Fristsetzungsantrag ohne vorausgegangene Vorlage der Säumnisbeschwerde
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2022:RV.7103113.2022
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Petzelbauer & Kleinhappel Rechtsanwälte, Rabensteig 8/3A, 1010 Wien, betreffend einen Antrag auf Fristsetzung gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 7 B-VG vom 10. Oktober 2022 wegen Verletzung der Entscheidungspflicht, Steuernummer ***Bf1-St.Nr.*** (SVNR ***Bf1-SVNR***), beschlossen:
Der Fristsetzungsantrag vom 10. Oktober 2022 betreffend die behauptete Säumigkeit des Bundesfinanzgerichtes im Säumnisbeschwerdeverfahren gegen das Finanzamt Österreich betreffend einen Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 wird gemäß § 30a Abs. 1 VwGG iVm § 30a Abs. 8 erster Satz VwGG als unzulässig zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss kann jede Partei binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht den Antrag stellen, dass der Fristsetzungsantrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).
Begründung
Im Fristsetzungsantrag vom 10. Oktober 2022 wird als Sachverhalt Folgendes vorgebracht:
Mit Antrag vom 14.06.2021 beantragte die Beschwerdeführerin die Auszahlung von Familienbeihilfe für ihr Kind ***[Tochter]*** VNR ***[SVNR-Tochter]*** für den Zeitraum März 2020 - April 2021. Zuvor wurde bereits mit Bescheid vom 04.02.2020 des FA Waldviertel die Familienbeihilfe für den Zeitraum September 2019 - Februar 2020 (Zeitpunkt der Bescheiderlassung) abgewiesen.
Aufgrund neuerer Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Ra 2020/16/0039 Erkenntnis vom 04.11.2020) steht auch einem Polizeischüler im Rahmen der Polizeigrundausbildung die Familienbeihilfe im Ausmaß von 20 Monaten zu.
Infolge Untätigkeit des Finanzamtes Österreich zum Antrag vom 14.06.2021 wurde am 18.01.2022 eine Säumnisbeschwerde gem. Art 130 Abs 1 Z 3 iVm Art. 132 Abs 3 BVG eingebracht, über die das Bundesfinanzgericht bis dato keine Entscheidung getroffen hat.
Verlauf des Verfahrens vor dem Finanzamt:
Das Finanzamt erließ einen Abweisungsbescheid vom 4. Februar 2020, mit dem der Antrag vom 16. September 2019 auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für die Tochter der Beschwerdeführerin (Bf.) für den Zeitraum September 2019 bis August 2021 abgewiesen wurde.
Die gegen diesen Abweisungsbescheid am 25. Februar 2020 eingebrachte Bescheidbeschwerde vom 21. Februar 2020 wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 10. März 2020 als unbegründet ab.
Ein Vorlageantrag gegen diese Beschwerdevorentscheidung wurde nicht gestellt. Infolgedessen erlangte die Entscheidung Rechtskraft.
Mehr als ein Jahr später, am 15. Juni 2021, stellte der rechtsfreundliche Vertreter der Bf. einen neuen Antrag vom 14. Juni 2021 wegen Familienbeihilfe für die Tochter der Bf., in dem die Auffassung vertreten wurde, dass mit dem seinerzeitigen Abweisungsbescheid vom 4. Februar 2020 über die Familienbeihilfe für die Tochter nur für den Zeitraum September 2019 bis Februar 2020 (dem Monat der Erlassung des Abweisungsbescheides) abweisend abgesprochen worden sei und daher für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 noch keine Entscheidung des Finanzamtes über die Gewährung der Familienbeihilfe vorliege.
Hiezu wird angemerkt, dass verglichen mit dem Sachverhalt, welcher bei Erlassung des Vorbescheides (des Abweisungsbescheides vom 04.02.2020) vorlag bzw. festgestellt wurde, keine Änderung der Verhältnisse in sachverhaltsmäßiger Hinsicht im neuerlichen Antrag vorgebracht wurden, sondern lediglich auf eine geänderte Rechtmeinung (Aufgrund neuerer Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ra 2020/16/0039 Erkenntnis vom 04.11.2020) hingewiesen wurde.
Seitens des Finanzamtes wurden zunächst keine weiteren Bearbeitungsschritte gesetzt.
Mit Schriftsatz vom 18. Jänner 2022 brachte der rechtsfreundliche Vertreter der Bf. wegen der belangten Behörde vorgeworfener Untätigkeit eine Säumnisbeschwerde bei der belangten Behörde, dem Finanzamt Österreich, Dienststelle Waldviertel, ein, da innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist über den Antrag vom 14. Juni 2021, mit dem die Auszahlung von Familienbeihilfe für das Kind der Bf. für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 beantragt wurde, kein Bescheid erlassen worden sei.
Die Säumnisbeschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht nicht übermittelt.
Mit Zurückweisungsbescheid vom 28. September 2022 wies das Finanzamt den Antrag (im Bescheid wird das Datum 16.06.2022 angeführt; gemeint ist wohl 14.06.2021) auf Familienbeihilfe für die Tochter der Bf. für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 zurück und führte in der Begründung aus:
Ihr Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für Ihre Tochter S… wurde bereits für den Zeitraum 09/2019 - 08/2021 rechtskräftig abgewiesen.
