Normen
§ 10 Abs. 3 Nr. 2d EStG
§ 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG
§ 2 Abs. 3 Nr. 2 LStDV 1968
§ 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1968
§ 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1970
§ 58 Abs. 2 Nr. 1 LStDV 1970
Tatbestand:
Den Anträgen des verheirateten Revisionsbeklagten (Steuerpflichtiger) auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1968 und auf Lohnsteuer-Ermäßigung 1969 hat der Revisionskläger (FA) mit der Abweichung entsprochen, daß er den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag von 2 000 DM um die tariflichen Zuschüsse des Arbeitgebers zur befreienden Lebensversicherung gekürzt hat.
Das FG gab der Sprungklage mit der Begründung statt, daß der tarifliche Zuschuß des Arbeitgebers zur befreienden Lebensversicherung vom Wortlaut des § 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV nicht erfaßt werde. Der Wortlaut sei eindeutig. Zwar sei es auf den ersten Blick schwer verständlich, wenn Arbeitnehmer, die eine befreiende Lebensversicherung abgeschlossen hätten, steuerlich gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die der gesetzlichen Rentenversicherung angehörten, begünstigt würden. Dieses Ergebnis erscheine dem FG jedoch nicht so offensichtlich sinnwidrig, daß der insoweit eindeutige Wortlaut der LStDV außer acht gelassen werden dürfte.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 1 Abs. 2 StAnpG und des § 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1968 und 1970. Es führt aus: Das FG habe den vor Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils geänderten § 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1970, der nach § 58 Abs. 2 Nr. 1 LStDV in der Fassung vom 28. Juli 1969 (BStBl I 1969, 395) rückwirkend ab 1. Januar 1968 anzuwenden sei, nicht beachtet. Die Änderung beruhe auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE 13, 261) sei die Rückwirkung eines belastenden Steuergesetzes auf abgeschlossene Tatbestände zulässig, wenn ein Versehen des Gesetzgebers bei der Gesetzesfassung zu erheblichen Unklarheiten oder zu objektiven Lücken in der ursprünglichen Gesetzesregelung geführt habe. Außerdem berechtige nach der Rechtsprechung des BFH und des BGH der Sinn und Zweck eines Gesetzes auch zur Durchbrechung der Grenzen des Wortlauts. Wie aus der Begründung zum StÄndG 1961 (Bundestags-Drucksache 2573 vom 4. März 1961 S. 21) hervorgehe, sei Zweck des § 10 Abs. 3 Nr. 2d EStG (§ 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV) die Gleichstellung der Selbständigen mit den Arbeitnehmern auf dem Gebiet der Zukunftsicherung. Der gesetzgeberische Wille würde in sein Gegenteil verkehrt, ließe man es zu, daß die Arbeitgeberzuschüsse zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für die befreiende Lebensversicherung wie die gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht zum Arbeitslohn gerechnet würden, während der zusätzliche Sonderausgabenhöchstbetrag nicht um diese Zuschüsse gekürzt würde.
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er trägt vor: Rechtsgrundlage für seinen Klageanspruch sei § 10 Abs. 3 Nr. 2d EStG. Eine Auslegung des Gesetzes gegen den eindeutigen Wortlaut könne nur dann in Frage kommen, wenn eine wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis führen würde, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz so nicht habe auffassen können (BFH-Urteil III 193/60 S vom 11. Dezember 1964, BFH 81, 222, BStBl III 1965, 82). Dies könne jedoch ernstlich nicht behauptet werden, zumal auch die Finanzverwaltung die ungleiche Behandlung der gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitgeberzuschüsse zur befreienden Lebensversicherung bisher hingenommen und somit nicht für offenbar sinnwidrig gehalten habe. Sachliche Gründe sprächen sogar für die unterschiedliche Behandlung; denn die Lebensversicherung sei ein Aliud gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung u. a. auch deswegen, weil sie keine Rentendynamik und keine Renten bei Berufsund Erwerbsunfähigkeit sowie für Witwen und Waisen und keine Heilkuren und Rehabilitation im Bedarfsfall kenne, auch keine staatlichen Zuschüsse erhalte. Daneben dürfe aber auch nicht übersehen werden, daß viele Steuerpflichtige -- wie er selbst auch -- ihre Entscheidung zugunsten der befreienden Lebensversicherung nicht zuletzt im Hinblick darauf getroffen hätten, daß die Arbeitgeberzuschüsse nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut steuermindernd wirkten. Für eine sachliche Änderung des eindeutigen Gesetzeswortlauts, die eine erhebliche Verschärfung der Besteuerung darstelle, durch eine Rechtsverordnung fehle die nach Art. 80 Abs. 1 GG erforderliche Ermächtigungsgrundlage. Diese könne insbesondere nicht in § 51 Abs. 1 Nr. 1c EStG gesehen werden, der nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil VI 233/56 S vom 28. März 1958, BFH 66, 701, BStBl III 1958, 268) keine Ermächtigung zur sachlichen Änderung des EStG enthalte. Aber selbst wenn die Ermächtigungsgrundlage ausreichend wäre, verstoße § 58 Abs. 2 Nr. 1 LStDV 1970 gegen das Verbot der Rückwirkung von Steuergesetzen.
