Normen
§ 4 Abs. 4 EStG 1953
§ 12 Ziff. 1 EStG 1953
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bg. bei seiner Einkommensteuer- und Gewerbesteuerveranlagung 1954 einen Betrag von 11 315 DM als Betriebsausgabe absetzen darf, den er zu seiner und zur Verteidigung mehrerer Angestellter in einem Strafverfahren aufgewendet hat, in dem er mangels Beweises freigesprochen worden ist.
Der Bg. ist Schlachtermeister und betreibt eine Fleisch- und Wurstwarenfabrik. Auf die Anzeige einiger Betriebsangehöriger wurden er und sein Werkmeister durch das Urteil des erweiterten Schöffengerichts beim Amtsgericht H. vom 3. März 1954 wegen Vergehens nach § 3 Ziff. 1 a, § 11 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über den Verkehr mit Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Lebensmittelgesetz) vom 17. Januar 1936 (RGBl 1936 I S. 18) in der Fassung der Verordnung vom 14. August 1943 (RGBl 1943 I S. 488) in Tateinheit mit Vergehen nach §§ 1, 2, 16 Abs. 1 des Tierkörperbeseitigungsgesetzes vom 1. Februar 1939 (RGBl 1939 1 S. 187) zu einer empfindlichen Zuchthausstrafe, einer hohen Geldstrafe und zu einem Berufsausübungsverbot von mehreren Jahren verurteilt. Es war ihm vor allem vorgeworfen worden, ein bereits verendetes Schwein verwurstet zu haben. Auf seine und des ebenfalls verurteilten Werkmeisters Berufung wurden beide durch die Große Strafkammer des Landgerichts H. mangels Beweises rechtskräftig freigesprochen. Zwei mitangeklagte Schlachtergesellen waren bereits vom Schöffengericht freigesprochen worden. Die Strafverteidigungskosten hatten der Bg. und die mitangeklagten Angestellten in Höhe von 11 315 DM selbst zu tragen. Hiervon entfielen insgesamt 1 760,38 DM auf die Verteidigung der mitangeklagten Angestellten; der Bg. hat diesen Betrag den Angestellten ersetzt.
Das Finanzamt und der Steuerausschuß lehnten das Begehren des Bg., die Verteidigungskosten als Betriebsausgaben anzuerkennen, ab; auch die Anerkennung dieser Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG wurde versagt.
Die Berufung des Bg. hatte Erfolg. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus: An dem Charakter der Aufwendungen des Bg. für die Verteidigung seiner mitangeklagten Angestellten als Betriebsausgaben sei nicht zu zweifeln. Die Vorgänge, die dem Bg. und seinen Angestelten als strafbare Handlung vorgeworfen worden seien und die zur Erhebung der Anklage geführt hätten, hätten sich im Betrieb des Bg. abgespielt. Wie der Reichsfinanzhof bereits in dem Urteil VI A 183/35 vom 17. April 1935 (RStBl 1935 S. 1206) ausgeführt habe, handle es sich in den Fällen, in denen der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer für seine Aufwendungen in einem Strafverfahren Ersatz leiste, beim Arbeitgeber um Betriebsausgaben. Aber auch die Aufwendungen des Bg. für seine eigene Verteidigung seien als Betriebsausgaben anzuerkennen. Im Urteil IV 373/54 U vom 21. Juli 1955 (BStBl 1955 III S. 338, Slg. Bd. 61 S. 361) habe der Bundesfinanzhof zwar ausgesprochen, daß neben den Geldstrafen auch die Kosten des Strafprozesses das Einkommen eines Steuerpflichtigen nicht mindern dürfen. Es sei auch nicht möglich, die Entscheidung über die Behandlung der Kosten eines Strafprozesses vom Ausgang des Prozesses abhängig zu machen, so verständlich auch die Ansicht sei, daß bei Freisprechung des Angeklagten die Kosten des Prozesses Betriebsausgaben oder Werbungskosten darstellen. Die Kostentragung im Strafprozeß sei durch die Strafprozeßordnung endgültig geregelt. Im Urteil VI 279/56 U vom 15. November 1957 (BStBl 1958 III S. 105, Slg. Bd. 66 S. 267) sei jedoch der Bundesfinanzhof dem vorher genannten Urteil insoweit nicht beigetreten, als er die Anwaltskosten, die einem vom Strafgericht freigesprochenen Angeklagten für seine Verteidigung im Strafprozeß erwachsen seien, als eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG angesehen habe. Das Gericht schließe sich dieser Auffassung insofern an, als es im Falle der Verurteilung eines Steuerpflichtigen zu einer Strafe die Regelung der Kostentragung durch die Strafprozeßordnung für endgültig halte, im Falle des Freispruchs dagegen sich nicht gehindert sehe, die entstandenen Aufwendungen steuerlich zu berücksichtigen. Wenn ein Steuerpflichtiger mangels Beweises freigesprochen worden sei, so könne nur noch die Frage zweifelhaft sein, ob die Verteidigungskosten zu den Aufwendungen für die Lebensführung gehörten. Die Frage der steuerlichen Behandlung der Kosten des Strafprozesses müsse losgelöst von der Frage der Behandlung der Strafe selbst unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles geprüft werden. Im Streitfall bedürfe es keiner weiteren Ausführungen darüber, daß die Erstattung der Anzeige, die das Strafverfahren gegen den Bg. nach sich gezogen habe, ausschließlich durch dessen gewerbliche Tätigkeit veranlaßt worden sei. Der Bg. sei zwar nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern lediglich mangels Beweises freigesprochen worden. Ein derartiger Freispruch gestatte aber keine Differenzierung in der Beurteilung der Frage, ob die Kosten der Strafverteidigung als Betriebsausgaben anzuerkennen seien. Auch die Verteidigungskosten des Bg. für sich selbst seien nach alledem grundsätzlich Betriebsausgaben.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist unbegründet.
