Normen
§ 129 AO 1977
§ 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG 1968
§ 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG
§ 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG
§ 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG
§ 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG
§ 50a Abs. 4 Buchst. b EStG
§ 50a Abs. 5 EStG
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) handelte in den Streitjahren 1972 bis 1975 mit elektronischen und elektrotechnischen Artikeln. Am 2. Juni 1971 schloß sie mit einer liechtensteinischen Anstalt (Anstalt) einen Lizenzvertrag ab, in dem die Anstalt als Hersteller von elektronischen Bausätzen bezeichnet wurde, die unter dem Namen "X" vertrieben wurden. Die Anstalt soll Fabrikationsgeheimnisse und Erfahrungen (know-how) zur Herstellung, Zusammensetzung und Verpackung dieser Bausätze gehalten haben und Inhaberin aller Rechte zum Warenzeichen "X" gewesen sein. Sie übertrug der Klägerin laut Vertrag das Alleinrecht für die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zur Verpachtung und zum Verkauf der Bausätze. Die Klägerin war berechtigt und verpflichtet, die Bausätze unter dem Warenzeichen "X" und den von der Lizenzgeberin angegebenen Artikelbezeichnungen innerhalb der Bundesrepublik herzustellen und zu verkaufen. Bei der Herstellung (Verpachtung) durften nur Teile und Materialien von den von der Lizenzgeberin zu jeder Zeit vorgeschriebenen oder zugelassenen Fabrikaten verwendet werden. Als Gegenleistung hatte die Klägerin eine vertraglich näher aufgeschlüsselte Lizenzgebühr an die Anstalt zu zahlen. Die Lizenzgebühr wurde fällig, sobald die Bausätze das Lager der Klägerin verließen.
Die Klägerin bezog in der Folgezeit bis 1975 von dem Unternehmen "X" aus dem Ausland Bausätze, die sie unter der Bezeichnung "X" in der Bundesrepublik weiterverkaufte. Das Unternehmen "X" bestätigte mit Schreiben vom 3. September 1971, daß es die volle Verantwortung für eine prompte und korrekte Erfüllung aller auf die Lizenzgeberin entfallenden Verpflichtungen übernehme. Mit Schreiben vom 1. Juli 1975 bestätigte das Unternehmen "X" der Klägerin, daß es ihr auf die normalen Preise einen Nachlaß gewähre, der der vertraglich festgelegten Lizenzgebühr entspreche. Die Klägerin zahlte ihrerseits Lizenzgebühren an die Anstalt, ohne davon eine Körperschaftsteuer gemäß § 20 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1968, § 50a Abs. 4 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1971/1975 einzubehalten und abzuführen.
Nach einer Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) am 26. Juli 1977 gegenüber der Klägerin einen Haftungsbescheid über nach Jahren aufgeschlüsselte Einkommensteuer gemäß § 50a Abs. 4 Buchst. b EStG 1971/1975 in Höhe von insgesamt 64 876,35 DM, Ergänzungsabgabe in Höhe von 1 587,71 DM und Stabilitätszuschlag in Höhe von insgesamt 2 400,65 DM.
Der Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die unzutreffende Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 6i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1971/1975 sowie des § 50a Abs. 4 Buchst. b EStG 1971/1975.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, den Haftungsbescheid vom 26. Juli 1977 und die Einspruchsentscheidung vom 30. März 1978 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des Haftungsbescheides vom 26. Juli 1977 und der Einspruchsentscheidung vom 30. März 1978 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FA hat die Klägerin als Haftungsschuldnerin für Einkommensteuerschulden 1972 bis 1975 der liechtensteinischen Anstalt in Anspruch genommen. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil die Anstalt keine Einkommensteuern 1972 bis 1975 schuldet. Nach § 1 EStG sind nur natürliche Personen einkommensteuerpflichtig. Eine Anstalt liechtensteinischen Rechts ist keine natürliche Person, sondern sonstige juristische Person des privaten Rechts i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG 1968 (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. November 1980 IV R 182/77, BFHE 132, 93, BStBl II 1981, 220). Als solche ist sie gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1968 (nur) beschränkt körperschaftsteuerpflichtig, soweit sie inländische Einkünfte i. S. des § 49 EStG erzielt.
