BFH

BFHVIII R 100/6914.11.1972

Amtlicher Leitsatz:

Bei einem Freiberufler mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG stellt die Umwandlung flüssiger Betriebsmittel in Wertpapiere keine Entnahme dar, solange der Umfang und die Art der Verwaltung des Wertpapierbestandes nicht auf die Erschließung einer neuen Einkunftsquelle hindeuten.

Normen

§ 4 Abs. 1 EStG
§ 10a EStG

 

Tatbestand:

Streitig ist, ob bei einem Freiberufler die Anschaffung von Wertpapieren mit betrieblichen Barmitteln als Entnahme zu behandeln ist mit der Folge, daß insoweit die Vergünstigung des § 10a EStG nicht in Anspruch genommen werden kann.

Der Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtige) ist Rechtsanwalt und Notar; er ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG.

1963 erwarb der Steuerpflichtige aus betrieblichen Mitteln Wertpapiere für 120 192 DM und bilanzierte diese als Betriebsvermögen. Er kaufte 1964 für 41 580 DM und 1966 für 61 410 DM -- ebenfalls aus betrieblichen Mitteln -- weitere Wertpapiere hinzu und wies auch sie in den Bilanzen aus. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) veranlagte für 1964 nach der Einkommensteuererklärung, mit der u. a. die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10a EStG in Anspruch genommen wurde.

Nach einer die Jahre 1964 bis 1966 umfassenden Betriebsprüfung kam das FA zu der Auffassung, daß die in 1964 und 1966 zum Ankauf der Wertpapiere aufgewandten Barmittel als Entnahmen zu behandeln seien, weil die Wertpapiere mangels eines objektiven Zusammenhangs mit dem Betrieb nicht gewillkürtes Betriebsvermögen sein könnten. Deshalb müsse auch insoweit die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns versagt werden. Dementsprechend erließ das FA für 1964 einen berichtigten Steuerbescheid und nahm für 1966 eine erstmalige Veranlagung vor.

Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:

Für 1964 sei eine Berichtigungsveranlagung zulässig. Nach der unstreitigen Feststellung neuer Tatsachen mit einer Gewinnauswirkung von 3 342 DM und einer daraus folgenden Steuererhöhung um 904 DM habe der Steuerfall für dieses Jahr insgesamt wiederaufgerollt werden können.

Ebenso wie für 1964 könnten auch für 1966 die in diesen Jahren vom Steuerpflichtigen angeschafften Wertpapiere nicht als zum gewillkürten Betriebsvermögen gehörend angesehen werden. Voraussetzung für die Annahme gewillkürten Betriebsvermögens sei, daß eine objektive Beziehung des Wirtschaftsgutes zum Betrieb bestehe und daß die betreffenden Wirtschaftsgüter auch objektiv den Betrieb zu fördern bestimmt und geeignet seien. Im Streitfall ließen jedoch die vom Steuerpflichtigen vorgebrachten Gründe für die Anschaffung der Wertpapiere -- Betriebsvermögensbildung und Abdekkung der nicht unerheblichen Berufsrisiken -- einen objektiven Zusammenhang der Wertpapiere mit dem Betrieb nicht erkennen. Für unrichtige Auskünfte und Behandlungen von Rechtssachen hafte der Steuerpflichtige auch mit seinem Privatvermögen. Wenn der Steuerpflichtige eine höhere Verzinsung seiner Honorare habe erreichen wollen, so sei dies allein in privaten Interessen begründet. Folglich müsse, wie im Urteil des BFH vom 26. Februar 1965, VI 52/64 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 849, HFR 1965, 503) ausgesprochen, die Anschaffung der Wertpapiere als Entnahme der für die Anschaffung verwendeten Gelder behandelt werden.

Mit der eine Verletzung von § 222 AO, §§ 4 Abs. 1, 10a EStG rügenden Revision wird dagegen vorgebracht:

Die für 1964 festgestellten neuen Tatsachen könnten eine Wiederaufrollung des Steuerfalles nicht rechtfertigen. Das FA habe die Bilanzierung der Wertpapiere zunächst anerkannt und erst bei der Betriebsprüfung beanstandet. Wenn das FA nur die in 1963 angeschafften Wertpapiere als Betriebsvermögen habe anerkennen wollen, dann hätte es den Steuerpflichtigen darauf hinweisen müssen.

