BFG RV/6100229/2023

BFGRV/6100229/20235.12.2023

Auslegung eines nach antragsloser Arbeitnehmerveranlagung eingebrachten Anbringens

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2023:RV.6100229.2023

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag.Dr. Thomas Leitner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 26. April 2022 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 1. April 2022, mit dem der "Antrag gemäß § 295a BAO vom 07.01.2022 auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2020 vom 27.08.2021" abgewiesen wurde, zu Recht:

I. Der Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 1. April 2022, mit dem der "Antrag gemäß § 295a BAO vom 07.01.2022 auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2020 vom 27.08.2021" abgewiesen wurde, wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Bescheid des Finanzamtes Österreich (im Folgenden: "belangte Behörde") vom 27. August 2021 wurde die Beschwerdeführerin im Wege der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer 2020 veranlagt und ergab die Veranlagung eine Gutschrift von 369,00 Euro.

Mit am 7. Jänner 2022 über FinanzOnline eingebrachtem Anbringen, das elektronisch als Antrag auf "Änderung gem. § 295a BAO" des vorgenannten Einkommensteuerbescheides erfasst wurde, beantragte die Beschwerdeführerin die Berücksichtigung von diversen mit dem Ableben ihrer Mutter zusammenhängenden Kosten im Gesamtbetrag von 13.637,66 Euro.

Mit Ergänzungsersuchen vom 24. Jänner 2022 ersuchte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin um Nachweis der beantragten Kosten durch Vorlage einer Aufstellung sowie geeigneter Belege.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 1. April 2022 wurde der "Antrag gemäß § 295a BAO vom 07.01.2022 auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 2020 vom 27.08.2021 (...) abgewiesen." Dies mit der Begründung, dass das Ergänzungsansuchen betreffend den Antrag der Beschwerdeführerin auf Bescheidänderung unbeantwortet geblieben sei.

Mit Schreiben vom 25. April 2022 erhob die Beschwerdeführerin gegen den vorgenannten Abweisungsbescheid das Rechtsmittel der Beschwerde und beantragte die Beschwerdeführerin die Berücksichtigung von diversen mit dem Ableben ihrer Mutter zusammenhängenden Kosten im Gesamtbetrag von 14.156,60 Euro, wobei diese Kosten im Beschwerdeschriftsatz näher aufgeschlüsselt wurden und dem Beschwerdeschriftsatz diverse Belege angeschlossen waren.

Mit Ergänzungsersuchen vom 4. Oktober 2022 ersuchte die belangte Behörde die Beschwerdeführerin um Vorlage weiterer Unterlagen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 1. Dezember 2022 sprach die belangte Behörde wie folgt über die Beschwerde ab: "Aufgrund der Beschwerde vom 26.04.2022 wird der Bescheid vom 01.04.2022 geändert. Die Einkommensteuer wird für das Jahr 2020 festgesetzt mit ...- 369,00 €." In der Begründung wurde dazu wie folgt ausgeführt: "Trotz Aufforderung haben wir keine Unterlagen erhalten. Daher war die Beschwerde abzuweisen."

Mit am 3. Dezember 2022 über FinanzOnline eingebrachtem Anbringen, das elektronisch als "Beschwerde gem. § 243 BAO" gegen die vorgenannte Beschwerdevorentscheidung erfasst wurde, brachte die Beschwerdeführerin vor, dass die Unterlagen fristgerecht am 21.Oktober 2022 per Einschreiben gesendet worden seien und war dem Anbringen ein dies bestätigender Zustellnachweis beigelegt.

Nach Durchführung eines weiteren Vorhalteverfahrens legte die belangte Behörde die Beschwerde am 3. August 2023 zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht vor und beantragte die belangte Behörde "die Berücksichtigung von Begräbniskosten in Höhe von 1438,05 €".

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. August 2021 wurde die Beschwerdeführerin im Wege der antragslosen Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer 2020 veranlagt.

Am 7. Jänner 2022 brachte die Beschwerdeführerin über FinanzOnline ein Anbringen ein, das elektronisch als Antrag auf "Änderung gem. § 295a BAO" des vorgenannten Einkommensteuerbescheides erfasst wurde. Der (im Feld "Freitext" eingefügte) Wortlaut der Eingabe lautete: "Sehr geehrte Damen und Herren, ich beantrage eine Wiederaufnahme da ich erst jetzt in der Lage war die Aufwendungen für das Ableben meiner Mutter aufzulisten. 24h Pflege abzüglich der erhaltenen Zahlungen Apotheke u.s.w. Bestattung Wohnungsauflösung Der Aufwand ergibt in Summe 13.637,66 Euro Vielen Dank ***Bf1***"

2. Beweiswürdigung

Die obigen Feststellungen beruhen auf den vorgelegten Verwaltungsakten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 41 Abs 2 Z 1 EStG 1988 hat das Finanzamt auf Antrag des Steuerpflichtigen eine Veranlagung vorzunehmen, wenn keine Pflichtveranlagung durchzuführen ist und der Antrag innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraumes gestellt wird.