2. Der Senat kann zwar nicht ausschließen, daß die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin wegen "Einkommensteuern 1972 - 1975" statt wegen "Körperschaftsteuern 1972 - 1975" auf einer offensichtlichen Unrichtigkeit i. S. des § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) beruht. Dies steht jedoch der Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Haftungsbescheides nicht entgegen. Die Finanzgerichte (FG) können die (hier unterstellten) offensichtlichen Unrichtigkeiten nicht in dem Sinne berichtigen, daß dadurch aus einem rechtswidrigen Haftungsbescheid ein rechtmäßiger wird. Außerdem können im Revisionsverfahren die tatsächlichen Voraussetzungen für den Erlaß eines gemäß § 129 AO 1977 geänderten Haftungsbescheides nicht festgestellt werden (§ 127 FGO). Schließlich kann die Änderung nach § 129 AO 1977 aus Verjährungsgründen ausgeschlossen sein (vgl. BFH-Urteil vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293).
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da die liechtensteinische Anstalt in den Streitjahren 1972 bis 1975 nicht einkommensteuerpflichtig war, war die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin für Einkommensteuerschulden 1972 bis 1975 der liechtensteinischen Anstalt rechtswidrig. Deshalb waren die Vorentscheidung, der Haftungsbescheid vom 26. Juli 1977 und die Einspruchsentscheidung vom 30. März 1978 aufzuheben.
4. Mit Rücksicht auf den besonderen Verfahrensablauf im Streitfall weist der Senat aus Gründen der Prozeßökonomie auf folgendes hin:
a) Das FA stützte den Haftungsbescheid vom 26. Juli 1977 auf § 50a Abs. 5 Satz 4 EStG 1971/1975. Die Vorschrift setzt steuerpflichtige Einkünfte i. S. des § 50a Abs. 4 EStG 1971/1975 voraus. Der im Streitfall allenfalls einschlägige § 50a Abs. 4 Buchst. b EStG 1971/1975 verweist seinerseits auf § 49 Abs. 1 Nrn. 2, 3 und 6 EStG 1971/1975 und für die Zeit ab dem 21. Juli 1974 auch auf § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG 1975. Von den zuletzt genannten Vorschriften scheidet die Anwendung des § 49 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 EStG 1971/1975 im Streitfall ohne weiteres aus, weil die liechtensteinische Anstalt im Inland keine Betriebsstätte und keinen ständigen Vertreter unterhielt und hier auch keine selbständige Arbeit ausüben und verwerten konnte (vgl. BFH-Urteile vom 4. März 1970 I R 140/66, BFHE 98, 420, BStBl II 1970, 428; vom 20. Februar 1974 I R 217/71, BFHE 111, 503, BStBl II 1974, 511; vom 1. Dezember 1982 I R 238/81, BFHE 137, 320, BStBl II 1983, 213; vom 20. Juni 1984 I R 283/81, BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828).
b) Nach Auffassung des FG erfüllte die liechtensteinische Anstalt den Besteuerungstatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971/1975 dadurch, daß sie der Klägerin ein Alleinvertriebsrecht an den Bausätzen mit dem Warenzeichen "X" zur Nutzung überließ und die Klägerin das Alleinvertriebsrecht in ihrer inländischen Betriebsstätte verwertete. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971/1975 führt jedoch nur die entgeltliche Nutzungsüberlassung von Rechten, nicht dagegen auch die entgeltliche Übertragung von Rechten zu inländischen Einkünften. Es ist deshalb zwischen der Nutzungsüberlassung eines Rechtes und einer Rechtsübertragung zu unterscheiden. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971/1975 können nur dann erfüllt sein, wenn das Recht im Vermögen des Überlassenden bleibt und nicht in das Vermögen des Nutzenden übergeht. Die Übertragung eines Alleinvertriebsrechts kann deshalb nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971/1975 fallen. Das Alleinvertriebsrecht ist ein immaterielles Wirtschaftsgut, das derjenige, der zum Alleinvertrieb berechtigt wird, als eigenen Vermögensgegenstand erwirbt (vgl. FG Münster, Urteil vom 26. November 1970 II 680/70 E, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1971, 279; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG, Anm. 854 "Alleinvertriebsrecht"). Das Alleinvertriebsrecht wird, soweit ein Entgelt bezahlt wird, von seinem Inhaber angeschafft. Er nutzt es als eigenes und nicht als fremdes Recht.
