn nach der Ausbildung weiter zu beschäftigen. Dazu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, sie habe allenfalls einen Reservebestand von 50 % des Bedarfsbestands einplanen müssen. Das FA hat dem nicht widersprochen.
Die Klägerin bildete in den Streitjahren erheblich mehr Personen aus, als sie voraussichtlich für eine ausreichende Personalauswahl bei Beendigung der Berufsausbildungsverhältnisse benötigte. In den Jahren 1974 und 1975 stellte sie insgesamt 70 Auszubildende ein, von denen sie nach Beendigung der Ausbildung - die nach der Feststellung des FG dreieinhalb Jahre dauerte - in den Jahren 1977 und 1978 insgesamt 22 Personen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernahm. Wird der benötigte Reservebestand auf 50 % des Bedarfsbestands geschätzt - eine griffweise Schätzung, die nach Ansicht der Beteiligten realistisch ist -, hätte sie 1974 und 1975 nur insgesamt 33 Auszubildende einstellen müssen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Bedarf an im eigenen Unternehmen ausgebildeten Fachkräften in den Jahren 1977 und 1978 decken zu können. Bereits aufgrund der in den Jahren 1974 und 1975 abgeschlossenen Berufsausbildungsverträge bestand daher Ende 1976 ein Überbestand von 37 Berufsausbildungsverhältnissen. Die in den Streitjahren neu abgeschlossenen Berufsausbildungsverträge erhöhten den Überbestand weiter. Die Klägerin stellte in den Streitjahren 203 Auszubildende ein und übernahm nach Ende der Ausbildung - in den Jahren 1979 bis 1983 - insgesamt 34 (nach den Angaben der Klägerin im Revisionsverfahren insgesamt 38) von ihnen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Wird der Reservebestand auf 50 % des Bedarfsbestands geschätzt, hätte die Klägerin in den Streitjahren nur etwa 51 bis 57 Auszubildende einstellen müssen, um mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Bedarf an im eigenen Unternehmen ausgebildeten Fachkräften in den Jahren 1979 bis 1983 decken zu können. Der Überbestand betrug daher etwa 72 bis 75 % des Gesamtbestandes.
Für die Ermittlung eines Überbestands kommt es nicht darauf an, ob das ausbildende Unternehmen auch ohne Ausbildung seinen Personalbedarf hätte decken können. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit das Unternehmen Berufsausbildungsverträge abgeschlossen hat, um Arbeitsplätze mit selbst ausgebildeten Fachkräften besetzen zu können. Die Klägerin hat ihre früher vertretene Rechtsansicht, ihr gesamter Bestand an Berufsausbildungsverhältnissen sei ein Überbestand gewesen, da sie ihren Bedarf an ausgebildeten Fachkräften auch ohne eigene Ausbildung hätte decken können, in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten.
e) Der Überbestand erhöhte zwar das Auswahlpotential der Klägerin. Wirtschaftlich war dieser Effekt des Überbestands für die Klägerin aber bedeutungslos, da ihr bereits Bedarf- und Reservebestand eine ausreichende zahlenmäßige und qualitative Auswahlmöglichkeit sicherten. Er erhöhte daher nicht den Auswahlvorteil.
Bildet ein Unternehmen mehr Fachkräfte aus, als es voraussichtlich nach Abschluß der Ausbildung benötigen wird, besteht der Auswahlvorteil nicht nur in der Chance, zwischen selbst ausgebildeten und in anderen Unternehmen ausgebildeten Fachkräften wählen zu können, sondern auch in der Chance, von den selbst ausgebildeten Fachkräften die am besten qualifizierten auswählen zu können. Diese Chancen, die das ausbildende Unternehmen bereits durch die Berufsausbildungsverträge erlangt (s. BFH-Urteil in BFHE 140, 449, BStBl II 1984, 344), haben einen wirtschaftlichen Wert, weil sie die Deckung des Personalbedarfs erleichtern und das Risiko der Personalauswahl und die Einarbeitungskosten verringern können. Zu ihnen trägt zwar grundsätzlich jedes einzelne Berufsausbildungsverhältnis bei, da in der Regel vor Beendigung der Ausbildung noch ungewiß ist, welche Auszubildenden in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Das bedeutet aber nicht, daß jedes einzelne Berufsausbildungsverhältnis auch den Wert des Auswahlvorteils erhöht. Der Höchstwert wird schon erreicht, sobald eine ausreichende zahlenmäßige und qualitative Auswahlmöglichkeit gesichert ist, wozu Bedarf- und Reservebestand genügen.
Da der Überbestand den Wert des Auswahlvorteils nicht erhöhte und die unmittelbaren Ergebnisse der Arbeitsleistungen der Auszubildenden für die Klägerin nur von geringem Wert waren, geht der erkennende Senat davon aus, daß der Klägerin aus den Berufsausbildungsverhältnissen in den Streitjahren Verluste drohten, falls durch die Berufsausbildungsverträge nicht andere bei der Bilanzierung zu berücksichtigende Vorteile für die Klägerin entstanden. Für diese Annahme spricht auch, daß die Klägerin den Auszubildenden eine unübliche Zusatzleistung erbrachte, indem sie einen erheblichen Teil der Kosten für die Unterbringung der Auszubildenden in einem Jugenddorf trug.
f) Andere bei der Bilanzierung zu berücksichtigende Vorteile sieht der Senat in der Ansehenssicherung oder -erhöhung, die die Klägerin durch ihre Ausbildungsleistungen erlangte.
