BFH

BFHVI R 29/7228.2.1975

Amtlicher Leitsatz:

Schadensersatzleistungen einschließlich des Ersatzes eines Schadens im Privatvermögen gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn sie wegen einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitgeber erbracht werden.

Normen

§ 2 LStDV

 

Tatbestand:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis Anfang 1969 in D berufstätig. Er war Eigentümer eines Einfamilienhauses in H. Im Februar 1969 trat er als Geschäftsführer in die Firma Sch ein. Anfang 1970 wurde der Arbeitsvertrag infolge Firmenveräußerung zum 31. Juli 1971 gekündigt. Mit Wirkung vom 30. Juni 1970 wurde der Kläger von der Geschäftsführung entbunden. Der Kläger hatte im Sommer 1969 in L ein Einfamilienhaus erworben und mit erheblichen Kosten umgebaut. Die Gesamtaufwendungen hierfür betrugen einschließlich Zwischenzinsen nach seinen Angaben 435 000 DM, sein Eigenkapital 80 000 DM. 300 000 DM mußte er bis zum Verkauf seines Hauses in H zwischenfinanzieren und dafür 35 000 DM Zinsen zahlen. Das Haus in H hatte er verkauft und nach seiner Angabe hierbei einen Verlust hinnehmen müssen.

Mit Vertrag vom 16. Juli 1970 wurde ihm von der Firma eine Abfindung von 280 000 DM zugesagt, von der die Besteuerung von 200 000 DM noch streitig ist. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einer Abfindung für die vom Kläger geltend gemachten und glaubhaft gemachten Vermögensschäden, die ihm durch den Verkauf seines Einfamilienhauses in H sowie durch den Ankauf und den Ausbau seines Einfamilienhauses in L entstanden sind. Der Teilbetrag von 200 000 DM wurde dem Kläger nach Abzug der Lohnsteuer in Höhe von 98 548 DM, evangelischer Kirchenlohnsteuer von 7 883,85 DM und Ergänzungsabgabe zur Lohnsteuer von 2 957 DM im Juli 1970 ausgezahlt.

Den Antrag des Klägers auf Erstattung dieser Steuerabzugsbeträge gemäß § 150 AO lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) -- auch im Einspruchsverfahren -- ab. Die Klage wurde abgewiesen.

Das FG führte u. a. aus, echte Schadensersatzleistungen fielen grundsätzlich nicht unter den Begriff des Arbeitslohns. Sie gehörten aber dazu, soweit sie aufgrund des Dienstverhältnisses und nicht aufgrund einer unabhängig vom Dienstverhältnis bestehenden gesetzlichen Verpflichtung gewährt würden. Dabei reiche ein indirekter Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis nicht aus, um die Zugehörigkeit zum Arbeitslohn zu begründen (Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 2 Anm. 5 e). Vielmehr müsse das Dienstverhältnis die Rechtsgrundlage für die Zahlung sein. Stehe ein Anspruch aus dem Dienstverhältnis zu einem gesetzlichen Anspruch aus unerlaubter Handlung in Anspruchskonkurrenz, so gelte die Schadensersatzleistung als "im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis geleistet und ausschließlich durch dieses veranlaßt" (Urteil des RFH vom 7. März 1934 VI A 37/34, RStBl 1934, 681), soweit durch die vertragliche Gestaltung nichts anderes vereinbart worden sei. Sei eine Entschädigung für einen privaten Vermögensschaden gegeben, die ihren Rechtsgrund sowohl im Dienstverhältnis als auch in unerlaubter Handlung habe, und sei die Vermögenseinbuße unmittelbar durch eine betriebliche Maßnahme herbeigeführt worden, so sei die Entschädigung als Arbeitslohn anzusehen. Die Anwendung dieser Grundsätze ergebe für den Streitfall, daß die Abfindung von 200 000 DM als Arbeitslohn zu behandeln sei. Das gelte sowohl für die Abfindung für den ungünstigen Hausverkauf in H als auch für die Abfindung für den Schaden, der dem Kläger durch den notwendigen Ankauf des Hauses in L entstanden sei.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das Urteil des FG aufzuheben und die Erstattung von 98 548 DM Lohnsteuer gutzuheißen. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, die Feststellung des FG, bei der Abfindung handle es sich um Arbeitslohn, sei arbeitsrechtlich und auch steuerrechtlich nicht haltbar. Die FG hätten in Grenzfällen ebenso wie die Arbeitsgerichte eine genaue und sorgfältige Prüfung vorzunehmen, ob eine Zahlung als Arbeitsentgelt anzusehen sei oder nicht. Im Streitfall liege in dem Verschweigen der geplanten Betriebsveräußerung durch den Gesellschafter Sch trotz Kenntnis von den Vorgängen im Zusammenhang mit der Veräußerung des Hauses in H und dem Erwerb und Umbau des Hauses in L durch den Kläger eine grobe Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Die deswegen gewährte Schadensersatzzahlung gehöre aber nicht zum Arbeitslohn, weil sie nicht als Ersatz für entgangenen oder entgehenden Arbeitslohn oder für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit (§ 2 Abs. 3 Nr. 1 LStDV) gewährt worden sei, sondern zur Abgeltung eines durch die Verletzung der Fürsorgepflicht entstandenen Vermögensschadens.

Entscheidungsgründe

Schadensersatzleistungen können verschiedene Rechtsgründe haben. Sie können auf einer unerlaubten Handlung i. S. der §§ 823 ff. BGB beruhen. Ihre Grundlage kann auch eine gesetzlich für besondere Fälle vorgesehene Gefährdungshaftung (z. B. aus dem Betrieb von Eisenbahnen und Flugzeugen) sein. Schließlich kann eine Schadensersatzleistung auf einer Verletzung von Vertragspflichten beruhen. Solche Vertragsverletzungen können, wenn sie zugleich den Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllen, zugleich eine Haftung nach den für diese maßgebenden Rechtssätzen begründen. In einem solchen Fall kann der Verletzte nach seiner Wahl aus Vertrag oder unerlaubter Handlung vorgehen.

