BFH

BFHVIII R 102/8023.6.1981

Amtlicher Leitsatz:

Führt die Kapitalgesellschaft für ihre Gesellschafter, die bei ihr angestellt sind, Verrechnungskonten, von denen sie nach Einbuchung der Gehälter Auszahlungen für private Zwecke der Gesellschafter vornimmt, so liegen in Höhe der die Gehaltsbuchungen übersteigenden Sollbuchungen auf den Verrechnungskonten Kreditgewährungen der Gesellschaft an ihre Gesellschafter vor. Einkünfte aus Kapitalvermögen der Gesellschafter in Form verdeckter Gewinnausschüttungen kommen nur insoweit in Betracht, als der Kredit zinslos oder zu einem unangemessen niedrigen Zins gewährt wird.

Normen

§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG
§ 6 Abs. 1 S. 2 KStG

FG Baden Württemberg

 

Tatbestand:

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) - zusammen veranlagte Eheleute - sind am Stammkapital einer GmbH mit je 50 v. H. beteiligt. Der Kläger ist Geschäftsführer, seine Ehefrau ist Prokuristin der Gesellschaft.

Beide Kläger bezogen 1973 ein Gehalt von je 32 500 DM. Außerdem wurden für sie bei der Gesellschaft Privatausgaben verbucht. Dafür wurde in der anfangs 1975 erstellten Bilanz zum 31. Dezember 1973 eine Forderung von 23 649,49 DM ausgewiesen. Dieser Betrag ergibt sich als Saldo aus zehn verschiedenen für die beiden Kläger geführten Verrechnungskonten. Darauf wurden die Gehälter der beiden Kläger - insgesamt 65 000 DM - eingebucht und im Gegenzug die Auszahlungen an oder zugunsten der Kläger für Lebensunterhalt, private Steuern, Sonderausgaben ausgebucht. Die Auszahlungen überstiegen am Jahresende 1973 die eingebuchten Gehaltsbeträge um 23 649,49 DM. Die Forderung wurde 1976 mit Zinsen ab 1974 zurückgezahlt.

Nach einer Betriebsprüfung, bei der die Verbuchung von Privatausgaben festgestellt wurde, kam der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) zu der Auffassung, die ausgewiesene Forderung von 23 649,49 DM sei ein Darlehen, das zinslos und ohne Rückzahlungsvereinbarung gegeben worden sei, obwohl zum 31. Dezember 1973 ein ausschüttungsfähiger Gewinn von rd. 69 530 DM vorhanden gewesen sei. Es handele sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung, die bei den Klägern als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen sei. Dementsprechend erging ein Einkommensteuerbescheid für 1973.

Nach im Streitpunkt erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt und führte in der in Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 518 (EFG 1980, 518) veröffentlichten Entscheidung aus, für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung fehle es am Wissen und Wollen einer Vorteilszuwendung durch die Gesellschaft. Ohne Kenntnis des vertretungsberechtigten Organs der Gesellschaft könne keine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen.

Mit der Revision rügt der FA unrichtige Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1969 (KStG) sowie mangelnde Sachaufklärung (§ 76 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und macht dazu geltend:

Soweit das FG das Wissen und Wollen einer Vorteilszuwendung durch ein vertretungsberechtigtes Organ als nicht gegeben angenommen habe, liege unzureichende Sachaufklärung vor. Es fehle an Feststellungen über eine Berechtigung des Gesellschafter-Geschäftsführers, mehr Mittel aus dem Vermögen der Gesellschaft abzuziehen, als ihm aufgrund seiner Gehaltsansprüche zustanden, sowie über seine Kenntnis von der Entwicklung des Verrechnungskontos.

Für die Verneinung des Wissens und Wollens einer Vorteilszuwendung habe das FG zu Unrecht nicht auf das Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters abgestellt. Dies sei ein objektiver Vergleichsmaßstab, bei dessen Anlegung im Streitfall eine Vorteilszuwendung zu bejahen sei. Bei gehöriger Wahrnehmung seiner Pflichten habe der Geschäftsführer um die in Rede stehenden Buchungen wissen müssen. Ein Buchungsfehler des Buchhalters habe nicht vorgelegen. Eine "alsbaldige Berichtigung" sei nicht erfolgt, weil die Bilanz verspätet erstellt und außerdem die Rückzahlung unter Verzinsung ab 1974 erst 1976 erfolgt sei.

