Normen
§ 33 Abs. 1EStG
§ 33 Abs. 2 EStG
Tatbestand:
Die Ehefrau des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) befand sich anläßlich einer Hüftgelenkoperation drei Wochen in einem Krankenhaus in A und anschließend zur Nachbehandlung mehr als drei Monate in einem Krankenhaus in B. Im gemeinsamen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1976 machte der Kläger neben unstreitigen Krankheitskosten Aufwendungen für Besuchsfahrten mit dem eigenen PKW für tägliche Fahrten nach A und für wöchentliche Fahrten nach B als außergewöhnliche Belastung geltend.
Dem entsprach der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht. Auch der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage hinsichtlich der Fahrtkosten während der mehr als dreimonatigen Unterbringung in dem 140 km entfernt liegenden Krankenhaus in B statt. Es hielt diese Aufwendungen für abziehbar, weil wegen der Dauer und Entfernung der krankheitsbedingten Unterbringung außergewöhnliche Umstände vorgelegen hätten, und sich der Kläger als Ehemann den damit verbundenen Kosten aus sittlichen Gründen nicht habe entziehen können (Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 28. Januar 1937 VI A 554/36, RStBl 1937, 959). Entgegen der im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. Mai 1975 VI R 132/72 (BFHE 116, 130, BStBl II 1975, 536) geäußerten Ansicht komme es in einem solchen Fall nicht mehr darauf an, ob die Besuche für den Heilungsprozeß notwendig gewesen seien. Deswegen brauche auf die vorgelegte ärztliche Bescheinigung nicht eingegangen zu werden. Die geltend gemachten Aufwendungen seien den Umständen nach notwendig und der Höhe nach angemessen gewesen. Insbesondere sei es dem Kläger nicht zuzumuten gewesen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es führt aus, die Fahrtkosten könnten nicht außerhalb des typisierenden Begriffs "Krankheitskosten" als außergewöhnliche Belastung eigener Art zum Abzug zugelassen werden. Da es sich um mittelbare Krankheitskosten handele, seien derartige Aufwendungen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur zu berücksichtigen, wenn die Besuche medizinisch notwendig gewesen seien. Hierfür habe der Kläger den Nachweis nicht erbracht.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe
1. Aufwendungen für Besuchsfahrten zum vorübergehend getrennten Ehegatten können, sofern es sich nicht um Krankheitskosten handelt, im allgemeinen nicht als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden. Solche Aufwendungen sind regelmäßig weder außergewöhnlich noch zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 21. Juni 1963 VI 203/61 U, BFHE 77, 174, BStBl III 1963, 381; vom 25. Oktober 1963 IV 412/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1964, 136; vom 14. Februar 1975 VI R 125/74, BFHE 115, 322, BStBl II 1975, 607, und vom 22. August 1980 VI R 196/77, BFHE 131, 378, BStBl II 1981, 25), an der der Senat festhält, und der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 33 Anm. 3 b; Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 Rz. 9; Lademann/Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 33 Anm. 42; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 2. Aufl., § 33 Anm. 4 f; Jakob/Jüptner, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1983, 206 ff., 209; anderer Ansicht Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 33 EStG Anm. 10; Rasenack, Der Betrieb - DB - 1983, 1272) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Hierzu zählen bei Ehegatten solche Aufwendungen nicht, die im Rahmen einer ehelichen Lebensgemeinschaft typischerweise anfallen. Auch Kosten, die durch Besuchsfahrten zeitweilig getrennter Ehegatten entstehen, halten sich im Rahmen des bei einer ehelichen Lebensgemeinschaft Üblichen, falls nicht ausnahmsweise Anlaß und Begleitumstände zu einer abweichenden Beurteilung nötigen. Die im Streitfall vom FG festgestellten Umstände - Dauer des Krankenhausaufenthaltes und Entfernung des Krankenhauses vom Familienwohnsitz - rechtfertigen es nicht, die Fahrtkosten unabhängig davon als außergewöhnlich anzusehen, ob es sich um Krankheitskosten handelt. Ähnlich wie bei einer Trennung anläßlich eines mehrmonatigen Kuraufenthalts eines Ehegatten (BFHE 116, 130, BStBl II 1975, 536) gehören auch durch einen längeren Krankenhausaufenthalt verursachte Fahrtkosten grundsätzlich zu den mit einer ehelichen Lebensgemeinschaft typischerweise verbundenen Kosten, deren steuerliche Berücksichtigung mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG nicht vertretbar wäre.
b) Des weiteren sind die durch die Besuchsfahrten entstandenen Aufwendungen, sofern es sich nicht um Krankheitskosten handelt, dem Kläger nicht - wie das FG meint - aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Nicht alle Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger aus einer anständigen und sittlich anzuerkennenden Gesinnung macht, können schon deswegen als zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG angesehen werden. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzukommen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, im privaten Lebensbereich entstandene Aufwendungen eines Steuerpflichtigen als außergewöhnliche Belastung teilweise der Allgemeinheit aufzubürden (BFH-Urteil vom 8. November 1977 VI R 42/75, BFHE 124, 34, BStBl II 1978, 147). Die Formulierung "nicht entziehen kann" in § 33 Abs. 2 EStG bringt zum Ausdruck, daß eine Zwangsläufigkeit nicht gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige die Möglichkeit hatte, den Aufwendungen auszuweichen (BFH-Urteil vom 18. November 1977 VI R 142/75, BFHE 124, 39, BStBl II 1978, 147).
