BFG RV/2100808/2013

BFGRV/2100808/201323.9.2020

Wiederaufnahme nach einer Betriebsprüfung, liegen neue Tatsachen vor?

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100808.2013

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1*** in Liquidation, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerden vom 23.8.2013 gegen die Bescheide des ***FA*** vom 22.7.2013 betreffend Wiederaufnahme und neue Sachbescheide Umsatzsteuer der Jahre 2007 - 2011

  1. 1. zu Recht erkannt:

Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich Umsatzsteuer der Jahre 2007 - 2011 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide wird - ersatzlos - aufgehoben.

  1. 1. Den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde vom 23.8.2013 gegen die Umsatzsteuerbescheide 2007 - 2011 vom 22.7.2013 wird gemäß § 261 Abs. 2 BAO iVm § 278 BAO als gegenstandslos erklärt.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe

 

Zum bisherigen Verfahrensgang und zum festgestellten Sachverhalt wird auf das BFG-Verfahren unter RV/2100807/2013 sowie auf das Erkenntnis des VwGH vom 31.1.2019, Ra 2017/15/0010-6 verwiesen.

Im dortigen Verfahren ging es um die Frage, ob der beschwerdeführende GmbH, die ein Pflegeheim betreibt, der Status der Gemeinnützigkeit zusteht oder nicht.

Nach Ansicht der Betriebsprüfung und ihr folgend des Finanzamtes erfülle die Bf. die Voraussetzungen gemäß § 5 Z 6 KStG 1988 iVm §§ 39, 40, 42, und 45 BAO nicht. Dieser Feststellung entsprechend wurde das Betriebsergebnis der Bf. erhöht und Körperschaftsteuer neu festgesetzt.

Die Umsatzsteuer der Jahre 2007 bis 2011 wurde stets erklärungsgemäß veranlagt.

Diese Feststellungen der Bp. hatten auch zur Folge, dass die Verfahren betreffend die Umsatzsteuer der Jahre 2007 bis 2011 wiederaufgenommen wurden und die Umsatzsteuer unter Außerachtlassung der Gemeinnützigkeit neu festgesetzt wurde.

Begründet wurde diese Wiederaufnahme unter Hinweis auf die Feststellungen im Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung vom 24.7.2013 zu den TZ 1 (Sachverhalt), TZ 2 (Aberkennung Gemeinnützigkeit) und TZ 3 (Begünstigung eigener Interessen).

Dem oben angeführten Erkenntnis des VwGH vom 31.1.2019 ist zu entnehmen, dass das Finanzamt für die hier strittigen Jahre 2007 und 2008 bereits in einem Rechtsmittelverfahren die Körperschaftsteuer betreffend abschließend festgestellt hat, dass die Tätigkeit der Bf. eine gemeinnützige ist. Insoferne ist es rechtlich nicht zulässig, einen in einem abgeschlossenen ertragsteuerlichen Verfahren festgestellten Sachverhalt einer umsatzsteuerlichen anderen rechtlichen Subsumtion zu unterziehen, zumal die von der belangten Behörde angeführten neuen Tatsachen keine solche darstellen, da die Bf. in ihren Steuererklärungen alles entsprechend offengelegt hat. Nichts Anderes kann nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes auch für den Zeitraum 2009 bis 2011 gelten, denn es hat sich der Unternehmensgegenstand und die Geschäftsführung im Vergleich zum Vorzeitraum nicht geändert. Der Verwaltungsgerichtshof hat im oben angeführten Erkenntnis für die Jahre 2009 bis 2011 eine Prüfung dahingehend vermisst, ob denn die Bf. in einem begünstigungsschädlichen Wettbewerb im Sinne des § 45 Abs. 2 lit. c BAO mit abgabepflichtigen Betrieben steht.

Nach einem Vorhalteverfahren führte die Bf. unter anderem zu dem Punkt "Vergleichbarkeit hinsichtlich Ausstattung, Lage, Leistungsangebot, sowie Preisgestaltung" aus:

"Dem vom Finanzamt ins Treffen geführten schädlichen Wettbewerb aufgrund günstigerer Preisgestaltung wird entgegnet, dass die Preise für den Pflegeheimsektor für alle Anbieter durch die Steiermärkische SHG-Leistungs- und Entgeltverordnung LEVO SHG festgesetzt werden. Weiters hat die Bf. 10 % Umsatzsteuer, in gleicher Höhe wie abgabepflichtige Betriebe in Rechnung gestellt hat. Daher liegt mangels Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung auch diesbezüglich kein Kriterium vor, welches zu einer größeren Wettbewerbsverzerrung führen könnte.

Das Argument des Finanzamtes, des Wettbewerbsvorteiles aufgrund der Möglichkeit günstigerer Preisgestaltung geht ins Leere. Ein Unterbieten von Mitbewerbern der Bf. ist gar nicht möglich, weil die festgesetzten Preise eingehalten werden müssen, und die Einhaltung die Voraussetzung für einen Landesvertrag zur Kostenübernahme ist.

Die Verträge mit dem Land legen für alle Anbieter von Pflegeheimleistungen einen gleichlautenden Leistungskatalog fest, der nicht unterschritten werden dar. Daher ist auch das Leistungsangebot im "Sonderfall" von öffentlich geförderten Pflegeheimen kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung von "schädlichem Wettbewerb."