Die Zugehörigkeit der Wertpapiere zum Betriebsvermögen ergebe sich daraus, daß mit diesen die oft eine halbe Million übersteigenden Beratungsrisiken aus der beruflichen Tätigkeit abgedeckt werden könnten. Ebenso wie einem Kaufmann dürfe es auch einem Freiberufler nicht verwehrt werden, flüssige Betriebsmittel in Wertpapieren anzulegen, um damit eine höhere Verzinsung zu erreichen und Verlusten infolge Geldentwertung und Kaufkraftschwund entgegenzuwirken. Wenn das FG einen objektiven Zusammenhang von Wertpapieren mit dem Betrieb eines Rechtsanwalts für den Fall bejahe, daß damit ein Kapitalpolster für den späteren Übergang der Praxis auf einen jüngeren Nachfolger geschaffen wird, dann habe es übersehen, daß dies auch für den Streitfall zutreffe. Der Steuerpflichtige sei über 65 Jahre alt und habe einen jüngeren Anwalt als Nachfolger in seine Praxis aufgenommen.

Entscheidungsgründe

1. Soweit es um den Berichtigungsbescheid für 1964 geht, kann es der Revision allerdings nicht schon zum Erfolg verhelfen, wenn der Steuerpflichtige meint, das FA habe die Frage nach der Zugehörigkeit der Wertpapiere zum Betriebsvermögen und die sich daraus ergebenden steuerlichen Folgen nach der erstmaligen Veranlagung nicht mehr prüfen und erneut entscheiden dürfen.

Nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO führt die Feststellung neuer Tatsachen von einigem Gewicht, wie sie vom FG hier ohne Rechtsirrtum bejaht wurde, zur Wiederaufrollung des Steuerfalls im ganzen, es sei denn, dem stünde der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1968, V 191/65, BFHE 94, 168, BStBl II 1969, 120). Ein die Wiederaufrollung hindernder oder einschränkender Grund liegt im Streitfall nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, daß der Steuerpflichtige durch eine Zusage des FA hinsichtlich einer bestimmten Sachbehandlung oder durch ein ähnliches Verhalten zu wirtschaftlichen Dispositionen veranlaßt worden wäre. Wenn das FA den Ausweis der Wertpapiere bei der Veranlagung für 1963 unbeanstandet ließ, so konnte das schon deshalb kein Anlaß für nicht mehr rückgängig zu machende wirtschaftliche Maßnahmen des Steuerpflichtigen sein, weil die Veranlagung für 1963 erst anfangs 1965, also nachdem der Steuerpflichtige seine Dispositionen für 1964 getroffen hatte, durchgeführt wurde.

Soweit um die Steuerfestsetzung für 1966 gestritten wird, bestand ebenfalls keine Bindung für das FA, die hier streitigen Fragen ebenso zu entscheiden wie bei der Veranlagung für 1963. Für 1966 wurde erstmalig veranlagt. In einem solchen Falle muß jeder Steuerpflichtige, wenn ihm eine gegenteilige Zusage nicht gemacht worden ist, damit rechnen, daß das FA im Rahmen einer Überprüfung des Steuerfalls bei der nächsten Veranlagung auf Grund neuer Erkenntnisse einen anderen Rechtsstandpunkt einnimmt.

2. Der Vorentscheidung kann aber nicht gefolgt werden, wenn sie in der Verwendung betrieblicher Barmittel zum Ankauf der Wertpapiere eine Entnahme gesehen hat.

Ob der Erwerb von Wirtschaftsgütern mit betrieblichen Mitteln eine Entnahme darstellt, richtet sich nach der weiteren Verwendung der angeschafften Wirtschaftsgüter. Werden sie einer ausschließlich privaten Nutzung zugeführt, so ist der Vorgang als Entnahme zu behandeln. Sind sie dagegen notwendiges oder gewillkürtes Betriebsvermögen, dann kommt eine Entnahme nicht in Betracht.

Werden von einem Angehörigen der freien Berufe mit betrieblichen Mitteln Wertpapiere angeschafft, dann können zwar die Wertpapiere kein notwendiges Betriebsvermögen sein, weil sie bei diesem Personenkreis für die Betriebsführung nicht wesentlich sind. Wie in dem BFH-Urteil vom 15. Juli 1960, VI 10/60 S (BFHE 71, 625, BStBl III 1960, 484) ausgesprochen wurde, bleibt es den Freiberuflern aber unbenommen, die Wertpapiere als gewillkürtes Betriebsvermögen zu behandeln. Voraussetzung dafür ist, daß der Gewinn durch Vermögensvergleich ermittelt wird und daß die Wertpapiere in einem gewissen objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und diesem zu dienen bestimmt und geeignet sind. Ob letzteres zutrifft, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen.