Für die hier noch streitige Frage, ob die Strafverteidigungskosten des Bg. als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EStG anzuerkennen sind, kommt es allein darauf an, ob diese Kosten durch den Betrieb des Bg. veranlaßt sind. Hierbei ist, wie es im Ergebnis auch das Finanzgericht getan hat, ein Unterschied zu machen zwischen dem Fall, in dem ein Angeklagter wegen der ihm zur Last gelegten Tat tatsächlich verurteilt, und dem Fall, in dem er - sei es wegen erwiesener Unschuld, sei es mangels Beweises - freigesprochen worden ist. Beide Fälle unterscheiden sich dadurch, daß im Fall der Verurteilung des Angeklagten das Strafverfahren und die damit notwendig verknüpften Verteidigungskosten nach der Feststellung des Strafgerichts eindeutig auf ein strafbares Verhalten des Angeklagten zurückzuführen sind, während im Fall des Freispruchs festgestellt wird, daß dem Angeklagten die ihm zur Last gelegte Tat nicht angerechnet werden kann. Nur im ersten Fall also ist die Tat selbst der Anlaß für die mit dem Strafverfahren im Zusammenhang stehenden Kosten gewesen. Nur in diesem Fall ist es daher in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vertretbar, bei der steuerlichen Beurteilung die Strafverteidigungskosten ebenso zu behandeln wie die über den Angeklagten verhängte Strafe selbst. Im Fall des Freispruchs eines Angeklagten hingegen fehlt es nicht nur an einer Bestrafung, auch eine strafbare Handlung ist nicht festgestellt. Es kann deshalb auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Strafverteidigungskosten durch eine Handlung entstanden seien, die - wie die strafrechtliche Schuld und der Verstoß gegen die Gesetze - der persönlichen Lebenssphäre des Angeklagten zugerechnet werden muß. Im Fall des Freispruchs ist vielmehr das Strafverfahren lediglich die Folge des Verdachts einer strafbaren Handlung. Die Frage aber, ob die zur Beseitigung dieses Verdachts von dem Angeklagten aufgewendeten Strafverteidigungskosten zu den nichtabzugsfähigen Lebenshaltungskosten oder zu den Betriebsausgaben oder Werbungskosten gehören, kann nur danach beurteilt werden, aus welchem Lebenskreis des Angeklagten heraus der objektive Tatbestand der ihm zur Last gelegten Tat erklärbar ist. Wenn daher jemand in den Verdacht gerät, eine strafbare Handlung begangen zu haben, die er nur auf Grund seiner betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit hätte begehen können, dann muß die Einleitung des Strafverfahrens auf Grund dieses Verdachts als durch den Betrieb veranlaßt angesehen werden; denn der Verdacht seinerseits beruht auf der betrieblichen Tätigkeit des Angeklagten. Macht ein Angeklagter Aufwendungen zur Entkräftung dieses Verdachts, dann liegen Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 1 EStG vor. Die Anerkennung als Betriebsausgabe kann in einem solchen Fall auch nicht davon abhängig sein, welches Maß an Schuld dem Angeklagten vorgeworfen wird, wie zum Beispiel Vorsatz, Absicht oder sogar Böswilligkeit, Niedertracht und asoziale Gesinnung. Der objektive Charakter der Ausgaben kann hierdurch nicht beeinflußt werden. Allein entscheidend ist, daß der Verdacht ausschließlich durch die betriebliche Tätigkeit des Angeklagten bedingt ist.