Wie bereits in der Stellungnahme vom 28.02.2013 ausgeführt wurde, ist weitere Voraussetzung für einen Landesvertrag zur Kostenübernahme, das Vorliegen eines Bedarfes an Pflegebetten und werden Anerkennungsbescheide und die Bewilligung weiterer Betten bzw. Pflegeheime nur unter Bedachtnahme auf die regionale Situation und den Bedarf an Pflegebetten erteilt.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass weder die Frage der lokalen Bedarfsdeckung, noch die Vergleichbarkeit hinsichtlich Ausstattung, Lage, Leistungsangebot und Preisgestaltung daher gegen die Auffassung sprechen, dass lediglich ein unvermeidbarer zulässiger Wettbewerb im Sinne des 5 45 Abs. 2 Z 3 BAO vorliegt.

Der Gesetzgeber nimmt eine unterschiedliche steuerliche Behandlung im Interesse schutzwürdiger Zweck durch Abgabenbefreiung des unentbehrlichen Hilfsbetriebes bei Vorliegen eines unvermeidbaren Wettbewerbes in Kauf (Renner in Baldauf/Renner/Wakounig, Besteuerung der Vereine, C 122)."

Aufgrund dieser Ausführungen sieht es das BFG als erwiesen an, dass der Betrieb des Pflegeheimes der Bf. - wie auch schon in den Vorjahren - einen unentbehrlichen Hilfsbetrieb darstellt, der zur Erreichung des begünstigten Zweckes in unvermeidbarer zulässiger Weise im Wettbewerb im Sinne des § 45 Abs. 2 lit. c BAO steht.

In den oben angeführten TZ des Prüfberichtes wurden keine neuen Sachverhaltselemente angeführt, die zum Zeitpunkt der Erstveranlagungen bereits bestanden haben aber erst während der Betriebsprüfung neu hervorgekommen sind.

Keine Wiederaufnahmsgründe (keine Tatsachen) sind etwa neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werde, oder das Hervorkommen von Rechtsirrtümern (Ritz, BAO6, § 303 Tz 23).

Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können. Die Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung tragen zu können; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offen gelegten Sachverhaltes zu beseitigen (Ritz, BAO6, § 303 Tz 24).

Um in einem abgeschlossenen Verfahren zu einem anderen Ergebnis zu kommen ist es unerlässlich, dass bereits im Erstverfahren bestehende Tatsachen nun neu hervorgekommen sind. Von welchen Tatsachen die Betriebsprüfung und das Finanzamt ausgegangen sind, um die Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer wiederaufzunehmen, ist dem Betriebsprüfungsbericht nicht zu entnehmen.

Nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind die Wiederaufnahmsgründe in der Begründung anzuführen, weil sich das Verwaltungsgericht bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmsgründe stützen kann (zB VwGH 12.4.1994, 90/14/0044 ; VwGH 21.7.1998, 93/14/0187 ). Eine - allenfalls auch erst im Beschwerdeverfahren erfolgte - Ergänzung einer offensichtlich mangelhaften Begründung in Richtung der tatsächlich vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmegrundlagen stellt allerdings noch kein unzulässiges Auswechseln von Wiederaufnahmegründen dar (VwGH 28.02.2012, 2008/15/0005 ; VwGH 22.07.2015, 2011/13/0067 ).

Es ist nicht Sache des Abgabepflichtigen, das Nichtvorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nachzuweisen, sondern Aufgabe der Abgabenbehörde, die von ihr verfügte Wiederaufnahme durch unmissverständliche Hinweise darauf zu begründen, welche Tatsachen oder Beweismittel auf welche Weise neu hervorgekommen sind (vgl. VwGH 30.9.1987, 87/13/0006).

Die Ausführungen im Prüfbericht zur Umsatzsteuer mit den dort angeführten Punkten legen jedoch in keinem Punkt ein Sachverhaltselement offen, das das Vorliegen einer neuen Tatsache im Sinn des § 303 BAO nachweist.

Da den angefochtenen Wiederaufnahmebescheiden gemäß § 303 BAO keine neue Tatsache im Sinn des § 303 BAO zugrunde liegen, ist der ehemals als Berufung bezeichneten Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 BAO hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2007 bis 2011 Folge zu geben und die Aufhebung der angefochtenen Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 BAO auszusprechen.

Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme der Verfahren bewilligende oder verfügende Bescheide treten die Verfahren gemäß § 307 Abs. 3 BAO in die Lage zurück, in der sie sich vor seiner Wiederaufnahme befunden haben.

Durch die Aufhebung der Wiederaufnahmsbescheide scheiden somit ex lege die neuen Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, die alten Sachbescheide leben wieder auf (Ritz, BAO6, § 307 Tz 8).

Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1 BAO) entsprochen, so ist eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1 BAO) gerichtete Bescheidbeschwerde gemäß § 261 Abs. 2 BAO mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262 BAO) oder mit Beschluss (§ 278 BAO) als gegenstandslos zu erklären.

Die gegen die Bescheide vom 22.7.2013 betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2007 bis 2011 eingebrachte Beschwerde vom 23.8.2013 war daher als gegenstandslos zu erklären.

 

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Unter Hinweis auf die oben angeführte einheitliche höchstrichterliche Judikatur liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, sodass auszusprechen war, dass eine ordentliche Revision an den VwGH nicht zulässig ist.

 

 

Graz, am 23. September 2020

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

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