§ 41 Abs 2 Z 2 EStG 1988 lautet:
"2. Wurde bis Ende des Monats Juni keine Abgabenerklärung für das vorangegangene Veranlagungsjahr eingereicht, hat das Finanzamt von Amts wegen eine antragslose Veranlagung vorzunehmen, sofern der Abgabepflichtige nicht darauf verzichtet hat. Dabei gilt Folgendes:

a) Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen:

  1. 1. Aufgrund der Aktenlage ist anzunehmen, dass der Gesamtbetrag der zu veranlagenden Einkünfte ausschließlich aus lohnsteuerpflichtigen Einkünften besteht.
  2. 2. Aus der Veranlagung resultiert eine Steuergutschrift von zumindest fünf Euro.
  3. 3. Aufgrund der Aktenlage ist nicht anzunehmen, dass die zustehende Steuergutschrift höher ist als jene, die sich aufgrund der übermittelten Daten gemäß § 18 Abs. 1 Z 10 und Abs. 8, § 35 Abs. 8 und § 84 ergeben würde.

b) Wurde bis zum Ablauf des dem Veranlagungszeitraum zweitfolgenden Kalenderjahres keine Abgabenerklärung für den betroffenen Veranlagungszeitraum abgegeben, ist jedenfalls eine antragslose Veranlagung durchzuführen, wenn sich nach der Aktenlage eine Steuergutschrift ergibt.

c) Wird nach erfolgter antragsloser Veranlagung innerhalb der Frist der Z 1 eine Abgabenerklärung abgegeben, hat das Finanzamt darüber zu entscheiden und gleichzeitig damit den gemäß lit. a oder lit. b ergangenen Bescheid aufzuheben.

d) Wurde der Bescheid aus der antragslosen Veranlagung aufgrund nachträglich übermittelter Daten im Sinne von lit. a dritter Teilstrich durch einen neuen Bescheid ersetzt, der die Steuergutschrift gegenüber dem bisherigen Bescheid erhöht, sind lit. c und lit. e auch auf diesen Bescheid anzuwenden. Dies gilt nicht, wenn Abs. 1 zur Anwendung kommt.

e) Der Bescheid auf Grund einer antragslosen Veranlagung ist ersatzlos aufzuheben, wenn dies in einer Beschwerde (§ 243 BAO) beantragt wird; die Beschwerde bedarf keiner Begründung.

f) Die Steuererklärungspflicht (§ 42) bleibt auch nach Vornahme der Veranlagung aufrecht."

Im Unterschied zur Regierungsvorlage, nach der die antragslose Arbeitnehmerveranlagung zu einem Veranlagungsbescheid führen sollte, der vom Steuerpflichtigen - ebenso wie in Fällen einer beantragten Veranlagung oder einer Pflichtveranlagung - bekämpfbar sein und den Regeln der BAO über Änderungen rechtskräftiger Bescheide (zB §§ 299 oder 303 BAO) unterliegen sollte (vgl ErläutRV 684 BlgNR XXV. GP 23), sollen die Rechtswirkungen einer antragslosen Veranlagung nach den letztlich vom Gesetzgeber beschlossenen Regelungen für den Steuerpflichtigen "auf einfache Weise durch Einreichung einer Abgabenerklärung beseitigt werden können" (vgl Begründung des Abänderungsantrags zur RV des StRefG 2015/2016, AA-93 XXV. GP 6). Reicht der Steuerpflichtige nach Durchführung einer antragslosen Veranlagung eine Abgabenerklärung ein, ist gleichzeitig mit der Entscheidung über die Abgabenerklärung der antragslos ergangene Bescheid aufzuheben. Die Bescheidaufhebung erfolgt in diesem Fall außerhalb der in der BAO vorgesehenen Möglichkeiten zur nachträglichen Änderung von Bescheiden und stellt § 41 Abs 2 Z 2 lit c EStG 1988 somit einen Rechtskraftdurchbrechungstatbestand sui generis dar (vgl Atzmüller in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21a § 41 Stand 1.2.2021, rdb.at Rz 44).

Abgesehen von jenen Fällen, in denen der Steuerpflichtige eine ersatzlose Aufhebung des antragslos ergangenen Bescheides begehrt und für die dem Steuerpflichtigen in § 41 Abs 2 Z 2 lit e EStG 1988 die Möglichkeit der Einbringung einer Beschwerde eingeräumt wurde (vgl dazu ErläutRV 190 BlgNR XXVI. GP 16), entspricht es sohin dem Konzept des Gesetzgebers, dass die Korrektur eines antragslos ergangenen Bescheides im Wege der Veranlagung auf Antrag zu erfolgen hat und kann der entsprechende Antrag dabei innerhalb von fünf Jahren ab dem Ende des Veranlagungszeitraums gestellt werden (§ 41 Abs 2 Z 2 lit c iVm § 41 Abs 2 Z 1 EStG 1988).