Das FG habe Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFG-EntlG) verletzt, weil es den Verwaltungsakt vollen Umfangs aufgehoben habe, obwohl nach den Entscheidungsgründen die Steuer nur teilweise zu ändern sei.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen oder die Streitsache an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Zu Recht hat das FG in dem von der GmbH für private Zwecke der Kläger verausgabten Betrag von 23 649,49 DM keine Einkünfte aus Kapitalvermögen der Kläger gesehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

a) Zu den sonstigen Bezügen aus GmbH-Anteilen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören verdeckte Gewinnausschüttungen i. S. von § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG. Ein Kapitalertrag dieser Art liegt vor, wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen Vermögensvorteil zuwendet und die Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Oktober 1977 VIII R 191/74, BFHE 123, 475, BStBl II 1978, 109; vom 10. Januar 1973 I R 119/70, BFHE 108, 183, BStBl II 1973, 322). Die Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses ist im allgemeinen gegeben, wenn die Kapitalgesellschaft bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters den Vermögensvorteil einem Nichtgesellschafter nicht gewähren würde (BFHE 108, 183, BStBl II 1973, 322; BFHE 123, 475, BStBl II 1978, 109). Im Verhältnis zwischen der Kapitalgesellschaft und einem beherrschenden Gesellschafter wird die Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses bereits angenommen, wenn es für die Leistung der Kapitalgesellschaft an einer im voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarung fehlt (BFH-Urteile vom 10. Juli 1974 I R 205/72, BFHE 113, 218, BStBl II 1974, 719 und vom 26. Juli 1978 I R 138/76, BFHE 125, 557, BStBl II 1978, 659).

An der für eine verdeckte Gewinnausschüttung erforderlichen Vorteilszuwendung fehlt es indessen, wenn die Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter etwas leistet und dabei von vornherein feststeht, daß es sich um eine Kreditgewährung seitens der Gesellschaft handelt. So ist in der Regel eine Darlehensgewährung der Kapitalgesellschaft anzunehmen, wenn sie Verrechnungskonten für ihre Gesellschafter, die bei ihr angestellt sind, führt, von denen sie nach Einbuchung der Gehälter Auszahlungen für private Zwecke der Gesellschafter abbucht und dabei höhere Auszahlungen als Gehaltseinbuchungen vornimmt. In Höhe der die Gehälter übersteigenden Sollbuchungen auf den Verrechnungskonten entstehen Forderungen der Kapitalgesellschaft gegen die Gesellschafter. Für den Darlehenscharakter dieser Forderungen spricht, daß sie von vornherein auf Verrechnungskonten festgehalten werden und damit die Rückzahlungsverpflichtung zum Ausdruck gebracht wird. Verrechnungskonten dieser Art sind Geschäftsfreundekonten vergleichbar, weil sich hier die Kapitalgesellschaft und ihre Gesellschafter wie Fremde gegenüberstehen. Sollsalden auf solchen Verrechnungskonten bedeuten Kreditgewährung (siehe auch § 89 Abs. 1 Satz 4 des Aktiengesetzes - AktG - 1965).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die Bezahlung von Privatrechnungen der Kläger für Zwecke der allgemeinen Lebensführung - allgemeine Bezüge, Sonderausgaben, Steuern, Grundstücksaufwendungen, Liegenschaftskonto u. a. - durch die GmbH keine Vorteilsgewährung an die Kläger. Die aus diesen Zahlungen entstandenen Forderungen der GmbH gegen die Kläger wurden durch die Verbuchung auf Verrechnungskonten als Darlehen ausgewiesen. Auf eine Rückzahlung wurde weder von vornherein noch im Laufe des Jahres 1973 verzichtet.

Da es insoweit an einem Vermögensvorteil der Kläger fehlt, stellt sich die weitere Frage nicht, ob die Gewährung eines Vermögensvorteils ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Damit scheiden die Fragen aus, wie sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter verhalten hätte und ob der Kredit, den die GmbH den Klägern gewährt hat, auf einem Vertrag beruht, der in jeder Beziehung den Anforderungen genügt, welche die Rechtsprechung an im voraus getroffene klare und eindeutige Vereinbarungen zwischen der Kapitalgesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter stellt.

2. Nach den Feststellungen des FG wurde die den Klägern gegenüber entstandene Forderung bei der Rückzahlung ab 1974 verzinst. Verdeckte Gewinnausschüttungen und damit Einkünfte aus Kapitalvermögen der Kläger können insoweit gegeben sein, als in 1973 ein zinsloser Kredit gewährt wurde oder die ab 1974 gezahlten Zinsen unangemessen niedrig gewesen sein sollten. Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Streitsache sind daher geboten, damit das FG noch prüft und entscheidet, ob und in welcher Höhe verdeckte Gewinnausschüttungen dieser Art vorliegen.

Nach der Zurückverweisung der Streitsache kann das FA seine Bedenken hinsichtlich der Anwendung von Art. 3 § 4 VGFG-EntlG erneut geltend machen.

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