BFH

BFHII R 189/8313.5.1987

Amtlicher Leitsatz:

Hat das Finanzamt die Schenkungsteuer gegen einen von mehreren Gesamtschuldnern bestandskräftig festgesetzt, so kann es gegenüber einem anderen Gesamtschuldner diese Steuer höher festsetzen, auch wenn die bestandskräftige Festsetzung fehlerhaft ist und nach den §§ 172 ff. AO 1977 nicht mehr geändert werden kann.

Normen

§ 44 AO

 

Tatbestand:

I.

1. Mit Verträgen vom 11. Dezember 1971 schenkte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ihren drei Kindern Anteile an einer GmbH und einer KG. Sie verpflichtete sich in den Verträgen, die auf die geschenkten Anteile entfallende Vermögensteuer und die anfallende Schenkungsteuer zu zahlen.

Nach Eingang der Schenkungsteuererklärung der Klägerin setzte das Finanzamt (FA) mit drei Bescheiden vom 5. August 1976 Schenkungsteuer fest. Die Bescheide waren an je einen der Beschenkten gerichtet. Der Besteuerungsgrundlage war jeweils die von der Klägerin zu erstattende Vermögensteuer, dagegen nicht die übernommene Schenkungsteuer hinzugerechnet.

Die angeforderten Steuern wurden nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) von der GmbH zu Lasten des dortigen Kontos der Klägerin gezahlt.

2. Mit drei gleichlautenden Schreiben vom 1. März 1978 teilte das FA den Beschenkten mit, die Schenkungsteuer sei von der Klägerin übernommen worden und diese sei daher Steuerschuldnerin. Die an die Beschenkten gerichteten Steuerbescheide seien daher nicht wirksam bekanntgegeben worden (§ 91 AO) und somit gegenstandslos. Die Steuerberater der Klägerin und der Beschenkten widersprachen dieser Auffassung.

Am 28. April 1978 erließ das FA über die unter 1. genannten drei Schenkungen der Klägerin an ihre Kinder erneut drei Steuerbescheide, die diesmal an die Klägerin gerichtet waren. Diese Veranlagungen unterschieden sich hinsichtlich der Steuerbemessungsgrundlage insoweit von den unter 1. genannten Bescheiden, als das FA jetzt einerseits jeweils auch die von der Klägerin übernommene Schenkungsteuer gemäß § 12 Abs. 2 des Erbschaftsteuergesetzes 1959 (ErbStG 1959) hinzurechnete, andererseits aber den Vermögensteuererstattungsanspruch der Beschenkten gegen die Klägerin nicht ansetzte.

Die Einsprüche der Klägerin hatten keinen Erfolg.

Auf die Klage änderte das FG die Steuerbescheide dahin ab, daß die Steuer für die Schenkungen auf die Beträge herabgesetzt wird, welche bereits entsprechend den an die Beschenkten gerichteten Steuerbescheiden gezahlt worden waren und welche das FA bei Erlaß der hier angefochtenen Steuerbescheide vom 28. April 1978 angerechnet hatte.

Nach Ansicht des FG hatte die Klägerin darauf vertrauen können, daß sie nicht mehr für die Schenkungsteuer in Anspruch genommen werde. Das habe sie daraus schließen dürfen, daß das FA vorher Steuerbescheide an die Beschenkten und nicht an sie als Schenkerin gerichtet habe.

Mit der Revision beantragt das FA, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. a) Das Urteil des FG muß aufgehoben werden, weil es auf der Verletzung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben - hier in der Form der Verwirkung - beruht. Die Verwirkung eines Steueranspruchs setzt u. a. ein bestimmtes Verhalten des FA voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Beurteilung annehmen darf, das FA werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (Urteil des BFH vom 4. Juli 1979 II R 74/77, BFHE 129, 201, BStBl II 1980, 126). Diesen Rechtsgrundsatz hat das FG verletzt; denn es hat zu Unrecht angenommen, die Klägerin habe nach Erlaß der Steuerbescheide gegen die Beschenkten darauf vertrauen dürfen, daß sie (die Klägerin) nicht mehr für die Steuer in Anspruch genommen werde. Fehlerhaft war diese Annahme aus folgendem Grunde:

Schuldner der durch die Schenkung entstandenen Schenkungsteuer waren die Erwerber (die beschenkten Kinder) und die Klägerin als Schenkerin (§ 15 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 1959). Die Klägerin und ihre beschenkten Kinder schuldeten dieselbe steuerrechtliche Leistung und waren infolgedessen Gesamtschuldner. Jeder Gesamtschuldner schuldete die ganze Leistung. Dem FA stand es frei, an welchen Gesamtschuldner es sich halten wollte; es konnte die geschuldete Leistung von jedem Gesamtschuldner ganz oder zum Teil fordern (§ 7 Abs. 3 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, jetzt § 44 AO). Demnach mußte die Klägerin, da sie die Schenkungsteuer übernommen hatte, auch nach Erlaß der Bescheide an die Beschenkten damit rechnen, daß sie selbst einen Steuerbescheid erhalten würde, falls die den Beschenkten gegenüber erlassenen Steuerbescheide fehlerhaft waren, eine Änderung zuungunsten der Beschenkten angesichts der Bestandskraft aber nicht mehr möglich war (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 3 AO i. V. m. § 425 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Der bestandskräftige Steuerbescheid entspricht einem rechtskräftigen Urteil i. S. des § 425 Abs. 2 BGB.

b) Die Klägerin meint zwar, der auch im Steuerrecht geltende § 421 BGB setze voraus, daß der Gläubiger seine Forderung "uno actu" und nicht "scheibchenweise" geltend macht. Diese Auffassung trifft jedoch nicht zu. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 421 BGB kann der Gläubiger die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder "zu einem Teile" fordern. Er verliert also keine Rechte, wenn er die Leistung nicht uno actu fordert. Das gilt auch im vorliegenden Fall für das FA.