Handelt es sich um eine Schadensersatzleistung aus unerlaubter Handlung oder aus Gefährdungshaftung, die ohne Rücksicht auf die besonderen vertraglichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschuldet wird, so fehlt es an einem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis; für die Annahme von Arbeitslohn ist dann kein Raum. Etwas anderes gilt, wenn das Arbeitsverhältnis die Grundlage für die Schadensersatzleistung bildet, wenn also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Schadensersatzleistung und dem Dienstverhältnis besteht. Der steuerrechtliche Arbeitslohnbegriff ist selbständig und deckt sich nicht mit dem Begriff des Arbeitsentgelts im arbeitsrechtlichen Sinn. Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung ist deshalb für das Lohnsteuerrecht nicht ohne weiteres anwendbar. Der steuerrechtliche Arbeitslohnbegriff ist weit gefaßt. Nach § 2 Abs. 1 LStDV sind Arbeitslohn alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis zufließen. Einnahmen sind alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen. Es ist gleichgültig, ob es sich um einmalige oder laufende Einnahmen handelt, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und unter welcher Bezeichnung oder Form sie gewährt werden. Es kommt letztlich nicht so sehr auf den rechtlichen als auf den tatsächlichen Zusammenhang der Einnahmen mit dem Dienstverhältnis an (Urteil des BFH vom 12. Dezember 1956 VI 10/55 U, BFHE 64, 106, BStBl III 1957, 40). Dieser weite Arbeitslohnbegriff umfaßt auch Schadensersatzleistungen, die ihre Grundlage in dem Dienstverhältnis haben.

Das trifft für die streitige Abfindung zu. Nach dem Vorbringen des Klägers hat sie ihren Rechtsgrund in einer Verletzung einer Vertragspflicht durch den Arbeitgeber, nämlich der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Dabei kommt es für die Einreihung der Entschädigungsleistung unter den Begriff des Arbeitslohns nicht darauf an, ob und inwieweit objektiv eine Verletzung der Fürsorgepflicht gegeben ist. Entscheidend ist, daß sich der Arbeitgeber aufgrund des Arbeitsverhältnisses zum Ersatz eines Schadens verpflichtet fühlte. (RFH-Urteil VI A 37/34). Nach § 2 Abs. 1 LStDV ist Arbeitslohn auch ohne Bestehen einer Rechtspflicht zur Zahlung anzunehmen. Die Abfindung ist einheitlich; sie wurde geleistet für die vom Kläger geltend und glaubhaft gemachten Vermögensschäden, die ihm durch den Verkauf seines Einfamilienhauses in H sowie durch den Kauf und Ausbau seines Einfamilienhauses in L entstanden sind. Sie ist auch einheitlich zu würdigen. Die Würdigung führt zu dem Ergebnis, daß die gesamte Abfindung ihre Ursache in dem Arbeitsverhältnis hat und sie deshalb zum steuerpflichtigen Arbeitslohn zu rechnen ist.

Ob und inwieweit wegen der gleichen Vorgänge auch ein Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung gegen den Arbeitgeber besteht, braucht bei dieser Sachlage nicht untersucht zu werden, weil den vertraglichen Ansprüchen jedenfalls der Vorrang gebührt. Im übrigen ist nicht ersichtlich, womit ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung begründet werden könnte.

Den Einwendungen des Klägers gegen die Zurechnung der Abfindung zum Arbeitslohn kann nicht gefolgt werden. Nicht nur ein Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen, sondern auch der Ersatz von Vermögensschäden kann zum Arbeitslohn rechnen. Das hat schon der RFH im Urteil VI A 37/34 und der erkennende Senat im Urteil vom 10. März 1961 VI 200/60 (DB 1961, 728) ausgesprochen. Der Kläger irrt, wenn er meint, eine Entschädigung, die nicht den Tatbestand des § 2 Abs. 3 Nr. 1 LStDV (Entschädigungen als Ersatz für entgangenen oder entgehenden Arbeitslohn und für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit) erfülle, rechne von vornherein nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Die dort bezeichneten Entschädigungen rechneten regelmäßig auch ohne besondere Anführung in der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. § 2 Abs. 3 Nr. 1 LStDV stellt nach allgemeiner Meinung inhaltlich nur eine Wiedergabe von § 24 Nr. 1 Buchst. a und b EStG dar (ebenso Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 2 Anm. 6 Buchst. a); die dort bezeichneten Entschädigungen führen zu außerordentlichen Einkünften i. S. des § 34 Abs. 1 EStG (vgl. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG).

Auf das Urteil VI 200/60 kann sich der Kläger für seine Ansicht, die streitige Abfindung gehöre nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, nicht berufen. Diesem Urteil liegen ein völlig anderer Sachverhalt und ganz andere Rechtsbeziehungen zugrunde.

Daß der dem Kläger als Schadensersatz verbleibende Betrag durch die Besteuerung vermindert wird, kann nicht zu einer Freistellung von der Steuer führen. Sollte es der Sinn der Vereinbarung vom 16. Juli 1970 gewesen sein, daß dem Kläger ein Betrag von 200 000 DM trotz Besteuerung verbleiben sollte, so könnte darin unter Umständen eine Nettolohnvereinbarung liegen. Hierfür hat der Kläger aber nichts vorgebracht und nichts dargetan.

Stichworte