Normen
§ 12 S. 1 AO 1977
§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Sitz in der Schweiz, die in den Streitjahren 1984 und 1985 auf dem Gebiet der Unternehmensberatung tätig war. Die Klägerin beriet u. a. laufend und in erheblichem Umfang die L-GmbH im Inland in deren Geschäftsräumen. Die Beratung bestand aus Besprechungen, die der Vertreter der Klägerin, Herr M, mit Vertretern der L-GmbH führte. M leistete in 1984 1 076 Besprechungsstunden bei der L-GmbH. Die Besprechungsstunden verteilten sich auf die Monate Januar bis Dezember 1984 und auf 142 Tage. Dafür stellte die Klägerin der L-GmbH 129 120 sfr. in Rechnung. In 1985 fielen 772 Besprechungsstunden an 88 Tagen bei der L-GmbH an. Die aus Anlaß der Besprechungen genutzten Räume wurden von der L-GmbH ausgesucht und zur Verfügung gestellt. Die Klägerin hatte über die Besprechungsräume keine Verfügungsmacht und konnte sie auch für sonstige Zwecke nicht nutzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ging nach einer Außenprüfung bei der Klägerin davon aus, daß diese eine inländische Betriebsstätte in den Geschäftsräumen der L-GmbH unterhalte. Es schätzte das zu versteuernde Einkommen der Klägerin für 1984 auf 95 930 DM und für 1985 auf 75 730 DM. Die entsprechenden Körperschaftsteuerbescheide 1984 und 1985 datieren vom 31. Juli 1987. Gegen sie legte die Klägerin ohne Erfolg Einspruch ein. Die Klage ist noch beim Finanzgericht (FG) anhängig.
Mit Schriftsatz vom 3. August 1987 begehrte die Klägerin beim FA die Aussetzung-der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1984 und 1985. Den Antrag lehnte das FA durch Verfügung vom 4. September 1987 ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies die zuständige Oberfinanzdirektion (OFD) am 11. Dezember 1987 zurück.
Gegen die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung erhob die Klägerin Verpflichtungsklage, die jedoch ohne Erfolg blieb.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragt, das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 9. Juni 1988 X-K 7/88 sowie den Bescheid des FA vom 4. September 1987 in der Fassung der Beschwerdeentscheidung vom 11. Dezember 1987 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1984 und 1985 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Verfügung des FA vom 4. September 1987 sowie der Beschwerdeentscheidung vom 11. Dezember 1987 und zu der Verpflichtung des FA, die Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 1984 und 1985 antragsgemäß aufzuheben.
1. Nach § 361 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) soll das FA auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen bzw. aufheben, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Solche Gründe ergeben sich für den Streitfall aus den tatsächlichen Feststellungen des FG einerseits und aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff andererseits. Danach ist jedenfalls im summarischen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung eine inländische Betriebsstätte der Klägerin zu verneinen.
2. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) binden, war die Klägerin eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts, die im Inland weder Sitz noch Geschäftsleitung hatte. Die Klägerin war deshalb im Inland nicht unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG 1977 -). Sie war im Sinne des § 2 Nr. 1 KStG 1977 beschränkt körperschaftsteuerpflichtig, soweit sie inländische Einkünfte erzielt haben sollte. Dies beurteilt sich wegen § 8 Abs. 1 KStG 1977 nach § 49 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
3. Das FG hat sich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 49 EStG nicht näher geäußert. Da die von der Klägerin ausgeübte Unternehmensberatungstätigkeit einen Gewerbebetrieb im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG begründet, kommen inländische Einkünfte der Klägerin vernünftigerweise nur unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in Betracht. Dies erfordert jedoch entweder eine von der Klägerin im Inland unterhaltene Betriebsstätte oder einen im Inland bestellten ständigen Vertreter. Dabei bestimmen sich der Begriff der Betriebsstätte nach § 12 AO 1977 und der des ständigen Vertreters nach § 13 AO 1977.
a) Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 10. Mai 1961 IV 155/60 U, BFHE 73, 134, BStBl III 1961, 317; vom 9. März 1962 I B 156/58 S, BFHE 74, 614, BStBl III 1962, 227; vom 5. Oktober 1977 I R 90/75, BFHE 124, 29, BStBl II 1978, 205; vom 7. März 1979 I R 145/76, BFHE 127, 517, BStBl II 1979, 527; vom 1. August 1979 I R 180/76, nicht veröffentlicht - n.v.-; vom 19. Juni 1980 IV R 154/76, n.v.; vom 17. März 1982 I R 189/79, BFHE 136, 120, BStBl II 1982, 624; vom 28. August 1986 V R 20/79, BFHE 148, 194, BStBl II 1987, 162; vom 29. April 1987 I R 118/83, BFH/NV 1988, 122; BFH-Beschlüsse vom 7. Juni 1967 I B 113/64, n.v.; vom 27. September 1967 I B 207/64, n.v.; vom 17. Januar 1968 I B 41/65, n.v.), daß eine Geschäftseinrichtung im Sinne des § 12 Satz 1 AO 1977 (früher: § 16 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -) nur dann Betriebsstätte des Steuerpflichtigen ist, wenn dieser über sie nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Der Nutzende muß eine Rechtsposition innehaben, die ihm ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne weiteres entzogen oder die ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres verändert werden kann. Die bloße Berechtigung zur Nutzung eines Raumes im Interesse eines anderen sowie die bloße tatsächliche Mitbenutzung eines Raumes begründen für sich genommen noch keine Betriebsstätte. Von dieser Rechtsprechung abzugehen, besteht im summarischen Aussetzungsverfahren keine Veranlassung. Dann aber unterhielt die Klägerin im Inland keine Betriebsstätte. Das FG hat nämlich in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin keine Verfügungsmacht über die Besprechungsräume hatte. Diese Feststellung bindet den erkennenden Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Sie schließt die Annahme einer inländischen Betriebsstätte der Klägerin in den Geschäftsräumen der L-GmbH aus.
b) Zwar hat das FG in tatsächlicher Hinsicht keine Feststellungen darüber getroffen, ob M möglicherweise ständiger Vertreter der Klägerin im Inland (§ 13 AO 1977) war. Jedoch machte das FA bisher diesen Gesichtspunkt nicht geltend. Deshalb bestand auch für das FG keine Veranlassung, dieser Möglichkeit im Aussetzungsverfahren nachzugehen.
4. Sprechen die vom FG festgestellten Umstände gegen die Annahme einer inländischen Betriebsstätte der Klägerin und sind Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin einen inländischen ständigen Vertreter bestellt hatte, nicht zu erkennen, so fehlt es an der notwendigen Tatbestandsvoraussetzung für die Annahme inländischer Einkünfte im Sinne des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Folglich ist für das Verfahren nach § 361 AO 1977 davon auszugehen, daß die Klägerin keine inländischen Einkünfte aus Unternehmensberatung erzielte. Entsprechend war die Vorentscheidung, die von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, aufzuheben. Das FA war zu verpflichten, die begehrte Aufhebung der Vollziehung zu verfügen. Damit erhält das FA auch Gelegenheit zur Prüfung der Frage, ob nicht die Einkünfte der Klägerin einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Person gemäß § 42 AO 1977 zuzurechnen oder gemäß §§ 7 ff. des Außensteuergesetzes zu erfassen sind.