Eine neuerliche Antragstellung für den Zeitraum 03/2020 - 04/2021 ist nicht mehr möglich. Dieser Zeitraum ist im Zeitraum des Abweisungsbescheides enthalten.
Verfahrensgang beim Bundesfinanzgericht
Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2022 brachte der rechtsfreundliche Vertreter der Bf. einen Fristsetzungsantrag gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 2 iVm Abs. 7 B-VG beim Bundesfinanzgericht ein, da das Bundesfinanzgericht säumig sei, nachdem innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist zur Säumnisbeschwerde vom 18. Jänner kein Erkenntnis erlassen worden sei.
Im Zeitpunkt des Einbringens des Fristsetzungsantrages vom 10. Oktober 2022, laut Eingangsstempel beim Bundesfinanzgericht eingelangt am 14. Oktober 2022, war die Säumnisbeschwerde vom 18. Jänner 2022 weder vom Finanzamt noch von Seiten der Bf. dem Bundesfinanzgericht vorgelegt worden bzw. war die Säumnisbeschwerde beim Bundesfinanzgericht nicht eingelangt.
Rechtliche Beurteilung
Zuständigkeit:
Im Verfahren über einen an den Verwaltungsgerichtshof (wegen behaupteter Säumnis des Verwaltungsgerichtes) gerichteten Fristsetzungsantrag hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Vorprüfung der Prozessvoraussetzungen auch zu überprüfen, ob eine Säumnis tatsächlich vorliegt. Liegt keine Säumnis vor, hat es den Fristsetzungsantrag entsprechend § 30a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 8 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen (sh. zB BFG 13.02.2017, RS/4100002/2017, Taxlex 2015/04, S. 142).
Rechtslage:
Gemäß Art. 133 Abs. 7 B-VG kann wegen Verletzung der Entscheidungspflicht einen Antrag auf Fristsetzung stellen, wer im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt zu sein behauptet.
Gemäß § 38 Abs. 1 VwGG kann ein Fristsetzungsantrag erst dann gestellt werden, wenn das Verwaltungsgericht die Rechtssache nicht binnen sechs Monaten, wenn aber durch Bundes- oder Landesgesetz eine kürzere oder längere Frist bestimmt ist, nicht binnen dieser entschieden hat.
Gemäß § 291 Abs. 1 BAO ist das Verwaltungsgericht verpflichtet, über Anträge der Parteien und über Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden. Im Verfahren über Bescheidbeschwerden beginnt die Entscheidungsfrist im Regelfall mit der Vorlage der Beschwerde (§ 265 BAO) oder nach Einbringung einer Vorlageerinnerung (§ 264 Abs. 6 BAO). In den Fällen des § 284 Abs. 5 BAO (Säumnisbeschwerde) beginnt die Entscheidungsfrist mit Ablauf der vom Verwaltungsgericht gesetzten Frist.
Für den Beginn der Frist des § 284 Abs. 2 BAO ist der Zeitpunkt des Einlangens der Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgericht maßgeblich (vgl. VwGH 24.02.2016, Ra 2015/13/0044; Ritz, BAO6, § 284 Tz 20).
Nach der die Vorentscheidung durch das Verwaltungsgericht regelnde Bestimmung des § 30a Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegenstehen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Diese Bestimmung ist gemäß § 30a Abs. 8 VwGG auf Fristsetzungsanträge sinngemäß anzuwenden.
Erwägungen
Mangels Vorlage der Säumnisbeschwerde an das Bundesfinanzgericht konnte die Frist des § 284 Abs. 2 BAO nicht zu laufen beginnen, folglich war die Zuständigkeit zur Entscheidung, die grundsätzlich erst dann auf das Verwaltungsgericht übergeht, wenn die Frist nach Abs. 2 leg. cit. abgelaufen ist, noch nicht auf das Bundesfinanzgericht übergegangen (§ 284 Abs. 3 BAO).
Zum Zeitpunkt des Einbringens des Fristsetzungsantrages am 14. Oktober 2022 war die diesbezügliche Säumnisbeschwerde noch nicht beim Bundesfinanzgericht eingelangt, weshalb die Frist des § 291 Abs 1 BAO noch gar nicht zu laufen begonnen hat.
Es liegt daher keine Säumnis und somit keine Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesfinanzgerichtes vor (sh. Ehrke-Rabel, Rechtsmittelverfahren in Abgabensachen, S. 143).
Aus den angeführten Gründen war daher der Fristsetzungsantrag als unzulässig zurückzuweisen.
Zur beim Finanzamt eingebrachten Säumnisbeschwerde vom 18. Jänner 2022 wird ergänzend bemerkt:
Das Finanzamt hat den neuerlichen Antrag auf Familienbeihilfe für den Zeitraum März 2020 bis April 2021 mit Zurückweisungsbescheid vom 28. September 2022 erledigt, mit der Begründung, dass eine betreffend den beantragten Zeitraum rechtskräftige Entscheidung vorliegt.
Mit der (formalrechtlichen) Entscheidung des Finanzamtes über den neuerlichen Antrag der Bf. auf Familienbeihilfe liegt sohin keine Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Finanzamt mehr vor.
Belehrung und Hinweise
Den Parteien steht § 30b Abs. 1 VwGG das Recht zu, binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses beim Verwaltungsgericht den Antrag stellen, dass der Fristsetzungsantrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).
Wien, am 24. Oktober 2022
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 284 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