Auch auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg berufen. Ihrer Auffassung nach greife diese Vorschrift auch dann ein, "wenn zwar gegen den weiteren Gesamtschuldner (Klägerin) bislang kein Steuerbescheid ergangen ist, das Steuerrechtsverhältnis gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern aber gemäß § 421, § 422 BGB durch Tilgung (Vollzahlung) erloschen ist. In einem solchen Fall kann der Fiskus den weiteren Gesamtschuldner hinsichtlich einer zunächst nicht geltend gemachten Steuerforderung, die mit der geltend gemachten Forderung in rechtlicher Verbundenheit steht, nur dann anfassen, wenn nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt geworden sind, die zu einer höheren Steuer führen".

Diese Überlegung trifft schon im Ausgangspunkt nicht zu. Der Steueranspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner (hier die Beschenkten) entstand mit der Verwirklichung des Tatbestandes (§ 38 AO 1977), war also in seiner Höhe nicht von den Festsetzungen in den Steuerbescheiden gegen die Beschenkten abhängig. Selbst wenn die in diesen Steuerbescheiden (zu niedrig) festgesetzten Steuern bezahlt wurden, war damit das Steuerschuldverhältnis nicht erloschen. Abgesehen davon trifft § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinn nach nicht auf den vorliegenden Fall zu. Die Wirkung eines Schenkungsteuerbescheides beschränkt sich auf den im Bescheid genannten Adressaten, dem der Bescheid bekanntgegeben wird. Die gegen die Beschenkten ergangenen Bescheide hatten daher keinerlei Wirkung gegen die Klägerin als die andere Gesamtschuldnerin. Dieser wurden durch die gegen die Beschenkten ergangenen Bescheide - selbst wenn sie bestandskräftig wurden - keine Einwendungen gegen Grund und Höhe des geltend gemachten Steueranspruchs abgeschnitten. Dieser für die Steuerschuldner günstigen Wirkung der Unabhängigkeit der Steuerfestsetzungen untereinander entsprach zwangsläufig die negative Folge, daß das FA seinerseits durch die Steuerfestsetzungen gegen die Beschenkten verfahrensrechtlich - also auch nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 - nicht in der Steuerfestsetzung gegen die Klägerin eingeschränkt wurde.

c) Der Senat hat es mit seinem Urteil vom 18. Mai 1983 II R 86/80 (BFHE 138, 393, BStBl II 1983, 580) einem FA verwehrt, den Grundstücksverkäufer als Gesamtschuldner der Grunderwerbsteuer in Anspruch zu nehmen; es habe grob pflichtwidrig nicht in angemessener Zeit über den Steuerbefreiungsantrag des Grundstückskäufers gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau für das Land Bayern entschieden. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß zu solchen Erwägungen. Das FA hat hier keine Entscheidung grob pflichtwidrig hinausgeschoben.

(Weitere) Zahlungen waren von den Beschenkten deshalb nicht zu erwarten, weil die gegen sie erlassenen Steuerbescheide (aus formellen Gründen) nicht berichtigt werden konnten. Damit unterscheidet sich zwar der hier zu beurteilende Sachverhalt von den bisher durch den Senat entschiedenen Fällen, in denen der zuerst in Anspruch genommene Gesamtschuldner die Steuer wegen finanzieller Schwierigkeiten nicht zahlen konnte (vgl. z. B. Urteil in BFHE 129, 201, BStBl II 1980, 126). Der vorgenannte Grundsatz, daß das FA für eine Gesamtschuld einen oder mehrere Gesamtschuldner in Anspruch nehmen kann, gilt jedoch ohne Einschränkung. Er ist nicht davon abhängig, aus welchen Gründen von dem zuerst in Anspruch genommenen Gesamtschuldner keine (vollständige) Zahlung der Steuer zu erwarten ist (vgl. dazu BFH-Urteil vom 26. Juli 1974 VI R 24/69, BFHE 113, 157, BStBl II 1974, 756).

d) Die Klägerin kann dem FA auch nicht entgegnen, es habe mit dem Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides sein Ermessen verletzt. Die Klägerin ist - wie bereits ausgeführt - neben den Beschenkten Steuerschuldnerin. Hier lag es daher nicht im Ermessen des FA, ob es die Klägerin in Anspruch nehmen wollte (BFHE 129, 201, BStBl II 1980, 126).

2. Die Sache muß an das FG zurückverwiesen werden, weil der Senat mangels Feststellungen entsprechender Tatsachen durch das FG die Höhe der festgesetzten Steuern nicht überprüfen kann.

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