BFH

BFHVIII R 31/7517.1.1978

Amtlicher Leitsatz:

1. Übergröße und aufwendige Bauweise eines neuen Betriebsgebäudes rechtfertigen nicht allein deshalb eine Teilwertabschreibung.

2. Ist ein Gebäude in seiner Gestaltung auf die Pläne und Vorstellungen des Betriebsinhabers abgestellt, so rechtfertigt das Ausscheiden des Inhabers aus dem Betrieb allein noch keine Teilwertabschreibung auf das Gebäude.

Normen

§ 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG

 

Tatbestand:

Der Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) eröffnete 1962 einen Großhandel mit... Nach erheblichen Umsatzsteigerungen verlegte er seinen Betrieb im Jahre 1966 in ein neues, mit einem Herstellungsaufwand von 485 421 DM errichtetes Betriebsgebäude. Nach seinem Tode im Jahre 1967 bemühte sich die Klägerin, den Betrieb zu veräußern. Die Verhandlungen mit dem Kaufmann K, der gleichfalls einen Großhandel mit ... betrieb, zerschlugen sich, weil dieser für das gesamte Anlagevermögen einschließlich Geschäftswert nur 350 000 DM zu zahlen bereit war. Sie führte daraufhin den Betrieb selbst fort.

Bei der Einkommensteuerveranlagung 1967 begehrte sie wegen Übergröße des Gebäudes und zu aufwendiger Bauweise eine Teilwertabschreibung in Höhe von 50 064 DM (= 10 v. H. der ursprünglich errechneten Gebäudeherstellungskosten). Zur Begründung trug sie vor: Die durchschnittliche Auslastung der Räume habe nur bei 30 bis 50 v. H. gelegen. Sogar in den bisher umsatzstärksten Zeiten seien die vorhandenen Räume höchstens zu 60 v. H. ausgenutzt gewesen. Eine Erweiterung des Geschäftsumfangs sei nicht möglich, da das inländische Angebot an ... stagniere und ausländische Ware bei den Abnehmern weniger gefragt sei. Einer anderweitigen Verwendung der nicht ausgenutzten Räumlichkeiten stünde die erhebliche Geruchsbelästigung entgegen.

Als weitgehende Fehlmaßnahme erweise sich der Bau des Betriebsgebäudes aber auch wegen seiner Ausführung und seiner Ausgestaltung. In krassem Gegensatz zu den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen, die nur eine einfache, leicht sauberzuhaltende Betriebsausstattung bedingt hätten, seien für den Bau größtenteils Materialien verwendet worden, die den gehobenen Ansprüchen des modernen Wohnungsbaues durchaus entsprochen hätten. In welchem Maß das Betriebsgebäude insgesamt überteuert sei, beweise der Vergleich der vom Architekten im Kostenvoranschlag geschätzten Kosten von 194 000 DM zu den tatsächlichen Kosten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) lehnte die Teilwertabschreibung ab. Der Einspruch war erfolglos.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG sah die Errichtung des Betriebsgebäudes durch den Ehemann der Klägerin als teilweise Fehlmaßnahme an. Es führte aus: Die Beweisaufnahme, insbesondere die Auskunft der Tierärzte Dr. W und Dr. N und die Bekundungen des Kaufmanns K und des über die betrieblichen Verhältnisse der Klägerin informierten Notars Dr. T sowie die durchgeführte Ortsbesichtigung hätten die von der Klägerin geschilderten Betriebsverhältnisse weitgehend bestätigt. Danach habe das Gebäude nicht nur eine vorübergehende Übergröße gehabt. Es könne vor allem, nachdem der Erbauer als Unternehmer weggefallen sei, den ihm zugedachten Rahmen auch auf längere Sicht nicht ausfüllen. So stehe unstreitig fest, daß das inzwischen acht Jahre alte Betriebsgebäude noch zu keiner Zeit auch nur annähernd voll ausgenutzt gewesen sei. Auch Bauweise und Ausstattung, mögen sie auch vom Standpunkt eines Veterinärs wünschenswert sein, seien nach kaufmännischen Überlegungen weitestgehend zu aufwendig. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse und unter Einbeziehung des Kaufangebots des Zeugen K von 350 000 DM sei dem Gericht kein nach kaufmännischen Gesichtspunkten abwägender Erwerber denkbar, der nicht ebenfalls einen Minderwert des Gebäudes von mindestens rd. 50 000 DM geltend gemacht hätte.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Es vertritt die Ansicht: Die Übergröße des Gebäudes im Zeitpunkt der Errichtung rechtfertige keine Teilwertabschreibung. Denn es handle sich um ein Wirtschaftsgut, das mit der Bestimmung errichtet worden sei, dem Betrieb auf lange Sicht zu dienen. Es müsse unberücksichtigt bleiben, daß das Gebäude in den folgenden Jahren nicht ausgelastet gewesen sei, weil nur die Verhältnisse am Bilanzstichtag maßgebend seien. Nach den Urteilen des BFH vom 19. Oktober 1972 I R 244/70 (BFHE 107, 214, BStBl II 1973, 54) und vom 22. März 1973 IV R 46/69 (BFHE 109, 240, BStBl II 1973, 581) dürfe selbst bei am Bilanzstichtag erkennbarer rückläufiger Umsatz- und Gewinnentwicklung eine Teilwertabschreibung nicht zugelassen werden. Die vom Standpunkt eines Veterinärs durchaus "wünschenswerte" Ausstattung könne aus der Sicht eines Kaufmanns nicht als wirtschaftlich unsinnige Maßnahme bezeichnet werden, zumal die Verwendung von teuren Materialien auf die Eigenart des Betriebs zugeschnitten sei und die Gebäudeteile dadurch auch einem wesentlich geringeren Verschleiß unterlägen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Vorentscheidung für zutreffend und verweist auf ihr Klagevorbringen, mit dem sie im übrigen auch noch eine auf Baumängeln beruhende und vom FG noch nicht geprüfte Wertminderung von ca. 34 000 DM geltend gemacht habe.