Im Vorliegenden Beschwerdefall ist vor diesem Hintergrund zu prüfen, ob das am 7. Jänner 2022 von der Beschwerdeführerin über FinanzOnline eingebrachte Anbringen als Veranlagungsantrag zu qualifizieren ist.

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Antrag auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung an keine bestimmte Form gebunden ist und genügt grundsätzlich auch ein impliziter Antrag (vgl VwGH 24.11.2016, Ra 2014/13/0003).

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin bei der Formulierung ihres Anbringens den Begriff "Wiederaufnahme" verwendet, ist zudem auf die Rechtsprechung des VwGH zu verweisen, nach der es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen ankommt, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes (VwGH 28.1.2003, 2001/14/0229). Es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (VwGH 24.11.2016, Ra 2014/13/0003; 29.7.2014, 2011/13/0053).

Ebenso wenig, wie es auf die Bezeichnung von Schriftsätzen ankommt, kann für die Beurteilung auch nicht (ausschließlich) maßgeblich sein, wie das Anbringen elektronisch von FinanzOnline erfasst wird. Denn auch die elektronische Erfassung geht darauf zurück, welche Bezeichnung der Einbringer seinem Anbringen zugewiesen hat (so bereits BFG 17.1.2023, RV/7102873/2022; 29.9.2023, RV/7102604/2023).

Unter diesem Gesichtspunkt muss das in Rede stehende Anbringen, mit dem die Beschwerdeführerin die Berücksichtigung diverser Aufwendungen (als außergewöhnliche Belastung) begehrte, gerade in der vorliegenden Verfahrenssituation (vgl zu deren Bedeutung für die Auslegung VwGH 29.7.2014, 2011/13/0053; 20.3.2014, 2010/15/0195) bei verständiger Würdigung als - allenfalls nach § 85 Abs 2 BAO zu verbessernder - Veranlagungsantrag gedeutet werden.

Ausgehend von dieser Deutung des Anbringens hätte die belangte Behörde gleichzeitig den antragslos ergangenen Einkommensteuerbescheid 2020 vom 27. August 2021 aufheben und über die Abgabenerklärung entscheiden müssen. Der angefochtene Bescheid, mit dem das Anbringen der Beschwerdeführerin vom 7. Jänner 2022 abgewiesen wurde, ist daher aufzuheben. Damit ist der Antrag auf Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung wiederum unerledigt, und hat die belangte Behörde darüber zu entscheiden (vgl auch BFG 30.6.2022, RV/6100422/2021). Dem Bundesfinanzgericht kommt eine derartige Entscheidungskompetenz nicht zu, weil die Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht die Einkommensteuer 2020 ist, wenngleich sie im Vorlagebericht fälschlicherweise so bezeichnet wurde, sondern lediglich die Abweisung des Anbringens der Beschwerdeführerin vom 7. Jänner 2022. Die Änderungsbefugnis des Bundesfinanzgerichts ist gemäß § 279 BAO durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat. Ist der angefochtene Bescheid - wie im vorliegenden Fall - kein Abgabenbescheid, sondern handelt es sich um einen Bescheid, mit dem ein Antrag auf Festsetzung von Abgaben abgewiesen wurde, kommt dem Bundesfinanzgericht eine Zuständigkeit zur erstmaligen Festsetzung von Abgaben nicht zu (vgl VwGH 26.1.2006, 2004/15/0064).

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine vertretbare Auslegung eines Schriftstückes oder einer Parteierklärung wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art 133 Abs 4 B-VG auf. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall würde nur dann zu einer grundsätzlichen Rechtsfrage führen, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl etwa VwGH 23.9.2021, Ra 2021/16/0078; zur Auslegung des Inhaltes einer Beschwerde VwGH 26.3.2019, Ra 2019/16/0025, jeweils mwN). Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Salzburg, am 5. Dezember 2023

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 41 Abs. 2 Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 41 Abs. 2 Z 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 41 Abs. 2 Z 2 lit. c EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 85 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Verweise:

VwGH 28.01.2003, 2001/14/0229
VwGH 29.07.2014, 2011/13/0053
VwGH 20.03.2014, 2010/15/0195
VwGH 26.01.2006, 2004/15/0064
VwGH 23.09.2021, Ra 2021/16/0078
VwGH 26.03.2019, Ra 2019/16/0025
VwGH 24.11.2016, Ra 2014/13/0003
BFG 17.01.2023, RV/7102873/2022
BFG 29.09.2023, RV/7102604/2023
BFG 30.06.2022, RV/6100422/2021

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