BFH

BFHI R 189/7917.3.1982

Amtlicher Leitsatz:

Stellt ein Unternehmen, das von einem anderen Unternehmen eine technische Anlage gemietet hat, diesem anderen Unternehmen unentgeltlich Aufenthalts-, Arbeits- und Lagerräume zur Verfügung, damit dessen Mitarbeiter darin ständig Wartungs- und Reparaturarbeiten verrichten können, so können die Räume eine Betriebsstätte des anderen Unternehmens bilden. Voraussetzung dafür ist aber, daß dem anderen Unternehmen mit der Überlassung bestimmter Räume eine Rechtsposition eingeräumt worden ist, die ihm ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne weiteres entzogen oder die ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres verändert werden kann.

Normen

§ 28 GewStG
§ 16 Abs. 1 StAnpG

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand:

Streitig ist, ob die A-GmbH eine Betriebsstätte in X unterhält und der Stadt X (der Klägerin und Revisionsklägerin - Klägerin -) deshalb ein Zerlegungsanteil an dem Gewerbesteuermeßbetrag der A-GmbH zusteht.

Die B-AG in X hat von der A-GmbH Datenverarbeitungsanlagen gemietet. Zur Wartung der Anlagen sind ständig mindestens zwei Mitarbeiter der A-GmbH bei der B-AG tätig. Die B-AG stellt der A-GmbH seit Beginn der Geschäftsverbindung im Jahre 1971 (wechselnde) Aufenthalts-, Arbeits- und Lagerräume zur Verrichtung der Wartungs- und Reparaturarbeiten und zur Aufbewahrung des Werkzeugs und Materials unentgeltlich zur Verfügung.

Entgegen dem Antrag der Klägerin, sie an der Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags der A-GmbH zu beteiligen, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in den Zerlegungsbescheiden für die Jahre 1971 bis 1974 den Zerlegungsanteil der Klägerin auf null fest. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Im Klageverfahren legte die Klägerin ein Schreiben der B-AG vor, in dem diese ausführt, daß die Räume der A-GmbH im überwiegenden Interesse der B-AG zur Verfügung gestellt würden, weil damit der Anmarschweg der Techniker der A-GmbH von Y nach X vermieden werde. Die A-GmbH könne über die Räume in dem Umfang verfügen, in dem dies zur Ausführung der vertraglichen Verpflichtungen erforderlich sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Für das Jahr 1971 sei der Antrag auf Beteiligung an der Zerlegung des Gewerbesteuermeßbetrags der A-GmbH verspätet (§ 387 Abs. 3 Satz 4 der Reichsabgabenordnung - AO -). Hinsichtlich der Jahre 1972 bis 1974 habe das FA die Klägerin zu Recht nicht an der Zerlegung beteiligt, weil die A-GmbH in X keine Betriebsstätte i. S. des § 16 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) besitze. Die A-GmbH könne über die Räumlichkeiten der B-AG nicht verfügen. Die Auskunft der B-AG spreche zwar davon, jedoch sei das landläufige Verständnis der Begriffe "Zurverfügungstellung" und "verfügen" anders als ihr rechtlicher Gehalt. Unstreitig sei, daß die Verfügungsmöglichkeit der A-GmbH nur so weit gehe, wie es die Interessen der B-AG zuließen. Diese Einschränkung der Verfügungsmöglichkeit verbiete die Anerkennung einer Betriebsstätte der A-GmbH in den Räumen der B-AG. Darüber hinaus dienten die Räumlichkeiten auch nicht dem Unternehmen der A-GmbH. Zwar komme eine raschere Erfüllung ihrer Wartungs- und Reparaturpflichten auch der A-GmbH zugute; dieser Nutzen sei aber nicht so unmittelbar, wie es für ein "Dienen" i. S. der Rechtsprechung zur Betriebsstätte erforderlich sei.

Dagegen hat die Klägerin hinsichtlich der Streitjahre 1972 bis 1974 Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 28 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG), § 16 StAnpG und § 188 der Abgabenordnung (AO 1977) sowie mangelnde Sachaufklärung und falsche Beweiswürdigung durch das FG. Die A-GmbH habe in X eine Betriebsstätte, weil die von der B-AG untentgeltlich überlassenen Räume ausschließlich von ihr genutzt würden und sie in dem Umfang darüber verfügen könne, wie es zur Ausübung ihrer vertraglichen Verpflichtungen erforderlich sei. Das FG hätte nicht unterstellen dürfen, daß Fachleute der Steuerrechtsabteilung der B-AG die Worte "Zurverfügungstellung" und "verfügen" in landläufigem Sinne gebrauchen würden. Vielmehr hätte es eine weitere Sachaufklärung vornehmen müssen und über die angeregte Anhörung von Zeugen zu der Frage, in welchem Umfang die A-GmbH Verfügungsgewalt über die Räume hatte, nicht hinweggehen dürfen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung und die Zerlegungsbescheide 1972 bis 1974 aufzuheben und der Klägerin von den Gewerbesteuermeßbeträgen der A-GmbH folgende Zerlegungsanteile zuzuweisen:

für das Jahr 1972 3 011,47 DM

für das Jahr 1973 2 759,09 DM

für das Jahr 1974 2 533,38 DM

insgesamt 8 303,94 DM

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA ist der Auffassung, der Wert des Streitgegenstandes übersteige 10 000 DM nicht. Wende man auf die begehrten Zerlegungsanteile den Gewerbesteuerhebesatz von 300 v. H. an, so ergebe sich für 1972, als dem Jahr mit dem höchsten begehrten Zerlegungsanteil, ein Gewerbesteuerbetrag von 9 035 DM. Eine Zusammenrechnung der Steuerbeträge der einzelnen Streitjahre komme nicht in Betracht.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Der Streitwert übersteigt 10 000 DM (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -). Die Klägerin hat gegen mehrere Zerlegungsbescheide eine Klage erhoben. Ihre Revision richtet sich gegen die Entscheidung, mit der das FG über diese eine Klage entschieden hat. Zur Ermittlung der Revisionssumme sind deshalb die Gewerbesteuermeßbeträge, deren Zuweisung die Klägerin begehrt, zusammenzurechnen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Januar 1969 II R 71/67, BFHE 95, 227, BStBl II 1969, 408) und mit dem Hebesatz der Klägerin zu vervielfältigen.

II.

Die Revision ist auch begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1.a) Betriebsstätte i. S. der Steuergesetze ist jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung eines stehenden Gewerbes dient (§ 16 Abs. 1 StAnpG). Besteht - wie im Streitfall - die feste örtliche Anlage oder Einrichtung aus Geschäftsräumen, die dem Unternehmer nicht gehören, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH erforderlich, daß der Unternehmer über die Räumlichkeiten wenigstens eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht besitzt (vgl. RFH-Urteil vom 26. September 1939 I 272/39, RFHE 47, 257, RStBl 1939, 1227; RFH-Beschluß vom 19. Dezember 1939 I 432/38, RStBl 1940, 25; BFH-Beschluß vom 16. August 1962 I B 223/61 S, BFHE 75, 573, BStBl III 1962, 477; BFH-Urteil vom 18. März 1976 IV R 168/72, BFHE 118, 404, BStBl II 1976, 365). Das Merkmal der gewissen, nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht haben weder der RFH noch bisher der BFH allgemein bestimmt. Auch in der Literatur ist - soweit ersichtlich - eine Definition nicht versucht worden; sie erscheint wegen der Vielfalt möglicher Gestaltungen auch nicht möglich. Welche Voraussetzungen im Einzelfall für die Annahme einer Verfügungsmacht erfüllt sein müssen, haben RFH und BFH allerdings in einer Reihe von Entscheidungen dargelegt. Danach ist es nicht erforderlich, daß der Unternehmer die fremden Räume gemietet oder gepachtet hat (RFHE 47, 257, RStBl 1939, 1227), vielmehr kann die Verfügungsmacht auch auf einer unentgeltlichen Überlassung beruhen (RFH-Urteil vom 19. Dezember 1934 VI A 230/34, Mrozek-Kartei, Einkommensteuergesetz 1934, § 49 Ziff. 2, Rechtssatz 1; BFH-Urteil vom 30. Januar 1974 I R 87/72, BFHE 111, 397, BStBl II 1974, 327).

b) Von diesen Grundsätzen geht auch der erkennende Senat aus. Allerdings ist nach Auffassung des Senats die Tatsache allein, daß Räume unentgeltlich genutzt werden dürfen, nicht gleichbedeutend mit dem Innehaben einer nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht. Es muß hinzukommen, daß dem Nutzenden mit der Überlassung eine Rechtsposition eingeräumt wird, die ihm ohne seine Mitwirkung nicht mehr ohne weiteres entzogen oder die ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres verändert werden kann. An einer nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht fehlt es, wenn weder ein Mietverhältnis noch ein diesem gleichgeartetes Nutzungsrecht über bestimmte Räume vereinbart worden ist, das dem Gebrauchsinhaber mindestens das Recht einräumt, einer Zuweisung anderer als der ihm zur Nutzung überlassenen Räume zu widersprechen.

2. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen kann der Senat nicht prüfen, ob im Streitfall der AGmbH ein solches Nutzungsrecht über bestimmte Räume der B-AG eingeräumt worden ist. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

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