Normen
§ 62 Abs. 1 BewG i.d.F. vor BewG 1965
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt u. a. ein Einschlaggerät her, mit dem Bolzen und Nägel auch in harte Unterlagen eingetrieben werden können. Eine andere Firma hatte im August 1955 ein Patent wegen eines Einschlaggeräts angemeldet, wogegen die Klägerin im November 1955 Einspruch eingelegt hatte. Die andere Firma erhob im Januar 1956 eine Verletzungsklage gegen die Klägerin. Das Landgericht gab durch Urteil vom 3. Juli 1956 dieser Klage statt. Dieses Urteil war vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Das Berufungsverfahren wurde vom Oberlandesgericht durch Beschluß vom 15. November 1956 bis zur erstinstanzlichen Entscheidung des Patentamts ausgesetzt. Das Patentamt erteilte am 27. Dezember 1957 das Patent. Am 29. Januar 1958 schloß die Klägerin mit einer Mailänder Firma einen Vertrag, durch den sie von dieser Firma alte Preislisten einer deutschen Firma aus dem Jahre 1929 und 1949 erwarb, in denen ein ähnliches Einschlaggerät, wie es der umstrittenen Patentanmeldung zugrunde lag, bereits damals angeboten war. Die Klägerin erhob gegen die Patentanmeldung am 16. Juni 1958 Beschwerde und führte in dieses Verfahren die erworbenen alten Preislisten ein. Die Anmelderin reduzierte daraufhin ihre Anträge am 17. März 1960 zunächst auf 18 Patentansprüche und auf einen Bescheid des Beschwerdesenats am 20. Februar 1961 auf ein erfinderisches Problem. Am 13. Oktober 1965 wurde das Patentverfahren durch einen Beschluß des Bundespatentgerichts beendet, durch den die Erteilung des Patents durch das Patentamt aufgehoben wurde. Am 9. April 1966 erging daraufhin ein Anerkenntnisurteil des Oberlandesgerichts, durch das sich der Zivilprozeß zugunsten der Klägerin erledigte.
Die Klägerin hatte in ihrer Vermögensaufstellung auf den 1. Januar 1963 eine Rückstellung für Schadensersatz wegen Patentverletzung in Höhe von .... DM eingestellt, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1963 durch Bescheid vom 30. Juni 1965 zum Abzug zugelassen hatte. Bei einer im Jahre 1967 bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, die Rückstellung sei nicht zulässig gewesen, weil eine Schadensersatzverpflichtung zu keinem Zeitpunkt bestanden habe. Das FA schloß sich dieser Auffassung an und ließ die Rückstellung bei der Berichtigung des Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1963 durch den Bescheid vom 5. August 1968 nicht zum Abzug zu. Die Sprungklage hatte keinen Erfolg. Das FG wies die Klage ab.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des FG-Urteils der Klage stattzugeben und bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1. Januar 1963 eine Rückstellung in Höhe von .... DM zum Abzug zuzulassen. Es wird Verletzung des § 7 BewG gerügt. Die Revision wird im wesentlichen wie folgt begründet: Die Verpflichtung der Klägerin zur Schadensersatzleistung sei durch das Urteil des Landgerichts auflösend bedingt gewesen. Bedingung sei gewesen, daß das Urteil rechtskräftig und nicht durch Versagung des Patents hinfällig würde. Der Wegfall des Urteils sei ein ungewisses zukünftiges Ereignis, dessen Nichteintritt die Pflicht zur Schadensersatzleistung endgültig bestätigt haben würde. Man könne natürlich, wenn ein Anspruch in der Schwebe sei, die Steuer vorläufig veranlagen, bis die Dinge geklärt seien. Das habe der BFH in dem Urteil vom 12. Juni 1964 III 296/61 (HFR 1965, 155) bestätigt. In dem damals entschiedenen Fall habe aber nur eine Klagedrohung vorgelegen, nicht ein obsiegendes Urteil des Prozeßgegners. Es entspreche der Sachlage und der Praktikabilität des Steuerrechts, den Steuerfall nach den objektiven Erkenntnissen des Stichtags bzw. nach den bis zur Veranlagung erlangten Erkenntnissen zu beurteilen. Die zeitlich später liegenden rechtsgestaltenden Ereignisse, hier die Aufhebung des Patents, sollten unbeschadet ihrer Rückwirkung bei den laufend veranlagten Steuern erst von ihrem Eintritt an berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das