Hiervon ist auch das FG ausgegangen. Der Vorentscheidung kann jedoch nicht darin beigetreten werden, daß bei einem freiberuflich Tätigen der eine Behandlung als gewillkürtes Betriebsvermögen rechtfertigende Zusammenhang von Wertpapieren mit dem Betrieb nicht schon durch den Erwerb mit betrieblichen Mitteln hergestellt werde, sondern noch weitere, auf einen sachlichen Zusammenhang mit dem Betrieb schließen lassende Umstände hinzutreten müßten. Auch wenn in dem BFH-Urteil vom 26. Februar 1965 VI 52/64, das bei einem Schriftsteller in der Anschaffung von Wertpapieren mit Honoraren eine Entnahme sah, eine solche Voraussetzung verlangt worden sein sollte, könnte der Senat dem nicht folgen. In dem BFH-Urteil vom 30. Juli 1964 IV 20/63 U (BFHE 80, 274, BStBl III 1964, 574), das einen Landwirt betraf, wurde ausgeführt, daß in der Anschaffung von Wertpapieren mit baren Mitteln des Betriebs im allgemeinen keine Entnahme erblickt werden könne, sofern die Wertpapiere nicht deutlich erkennbar privaten Zwecken zugeführt werden. Es sei auch nicht erforderlich, daß die Wertpapiere nur vorübergehend zur besseren Ausnützung liquider Mittel angeschafft würden mit dem Ziel, sie alsbald wieder zu veräußern und den erzielten Erlös zur Anschaffung von Gegenständen des Betriebsvermögens zu verwenden. Diese Grundsätze haben nach Auffassung des erkennenden Senats auch für Freiberufler zu gelten. Ebenso wie Gewerbetreibenden und Landwirten kann es auch diesem Personenkreis nicht verwehrt werden, flüssige Betriebsmittel in Wertpapiere umzuwandeln und diese anstatt von Bargeld oder Bankguthaben im Betriebsvermögen zu halten. Es kann hier an die Voraussetzungen für die Behandlung als gewillkürtes Betriebsvermögen nicht mehr verlangt werden als bei anderen Berufsgruppen. Wenn der Freiberufler den Umfang seiner betrieblichen Barmittel frei bestimmen kann, dann muß es ihm auch überlassen bleiben, diese Mittel in Wertpapieren anzulegen. Denn es liegt auch bei Angehörigen der freien Berufe im Bereich betrieblicher Erwägungen, vereinnahmte und nicht sofort benötigte Erlöse so anzulegen, daß sie an Ertrag mehr erbringen als Bankguthaben. Eine andere Beurteilung könnte indessen geboten sein, wenn der Umfang des Wertpapierbestandes und die Art seiner Verwaltung, insbesondere eine häufige Umschichtung mit deutlich erkennbaren spekulativen Absichten darauf schließen lassen, daß eine eigene, von der freiberuflichen Tätigkeit abgrenzbare Einkunftsquelle erschlossen wird.

Wendet man diese Grundsätze an, dann waren auch im Streitfall die vom Steuerpflichtigen in 1964 und 1966 angeschafften Wertpapiere gewillkürtes Betriebsvermögen. Sie wurden mit Honoraren aus der freiberuflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen erworben. Entgegen der Meinung der Vorinstanz wurde auch noch zusätzlich ein betrieblicher Zusammenhang dadurch hergestellt, daß diese Wertpapiere, ebenso wie zuvor die für die Anschaffung aufgewandten Barmittel, der Absicherung von Risiken aus der Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Rechtsanwalt und Notar dienen sollten. Unerheblich ist dabei, daß der Steuerpflichtige für solche Risiken auch mit seinem Privatvermögen haftet. Denn es genügt, daß die Wertpapiere in der vom Steuerpflichtigen dargelegten Weise den Betrieb zu fördern geeignet sind. Daß sie dazu auch bestimmt waren, wurde durch den Ausweis im Betriebsvermögen zum Ausdruck gebracht.

3. Die Streitsache muß an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. Der Senat kann nicht selbst entscheiden. Die finanzgerichtliche Entscheidung enthält keine tatsächlichen Feststellungen darüber, ob auch die übrigen für die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10a EStG erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind.

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