Der BMWF, der dem Verfahren beigetreten ist, vertritt die Ansicht, daß die Anrechnung der Arbeitgeberzuschüsse auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag in der LStDV habe geregelt und die Neuregelung rückwirkend für anwendbar habe erklärt werden können. Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung vom 28. Juli 1969 sei § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Auf Grund der Ermächtigung könnten gesetzesverschärfende Vorschriften zwar nicht erlassen werden. Inwieweit die Regelung, daß Arbeitgeberzuschüsse zur befreienden Lebensversicherung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag anzurechnen seien, gesetzesverschärfend sei, könne allerdings nur im Zusammenhang mit § 2 LStDV, wonach die Arbeitgeberzuschüsse nicht zum Arbeitslohn gehörten, gesehen werden. Bei dieser Betrachtungsweise könne im Ergebnis nicht von einer Gesetzesverschärfung gesprochen werden; denn ohne die Bestimmung des § 2 LStDV würden die Arbeitgeberzuschüsse zur befreienden Lebensversicherung zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehören. Wenngleich dem Arbeitnehmer dann der zusätzliche Höchstbetrag ohne Kürzung zustatten käme, so wäre das Einkommen doch niemals niedriger als bei der im vorliegenden Verfahren streitigen Regelung. Da der Verordnungsgeber unzweifelhaft berechtigt gewesen sei, die Arbeitgeberzuschüsse zur befreienden Lebensversicherung in bezug auf die Steuerbefreiung mit den Arbeitgeberbeiträgen auf Grund gesetzlicher Verpflichtung gleichzustellen, müsse er auch das Recht haben, entsprechende Einschränkungen durch Gleichstellung auch hinsichtlich der Sonderausgabenhöchstbeträge vorzunehmen. Daß der Verordnungsgeber diese Konsequenz nicht schon in früheren Jahren gezogen habe, spiele im Zusammenhang mit der Frage nach einer ausreichenden Ermächtigung keine Rolle. Die Anrechnungspflicht habe nicht im EStG geregelt werden müssen, da die in der LStDV geregelte Steuerfreiheit der Zuschüsse auch nur in der LStDV ihre notwendige Einschränkung habe erfahren müssen.
Was die Rückwirkung anbelange, so dürften zwar Steuerrechtsnormen, die zu einer Steuererhöhung führten, grundsätzlich nicht mit Rückwirkung in Kraft gesetzt werden, da das Vertrauen des Staatsbürgers in eine bestimmte Rechtslage geschützt werden müsse. Für das Streitjahr 1969 liege aber allenfalls eine unechte Rückwirkung vor (vgl. hierzu BVerfG-Entscheidung 2 BvL 4/59 vom 31. Mai 1960, BVerfGE 11, 140 [146]; BFH-Entscheidung V B 33, 34, 48, 59, 68, 90, 120/69 vom 12. Februar 1970, BFH 97, 456, BStBl II 1970, 246 [250]), da die Änderung der LStDV insoweit nur auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirke. Bei einem Gesetz mit unechter Rückwirkung sei das Vertrauen des einzelnen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen; nur wenn die Abwägung ergebe, daß dem Vertrauen auf die Sicherheit der bestehenden Lage der Vorrang gebühre, sei die Rückwirkung unzulässig (BVerfG-Entscheidungen 2 BvL 11/64 vom 21. Januar 1969, BVerfGE 25, 142 [154]; 2 BvR 326/69, 327/69, 341/69, 342/69, 343/69, 344/69, 345/69 vom 9. März 1971, BStBl II 1971, 433 [437]). Im vorliegenden Fall gebühre dem Vertrauensschutz des Bürgers nicht der Vorrang (vgl. hierzu auch BVerfG-Entscheidung 2 BvR 1/60 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE 13, 274 ff.).
