Normen
§ 8 Abs. 1 KStG 1977
§ 10 Nr. 2 KStG 1977
§ 4 Abs. 4 EStG
§ 1 Abs. 3 AO 1977
§ 234 AO 1977
§ 239 Abs. 1 S. 1 AO 1977
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH. Auf ihren Antrag hin stundete ihr der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 12. August 1982 eine Körperschaftsteuerschuld 1980 in der Form von Ratenzahlungen für drei Monate. Durch Verfügung vom 13. September 1982 wurde die Stundung für einen Teilbetrag um einen weiteren Monat verlängert. Dadurch fielen Stundungszinsen (§ 234 der Abgabenordnung - AO 1977 -) in Höhe von insgesamt 6 856 DM an, die durch Zinsbescheide vom 12. August 1982 und vom 13. September 1982 festgesetzt und von der Klägerin in 1982 bezahlt wurden.
Im Rahmen der Gewinnermittlung 1982 behandelte die Klägerin die Zinszahlungen als Betriebsausgaben. Das FA sah sie dagegen als nichtabziehbare Betriebsausgaben an und erhöhte deshalb den für 1982 erklärten steuerpflichtigen Gewinn im Körperschaftsteuerbescheid 1982 vom 22. August 1983 um 6 856 DM. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit ihrer durch Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Juni 1985 I B 23/85 (BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605) zugelassenen Revision macht die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Sie beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Körperschaftsteuerbescheid 1982 vom 22. August 1983 zu ändern und die Körperschaftsteuer 1982 auf 226 689 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides 1982 in der Form der Einspruchsentscheidung und zu einer Änderungsanweisung an das FA gemäß Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFG-EntlG).
1. Für Zwecke der Festsetzung der Körperschaftsteuer ist das Einkommen einer Kapitalgesellschaft gemäß § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) und der §§ 7 bis 26 KStG 1977 zu ermitteln. Dabei ist u. a. § 10 Nr. 2 KStG 1977 zu beachten. Nach dieser Vorschrift sind die Steuern vom Einkommen und sonstige Personensteuern sowie die Umsatzsteuer für den Eigenverbrauch nichtabziehbare Aufwendungen, d. h. sie dürfen bei der Ermittlung weder des steuerpflichtigen Gewinns noch des zu versteuernden Einkommens abgesetzt werden.
2. Unter die Steuern vom Einkommen und die sonstigen Personensteuern i. S. des § 10 Nr. 2 KStG 1977 fallen u. a. die Körperschaftsteuer, Ergänzungsabgaben zur Körperschaftsteuer, die Kapitalertragsteuer, ausländische Steuern vom Einkommen (vgl. BFH-Urteile vom 14. November 1968 I R 11/66, BFHE 94, 243, BStBl II 1969, 140, und vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271), die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer. Die begriffliche Unterscheidung zwischen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in § 1 Abs. 1 und 3 AO 1977 schließt es aus, Zinsen i. S. des § 234 AO 1977, die für die Dauer einer Stundung einer Körperschaftsteuerschuld erhoben werden, unter den Begriff "Steuern vom Einkommen" zu fassen und § 10 Nr. 2 KStG 1977 auf sie unmittelbar anzuwenden.
3. Nach § 1 Abs. 3 AO 1977 sind auf steuerliche Nebenleistungen, zu denen die Zinsen i. S. des § 234 AO 1977 gehören (§ 3 Abs. 3 AO 1977), die Vorschriften der AO 1977 sinngemäß anzuwenden. Dies führt jedoch nicht zu einer entsprechenden Anwendung des § 10 Nr. 2 KStG 1977 auf steuerliche Nebenleistungen, weil § 10 Nr. 2 KStG 1977 keine Vorschrift der AO 1977 ist.
4. Nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind auf die Zinsen die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden; dabei beträgt die Festsetzungsfrist ein Jahr. Bei der Auslegung der Vorschrift sind deren Wortlaut, Überschrift und Stellung im 1. Unterabschnitt des zweiten Abschnitts des fünften Teils (Erhebungsverfahren) der AO 1977 zu beachten. Aus dem Wortlaut des § 239 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AO 1977 und aus der Überschrift der Vorschrift folgt, daß die Verweisung des Halbsatzes 1 nur für solche Vorschriften gilt, die die Festsetzung von Steuern regeln (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 239 AO 1977 Anm. 1; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 239 Anm. 2). Dies ergibt sich in gleicher Weise aus dem Zusammenwirken des § 239 Abs. 1 Satz 1 und des § 1 Abs. 3 AO 1977. Während nach § 1 Abs. 3 AO 1977 generell die Vorschriften der AO 1977 auf steuerliche Nebenleistungen und damit auch auf Stundungszinsen (vgl. § 3 Abs. 3 AO 1977) sinngemäß anwendbar sind, bedurfte es der Verweisung des § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, um zu regeln, daß sich die Festsetzung von Zinsen unbeschadet der Stellung des § 239 AO 1977 innerhalb der Vorschriften über das Erhebungsverfahren nach den §§ 155 ff. AO 1977 richtet. Eine solche Rechtsfolge ergibt sich aus § 1 Abs. 3 AO 1977 noch nicht. Im übrigen belegt die Stellung des § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 innerhalb der Vorschriften über das Erhebungsverfahren, daß nur die Verzinsungsfolgen aus der vorübergehenden Nichtverwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis geregelt werden sollen. Die Vorschrift sagt dagegen nichts über den Abzug der Stundungszinsen bei der Gewinn- und Einkommensermittlung einer Kapitalgesellschaft aus.
5. Der Senat hält an seiner im Urteil vom 23. Mai 1984 I R 204/80 (BFHE 141, 258, BStBl II 1984, 672) vertretenen Auffassung insoweit fest, als Zinsen Nebenleistungen zu der Steuer sind, zu der sie erhoben werden. Daraus folgt jedoch nicht, daß § 10 Nr. 2 KStG 1977 schon mit Rücksicht auf den engen Zusammenhang zwischen Steuern und Zinsen auch auf letztere entsprechend anzuwenden sei. Eine solche entsprechende Anwendung hätte im Gesetz ausdrücklich angeordnet werden müssen. Dies gilt auch z. B. für die entsprechende Anwendung der Haftungsvorschriften (§§ 69 ff. AO 1977) auf Zinsen, weil die Haftungsvorschriften entweder die Haftung für Zinsen ausdrücklich mitumfassen (vgl. § 71 AO 1977) oder sich allgemein auf Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erstrecken (vgl. §§ 69 und 72 AO 1977), wozu auch Zinsansprüche zählen (§ 37 Abs. 1 AO 1977). Im Konkurs teilen die bis zur Eröffnung aufgelaufenen Zinsen nur deshalb den Rang der Hauptsteuerforderung (vgl. Jaeger, Konkursordnung, 8. Aufl., § 61 Anm. 22; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 9. Aufl., § 61 Rdnr. 54), weil § 61 Abs. 1 Nr. 2 der Konkursordnung (KO) allgemein von Forderungen der Staatskassen "wegen" öffentlicher Abgaben spricht und diese Formulierung nach allgemeiner Meinung Zinsansprüche mitumfaßt. Dem § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO kann deshalb jedoch kein allgemeiner steuerrechtlicher Grundsatz entnommen werden, daß die für die Körperschaftsteuer geltenden Gewinnermittlungsvorschriften auf steuerliche Nebenleistungen entsprechend anzuwenden seien.
