BFH

BFHX R 140/889.8.1990

Amtlicher Leitsatz:

Der Verzicht auf ein testamentarisch vermachtes obligatorisches Wohnrecht gegen Entgelt ist im privaten Bereich nicht steuerbar.

Normen

§ 21 Abs. 1 EStG

 

Tatbestand:

Der Kaufmann J M setzte der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und deren Mutter, der Beigeladenen, testamentarisch folgendes Vermächtnis aus:

"Der Frau K M, sowie dem Fräulein S M soll die Wohnung, welche diese in meinem Hause innehaben, in vollem Umfange auf die Dauer von fünf Jahren nach meinem Ableben weiter unentgeltlich gewährt werden."

Der Erblasser verstarb im Februar 1968. In der Folgezeit bewohnten die Klägerin und die Beigeladene weiterhin die auf dem Betriebsgelände der Firma M gelegene Wohnung. Mit notariellem Vertrag vom 6. September 1968 vereinbarten sie mit den Erben nach J M die Beendigung des Nutzungsverhältnisses zum 1. September 1968. In dem Vertrag heißt es u. a. :

(§ 1) "Nach dem ... Testament des Herrn J M sen. haben

1. Frau K M

2. Fräulein S M das Wohnrecht in dem Haus ...

(§ 2)...

Die Damen verlassen die Wohnung im Interesse und zum Wohlergehen der Firma M...

(§ 3) Als Gegenleistung für die Aufgabe der Wohnung haben die Zahlungsverpflichteten, ... eine monatliche Abstandssumme als Miete von DM 432 festgelegt. Das von Herrn H F erstellte Gutachten weist den Mietwert mit DM 432 aus und wird von beiden Parteien anerkannt, einmal für die Entschädigung der Aufgabe der Wohnung einerseits und andererseits für die Übernahme der Wohnung gegen Zahlung von monatlich DM 432 auf die Dauer von vier Jahren und sechs Monaten ...".

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, die laufenden Zahlungen für die Aufgabe des Wohnrechts seien als sonstige Einkünfte zu erfassen. Mit Feststellungsbescheiden vom 24. Februar/21. Mai 1987 stellte er für die Streitjahre 1969 bis 1972 sonstige Einkünfte in Höhe von jeweils 5 184 DM fest, die er der Klägerin und der Beigeladenen je zur Hälfte zurechnete. Die hiergegen eingelegten Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und zur Begründung u. a. ausgeführt:

Die Klägerin und die Beigeladene hätten ihr Wohnungsrecht zugunsten der mit dem Vermächtnis belasteten Erben endgültig aufgegeben. Hierfür hätten sie eine in monatlichen Raten zu begleichende Abfindungssumme erhalten. Daß die Vertragspartner in den §§ 3 und 4 des Vertrages die monatliche Abstandszahlung als "Miete" bzw."Wohnungsmietentschädigung" bezeichnet hätten, sei unschädlich. Die Vertragsschließenden hätten kein Dauerschuldverhältnis in Gestalt einer Rückvermietung des Wohnraums an die Erben gewollt. Der Vorgang entspreche mithin dem Normalbild einer Vermögensumschichtung in der privaten Sphäre. Da die monatlichen Zahlungen den Mietwert nicht überschritten, enthielten sie auch keinen nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerbaren Zinsanteil.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Der hier zu beurteilende Vorgang sei als nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbare Überlassung des Rechts zur Wohnungsnutzung anzusehen. Jedenfalls seien die geleisteten Zahlungen als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) zu erfassen. Die entgeltliche Bestellung eines zeitlich begrenzten dinglichen Rechts zur Nutzung von Grundstücken führe im Bereich des Privatvermögens zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Entsprechendes müsse auch hier gelten, da die Klägerin "als Eigentümerin des schuldrechtlichen Wohnrechts" dieses in der Weise ausgeübt habe, daß sie auf die Ausübung ihres Rechts auf Eigennutzung zugunsten eines Dritten entgeltlich verzichtet habe.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Entgegen der Auffassung des FA führen die Zahlungen nicht zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

a) Dies würde voraussetzen, daß sich die Zahlungen ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach als Gegenleistung für die Überlassung des Gebrauchs oder der Nutzung des überlassenen Gegenstandes darstellen, wobei dieser in seinem Substanzwert erhalten bleibt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. August 1977 VIII R 7/74, BFHE 123, 176, BStBl II 1977, 796). Einkünfte i. S. des § 21 EStG erzielt derjenige, der mit den Rechten und Pflichten eines Vermieters Sachen oder Rechte i. S. des § 21 Abs. 1 EStG an andere zur Nutzung gegen Entgelt überläßt (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1983 VIII R 205/80, BFHE 138, 242, BStBl II 1983, 502).

Diese Tatbestandsvoraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor, weil die Klägerin und die Beigeladene sich nicht als Vermieter verpflichtet haben, den Gebrüdern M den mit dem obligatorischen Wohnrecht belasteten Grundstücksteil zur Nutzung zu überlassen. Nachdem sie auf ihr Wohnrecht verzichtet hatten, konnten die Eigentümer diesen Grundstücksteil aus eigenem Recht nutzen. Die Annahme einer "Rückvermietung" an die Eigentümer entspräche weder den zivilrechtlichen noch den wirtschaftlichen Gegebenheiten.

b) Die Gegenleistung für den Verzicht auf das Wohnrecht ist auch keine Entschädigung für entgehende Einnahmen i. S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a i. V. m. § 21 Abs. 2 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 7. Mai 1965 VI 303/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 506; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 24 EStG Anm. 5 "Verzicht"; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., 1990, § 24 Anm. 5b; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 24 Rdnr. 42).

2. Die Steuerbarkeit ergibt sich nicht aus § 22 Nr. 3 EStG.

a) Eine (sonstige) Leistung i. S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgeltes willen erbracht wird; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge und veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür gezahlt wird, daß ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (BFH-Urteile vom 21. September 1982 VIII R 73/79, BFHE 137, 251, BStBl II 1983, 201; vom 28. November 1984 I R 290/81, BFHE 143, 38, BStBl II 1985, 264). Das FG hat unter Anwendung der im BFH-Urteil vom 5. August 1976 VIII R 117/75 (BFHE 120, 182, BStBl II 1977, 27) aufgestellten Rechtsgrundsätze mit zutreffender Begründung entschieden, daß der vorliegend zu beurteilende Vertrag kein nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbares Nutzungsverhältnis begründet, weil dieser Rechtsvorgang unter Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände als veräußerungsähnlicher Vorgang dem Normalbild einer Vermögensumschichtung im privaten Bereich entspricht.

b) Das testamentarisch vermachte obligatorische Wohnrecht konnte - wie im Falle des Urteils in BFHE 120, 182, BStBl II 1977, 27 die durch Mietvertrag begründete Rechtsposition des Mieters - als "vermögenswertes Recht auf Nutzung der Wohnung" Gegenstand eines veräußerungsähnlichen Vertrages sein. In jenem Falle Sprach entscheidend für die Annahme einer Vermögensumschichtung im privaten Bereich, daß die Kläger für die dauernde Minderung des Nutzungswertes der Wohnung und zugleich für den "Verzicht auf die Durchsetzung der verlorenen Mietansprüche" entschädigt worden waren; durch die Abfindung war die "Hingabe dieses Vermögenswertes", nicht aber die Erteilung der abstrakten Zustimmung zu einer Minderung des Wohnwertes entgolten worden. Im Streitfall haben Klägerin und Beigeladene als Wohnberechtigte auf das ihnen zustehende Recht gegen ein ratenweise zu zahlendes Entgelt verzichtet. Nach der für den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) Feststellung des FG entsprach die vertraglich vereinbarte "Mietentschädigung" dem Nutzungswert des Wohnrechts. Dies rechtfertigt die Annahme, daß Klägerin und Beigeladene ihr Wohnrecht durch veräußerungsähnlichen Vorgang abgegeben haben.

c) Dies entspricht im Ergebnis dem BFH-Urteil vom 6. Juli 1965 I 343/62 (HFR 1965, 539), nach welchem die Entschädigung für die Aufgabe eines unkündbaren und mietzinsfreien Wohnrechts im privaten Bereich nicht steuerbar ist.

Nach dem BFH-Urteil vom 26. Oktober 1982 VIII R 83/79 (BFHE 138, 177, BStBl II 1983, 404) gehört zu den Einkünften i. S. von § 22 Nr. 3 EStG auch das Entgelt für eine Vereinbarung, durch die sich der Zahlungsempfänger verpflichtet, ein Bauvorhaben des Zahlenden zu dulden. Die Entscheidung verneint einen veräußerungsähnlichen Vorgang: Durch die Zahlung abgegolten worden sei der Verzicht auf nachbarrechtliche Einwendungen, nicht eine "Substanzübertragung des Grundstücks", auch wenn die Gegenleistung für die steuerbare Leistung nach der Wertminderung des dem Zahlungsempfänger gehörenden Grundstücks bemessen worden sei. - Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist mit jenem Urteilsfall insofern nicht zu vergleichen, als die Klägerin und die Beigeladene für die vollständige Aufgabe eines vermögenswerten Rechts entschädigt worden sind.

Mit Urteil vom 10. Dezember 1985 IX R 67/81 (BFHE 145, 542, BStBl II 1986, 340) hat der BFH entschieden, daß die Vergütung für ein dingliches Vorkaufsrecht, das der Vermieter dem Mieter im Zusammenhang mit der Nutzungsüberlassung zur Stärkung seiner Mieterposition einräumt, nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar ist. Dieses Urteil beruht auf der einzelfallbezogenen Erwägung, daß die Bestellung eines Vorkaufsrechts kein Veräußerungsvorgang oder "eine diesem gleichzustellende Vermögensumschichtung" ist, wenn sie in einem engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Nutzungsüberlassung steht. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt hier nicht vor.

3. Dem FG ist ferner darin zuzustimmen, daß die laufenden Zahlungen nicht als Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i. S. des § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerbar sind. Handelt es sich wie hier um eine veräußerungsähnliche, zeitlich gestreckte Vermögensumschichtung, sind die wiederkehrenden Zahlungen wie nichtsteuerbare Kaufpreiszahlungen zu behandeln. Die Vereinbarung einer ratenweise zu zahlenden Entschädigung enthält vorliegend auch kein Element einer Kapitalüberlassung gegen Entgelt, so daß die Besteuerung eines in den einzelnen Raten enthaltenen Zinsanteils nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG nicht in Betracht kommt.

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