BFH

BFHVIII R 7/7418.8.1977

Amtlicher Leitsatz:

1. Ob die Belastung eines Privatgrundstücks mit einer Dienstbarkeit im Bereich einer steuerbaren Nutzung des Grundstücks oder im Bereich einer nicht steuerbaren Übertragung im Vermögensbereich liegt, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung des wirtschaftlichen Gehalts nach dem Gesamtbild der getroffenen Vereinbarungen zu prüfen (Abgrenzung von dem BFH-Urteil vom 17. Oktober 1968 IV 84/65, BFHE 94, 369, BStBl II 1969, 180).

2. Zur Möglichkeit der steuerlichen Zerlegung von bürgerlich-rechtlich untrennbaren Anteilen des Grund und Bodens im Privatvermögen in mehrere Wirtschaftsgüter.

3. Die dauernde Belastung eines unter der Erdoberfläche gelegenen, räumlich abgegrenzten Grundstücksteils für Zwecke der unwiderruflichen Bebauung im Rahmen eines Untergrundbahnbaues gegen Entgelt ist keine Gebrauchsüberlassung, sondern ein Akt der Vermögensumschichtung.

Normen

§ 21 EStG
§ 22 Nr. 3 EStG

 

Tatbestand:

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines im Zentrum einer deutschen Großstadt gelegenen, bebauten und vermieteten Privatgrundstücks. Im Zusammenhang mit dem Bau einer U- und S-Bahn hatte sie der Stadt durch notariellen Vertrag gegen Zahlung eines einmaligen Entgelts eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit eingeräumt, wonach die Stadt das unwiderrufliche und immerwährende Recht erhielt, das Grundstück in einer bestimmten Fläche und einer bestimmten Tiefe unter der Geländeoberkante für den Betrieb einer U-Bahn zu bebauen und zu unterfahren. Zu diesem Zweck sollten eine U-Bahnröhre, Schlitzwände und ein unterirdischer Kreuzungsbahnhof in das Grundstück der Klägerin hineingebaut werden. Der betroffene Grundstücksraum ist seitdem vom Anwesen der Klägerin aus nicht mehr erreichbar. Etwaige Schadensersatzansprüche sollten durch das strittige Entgelt nicht abgegolten sein.

Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erfaßte die Zahlung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für das Streitjahr 1967 als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Während der Einspruch der Klägerin ohne Erfolg blieb, änderte das FG den Einkommensteuerbescheid im Klageverfahren und setzte die Einkommensteuer im wesentlichen antragsgemäß herab, da die Belastung wirtschaftlich gesehen einer in der Vermögenssphäre liegenden und daher nichtsteuerbaren Eigentumsübertragung gleichkomme (EFG 1974, 109).

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, das beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben. Wirtschaftliches Eigentum könne nur an solchen Sachen erworben werden, deren Eigentumsübertragung nach bürgerlichem Recht möglich sei. Die maßgebliche bürgerlich-rechtliche Gestaltung im Streitfall - entgeltliche Bestellung einer immerwährenden Grunddienstbarkeit - liege nach der Rechtsprechung im Bereich der Nutzung und damit der Einnahmen (Hinweis auf die Urteile des BFH vom 7. Oktober 1960 VI 120/60 U, BFHE 71, 647, BStBl III 1960, 491, und vom 17. Oktober 1968 IV 84/65, BFHE 94, 369, BStBl II 1969, 180).

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Während die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes des Privatvermögens und veräußerungsähnliche Vorgänge im Vermögensbereich grundsätzlich nur im Rahmen des § 23 EStG einkommensteuerbar sind, unterliegt das Entgelt aus der Überlassung zum Gebrauch bzw. zur Nutzung eines Wirtschaftsgutes, das in seinem Substanzwert erhalten bleibt, im allgemeinen der Einkommensteuer, sei es nach § 21, sei es nach § 22 EStG (vgl. Senatsurteile vom 26. August 1975 VIII R 167/71, BFHE 116, 550, BStBl II 1976, 62, und vom 5. August 1976 VIII R 117/75, BFHE 120, 182, BStBl II 1977, 27). Die Belastung eines Grundstücks oder eines Grundstücksteils mit einer Dienstbarkeit zieht in der Regel keinen endgültigen Rechtsverlust (Eigentumsverlust) im Vermögensbereich nach sich, so daß die Gegenleistung grundsätzlich als Nutzungsentgelt der Einkommensteuer unterliegt (z. B. zur zeitlich begrenzten Dienstbarkeit BFH-Urteil vom 9. April 1965 VI 82/63 U, BFHE 82, 319, BStBl III 1965, 361; zur unbefristet bestellten Dienstbarkeit BFH-Urteil IV 84/65; zur auf die Dauer bestellten öffentlichen Baulast BFH-Urteil VIII R 167/71; zum auf 99 Jahre bestellten Erbbaurecht BFH-Urteil vom 11. Oktober 1963 VI 251/62 U, BFHE 77, 665, BStBl III 1963, 564).