Vor und in den Streitjahren forderten zahlreiche einflußreiche Personengruppen (z. B. Regierungen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, politische Parteien und Kirchen) die Unternehmen auf, aus sozialen, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Gründen möglichst viele Personen - insbesondere Jugendliche - zu qualifizierten Fachkräften auszubilden. Kam ein Unternehmen der Aufforderung nach, wurde dies positiv beurteilt. Unternehmen, die aufgrund ihrer Struktur und wirtschaftlichen Lage Berufsausbildungsverträge hätten abschließen können, dies aber nicht taten, wurden kritisiert. Die Unternehmen schlossen deshalb auch zur Sicherung oder Erhöhung ihres Ansehens (Ruf, Image) zusätzliche Ausbildungsverträge ab. Insbesondere größere Unternehmen machen aus diesem Grund schon seit vielen Jahren in ihren für die Öffentlichkeit bestimmten Geschäftsberichten und etwaigen Sozialbilanzen werbewirksam auf ihre Ausbildungsleistungen aufmerksam.
Die Sicherung oder Erhöhung des Ansehens ist ein wirtschaftlicher Vorteil. Ein positives Ansehen bei den Mitarbeitern, den Geschäftspartnern und in der Öffentlichkeit erleichtert es dem Unternehmen, seine Ziele zu erreichen. Daß der wirtschaftliche Wert eines positiven Ansehens sehr hoch ist, zeigen z. B. die erheblichen Aufwendungen für das sog. Wissenschafts- und Kultur-Sponsoring, durch das Unternehmen ihr Ansehen erhöhen wollen, indem sie allgemein als förderungswürdig erachtete Tätigkeiten finanziell unterstützen.
Die Klägerin schloß die Berufsausbildungsverträge nach eigenen Angaben aus sozialen Gründen ab, um auch in dem strukturschwachen Gebiet, in dem sie tätig ist, jungen Menschen eine Ausbildungschance zu bieten. Da in den Streitjahren 74 % des Aktienkapitals der Klägerin von Gebietskörperschaften gehalten wurden und die Ertragslage der Klägerin gut war, hätte sie einen beträchtlichen Ansehensverlust erlitten, wenn sie sich den Forderungen, auch über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden, verschlossen hätte. Zur Sicherung oder Erhöhung des Ansehens der Klägerin trugen alle ihre Leistungen aufgrund der Berufsausbildungsverträge bei, auch die Unterbringung der Auszubildenden in einem Jugenddorf.
Die Angabe der Klägerin, der Überbestand an Berufsausbildungsverträgen sei mit keinen Vorteilen für ihr Unternehmen verbunden gewesen, hält der Senat nicht für zutreffend. Zwar ist es richtig, daß die über den eigenen Bedarf hinausgehenden Ausbildungsleistungen der Klägerin ihren Umsatz nicht erhöhten und zu erheblichen gewinnmindernden Ausgaben führten. Ebenso richtig ist aber auch, daß die Klägerin diese Ausgaben leistete, um ihr Ansehen zu sichern oder zu erhöhen. Wäre es anders, würde sich die Frage stellen, ob die Ausgaben durch den Betrieb veranlaßt wurden und ob sie als Spenden oder verdeckte Gewinnausschüttungen zu beurteilen sind.
Der wirtschaftliche Vorteil "Sicherung oder Erhöhung des Ansehens des Unternehmens" ist bei der Bilanzierung - nämlich bei der Prüfung, ob durch den Überbestand an Ausbildungsverträgen ein Verlust drohte - zu berücksichtigen, obwohl er nicht Teil der von den Auszubildenden zu erbringenden Gegenleistung war. Kennzeichnend für die zum Überbestand führenden Berufsausbildungsverträge ist, daß die Klägerin die Verträge nicht abschloß, um die Arbeitsleistungen der Auszubildenden oder einen Auswahlvorteil zu erlangen, sondern um ihr Ansehen zu sichern oder zu erhöhen. Bei der Prüfung, ob durch die Verträge Verluste drohten, ist deshalb nicht der Wert der Arbeitsleistungen und des Auswahlvorteils mit dem Wert der von der Klägerin übernommenen Verpflichtungen zu vergleichen. Vielmehr ist der Wert der von der Klägerin übernommenen Verpflichtungen mit dem Wert der zu erwartenden Ansehenssicherung oder -erhöhung zu vergleichen.
Die Klägerin hat nicht dargetan, daß der Wert der von ihr übernommenen Verpflichtungen höher war als der Wert der Ansehenssicherung oder -erhöhung, die sie erwartete. Sie hat den Überbestand und die Aufwendungen für die Unterbringung der Auszubildenden in einem Jugenddorf nicht als eine - für ihr Ansehen schädliche - Fehlmaßnahme beurteilt. Sonst hätte sie ihre aufwendigen Ausbildungsleistungen nicht über viele Jahre beibehalten. Daher ist davon auszugehen, daß sich beide Werte entsprachen.
Die Berücksichtigung des Vorteils "Ansehenssicherung oder -erhöhung" verstößt nicht gegen ein bilanzrechtliches Saldierungsverbot. Nach dem Grundsatz der Einzelbewertung dürfen in den Saldierungsbereich einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zwar nur die Aufwendungen und Erträge einbezogen werden, die durch die Verpflichtungen und Ansprüche aus dem einzelnen schwebenden Geschäft verursacht sind. Er schließt aber weder aus, mehrere Geschäfte wirtschaftlich als Einheit zu betrachten (s. BFH-Urteil in BFHE 139, 244, BStBl II 1984, 56), noch verbietet er, alle wirtschaftlichen Folgen eines Geschäfts in den Saldierungsbereich einzubeziehen.