Für das Jahr 1968 liege eine echte Rückwirkung vor, die u. a. dann als zulässig angesehen worden sei, wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen werde, mit der Regelung habe rechnen müssen (vgl. BVerfG-Entscheidung 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE 13, 261 [272], sowie die dort zitierte Rechtsprechung). Hierbei komme dem gemeinsamen Ländererlaß vom 2. Februar 1968 (BStBl I 1968, 376) und Art. 1 Nr. 31b LStER 1968 vom 9. April 1968 (BStBl I 1968, 564) ausschlaggebende Bedeutung zu. Spätestens seit 1968 habe ein allein auf den Wortlaut des § 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1968 gestütztes Vertrauen auf eine bestimmte vorgestellte Rechtslage nicht mehr gegeben sein können. Das Vertrauen auf die vor dem 1. Januar 1968 bestehende Rechtslage sei aber auch nicht gerechtfertigt, weil die Nichtanrechnung der Arbeitgeberzuschüsse zur befreienden Lebensversicherung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag systemwidrig und unbillig sei (vgl. hierzu BVerfG-Beschluß 2 BvR 345/60 vom 14. November 1961, BVerfGE 13, 215 [224]). Zweck des zusätzlichen Höchstbetrags sei es, die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen des selbständigen Steuerpflichtigen für seine Altersversorgung zu verbessern. Es liege kein vernünftiger Grund für eine einseitige Begünstigung eines Teils der Arbeitnehmer vor. Der Verordnungsgeber sei daher gezwungen gewesen, durch die Einschränkung die Gleichmäßigkeit der Besteuerung herzustellen und damit den vom Gesetzgeber in der Ermächtigung ausdrücklich gegebenen Auftrag zu erfüllen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist, soweit sie das Streitjahr 1968 betrifft, nicht begründet. Für das Streitjahr 1969 war ihr stattzugeben.
Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß § 10 Abs. 3 Nr. 2d EStG (§ 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1968) nicht dahin gehend ausgelegt werden kann, daß die freiwilligen Beiträge eines Arbeitgebers zur befreienden Lebensversicherung seines Arbeitnehmers auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag anzurechnen sind. Für das Streitjahr 1969 ergibt sich die Anrechnung jedoch aus den §§ 20a Abs. 3 Nr. 4 in Verbindung mit 58 Abs. 2 Nr. 1 LStDV 1970.
Der Gesetzgeber beabsichtigt mit der Einführung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrags durch Art. 1 Nr. 3 StÄndG 1961, insbesondere den selbständig Tätigen durch die Anrechnung der gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeitnehmer einen Ausgleich dafür zu bieten, daß der gesetzliche Beitragsteil des Arbeitgebers zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten beim Arbeitnehmer nicht als beschränkt abzugsfähige Sonderausgabe, sondern als steuerfreier Arbeitslohn behandelt wird (Bundestags-Drucksache 2573 vom 4. März 1961 S. 17 und 21). Es ist richtig, daß diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichstellung von selbständig Tätigen und Arbeitnehmern bei Nichtanrechnung der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge zur befreienden Lebensversicherung durchbrochen wird. Der gesetzgeberische Wille kann jedoch nur insoweit wirksam werden, als er im Wortlaut des Gesetzes und im Sinnzusammenhang seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfG-Entscheidungen 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, BVerfGE 11, 126; 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, BStBl I 1962, 486). Eine Auslegung gegen den Wortlaut des Gesetzes zuungunsten des Steuerpflichtigen -- wie sie das FA begehrt -- ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BFH-Urteile III 193/60 S vom 11. Dezember 1964, a. a. O.; VII R 78/66 vom 29. April 1969, BFH 95, 570) nur dann möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so unverständlichen Ergebnis führt, daß ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz nicht so auffassen konnte. Denn der Steuerpflichtige muß darauf vertrauen können, daß die Steuergesetze so gefaßt sind, daß sie den wirklichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen. Die Voraussetzungen für eine Auslegung gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Arbeitnehmern, die wegen der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung per 1. März 1957 durch das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I 1957, 88, 1074) bzw. wegen der Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze oder der Einführung der Versicherungspflichtgrenze für leitende Angestellte in der knappschaftlichen Rentenversicherung per 1. Juni 1957 durch das Knappschaftsrenten-Versicherungs-Neuregelungsgesetz (KnVNG) vom 21. Mai 1957 (BGBl I 1957, 533) erstmals oder erneut versicherungspflichtig wurden, konnten sich von der Versicherungspflicht befreien lassen. Voraussetzung für die Befreiung von Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, war der Nachweis des Bestehens einer Lebensversicherung (Art. 2 § 1 AnVNG, Art. 2 § 1 KnVNG). Weitere Möglichkeiten zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht bestanden unter den gleichen Voraussetzungen in den Jahren 1965 und 1968 für