6. Für die von der Klägerin entrichteten Stundungszinsen fehlt es auch nicht an einer betrieblichen Veranlassung i. S. des § 4 Abs. 4 EStG. Dazu läßt der Senat dahinstehen, ob nicht bei einer Kapitalgesellschaft schon aus Gründen des § 8 Abs. 2 KStG 1977 alle Geschäftsvorfälle als betrieblich veranlaßt behandelt werden müssen (vgl. BFH-Urteil vom 4. Februar 1987 I R 58/86, BFHE 149, 109, BStBl II 1988, 215). Schon der Reichsfinanzhof - RFH - (Urteil vom 16. November 1937 I 299/36, RStBl 1938, 15) hat Erstattungszinsen, die einer körperschaftsteuerpflichtigen Person zufließen, als innerhalb des gewerblichen Betriebes erzielte Erträge beurteilt. Ferner hat er Schuldzinsen aus Gründen des § 13 KStG 1925 i. V. m. § 15 EStG 1925 als absetzbare Betriebsausgaben behandelt (vgl. Urteil vom 16. Juni 1932 VI A 764/32, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz 1925, § 16 Abs. 1, Rechtsspruch 198). Später wurden letztlich mit Rücksicht auf § 158 Abs. 4 i. V. m. § 157 Nr. 24 des Aktiengesetzes (AktG) i. d. F. vom 6. September 1965 (BGBl I 1965, 1089) bzw. den entsprechenden vorher geltenden Vorschriften (heute: § 278 i. V. m. § 275 Abs. 2 Nr. 18 des Handelsgesetzbuches - HGB - i. d. F. des Bilanzrichtlinien-Gesetzes - BiRiLiG - vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2355) die Steuern einer Kapitalgesellschaft vom Einkommen und Ertrag als betrieblich veranlaßte Aufwendungen angesehen (vgl. RFH in RStBl 1938, 15; BFH-Urteile vom 3. April 1962 I 196/59 U, BFHE 74, 685, BStBl III 1962, 254, und in BFHE 94, 243, BStBl II 1969, 140, sowie in BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271): Entsprechendes muß auch für die durch die Stundung der Körperschaftsteuerschulden ausgelösten Stundungszinsen bzw. für die durch Körperschaftsteuerzahlungen ausgelösten Kreditzinsen gelten (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 21. November 1983 GrS 2/82, BFHE 140, 50, BStBl II 1984, 160).
7. Die Auffassung, daß es sich bei den durch die Stundung von Körperschaftsteuern ausgelösten Zinsen dem Grunde nach um Betriebsausgaben einer Kapitalgesellschaft handelt, wird durch § 10 Nr. 2 KStG 1977 i. d. F. des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) bestätigt. Nach der Neuregelung sollen Stundungszinsen jedenfalls ab 1990 abziehbare Aufwendungen sein. Wäre jedoch die Rechtslage vor 1990 eine andere, so hätte der Gesetzgeber sich nicht mit der bloßen Ergänzung des § 10 Nr. 2 KStG 1977 begnügen dürfen. Er hätte dann die Abziehbarkeit der Stundungszinsen in § 9 KStG 1977 positiv regeln müssen. Aus den mit der Neuregelung verbundenen Absichten des Gesetzgebers kann deshalb nur gefolgert werden, daß auch er in Stundungszinsen dem Grunde nach Betriebsausgaben sieht.
