BFH I B 156/86

BFHI B 156/8624.3.1987

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) betreibt einen Groß- und Einzelhandel. In den Steuererklärungen der Jahre 1975 bis 1980 machte er Zinsen für ein Darlehen der X AG, Vaduz, als Betriebsausgaben geltend. Die zugehörigen Darlehen wurden als Verbindlichkeiten ausgewiesen.

Das FA hat nach einer Steuerfahndungsprüfung weder die Verbindlichkeiten noch die Zinsen steuerlich anerkannt, da der Gläubiger nicht genau benannt sei. Das FA hat ferner die jeweiligen Darlehenszuflüsse als Gewinne behandelt. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Antragsteller - teilweise zusammen mit seiner Ehefrau - Klage gegen die auf dieser Rechtsauffassung beruhenden Einkommensteuerbescheide, Gewerbesteuermeßbescheide und Einheitswertbescheide.

Über die Klage ist noch nicht entschieden.

Bereits im Oktober 1984 beantragten die Antragsteller beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung folgender Bescheide ohne Sicherheitsleistung ganz oder teilweise auszusetzen: Einkommensteuer 1975-1980, Gewerbesteuermeßbescheide 1975-1980, Einheitswertbescheide und Vermögensteuerbescheide 1975-1980.

Das FG lehnte mit Entscheidungen vom 10. Juni 1985 die Aussetzung ab. Die Beschwerde wurde nicht zugelassen.

Am 20. Mai 1986 wandten sich die Antragsteller erneut an das FG und beantragten, die Vollziehung der im Antrag vom Oktober 1984 genannten Bescheide in gleicher Höhe auszusetzen.

Die Antragsteller begründeten den neuen Antrag mit neuen Beweismitteln aus der Zeit nach den Entscheidungen des FG vom 10. Juni 1985. Es handelte sich um schriftliche Bestätigungen der Y AG, Schweiz, vom 28. August, 11. November und 12. November 1985 und um ein anwaltliches Schreiben vom 23. Dezember 1985 einer schweizerischen Rechtsanwältin als Vertreterin eines in der Schweiz ansässigen belgischen Staatsangehörigen. Nach den Bescheinigungen werden die X AG und die Y AG über eine schweizerische Holding von dem in der Schweiz ansässigen belgischen Staatsangehörigen beherrscht.

Das FG lehnte den erneuten Antrag mit dem angefochtenen Beschluß ab. Die Beschwerde wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Mit der Beschwerde rügen die Antragsteller Verletzung der §§ 160 der Abgabenordnung (AO 1977) und 16 des Außensteuergesetzes (AStG). Sie rügen ferner Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu Basisgesellschaften, an denen der Steuerpflichtige nicht beteiligt ist.

Sie führen im wesentlichen aus:

Nachdem dargelegt sei, daß die X AG und die Y AG über eine schweizerische Holding von einem belgischen Staatsangehörigen beherrscht seien, seien sämtliche Pflichten der Antragsteller nach § 160 AO 1977, § 16 AStG erfüllt. Der Antragsteller vertreibe seit Jahren Geräte der Y AG. Deshalb habe ihm diese Gesellschaft über die ihr nahestehende X AG einen Investitionskredit zur Ausweitung seines Handelsgeschäfts vermittelt. Es verstoße außerdem gegen Grundsätze steuerlicher Gewinnermittlungen, Darlehenszuflüsse als Gewinn zu behandeln.

Das FA bezweifelt die Ernsthaftigkeit der gewählten Gestaltung und verweist auf folgende Umstände:

Die X AG besitze keinerlei Sicherheiten für ihre Darlehensforderung. Zwar habe während einer Übergangszeit bis 1978 eine Bürgschaft der Y AG für die von den Antragstellern aufgenommenen Darlehen bestanden. Die Bürgschaft sei aber erloschen, als das Darlehen im Dezember 1978 vorübergehend getilgt worden sei.

Nahezu alle Darlehensbeträge und die zugehörigen Zinsen seien in bar gezahlt und teilweise auch wieder zurückgezahlt worden.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

1.

Ein erneuter Antrag beim FG war statthaft. Gemäß Art. 3 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) kann die Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen veränderter Umstände beantragt werden. Die schriftlichen Bestätigungen der Y AG vom 28. August 1985, 11. und 12. November 1985 und das Schreiben der schweizerischen Anwältin des belgischen Staatsangehörigen vom 23. Dezember 1985 sind solche Umstände.

2.

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.

Nach § 160 AO 1977 sind Schulden und die durch die Schulden ausgelösten Zinsen steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder Empfänger genau zu benennen. Ist der Gläubiger eine ausländische Gesellschaft, die mit ihren vom Steuerpflichtigen bezogenen Einkünften nicht oder nur unwesentlich besteuert wird, so liegt eine genaue Bezeichnung i.S. des § 160 AO 1977 nur vor, wenn der Steuerpflichtige alle Beziehungen offenlegt, die unmittelbar oder mittelbar zwischen ihm und der Gesellschaft bestehen (§ 16 Abs. 1 AStG).

Feststellungen über die Steuerbelastung der X AG sind nicht getroffen worden. Die ernstlichen Zweifel des Senats an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen jedoch auch auf der Grundlage der verschärften Offenbarungspflichten des § 16 AStG.

Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 160 AO 1977, 16 AStG erfüllt, weil die Gläubigerin der Darlehensforderung nicht ausreichend genau bezeichnet wurde, so ist damit noch nicht geklärt, ob die Darlehensbeträge dem Gewinn hinzuzurechnen sind. Zwar führt das Abzugsverbot für bestimmte Schulden zu einer Erhöhung des Betriebsvermögens in Höhe der Darlehenszuflüsse. Diese Vermögensmehrung kann jedoch aus steuerpflichtigen Gewinnen, aus steuerfreien Einnahmen oder aus Einlagen stammen (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 1967 I 231/64, BFHE 90, 255, BStBl II 1968, 67). Selbst wenn die Vermögensmehrung aus steuerpflichtigen Einkünften stammen sollte, wäre zu klären, ob diese Einkünfte in den Jahren der Darlehenszuflüsse angefallen sind (vgl. Hartz, Der Betrieb - DB - 1976, 1736). Es bedarf im übrigen der Prüfung, ob eine Besteuerung von nicht abziehbaren Schulden als Gewinn überhaupt auf die §§ 160 AO 1977, 16 AStG gestützt werden kann.

Auch die Rechtmäßigkeit der Hinzurechnung der Zinsen ist ernstlich zweifelhaft.

Bei der Prüfung des nach § 160 AO 1977, § 16 AStG angemessenen Umfangs der Offenbarungspflichten sind der Zweck der Vorschriften und die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit einzuhalten (BFH-Urteile vom 2. März 1967 IV 309/64, BFHE 88, 287, BStBl III 1967, 396; vom 22. Mai 1968 I 59/65, BFHE 93, 118, BStBl II 1968, 727; vom 17. Dezember 1980 I R 148/76, BFHE 132, 211, BStBl II 1981, 333, und vom 30. März 1983 I R 228/78, BFHE 138, 317, 319, BStBl II 1983, 654, 655; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 160 AO 1977 Tz. 11; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., § 160 Tz. 7; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 160 AO 1977 Anm. 4). Zweck der Vorschriften ist es, mögliche Steuerausfälle zu verhindern, die dadurch eintreten können, daß der Empfänger geltend gemachter Betriebsausgaben die Einnahmen bei sich nicht steuererhöhend erfaßt (BFHE 138, 317, 319, BStBl II 1983, 654, 655, m.w.N.).

Bei ausländischen Domizilgesellschaften ist der Zweck der §§ 160 AO 1977, 16 AStG erst erreicht, wenn sichergestellt ist, daß der wirkliche Empfänger der Zahlungen entweder im Inland nicht steuerpflichtig ist oder seine steuerlichen Pflichten erfüllt hat (vgl. BFHE 138, 317, 319, BStBl II 1983, 654, 655).

Empfänger in diesem Sinne ist derjenige, dem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert übertragen worden ist (BFH-Urteil vom 8. Februar 1972 VIII R 41/66, BFHE 104, 502, BStBl II 1972, 442). Das ist bei Domizilgesellschaften in der Regel die Person, die die Domizilgesellschaft zwischengeschaltet hat. Der die Betriebsausgaben geltend machende Steuerpflichtige ist deshalb bei Geschäftsbeziehungen mit Domizilgesellschaften auch zu Angaben über die Beteiligungsverhältnisse der Domizilgesellschaft, insbesondere über evtl. unmittelbare oder mittelbare eigene Beteiligungen verpflichtet (Flick/Wassermeyer/Becker, Kommentar zum Außensteuergesetz, § 16 Anm. 56).

Wendet man diese Grundsätze auf den Streitfall an, so ergibt sich , daß das FG ohne Rechtsirrtum die Angabe von Name und Anschrift der liechtensteinischen Gesellschaft noch nicht als ausreichende Bezeichnung i.S. der §§ 160 AO 1977, 16 AStG angesehen hat.

Die X AG ist eine Domizilgesellschaft. Es handelt sich um eine Gesellschaft ohne eigene Büroräume und ohne eigenen Telefonanschluß. Die auf den Briefköpfen angegebenen Telefon- und Telexnummern stimmen mit denen des Dr. A überein, der eine Vielzahl sog. Briefkastengesellschaften vertritt. Die Antragsteller waren deshalb zu ergänzenden Angaben über die Beteiligungsverhältnisse verpflichtet. Sie haben entsprechende ergänzende Angaben gemacht. Die Antragsteller haben eidesstattliche Versicherungen angeboten, wonach sie weder mittelbar noch unmittelbar an der X AG beteiligt seien. Darüber hinaus haben sie Bescheinigungen der Y AG und der schweizerischen Rechtsanwältin über die tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse vorgelegt. Nach diesen Erklärungen werden die Y AG und die X AG von einem in der Schweiz ansässigen belgischen Staatsangehörigen beherrscht.

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob von den Antragstellern im Rahmen der §§ 160 AO 1977, 16 AStG weitere Angaben gefordert werden konnten. Der von den Antragstellern vorgetragene Sachverhalt ist in sich schlüssig. Es ist nicht unüblich, daß der Lieferant seinem Abnehmer über eine nahestehende Finanzierungsgesellschaft Kredite vermittelt, wenn er sich dadurch eine Ausweitung seines Absatzes verspricht.

Der Senat verkennt jedoch nicht, daß nach den Gesamtumständen des Streitfalles erhebliche Zweifel am Fremdkapitalcharakter der Darlehensbeträge bestehen bleiben. Es erscheint denkbar, daß aufgrund bisher nicht bekannter Tatumstände eine Zurechnung von Darlehenszuflüssen und Zinsen auf der Grundlage anderer gesetzlicher Vorschriften erfolgen muß.

Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide, Gewerbesteuermeßbescheide und Einheitswertbescheide war im beantragten Umfang auszusetzen.

Die Aussetzung der Vollziehung wurde im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht (§ 69 Abs. 2 Satz 3 FGO). Dabei wurde die besondere Rechtsproblematik berücksichtigt, die sich durch Hinzurechnung der Darlehenszuflüsse zum Gewinn ergibt.

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