FG hat es zu Recht abgelehnt, die Verpflichtung der Klägerin zur Schadensersatzleistung als eine durch das Urteil des Landgerichts auflösend bedingte Last anzusehen. Der Senat hat in dem vom FG zitierten Urteil III 296/61 ausgeführt, das Urteil des Zivilgerichts kläre nur die Frage, ob tatsächlich eine Patentverletzung vorliege, die zu einer Schadensersatzverpflichtung führe, und wie hoch diese Verpflichtung sei. Es habe nur deklaratorische Bedeutung und habe keinen Einfluß auf den Zeitpunkt der Entstehung der Schadensersatzverpflichtung. Der Senat hat es aus diesem Grunde abgelehnt, die Schadensersatzverpflichtung, wie es das FA in dem damaligen Rechtsstreit wollte, als eine aufschiebend bedingte Last anzusehen. Aus denselben Erwägungen ist aber auch die Auffassung der Klägerin im vorliegenden Fall abzulehnen, daß es sich um eine durch den Wegfall des zivilgerichtlichen Urteils auflösend bedingte Last handle. Die Klägerin weist allerdings zutreffend darauf hin, daß sich der vorliegende Fall von dem mit dem Urteil III 296/61 entschiedenen Fall dadurch unterscheidet, daß damals über die Klage vor den Zivilgerichten noch nicht entschieden war, während im Streitfall am Stichtag das vorläufig vollstreckbare Urteil des Landgerichts vorlag, das die Klägerin zur Schadensersatzleistung verurteilte. Dieser Umstand mag zwar in der Regel dazu führen, die Schadensersatzverpflichtung in der Höhe, in der sie in dem Urteil des Landgerichts dem Gegner zugebilligt und für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist, an den Stichtagen, an denen das Urteil des Landgerichts noch nicht aufgehoben war, zum Abzug zuzulassen. Im Streitfall muß aber nach Auffassung des Senats berücksichtigt werden, daß sich die Aussichten der Klägerin, in dem Patentgerichtsverfahren die Aufhebung des Patents erreichen zu können, durch neue Tatsachen und Beweismittel, nämlich durch das Auffinden und den Erwerb der alten Preislisten und der damit möglich gewordenen Einführung dieser Preislisten in das patentgerichtliche Verfahren, ganz wesentlich gebessert hatten. Diese Besserung zeigt sich deutlich schon in der Reduzierung der Anträge durch die Anmelderin. Diese Ereignisse müssen jedenfalls auf Stichtage, die nach ihrem Eintritt liegen, beachtet werden.
Der Senat ist in dem Urteil III 296/61 der Rechtsprechung des RFH beigetreten, nach der Forderungen und Schulden, die dem Grunde und der Höhe nach am Stichtag zweifelhaft sind, entweder sofort mit einem nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens geschätzten Wert oder aber unter Anwendung des § 100 Abs. 1 AO mit einem vorläufigen Wert berücksichtigt werden können. Er hat zum Ausdruck gebracht, daß das FA eine Schätzung des Werts der Verbindlichkeit nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens nicht vorzunehmen braucht, wenn die Rechtslage schwierig ist. Ist aber die Schätzung nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens ohne große Schwierigkeiten möglich, so ist es nicht zu beanstanden, wenn das FA diese Schätzung vornimmt und von einer vorläufigen Veranlagung absieht. So liegt es im Streitfall. Das Auffinden der alten Preislisten und ihre Einführung in das patentgerichtliche Verfahren haben die Wahrscheinlichkeit, daß das Patent aufgehoben wird und damit eine zur Schadensersatzpflicht führende Patentverletzung ausscheiden würde, so erhöht, daß die Versagung des Abzugs der von der Klägerin begehrten Rückstellung nicht zu beanstanden ist. Da im Streitfall die entscheidenden Ereignisse vor dem 1. Januar 1963 eingetreten sind, erweist sich die Revision im Ergebnis als unbegründet. Auch die Annahme eines Ausnahmefalls im Sinne des Urteils des Senats vom 5. April 1968 III 235/64 (BFHE 93, 316, BStBl II 1968, 768) würde zu keinem anderen Ergebnis führen. Daß im Streitfall § 5 Abs. 3 StAnpG nicht zur Anwendung kommen kann, hat das FG mit zutreffender Begründung dargetan, was von der Klägerin in der Revisionsschrift auch anerkannt worden ist.