Diese Beurteilung gilt jedoch nicht ausnahmslos. Es ist durchaus denkbar, daß die Vertragspartner die Belastung wirtschaftlich anstelle einer Eigentumsübertragung vorgenommen haben, etwa weil diese an der sachenrechtlichen Beschränkung der dinglichen Gestaltungsrechte gescheitert wäre. Die Grenze vom Nutzungs- zum Vermögensbereich ist überschritten, wenn die gewählte Gestaltung und die tatsächliche Durchführung der durch die Dienstbarkeit gesicherten schuldrechtlichen Vereinbarungen dazu führen, daß der Besteller zwar bürgerlichrechtlich Eigentümer des belasteten Grundstücksteils bleibt, daß er seine Herrschaftsgewalt daran wirtschaftlich gesehen jedoch endgültig in vollem Umfang verliert und eine Rückübertragung dieser Herrschaftsgewalt praktisch unmöglich wird. Diese Fälle des Verlustes des wirtschaftlichen Eigentums an Wirtschaftsgütern des Privatvermögens hat der BFH stets von der Zurechnung des Entgelts zu den Einkünften i. S. von § 21 bzw. 22 Nr. 3 EStG ausgenommen (so ausdrücklich zur Dienstbarkeit im Urteil VI 120/60 U und im Beschluß vom 11. März 1976 IV B 62/75, BFHE 119, 135, BStBl II 1976, 535; zum Erbbaurecht Urteil VI 251/62 U; zur Baulast Urteil VIII R 167/71; ebenso z. B. Fitsch in Die Information L 1968 S. 193 ff. und 1969 S. 161 f.; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., Anm. 24 a zu §§ 4, 5 EStG; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 29 a zu § 21 EStG "Erbbauzinsen"; Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 4. Mai 1970 S 2132 a - 10 - VB 3, BB 1970, 606). In Übereinstimmung damit ist die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums als Vermögensübertragung i. S. von § 23 EStG zu beurteilen (z. B. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1971 VIII R 84/71, BFHE 104, 513, BStBl II 1972, 452).

2. Im Streitfall hat das FG zutreffend angenommen, daß die Klägerin - wirtschaftlich betrachtet - ihr Eigentum an dem belasteten Grundstücksteil verloren hat (zum Begriff des wirtschaftlichen Eigentums vgl. BFH-Urteil vom 8. März 1977 VIII R 180/74, BFHE 122, 64, BStBl II 1977, 629, mit weiteren Hinweisen). Der im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses objektiv vorhandene Vermögenswert ist durch die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse faktisch nicht im Nutzungsbereich, sondern in seiner Substanz von dem übrigen Grundstückseigentum abgespalten worden. Der erkennende Senat sieht die wesentlichen Unterschiede zum Urteil IV 84/65 in folgenden Punkten (vgl. auch die Hinweise im Beschluß IV B 62/75): Im Streitfall ist nicht nur ein Teil des Grundstücks zu einem bestimmten Gebrauchszweck überlassen worden (Übertragung eines Nutzungsrechts i. S. von § 21 EStG); die Stadt war vielmehr berechtigt, durch die Entfernung des Erdreichs und die vollständige und unwiderrufliche Bebauung des Hohlraums das belastete Wirtschaftsgut derartig zu verändern, daß eine Rückübertragung der Herrschaftsgewalt hinsichtlich dieses Grundstücksteils praktisch auf nicht absehbare Zeit als ausgeschlossen angesehen werden muß. Der Klägerin ist - anders als in dem Vergleichsfall -über die Belastung hinaus an diesem Teil des Grundstücks keinerlei eigene Nutzungsmöglichkeit verblieben; sie ist weder berechtigt noch in der Lage, sich von ihrem Grundstück aus Zugang zu dem belasteten Grundstücksteil zu verschaffen. Die tatsächliche Herrschaftsgewalt ist insoweit in vollem Umfang auf die Stadt übergegangen; der Klägerin ist lediglich ein abstraktes Verfügungsrecht verblieben, das wirtschaftlich bedeutungslos geworden ist. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß die Übertragung des rechtlichen Eigentums - anders als in dem Falle IV 84/65 - als wirtschaftlich angepaßte Maßnahme nach bürgerlichem Recht ausschied, daß die Stadt berechtigt war, die Bauwerke unwiderruflich auf Dauer in dem Grundstück zu belassen und daß dafür eine einmalige Vergütung bezahlt wurde, so entsteht ein Gesamtbild, nach dem sich einkommensteuerlich die Belastung unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Folgen nicht als Nutzungsüberlassung im Einkommensbereich, sondern als nicht steuerbare Übertragung der Vermögenssubstanz darstellt.