Arbeitnehmer, die infolge der Erhöhung der Rentenversicherungspflichtgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung und der Verdienstgrenze für leitende Angestellte in der knappschaftlichen Rentenversicherung per 1. Juli 1965 durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 1965, 476) oder infolge der Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung und der knappschaftlichen Rentenversicherung für die leitenden Angestellten per 1. Januar 1968 durch das Finanzänderungsgesetz 1967 vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1967, 1259) erstmals oder erneut versicherungspflichtig wurden. Freiwillige Beiträge der Arbeitgeber zu den von der Versicherungspflicht befreienden Lebensversicherungen ihrer Arbeitnehmer, die bei Befreiung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, hat der Verordnungsgeber bereits durch § 1 Nr. 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung 1955 vom 26. März 1958 (BStBl I 1958, 134) von der Lohnsteuer befreit. Daß Arbeitgeber statt der gesetzlichen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung freiwillige Beiträge zur befreienden Lebensversicherung ihrer Arbeitnehmer zahlten, mußte dem Gesetzgeber mithin bei der Einführung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrags im Jahre 1961 bekannt sein. Unter diesen Umständen kann schon nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber die Minderung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrags um die freiwilligen Arbeitgeberbeiträge zur befreienden Lebensversicherung bewußt nicht in die gesetzliche Regelung aufgenommen hat.
Daß nach § 10 Abs. 3 Nr. 2d EStG nur die gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag angerechnet werden, kann aber auch nicht deshalb als sinnwidrig angesehen werden, weil § 2 Abs. 3 Nr. 2a und b LStDV die freiwilligen Arbeitgeberbeiträge zur befreienden Lebensversicherung für steuerfrei erklärt. Wenn auch wirtschaftlich betrachtet die Arbeitgeberbeiträge zur befreienden Lebensversicherung den gesetzlichen Arbeitgeberbeiträgen in gewissem Umfang entsprechen, so erfordert dies doch nicht unbedingt, sie auch hinsichtlich der Anrechnung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag gleichzubehandeln. Für die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer mit einer befreienden Lebensversicherung gegenüber den sozialversicherten Arbeitnehmern könnte etwa angeführt werden, daß sich -- im Gegensatz zur Lebensversicherung -- an der Sozialversicherung der Staat beteiligt. Die Sozialversicherung wird zudem laufend den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt und kann deshalb als inflationssicher bezeichnet werden. Außerdem umfaßt die Lebensversicherung regelmäßig keine Rentenleistungen im Falle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, noch gibt es die Einrichtung der Witwen- und Waisenrente. Die versorgungsmäßige Stellung eines Arbeitnehmers mit einer befreienden Lebensversicherung entspricht der eines selbständig Tätigen mit einer unter gleichen Bedingungen abgeschlossenen Lebensversicherung.
Durch § 1 Nrn. 15b und 35 der Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung vom 28. Juli 1969 (BStBl I 1969, 387) hat der Verordnungsgeber in Abänderung des § 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1968 für die Zeit nach dem 31. Dezember 1967 die Anrechnung der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge zur befreienden Lebensversicherung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag vorgeschrieben. Die Verordnung beruht auf der Ermächtigung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Wie der BMWF zutreffend dargelegt hat, kann die Vorschrift über die Anrechnung der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge nur im Zusammenhang mit der Vorschrift über ihre Befreiung von der Lohnsteuer gesehen werden. Das Recht des Verordnungsgebers, die freiwilligen Arbeitgeberbeiträge steuerfrei zu belassen, enthält gleichzeitig sein Recht, das Ausmaß der Steuerfreiheit zu bestimmen und die Auswirkungen der Steuerfreiheit einzuschränken. Zur Befreiung der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge von der Lohnsteuer war der Verordnungsgeber nach § 51 Abs. 1 Nr. 1a EStG befugt. Die Steuerfreiheit der gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge ist kraft Gesetzes durch ihre Anrechnung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag eingeschränkt. Der Verordnungsgeber wäre wie dargelegt befugt gewesen, in dem gleichen Maße auch die Steuerfreiheit der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge von vornherein einzuschränken. Dadurch, daß er dies nicht getan hat, sobald die Problematik in seinen Gesichtskreis getreten ist, also frühestens bei Einführung des zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrags im Jahre 1961, hat er seine Berechtigung zur Einschränkung indessen nicht verloren. Der Erlaß der Verordnung über die Anrechnung der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge zur befeienden Lebensversicherung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag im Jahre 1969 war mithin zulässig.