8. Die nunmehr vom erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung steht auch insoweit im Einklang mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, als schon der RFH (vgl. Urteile vom 20. Juni 1933 I A 148/33, RStBl 1933, 1022; vom 19. September 1933 I A 69/33, RFHE 34, 117, RStBl 1933, 1146; vom 8. Februar 1938 I 19/38, RFHE 43, 244, RStBl 1938, 494; ebenso: Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts - FG - vom 22. Februar 1977 VI Kö 202/76, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1977, 609) erstattete Körperschaftsteuern als steuerfreie Vermögensmehrungen behandelt hat. Diesen Grundsatz hat jedoch der VIII. Senat des BFH im Urteil vom 18. Februar 1975 VIII R 104/70 (BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568) auf Zinsen auf Erstattungsbeträge i. S. des § 236 AO 1977 nicht ausgedehnt, was folgerichtig gewesen wäre, wenn es den allgemeinen Grundsatz gäbe, daß § 10 Nr. 2 KStG 1977 auf steuerliche Nebenleistungen entsprechend anzuwenden ist. Der erkennende Senat hat in ähnlicher Weise den Rechtsgedanken des § 10 Nr. 2 KStG 1977 nicht auf Schadensersatzleistungen eines Steuerberaters angewendet, die durch eine zu hohe Körperschaftsteuerfestsetzung infolge unzutreffender Beratung ausgelöst wurden (vgl. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1971 I R 80/70, BFHE 104, 134, BStBl II 1971, 292; vom 15. Dezember 1976 I R 4/75, BFHE 121, 57, BStBl II 1977, 220). Der BFH hat zwar mit Urteil vom 16. Dezember 1950 III 71/50 U (BFHE 55, 91, BStBl III 1951, 35) den Strafzuschlag nach § 18 Abs. 4 Nr. 2b des Soforthilfegesetzes und mit Urteil vom 30. Juni 1959 I 52/59 U (BFHE 69, 207, BStBl III 1959, 340) Säumniszuschläge i. S. der §§ 1 und 3 des Steuersäumnisgesetzes vom 24. Dezember 1934 (RGBl I 1934, 1271, RStBl 1934, 1692) für nicht abziehbar erklärt. Auch hat er im Urteil in BFHE 141, 258, BStBl II 1984, 672 für Aussetzungszinsen i. S. des § 237 AO 1977 die Abziehbarkeit als Betriebsausgaben verneint. Nach der jetzt getroffenen Entscheidung mag es fraglich erscheinen, inwieweit an diesen Auffassungen festgehalten werden kann. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, weil der Streitfall nur Stundungszinsen i. S. des § 234 AO 1977 betrifft und der Gesetzgeber die Rechtsfragen in § 10 Nr. 2 und § 54 Abs. 6 KStG 1977 i. d. F. des Steuerreformgesetzes 1990 teilweise geregelt hat.
9. Der Senat folgt damit nicht der von der Finanzverwaltung in Abschn. 43 Abs. 2 der Körperschaftsteuer-Richtlinien 1985, vom FG München, Urteil vom 24. Februar 1976 VII 123/73 (EFG 1976, 361), von Herrmann/Heuer/Raupach (Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10 KStG Anm. 60 bis 62), von Bühler/Paulick/Freericks (Einkommensteuergesetz-Körperschaftsteuergesetz, § 10 KStG Anm. 7), von Lademann/Wöstmann (Körperschaftsteuergesetz, § 10 Anm. 13), von Lange in Gail/Goutier (Körperschaftsteuergesetz, § 10 Anm. 25), von Frotscher/Maas (Körperschaftsteuergesetz, § 10 Anm. 27), von Höllig in Koch (Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., § 239 Anm. 18) und demselben in Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1977, 283, 289, 290 vertretenen Auffassung. Er folgt der Auffassung von Felix/Streck (Körperschaftsteuergesetz 1977, 2. Aufl., § 10 Anm. 10), von Pinggera (Betriebs-Berater - BB - 1978, 444), von Friedrich (BB 1975, 1242), von Flume (Der Betrieb 1985, 9) und von Knepper (BB 1985, 1657).
10. Das FG ist von einer anderen Auffassung ausgegangen. Deshalb kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist an sich entscheidungsreif. Jedoch hat die getroffene Entscheidung gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 KStG 1977 auch Auswirkung auf die Feststellung der EK-Bestände zum 31. Dezember 1982, was wiederum die Körperschaftsteuerminderung und die Körperschaftsteuererhöhung gemäß § 27 KStG 1977 beeinflussen kann. Deshalb ist der Senat gemäß Art. 3 § 4 VGFG-EntlG verfahren. Dem FA ist damit aufgegeben, die Körperschaftsteuer 1982 unter Berücksichtigung der zu ändernden EK-Bestände zum 31. Dezember 1982 neu zu berechnen und festzusetzen.