Danach reicht es nicht aus, daß sich der Kläger subjektiv zu den Besuchsfahrten verpflichtet fühlte und daß er sich dabei so verhielt, wie es auch viele andere Ehegatten getan hätten. Denn der Kläger war nicht schon durch die Tatsache als solche, daß sich seine Ehefrau mehrere Monate einer stationären Behandlung unterziehen mußte, zu den Besuchsfahrten in dem Sinne gezwungen, daß er sich den damit verbundenen Aufwendungen nicht entziehen konnte. Vielmehr konnte er grundsätzlich frei entscheiden, ob und wie oft er seine Ehefrau besuchen wollte. Dabei konnte sein Entschluß zu einer Besuchsfahrt durch sein Zusammengehörigkeitsgefühl sowie den Wunsch, den erkrankten Ehegatten zu sehen und sich mit ihm zu unterhalten, ebenso beeinflußt sein wie durch andere persönliche Umstände, die dagegen abzuwägen waren, beispielsweise seine berufliche Inanspruchnahme, seine sonstigen Verpflichtungen oder das ihm zur Verfügung stehende Verkehrsmittel (Urteil des Niedersächsischen FG vom 19. Januar 1977 IV 120/76, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1977, 427). Belastungen aus einer Entscheidung, die maßgeblich von persönlichen Vorstellungen und Neigungen getragen wird, und nicht wie bei unmittelbaren Krankheitskosten sich zwingend aus der Art der Erkrankung ergibt, können nicht als zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG angesehen werden.
Da dem angefochtenen Urteil eine andere Auslegung des Begriffs der außergewöhnlichen Belastung zugrunde liegt, war es aufzuheben.
2. Das FG wird nunmehr die - aus seiner Sicht zu Recht - unterbliebene Prüfung vorzunehmen haben, ob die Fahrtkosten unmittelbare Krankheitskosten waren und deshalb als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
a) Zu den abziehbaren Krankheitskosten zählen solche Aufwendungen, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteile vom 22. August 1980 VI R 138/77, BFHE 131, 381, BStBl II 1981, 23, und vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711). Keine außergewöhnliche Belastung wird dagegen durch die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten begründet (BFH-Urteile vom 1. Dezember 1978 VI R 149/75, BFHE 126, 302, BStBl II 1979, 78, und vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79, BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297). Deshalb können Aufwendungen für Besuchsfahrten zu einem in einem Krankenhaus liegenden Ehegatten nur ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn die Besuche nicht lediglich einem privaten Bedürfnis entspringen, sondern unmittelbar der Heilung oder Linderung der Krankheit dienen.
Wie in anderen Fällen, in denen nicht ohne weiteres von Krankheitskosten ausgegangen werden kann, beispielsweise bei Kosten für vorbeugende Gesundheitsmaßnahmen oder zur Rekonvaleszenz (BFH-Urteile vom 10. März 1972 VI R 256/69, BFHE 105, 127, BStBl II 1972, 534, und vom 14. Februar 1980 VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, und in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711), bedarf es des Nachweises, daß die konkrete Behandlung - hier der Krankenbesuch - medizinisch indiziert war. Das bedeutet, daß nach ärztlichem Urteil gerade der vom Ehegatten vorgenommene Besuch zur Heilung oder Linderung einer bestimmten Krankheit entscheidend beitragen kann. Dies kann regelmäßig nur derjenige Arzt beurteilen, der die in Frage stehende Krankheit im Krankenhaus behandelt oder behandelt hat. Danach reicht es nicht aus, wenn der den allgemeinen Gesundheitszustand eines Patienten kennende Hausarzt allein aufgrund dieser Kenntnisse bescheinigt, daß Besuche anläßlich einer bestimmten oder nicht näher gekennzeichneten Krankheit des Ehegatten im Krankenhaus therapeutisch notwendig gewesen seien. Vielmehr bedarf es der oben beschriebenen Äußerung des Krankenhausarztes, der für die stationäre Behandlung des Ehegatten verantwortlich ist. Deshalb ist die bisher vorgelegte Bescheinigung des Hausarztes nicht ausreichend. Das FG hat folglich noch entsprechende Feststellungen nachzuholen.
b) Sofern das FG nach den dargelegten Grundsätzen zu dem Schluß gelangt, daß die Fahrtkosten zu den Krankheitskosten zählen, sind die noch streitigen Aufwendungen auch dann in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels geringere Kosten entstanden wären. Wie der Senat bereits in der Entscheidung in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711 ausgeführt hat, ist bei Aufwendungen, die dem Grunde nach als Krankheitskosten anzusehen sind, die Notwendigkeit und Angemessenheit der Höhe nach grundsätzlich nicht mehr zu prüfen.