BFH

BFHIII R 102/8912.6.1991

Amtlicher Leitsatz:

1. Die Kosten von Heilkuren von Kindern können grundsätzlich nur dann als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn die Notwendigkeit der Kur durch eine vor ihrem Antritt erstellte amtsärztliche Bescheinigung bestätigt wird und das Kind während der Kur in einem Kinderheim untergebracht ist.

2. Ist das Kind während einer Kur (hier: Klimakur an der Nordsee), bei der es von einem Elternteil begleitet wird, privat untergebracht, so ist zusätzlich eine vor Antritt der Kur erstellte amtsärztliche Bescheinigung beizubringen, aus der sich ergibt, daß und warum der Kurerfolg auch bei einer Unterbringung außerhalb eines Kinderheims gewährleistet ist.

Normen

§ 33 EStG

 

Tatbestand:

Der im Streitjahr 1985 neunjährige Sohn H der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte in der Zeit vom 20. Juli bis 17. August 1985 in Begleitung seiner Mutter in Wyk auf Föhr eine sog. offene Badekur. Auf Grund einer amtsärztlichen Untersuchung vom 14. Februar 1985 wurde in einer Bescheinigung des Gesundheitsamts der Stadt F eine Heilkur in Wyk auf Föhr wegen häufig wiederkehrender fieberhafter Infekte des Kindes für erforderlich angesehen. Nach einer Bescheinigung des Badearztes Dr. D in Wyk auf Föhr vom 29. Oktober 1986 litt H unter sehr häufigen Luftwegsinfekten mit Nebenhöhlenentzündungen und Bronchitiden. Dr. D hatte H am 22. und 29. Juli 1985 untersucht und mit Rücksicht auf die Zusage der Beihilfestelle zur Übernahme der Kosten auf eine Schlußuntersuchung verzichtet.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1985 machten die Eheleute neben einer vom Finanzamt (FA) anerkannten außergewöhnlichen Belastung, die unter der zumutbaren Belastung lag, Aufwendungen anläßlich des Aufenthalts auf Föhr in Höhe von ... DM geltend (Fahrtkosten PKW, Kosten der Fähre, Unterkunftskosten, Kosten für Lebensmittel, Kurtaxe, Strandkorb, Wellenbad, Zirkus, Ausflüge und Gebühr für ärztliches Attest).

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus, im Streitfall bestehe die Möglichkeit, daß die Aufwendungen insgesamt oder zum Teil Krankheitskosten seien.

Denn der Sohn H habe offensichtlich unter Luftwegsinfekten mit Nebenhöhlenentzündungen und Bronchitiden gelitten. Es sei daher gut vorstellbar, daß der Kläger und seine Ehefrau auf ihre sonst durchgeführte Erholungsreise verzichtet und die Ehefrau ihren kleinen Sohn nur auf Föhr begleitet habe, um dem kranken Kind Erleichterung und ggf. auch eine Besserung des Krankheitsbildes zu verschaffen. Ein überwiegender Grad von Wahrscheinlichkeit dafür, daß es sich bei dem Aufenthalt auf Föhr nicht um einen Erholungsurlaub gehandelt habe, sei jedoch nicht ausreichend, um der Klage stattgeben zu können; vielmehr müsse das Gericht dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen. Dem Aufenthalt auf Föhr sei jedoch nicht anzusehen, ob er krankheitsbedingt gewesen sei oder ob ein Erholungsurlaub vorgelegen habe. Es sei fast unmöglich zu beweisen, daß die Familie des Klägers niemals auf Föhr ihren Urlaub verbracht hätte. Hierin liege für die Eltern, die einen Aufenthalt ausschließlich aus Krankheitsgründen wählten, eine Härte, die jedoch in der Regel nicht vermeidbar sei.

Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger im wesentlichen folgendes vor:

Das FG habe ihm mit Schreiben vom ... den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung "suggeriert". Da er dagegen Bedenken gehabt habe, habe er am ... den Erlaß eines Vorbescheides beantragt. Diesen Antrag habe das FG durch seine Ladung zur mündlichen Verhandlung vom ... praktisch abgelehnt und noch einmal "seine Suggestion", nämlich auf mündliche Verhandlung zu verzichten, wiederholt. Diesen Verzicht habe er, der Kläger, dann im Vertrauen auf das FG ausgesprochen.