Entscheidungsgründe

1. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG können Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die der Abnutzung unterliegen, mit dem Teilwert angesetzt werden, wenn dieser niedriger ist als die um die Absetzung für Abnutzung (AfA) verminderten Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, daß der Erwerber den Betrieb fortführt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen gilt die Vermutung, daß der Teilwert eines neu hergestellten oder angeschafften Wirtschaftsguts den Herstellungs- oder Anschaffungskosten entspricht (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 9. Februar 1977 I R 130/74, BFHE 121, 436, BStBl II 1977, 412). Die begehrte Abschreibung ist deshalb nur dann anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige nachweisen kann, daß und in welcher Höhe zwischen Herstellungszeitpunkt und Bilanzstichtag wesentliche Umstände eingetreten sind, die die Annahme rechtfertigen, daß am Bilanzstichtag die Wiederbeschaffungskosten in nicht unerheblichem Umfang unter den ursprünglichen Herstellungskosten liegen oder daß sich die Herstellung als Fehlmaßnahme erwiesen hat. Je kürzer der zeitliche Abstand zwischen Herstellungszeitpunkt und Bilanzstichtag ist, desto stärker ist die Vermutung der Übereinstimmung von Teilwert und Herstellungskosten und desto größer sind die an den Nachweis einer Teilwertminderung zu stellenden Anforderungen. Nach dem Bilanzstichtag bekanntwerdende wertmindernde Umstände können nur insoweit Berücksichtigung finden, als der Steuerpflichtige nachweisen kann, daß sie bereits vorher eingetreten waren (BFH-Urteil vom 4. April 1973 I R 130/71, BFHE 109, 55, BStBl II 1973, 485).

2. Die Klägerin hat im Streitfall nicht dargelegt, daß der Teilwert des Betriebsgebäudes zum 31. Dezember 1967 in dem begehrten Umfang unter die Herstellungskosten gesunken war.

a) Entgegen der Auffassung des FG rechtfertigte die größenmäßige Gestaltung des Betriebsgebäudes am Bilanzstichtag noch keine Teilwertabschreibung.

