Normen
§ 9 Abs. 1 EStG
Tatbestand:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind als Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Eigentümer eines Grundstücks, das sie 1973 bis 1975 mit einem Wohnblock, bestehend aus 164 Mietwohnungen, Läden und Garagen, bebauten. Die Wohnungen sind seit 1975 vermietet. Zur Finanzierung des Bauvorhabens nahmen sie 1972 bei einer Bank zwei Darlehen auf, die die Bank während der Bauzeit in Teilbeträgen auszahlte. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zog bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1973 erklärungsgemäß die Darlehenszinsen, Bereitstellungszinsen sowie das Damnum auf die bis Ende 1973 ausgezahlten Teile der Darlehen als Werbungskosten ab. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Für die Streitjahre 1974 bis 1979 erließ das FA nach einer Außenprüfung Feststellungsbescheide, in denen es die 1974 - während der Bauzeit - gezahlten Darlehenszinsen, die Bereitstellungszinsen und das 1974 verrechnete Damnum, insgesamt 2 436 660,85 DM, in diesem Streitjahr als Werbungskosten abzog und entsprechend ab 1975 geringere Absetzungen für Abnutzung (AfA) berechnete. Die Kläger hatten demgegenüber in ihrer Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung für 1974 die Bauzeitzinsen nicht als sofort abziehbare Werbungskosten, sondern als Herstellungskosten behandelt.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beantragten die Kläger mit ihrer Klage, die 1974 gezahlten Darlehenszinsen, die Bereitstellungszinsen und die Teile des Damnums, die nicht durch ein Tilgungsstreckungsdarlehen finanziert worden waren, den Herstellungskosten zuzurechnen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Die Anfechtungsklage betreffend den Feststellungsbescheid 1974 sei unzulässig. Die Kläger seien nicht beschwert, da nach dem Klageantrag ein geringerer Werbungskostenüberschuß als im Feststellungsbescheid begehrt werde. Eine zu niedrige Steuer führe nur dann zu einer Beschwer, wenn der unzutreffenden Besteuerungsgrundlage bindende Wirkung für andere Steuerbescheide zukomme. Das sei nicht der Fall, weil die Beurteilung der Bauzeitzinsen als Werbungskosten oder Herstellungskosten im Streitjahr 1974 für die Folgejahre nicht bindend sei. Die Klage betreffend die Streitjahre 1975 bis 1979 sei unbegründet. Finanzierungskosten seien Geldbeschaffungskosten und damit keine Herstellungskosten. Das in Abschn. 33 Abs. 6 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1969 bzw. Abschn. 33 Abs. 7 Satz 3 EStR 1975, 1978 und 1981 von der Finanzverwaltung eingeräumte Aktivierungswahlrecht habe keine gesetzliche Grundlage. Es könne deshalb offenbleiben, ob es auf bilanzierende Steuerpflichtige beschränkt sei.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision. Die Klage gegen den Feststellungsbescheid 1974 sei zulässig, weil die Verminderung des Werbungskostenüberschusses für dieses Streitjahr zu einer für sie günstigen Erhöhung der AfA in den Folgejahren führe. Die in 1974 gezahlten Darlehenszinsen, Bereitstellungszinsen und der Teil des Damnums, der 1974 durch Verrechnung abgeflossen sei, gehörten zu den Herstellungskosten. Das in Abschn. 33 EStR und in § 255 Abs. 3 Satz 2 des Handelsgesetzbuches in der Fassung des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (HGB n. F.) eingeräumte Wahlrecht in bezug auf die Behandlung dieser Aufwendungen als Herstellungskosten bestehe auch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Sie hätten von diesem Wahlrecht nicht dadurch Gebrauch gemacht, daß sie die Zinsen und das Damnum in ihrer Feststellungserklärung für 1973 als sofort abziehbare Werbungskosten behandelten. Das Wahlrecht könne während der Bauzeit in jedem Veranlagungszeitraum unterschiedlich ausgeübt werden.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte 1974 bis 1979 entsprechend zu ändern.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Anfechtungsklage gegen den Feststellungsbescheid für 1974 war entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanz zulässig, obwohl die Kläger für dieses Streitjahr statt eines Werbungskostenüberschusses einen Einnahmeüberschuß festgestellt haben wollen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob bei Anfechtungsklagen gegen Feststellungsbescheide eine Beschwer (§ 40 Abs. 2 FGO) auch dann zu bejahen ist, wenn die Feststellung eines höheren Überschusses (Gewinns) oder eines niedrigeren Verlustes begehrt wird (so Gräber/v. Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 40 Anm. 97; anderer Ansicht Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 40 FGO, Tz. 13). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat wiederholt entschieden, daß ein Steuerpflichtiger durch die zu niedrige Feststellung eines Gewinns oder Einnahmeüberschusses dann beschwert sein kann, wenn sich die zu niedrige Feststellung in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (BFH-Urteile vom 27. Mai 1981 I R 123/77, BFHE 133, 412, BStBl II 1982, 211, und vom 13. Dezember 1984 VIII R 273/81, BFHE 143, 238, BStBl II 1985, 394). Dabei genügt es, wenn nach dem Vortrag des Steuerpflichtigen die zukünftigen Nachteile mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (BFH-Urteile vom 19. Mai 1981 VIII R 143/78, BFHE 133, 396, BStBl II 1981, 665, und vom 27. September 1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225). Künftige Nachteile durch die Beurteilung der Bauzeitzinsen als sofort abziehbare Werbungskosten ergeben sich für die Kläger nach ihrem Vortrag im Streitfall daraus, daß ihnen in den Folgejahren nur eine entsprechend geringere Bemessungsgrundlage für die AfA zur Verfügung stehen würde und sie die durch den hohen Werbungskostenabzug erzielten Anfangsverluste bei ihren Einkommensteuerfestsetzungen nicht voll ausgleichen können. Entgegen der Ansicht des FG ist es nicht erforderlich, daß die angegriffene zu niedrige Feststellung für die Folgejahre bindend ist, etwa weil ein Bilanzenzusammenhang zu beachten ist. Es reicht für die Annahme einer Beschwer jedenfalls aus, daß der Steuerpflichtige sich in den Folgejahren möglicherweise an der steuerlichen Beurteilung einer bestimmten Aufwendung als sofort abziehbare Werbungskosten festhalten lassen muß, weil ihm - wie im Streitfall - hinsichtlich der steuerrechtlichen Beurteilung der Aufwendung ein Wahlrecht zustehen könnte.
2. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die von den Klägern während der Bauzeit gezahlten Zinsen, ferner die Bereitstellungszinsen und das durch Verrechnung mit den Darlehensauszahlungsbeträgen abgeflossene Damnum nicht Teil der Herstellungskosten, sondern vorab entstandene und sofort abziehbare Werbungskosten sind. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind Schuldzinsen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung stehen, als Werbungskosten abzuziehen. Sie zählen grundsätzlich nicht zu den Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts, die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG nur im Rahmen der AfA zu berücksichtigen sind. Zu den sofort abziehbaren Werbungskosten gehören nach ständiger Rechtsprechung insbesondere Zinsen für Darlehen, die der Hersteller eines Gebäudes aufnimmt, um den Bau zu finanzieren (vgl. die Urteile des BFH vom 22. April 1980 VIII R 149/75, BFHE 130, 391, BStBl II 1980, 441, in Abschn. B III 1 d; vom 18. November 1980 VIII R 194/78, BFHE 132, 522, 528, BStBl II 1981, 510, 514; Urteil des erkennenden Senats vom 28. Januar 1986 IX R 70/82, BFH/NV 1986, 334).
Der Begriff der Schuldzinsen in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG ist weit auszulegen (Urteil des Senats vom 29. Oktober 1985 IX R 56/82, BFHE 145, 52, BStBl II 1986, 143, 146). Zu den Schuldzinsen gehören auch Nebenkosten der Darlehensaufnahme, insbesondere Bereitstellungszinsen und regelmäßig das Damnum (BFH-Urteil vom 2. August 1977 VIII R 104/74, BFHE 124, 27, BStBl II 1978, 143; zum Zinscharakter des Damnums Urteil des Senats vom 8. November 1988 IX R 142/84, BFH/NV 1989, 223; weitere Nachweise bei Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., § 9 Anm. 4 c). Dementsprechend hat der Große Senat des BFH im Beschluß vom 6. Dezember 1965 GrS 2/64 S (BFHE 84, 399, BStBl III 1966, 144) ausgesprochen, daß ein Damnum bei Bauhypotheken nicht zu den Herstellungskosten des Gebäudes, sondern zu den Werbungskosten (§ 9 EStG) im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gehört. Entsprechendes gilt für die Bauzeitzinsen.
Ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen, Bauzeitzinsen und Nebenkosten der Kreditaufnahme zu den Herstellungskosten des Gebäudes oder zu den sofort abziehbaren Werbungskosten zu rechnen, besteht bei den Überschußeinkünften (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) nicht. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob das von der Finanzverwaltung ab 1975 in Abschn. 33 Abs. 7 EStR eingeräumte Wahlrecht hinsichtlich der Bauzeitzinsen rechtmäßig ist (ablehnend Mathiak in: Raupach, Herausgeber, Werte und Wertermittlung im Steuerrecht, Seite 97, 115). Dieses Wahlrecht gilt, wie sich aus der Anknüpfung an die Beurteilung der Fremdkapitalzinsen in der Handelsbilanz ergibt (Abschn. 33 Abs. 7 Satz 6 EStR 1975), nur für Steuerpflichtige, die Handelsbilanzen aufstellen. § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB n. F. ist unmittelbar nur auf Kaufleute anwendbar. Eine entsprechende Anwendung auf Steuerpflichtige mit Überschußeinkünften ist wegen der entgegenstehenden Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG nicht möglich.
Der Revision ist danach im Ergebnis der Erfolg zu versagen. Die Vorinstanz hat die 1974 während der Bauzeit gezahlten Darlehenszinsen, die Bereitstellungszinsen und das 1974 verrechnete Damnum zu Recht als sofort abziehbare Werbungskosten beurteilt und eine Zurechnung zu den Herstellungskosten abgelehnt.