Mit dieser Verfahrensweise habe das FG gegen seine Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die Beteiligten zu diesem Zweck heranzuziehen (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), verstoßen. Der Senatsvorsitzende sei gemäß § 76 Abs. 2 FGO verpflichtet gewesen, darauf hinzuwirken, daß etwa ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben würden. Dies habe das FG nicht beachtet. So heiße es auf S. 4 der Gründe, daß das Gericht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen müsse, daß es sich nicht um einen Erholungsurlaub gehandelt habe. Weiter habe der Senat ausgeführt, daß im Streitfall die Besonderheit bestehe, daß das Heilmittel als solches, die Luft auf Föhr, nichts koste und aus diesem Grunde ein ärztliches Attest nicht (wie beieinem anerkannten Präparat) als Nachweismittel in Betracht kommen könne. Auf der gleichen Linie liege es, wenn das FG ausführe, die Kosten seien wie bei einer üblichen Erholungsreise entstanden und dem Aufenthalt sei auch nicht anzusehen, ob er krankheitsbedingt gewesen sei. Alle diese vom FG selbst für wesentlich erachteten Fragen habe es lediglich aufgeworfen, um sie sogleich zum Nachteil des Klägers zu beantworten. Dabei hätten die entsprechenden Feststellungen problemlos zu seinen, des Klägers, Gunsten getroffen werden können. Das FG hätte ihn als Partei vernehmen müssen. Außerdem habe seine Ehefrau, die Mutter des Kindes H, als Zeugin zur Verfügung gestanden. Sowohl er, der Kläger, als auch seine Ehefrau hätten durch ihren ernsthaften Vortrag, ihr seriöses Auftreten und ihre überzeugenden Darlegungen ihrer Einstellung zum Urlaub, ihrer Vorstellung von Urlaub und ihrer Wünsche an einen Urlaub dem Gericht die erforderliche Sicherheit für seine Entscheidung vermitteln können.

Entscheidungsgründe

Obwohl der Kläger ausschließlich Verfahrensrügen erhoben hat, ist der Senat an einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Vorentscheidung nicht gehindert, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 118 FGO RdNr. 66, m. w. N.).

Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen regelmäßig zwangsläufig, weil er sich ihnen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Sie gehören aber nur dann zu den nach § 33 EStG berücksichtigungsfähigen Aufwendungen, wenn sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen. Diese Voraussetzung fehlt bei Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. Dezember 1978 VI R 149/75, BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78).

Aufwendungen für eine der Behandlung einer Krankheit dienende Reise (Kur) sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur dann als Krankheitskosten anzusehen, wenn die Reise zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich notwendig ist und eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (BFH-Urteile vom 11. Dezember 1987 III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275, und vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, jeweils m. w. N.). Zum Nachweis der Notwendigkeit einer solchen Reise ist es regelmäßig erforderlich, daß der Steuerpflichtige ein vor Antritt der Kur ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis vorlegt und sich am Zielort einer unter ärztlicher Kontrolle stehenden Heilbehandlung unterzieht (Urteile in BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275, und in BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295).

Diese, von der Rechtsprechung zur Beurteilung der Notwendigkeit einer Kurreise entwickelten Kriterien sind im Streitfall erfüllt. Denn das vom Kläger vorgelegte amtsärztliche Attest ist vor Antritt der Kurreise erstellt worden. Es bescheinigt dem Sohn H des Klägers die Notwendigkeit einer Heilkur in Wyk auf Föhr. Zwar enthält es nicht die an sich nach der Rechtsprechung erforderliche Angabe einer bestimmten Aufenthaltsdauer, doch bestehen insofern nach Ansicht des Senats im Hinblick auf den hier zu beurteilenden Aufenthalt von rd. vier Wochen keine durchgreifenden Bedenken. Denn ein Aufenthalt dieser Dauer dürfte einerseits mindestens erforderlich sein, um einen nachhaltigen Erfolg zu erzielen, andererseits ist er aber auch nicht so kurz, daß daraus Anhaltspunkte gegen den Charakter der Reise als Heilbehandlung hergeleitet werden könnten. Im übrigen ist das Kind auch - in der ersten Hälfte des Aufenthaltes - zweimal ärztlich untersucht worden. Bei Heilkuren, deren Erfolg - wie hier - entscheidend von einem Klimawechsel abhängt (Klimakuren), ist im übrigen eine ärztliche Überwachung am Kurort nicht stets erforderlich (Senatsurteil vom 23. Oktober 1987 III R 64/85, BFH/NV 1988, 149).