3. Es ist richtig, daß bei der Besteuerung eines Vorgangs von der bürgerlich-rechtlichen Gestaltung durch die Vertragsparteien auszugehen ist. Ob eine Zahlung jedoch nach der gewählten Vertragsform als Gegenleistung für eine Nutzungsüberlassung oder als Entschädigung für die endgültige Aufgabe eines Vermögenswertes in seiner Substanz geleistet wird, ist jedoch im Einzelfall nach dem wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Vereinbarung zu beurteilen. Entscheidend ist nicht, was die Vertragspartner formal erklärt, sondern was sie nach dem Gesamtbild der gestalteten Verhältnisse wirtschaftlich gewollt und tatsächlich bewirkt haben (z. B. BFH-Urteile VIII R 117/75 und vom 5. Oktober 1973 VIII R 78/70, BFHE 111, 43, BStBl II 1974, 130, sowie vom 14. November 1974 IV R 3/70, BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281).

4. Der Auffassung des FA, wirtschaftlich könne sich eine Vermögensübertragung nur auf solche Sachen erstrecken, an denen die bürgerlich-rechtliche Eigentumsübertragung möglich wäre, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Für einkommensteuerliche Belange ist die bürgerlich-rechtliche Selbständigkeit einer Sache nicht immer ausschlaggebend; die steuerliche Rechtsprechung stellt vielmehr darauf ab, ob ein Wirtschaftsgut in einem von einem anderen Wirtschaftsgut trennbaren Nutzungs- und Funktionszusammenhang steht oder nicht (Beschluß des Großen Senats vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132). Bei Grundstücken ist es wirtschaftlich möglich und geboten, nicht nur Grund und Boden und Gebäude als gesonderte Wirtschaftsgüter zu erfassen, sondern auch einzelne unterschiedlich genutzte Teile des Gebäudes steuerrechtlich entsprechend unterschiedlich zu behandeln (vgl. die Beispiele im BFH-Beschluß GrS 5/71 und Herrmann-Heuer, a. a. O., § 4 EStG Anm. 11 a [1] und Anm. 16 p). Nach diesen Grundsätzen, die für Grundstücke im Privatvermögen in gleicher Weise wie für Grundstücke im Betriebsvermögen Geltung besitzen, kann sich auch der bürgerlich-rechtlich ungeteilte, vielleicht sogar unteilbare Grund und Boden als eine Mehrheit von Wirtschaftsgütern darstellen. Damit besteht die Möglichkeit, daß ein anderer als der bürgerlich-rechtliche Eigentümer wirtschaftliches Eigentum an einem räumlich abgegrenzten, bürgerlich-rechtlich unselbständigen Teil eines Grundstücks erwirbt mit der Folge, daß dieser Grundstücksteil, der ebenso unter der Erdoberfläche liegen kann, in steuerrechtlich bedeutsamer Weise ihm und nicht dem bürgerlich-rechtlichen Eigentümer zugerechnet wird. Der einheitliche Nutzungs- und Funktionszusammenhang des gesamten Grund und Bodens als einheitliches Wirtschaftsgut ist durch die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an dem belasteten Grundstücksteil durchbrochen.

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