Die Verordnung vom 28. Juli 1969 ist allerdings unwirksam, soweit sie die Anrechnung bereits für das Jahr 1968 vorschreibt. Belastende Steuergesetze, die in bereits abgeschlossene Tatbestände eingreifen und dadurch die Rechtsposition des Betroffenen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern (sog. echte Rückwirkung) sind mit dem Rechtsstaatsprinzip, das den Grundsatz der Rechtssicherheit und den daraus folgenden Vertrauensschutz des Staatsbürgers mitumfaßt, unvereinbar (vgl. BVerfG-Entscheidung 2 BvL 8/64 vom 16. November 1965, BVerfGE 19, 187 [195], mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Das Vertrauen des Staatsbürgers in den Bestand der ursprünglich geschaffenen Rechtslage genießt zwar unter bestimmten Voraussetzungen keinen Schutz. Diese Voraussetzungen -- wenn der Staatsbürger nach der rechtlichen Situation im Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit der Verschlechterung seiner Rechtsposition rechnen mußte, oder wenn das geltende Recht unklar und verworren ist oder aber zwingende Gründe des gemeinen Wohls eine Durchbrechung der Rechtssicherheit erfordern (vgl. BVerfG-Entscheidung 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, BVerfGE 13, 261 [271]) -- liegen hier jedoch nicht vor. Der Steuerpflichtige durfte auch nach dem gemeinsamen Ländererlaß vom 2. Februar 1968 (BStBl I 1968, 376) und nach Erlaß der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Änderung und Ergänzung der Lohnsteuer-Richtlinien 1966 vom 9. April 1968 (BStBl I 1968, 564) auf die bestehende Rechtslage vertrauen; denn bei den genannten Bestimmungen handelte es sich um innerdienstliche Verwaltungsanweisungen, die das geltende Recht nicht verändern und den Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen nicht beeinträchtigen konnten, zumal die Verwaltung selbst jahrelang eine gegenteilige Auffassung vertreten hatte (vgl. hierzu BVerfG-Entscheidung 2 BvL 6/59 vom 19. Dezember 1961, a. a. O. [273]). Der Steuerpflichtige brauchte auch nicht jederzeit mit dem Erlaß der streitigen Vorschrift zu rechnen, da die bis dahin geltende Regelung -- wie bereits ausgeführt -- nicht unklar und verworren war. Ebensowenig sind der Rechtssicherheit übergeordnete, zwingende Gründe des gemeinen Wohls erkennbar, die das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die bestehende Rechtslage nicht mehr schutzwürdig erscheinen ließen.
Für das Streitjahr 1969 liegt eine echte Rückwirkung nicht vor. Es handelt sich vielmehr um eine zulässige unechte Rückwirkung. Die Verordnung wirkt auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein (vgl. BVerfG-Entscheidung 2 BvL 15/67 vom 7. Mai 1969, BVerfGE 25, 372 [406]). Die Lohnsteuer ist als Erhebungsform der Einkommensteuer für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit eine Jahressteuer (§§ 38 Abs. 1, 2 Abs. 1, 25 Abs. 1 EStG). Die für die Entstehung der Jahres-Lohnsteuerschuld bedeutsame Verwirklichung des Steuertatbestands hatte zwar schon vor Inkrafttreten des § 20a Abs. 3 Nr. 4 LStDV 1970 -- 28. Juli 1969 -- begonnen. Sie war jedoch, da es sich um eine Jahressteuerschuld handelt, noch nicht abgeschlossen. Soweit Gesetze ihre Wirkung auf Steuertatbestände erstrecken, deren Verwirklichung schon begonnen hat, ist das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelung gegenüber der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen (BVerfG-Entscheidung 2 BvL 11/64 vom 21. Januar 1969, a. a. O.). Dem Vertrauensschutz gebührt hier im Hinblick darauf, daß durch die Anrechnung der freiwilligen Arbeitgeberbeiträge zur befreienden Lebensversicherung auf den zusätzlichen Sonderausgabenhöchstbetrag der gesetzgeberische Zweck, der der Einführung des zusätzlichen Höchstbetrags zugrunde lag -- nämlich der Ausgleich einer Benachteiligung Selbständiger bei der steuerlichen Behandlung von Altersversicherungsaufwendungen --, verwirklicht wird, nicht der Vorrang.