Wenn ein branchenkundiger Unternehmer ein Betriebsgebäude in einer bestimmten Größenordnung plant und errichtet, spricht in der Regel der objektive Sachverhalt dafür, daß es sich um eine überlegte und wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme handelt. Diese Vermutung wird nicht dadurch widerlegt, daß das Gebäude im Zeitpunkt der Errichtung und in den folgenden Jahren nur bis zu maximal 60 v. H. ausgelastet war. Denn bei einem Fabrikgebäude handelt es sich um ein Anlagegut, das in aller Regel mit der Bestimmung errichtet wird, dem Betrieb auf lange Sicht zu dienen. Dies trifft auch für den Streitfall zu, in dem der Ehemann der Klägerin durch die Schaffung größerer Raumkapazitäten dem noch jungen Unternehmen die Möglichkeit einer weiteren Ausdehnung des Geschäftsumfangs offenhalten wollte. Der allgemeine Hinweis, daß das inländische Angebot an ... stagniere, beweist unter diesem Gesichtspunkt nicht, daß er die Errichtung des geplanten Gebäudes unterlassen hätte, wäre ihm dieser Umstand bereits vor Baubeginn bekanntgewesen.

b) Auch der Tod des Ehemannes im Jahre 1967 ist kein Umstand, der eine Teilwertabschreibung rechtfertigt. Denn der Teilwert eines Gebäudes ist ein objektiver Wert, der auf der allgemeinen Auffassung beruht, wie sie in der Marktlage am Bilanzstichtag zum Ausdruck kommt. Subjektive Umstände, die in der Person des Unternehmers oder eines bestimmten Interessenten für das Unternehmen liegen, insbesondere über- oder unterdurchschnittliche kaufmännische Fähigkeiten eines Steuerpflichtigen als Leiter des Unternehmens, sind für die Ermittlung des Teilwerts der einzelnen Wirtschaftsgüter im allgemeinen unerheblich (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6 EStG Anm. 62 f E 218 f.; Grieger, Der Betriebs-Berater 1964 S. 1284). Ob ausnahmsweise auch geschäftswertbildende Faktoren, wie z. B. das Know-how, den Teilwert einzelner Wirtschaftsgüter beeinflussen können (so BFH-Urteil vom 9. Juni 1964 I 38/64, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 6 Abs. 1 Ziff. 2, Rechtsspruch 154), braucht nicht entschieden zu werden. Denn im Streitfall ist nicht ersichtlich, daß ein fiktiver Erwerber aufgrund der besonderen betrieblichen Gegebenheiten nicht in der Lage gewesen wäre, den Betrieb im bisherigen Umfang fortzuführen und zumindest längerfristig die vorhandenen Raumkapazitäten auszunutzen. Ob im Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung im Jahre 1974 möglicherweise eine andere Beurteilung geboten war, ist nicht zu entscheiden, weil insoweit allein auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag abzustellen ist (vgl. BFH-Urteil I R 130/74).

c) Die Teilwertabschreibung kann auch nicht auf eine zu aufwendige Bauweise und Ausstattung des Gebäudes gestützt werden. Die bewußte, nicht unerhebliche Überschreitung des Kostenvoranschlags beruhte auf der Verwendung teurer Materialien, die weitgehend auf die Eigenart des Betriebs zugeschnitten waren und den Wert des Gebäudes für den Unternehmer entsprechend erhöhten. Dies gilt insbesondere für die von der Klägerin als wirtschaftlich nicht vertretbar bezeichnete Ausstattung der Räume mit einem Klinkerfußboden, für das Fliesen der Wände und für den Einbau von Nirostablechtüren und -tischen etc. Nach den Angaben des zuständigen Veterinäramtes handelte es sich hierbei um Maßnahmen, die aus hygienischen Gründen wünschenswert, teilweise sogar betriebsnotwendig waren.

Auch das Kaufangebot des Zeugen K ist nicht geeignet, die Vermutung zu widerlegen, daß der Teilwert unter die Herstellungskosten gesunken ist. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß zwischen K und der Klägerin überhaupt ernsthafte, am Wert des Unternehmens orientierte Kaufverhandlungen geführt worden sind. Dem festgestellten Sachverhalt ist auch nicht zu entnehmen, daß die Klägerin bereit war, das Unternehmen unter den Buchwerten zu veräußern.

3. Nach alledem war die Vorentscheidung aufzuheben. Gleichwohl kann der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden; denn das FG hat nicht geprüft, ob und ggf. in welcher Höhe die von der Klägerin geltend gemachten Baumängel eine Teilwertabschreibung rechtfertigen. Die Sache geht deshalb zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

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