c) Soweit das FG angenommen hat, die liechtensteinische Anstalt habe der Klägerin das Warenzeichen "X" zur Nutzung überlassen, hätte es vorab feststellen müssen, nach welchem in- oder ausländischen Warenzeichenrecht sich die Nutzungsüberlassung beurteilt. Soweit ausländisches Warenzeichenrecht Anwendung finden sollte, hätte es dies seinem Inhalt nach feststellen müssen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Anm. 11). Eine Überlassung des Warenzeichens "X" durch die liechtensteinische Anstalt hätte vorausgesetzt, daß diese Inhaber des Warenzeichens war.
d) Nach deutschem Warenzeichenrecht vermittelt jedes Warenzeichen seinem Inhaber (nur) das Recht, Waren der angemeldeten Art oder ihre Verpackung oder Umhüllung mit dem Warenzeichen zu versehen, die so bezeichneten Waren in Verkehr zu setzen sowie auf Ankündigungen, Preislisten, Geschäftsbriefen, Empfehlungen, Rechnungen oder dergleichen anzubringen (§ 15 Abs. 1 des Warenzeichengesetzes - WZG -). Das Recht des Zeicheninhabers "erschöpft" sich jedoch mit dem ersten Inverkehrsetzen der Ware (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 22. Januar 1964 Ib ZR 92/62, BGHZ 41, 84, und vom 2. Februar 1973 I ZR 85/71, BGHZ 60, 185 ; Baumbach/Hefermehl, Warenzeichenrecht, 12. Aufl., § 15 WZG Anm. 46). Es wird im Hinblick auf die von dem Rechtsinhaber oder seinem Lizenznehmer rechtmäßig gekennzeichnete und in Verkehr gesetzte Ware nicht dadurch verletzt, daß ein Erwerber sie weitervertreibt. Der Weitervertrieb kann nur nach § 24 WZG untersagt werden, wenn die Ware widerrechtlich gekennzeichnet wurde. Daran fehlt es, wenn der Inhaber des Warenzeichenrechts oder sein Lizenznehmer die jeweils von ihnen rechtmäßig gekennzeichnete Ware in Verkehr setzen. Das Zeichenrecht dient nur dem Schutz der Herkunftsfunktion des Zeichens. Es begründet jedoch kein Vertriebsmonopol. Die Klägerin konnte deshalb die von ihr erworbenen und mit dem Warenzeichen "X" versehenen Bausätze weitervertreiben, ohne dazu eine Lizenz besitzen zu müssen. Bei dem Verkauf der Bausätze handelte sie nicht "auf Grund" einer ihr eingeräumten Lizenz. Die von der Klägerin geleisteten "Lizenzzahlungen" könnten deshalb nur dann unter § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971/1975 subsumiert werden, wenn das FG zu der Überzeugung gelangt, daß es das wirtschaftliche Ziel des Vertrages vom 2. Juni 1971 war, der Klägerin das Recht einzuräumen, selbst Waren der angemeldeten Art oder ihre Verpackung oder Umhüllung mit dem Warenzeichen "X" zu versehen. Sollte es dagegen alleiniges Ziel des Vertrages vom 2. Juni 1971 gewesen sein, der Klägerin ein "Alleinvertriebsrecht" für Bausätze mit dem Warenzeichen "X" einzuräumen bzw. Teile des an sich für die Bausätze vereinbarten Kaufpreises abzuspalten und sie an eine von dem Verkäufer bestimmte Person (liechtensteinische Anstalt) zu zahlen, so könnten die "Lizenzzahlungen" nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971/1975 subsumiert werden. Es würde sich dann um Aufwendungen handeln, die durch die Anschaffung der Bausätze ausgelöst sind. In diesem Sinne wären es Warenanschaffungskosten.
e) Soweit für die Zeit ab dem 21. Juli 1974 die Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG in Betracht kommt, gelten die Ausführungen zu II.4.b bis d sinnentsprechend.