Allerdings brauchte das FG daraus, daß im Streitfall die Voraussetzungen für die Notwendigkeit einer Klimakur auf Föhr gegeben waren, noch nicht zu schließen, daß es sich bei dem streitigen Aufenthalt tatsächlich um eine Heilkur gehandelt hat. Denn diese Beurteilung setzt ferner voraus, daß die Reise nach ihrem Gesamtcharakter eine Kurreise und nicht ein Erholungsaufenthalt ist, der der Gesundheit letztlich auch förderlich ist.

In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß gegen die Annahme einer Heilkur insbesondere der äußere Ablauf einer Reise sprechen kann, z. B. wenn die Reise normalerweise von Reisebüros für Erholungssuchende vermittelt wird (BFH-Urteil vom 10. März 1972 VI R 256/69, BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534) oder wenn eine (erwachsene) kurbedürftige Person nicht in einem Sanatorium u. ä., sondern in einem Hotel oder Privatquartier untergebracht ist (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 33 Anm. 8 "Heilkuren").

Der Streitfall weist die Besonderheit auf, daß sich die kurbedürftige Person noch im Kindesalter befindet. Der Senat geht davon aus, daß für einen Kuraufenthalt von Kindern üblicherweise in erster Linie eine Unterbringung in einem Kinderheim in Betracht kommt und zur Sicherstellung des Kurerfolgs angezeigt ist. Für Klimakuren gilt insoweit nichts Besonderes. Denn auch bei solchen Kuren muß gewährleistet sein, daß der Heilerfolg fachgerecht, etwa durch kurgemäße Tages- und Freizeitgestaltung (insbesondere sportliche Betätigung) und eine der Kur angepaßte Ernährung unterstützt und jedenfalls nicht durch unkontrollierte schädliche Einflüsse gefährdet wird. Der Senat geht davon aus, daß dies bei Kindern am besten durch eine Unterbringung in einem Kinderheim gewährleistet werden kann. Hinzu kommt, daß bei Kuraufenthalten von Kindern die Abgrenzung von Kur- und Urlaubsaufenthalten deshalb besonders schwierig sein kann, weil Kinder, die nicht in einem Heim untergebracht sind, regelmäßig von einer erwachsenen Person - wie hier der Mutter - begleitet werden müssen.

Aus den vorerwähnten Gründen geht der Senat davon aus, daß Kuraufenthalte von Kindern nur dann als Heilmaßnahme und damit die entsprechenden Aufwendungen nur dann als Krankheitskosten im Rahmen des § 33 EStG anerkannt werden können, wenn das Kind während der Kur in einem Kinderheim untergebracht ist oder wenn eine amtsärztliche Bescheinigung bestätigt, daß und warum der Kurerfolg auch bei einer anderweitigen Unterbringung erreicht werden kann. Auch diese Bescheinigung muß grundsätzlich wie das amtsärztliche Attest, das die Notwendigkeit der Kur überhaupt bescheinigt, vor Antritt der Kur erstellt werden.

Da der Senat insoweit bei Kindern zur Abgrenzung von Kur- und Urlaubsaufenthalten erstmals besondere Anforderungen aufgestellt hat, kann die einschlägige amtsärztliche Bestätigung bei Kuraufenthalten, die vor Veröffentlichung dieses Urteils angetreten worden sind, ausnahmsweise noch nachträglich erstellt werden (vgl. insoweit BFH-Urteil vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711, zur amtsärztlichen Bescheinigung bei Frischzellentherapie). Wird die amtsärztliche Bescheinigung, daß der Kurerfolg auch bei einer privaten Unterbringung der tatsächlich gewählten Art gewährleistet war, erbracht, so steht dem Abzug der dadurch veranlaßten notwendigen Kosten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG) nichts mehr entgegen.

Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist an das FG gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, da sie nicht spruchreif ist. Das FG wird den Klägern Gelegenheit zu geben haben, die amtsärztliche Bestätigung noch beizubringen. Geschieht dies, so wird das FG die geltend gemachten Aufwendungen im einzelnen auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen haben. Dabei wird es insbesondere zu berücksichtigen haben, daß die Kosten einer etwaigen Begleitung durch den Kläger selbst nicht anerkannt werden können, da eine zusätzliche Begleitung durch ihn nicht erforderlich war. Die pauschal geltend gemachten Aufwendungen für Lebensmittel sind jedenfalls nicht ohne Berücksichtigung einer Haushaltsersparnis, Kfz-Kosten nur in Höhe der vergleichbaren Bahnkosten anzuerkennen (vgl. Schmidt/Drenseck, a. a. O., § 33 Anm. 8, "Heilkuren").

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