Es ist dem Finanzamt zuzugeben, daß ein einer strafbaren Handlung Angeklagter die Aufwendungen zur Beseitigung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in aller Regel auch dann, wenn sich der Verdacht aus seiner betrieblichen Tätigkeit ergibt, zum Zwecke der Wiederherstellung seines persönlichen Ansehens, seiner Ehre, überhaupt seiner Stellung innerhalb der menschlichen Gemeinschaft, also aus rein persönlichen Gründen macht. Daß dies aber nicht entscheidend ist, zeigt ein Vergleich mit dem Fall der Anerkennung von Krankheitskosten als Betriebsausgaben, wenn die Krankheit ausschließlich durch die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen herbeigeführt worden ist. Auch in diesem Fall besteht kein Zweifel daran, daß der Steuerpflichtige die Aufwendungen zur Wiederherstellung seiner Gesundheit sogar in ganz überwiegendem Maße im Interesse seiner persönlichen Lebensführung macht, um als gesunder Mensch an den Geschehnissen auch des persönlichen Lebens wieder mit vollen Kräften teilnehmen zu können. Würde man die Entscheidung, ob in einem solchen Fall Betriebsausgaben oder Kosten der Lebenshaltung vorliegen, von dem Interesse abhängig machen, das den Steuerpflichtigen zur Vornahme der Aufwendungen veranlaßt, so müßte man zum Beispiel bei der Beurteilung von Krankheitskosten feststellen, ob der Steuerpflichtige durch die erlittene Krankheit überhaupt eine Beeinträchtigung seines betrieblichen oder beruflichen Schaffens davongetragen hat. Es kommt nach alledem entscheidend darauf an, ob die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte, ihm aber nach dem strafrichterlichen Urteil nicht anrechenbare Straftat ausschließlich aus der betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen erklärbar ist. Bei Prüfung dieser Frage ist im Einzelfall ein strenger Maßstab an die betriebliche oder berufliche Veranlassung anzulegen. Im Streitfall ist es nicht zu beanstanden, wenn das Finanzgericht die betriebliche Bedingtheit der Aufwendungen und damit ihre Abziehbarkeit als Betriebsausgaben bejaht hat. An der bisherigen anderslautenden Rechtsprechung wird nicht mehr festgehalten.
Der Senat hält auch die Überlegungen des Finanzamis über die Konkurrenz der Kostentragung im Strafprozeß mit den steuerlichen Abzugsvorschriften nicht für stichhaltig. Er schließt sich insoweit der Auffassung des VI. Senats im Urteil VI 279/56 U vom 15. November 1957 (a.a.O.) an. Die Vorschriften über die Kostentragung im Strafprozeß, wonach der Angeklagte nach Ermessen des Gerichts mit Kosten auch dann belastet bleibt, wenn er freigesprochen ist, hat seinen Grund darin, daß der staatliche Strafanspruch nur verwirklicht werden kann, wenn grundsätzlich jedem ernsthaften Verdacht einer strafbaren Handlung nachgegangen wird. Bei der Kostenpflicht, auch des freigesprochenen Angeklagten, handelt es sich um eine staatsbürgerliche Pflicht im Interesse der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs und des Rechts der Allgemeinheit auf diese Verwirklichung. Hieraus kann aber nicht geschlossen werden, daß die Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen in Erfüllung dieser staatsbürgerlichen Pflicht erwachsen, einkommensteuerlich auch dann nicht berücksichtigt werden können, wenn die Voraussetzungen des Abzugs als Betriebsausgaben, Werbungskosten oder unter dem Gesichtspunkt der außergewöhnlichen Belastung erfült sind.
Dem Finanzamt kann auch darin nicht beigepflichtet werden, daß die vom Bg. aufgewendeten Verteidigungskosten unter dem Gesichtspunkt des § 4 Abs. 4 Satz 2 EStG 1953 nur zum Teil abzugsfähig seien. Welche Kosten ein Steuerpflichtiger im Interesse seines Betriebs macht, bleibt ihm überlassen. Handelt es sich bei den Aufwendungen dem Grunde nach um Betriebsausgaben, so sind sie es in vollem Umfang, und zwar auch dann, wenn und soweit sie das objektiv notwendige oder auch das übliche Maß übersteigen. Aufwendungen, die hiernach in vollem Umfang Betriebsausgaben darstellen, sollen jedoch nach § 4 Abs. 4 Satz 2 EStG 1953 bei der Gewinnermittlung ausscheiden, wenn sie die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren und soweit sie unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Unter Aufwendungen, die die Lebensführung des Steuerpflichtigen im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 2 EStG 1953 berühren, sind nur solche zu verstehen, die der Lebenshaltung des Steuerpflichtigen unmittelbar dienen, wie zum Beispiel Kosten für Ernährung, für Kleidung und für Wohnung sowie die Repräsentationskosten, wenn diese ausnahmsweise als Betriebsausgaben dem Grunde nach anzuerkennen sind. Bei den Kosten für die Verteidigung im Strafverfahren kann eine solche unmittelbare Beziehung zur Lebensführung des Bg. nicht festgestellt werden.
Die Rb. war daher in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen.