BFG RV/2101122/2016

BFGRV/2101122/201630.11.2017

Keine Erwerbsteuer gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994, wenn mittlerer Unternehmer in der Reihe die UID des Abgangslandes verwendet

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2017:RV.2101122.2016

 

Beachte:
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2018/15/0004. Mit Erk. v. 5.3.2020 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Beschluss zur Zahl RV/2100319/2020 erledigt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter X. in der Beschwerdesache Bf., über die Beschwerde vom 31.08.2015 gegen die Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom 09.06.2015, betreffend Umsatzsteuer für die Jahr 2011-2013 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

 

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

 

Die Umsatzsteuer für das Jahr 2011 wird festgesetzt mit Gutschrift von (-) 278.685,56 €

Die Umsatzsteuer für das Jahr 2012 wird festgesetzt mit Gutschrift von (-) 687.009,32 €

Die Umsatzsteuer für das Jahr 2013 wird festgesetzt mit Gutschrift von (-) 260.420,12 €

 

Die Bemessungsgrundlagen sind dem Ende der Entscheidungsgründe den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

 

Im Unternehmen der Beschwerdeführerin (Bf.) fand eine abgabenbehördliche Außenprüfung statt. Im Prüfungsbericht wird ausgeführt, die Bf. sei eine 100% kanadische Tochtergesellschaft (Inc.) der schwedischen Muttergesellschaft (AB) und Niederlassung des AB-Konzerns in Kanada. Diese vertreibe weltweit Produkte für den Bereich von Erkundungsbohrungen, wobei ein Teil der Produkte von der inländischen M. GmbH in Lohnfertigung ausschließlich für die Bf. erzeugt werde. Die M. GmbH könne Teile der Produktion von der Bf. zurückkaufen und dann weiterverkaufen.

Bei den in der Folge festgestellten Geschäftsfällen handle es sich ausschließlich um Reihengeschäfte. Die Warenlieferung erfolge immer vom Standort der M. GmbH (Österreich) direkt an die jeweiligen Endabnehmer der Bf. im Gemeinschafts- oder Drittlandsgebiet. Es handle sich dabei um Konzernunternehmen der AB.

Sowohl dem Vorlieferanten M. GmbH als auch der Bf. sei das Bestimmungsland bzw. der Entladeort der Warenbewegungen bekannt gewesen. Transportauftraggeber sei jeweils die Bf. gewesen und habe die Transportkosten in der Folge nahezu zur Gänze weiterverrechnet. Die Lieferkondition zwischen der M. GmbH und der Bf. laute laut Vertrag "EXW" und auf den Rechnungen werde diese mit "FCA" bezeichnet. Der Bf. sei am 26.9.2011 eine UID-Nummer ATU xxx vom Finanzamt erteilt worden.

Bei den innergemeinschaftlichen Geschäftsfällen sei wie folgt vorgegangen worden:

Die Bf. erhalte eine Kundenbestellung und beauftrage die M. GmbH mit der Produktion. Diese verrechne der Bf. das Fertigprodukt unter Ausweis inländischer Umsatzsteuer und unter Anführung sowohl ihrer als auch der UID der Bf. auf ihrer Rechnung. In der weiteren Folge beauftrage die Bf. einen Spediteur mit dem Transport von Österreich zum Kunden in das übrige Gemeinschaftsgebiet und bezahle die Spedition (Anmerkung: 1. Umsatz).

Die anschließende Lieferung der Bf. an ihren Kunden werde unter Anführung ihrer österreichischen UID-Nummer und der UID-Nummer des Kunden im Gemeinschaftsgebiet als steuerfrei ausgewiesen und in die Zusammenfassende Meldung aufgenommen (Anmerkung: 2. Umsatz).

In ihrer Sachverhaltswürdigung kommt der angefochtene Bescheid zum Ergebnis, die erste Lieferung in der Reihe sei die "bewegte", weil der erste (M. GmbH) oder der zweite Unternehmer (Bf.) in der Reihe den Transport durchführt oder beauftragt.

Da die Bf. den Transportauftrag erteilt habe, tätige die M. GmbH die innergemeinschaftliche Lieferung (igL), welche steuerfrei sei, wenn die Bf. unter der jeweiligen UID-Nr. des Bestimmungslandes auftrete und den Erwerb im Bestimmungsland versteuere. Sie habe bei den oa. Geschäftsvorgängen unabhängig von der tatsächlichen Warenbewegung und unabhängig vom Ort der Beendigung der Warenbewegung (Bestimmungsland) ihrem Lieferanten (M. GmbH) jeweils die österreichische UID-Nummer bekanntgegeben.

In diesem Zusammenhang bemerkte die Bf., es sei gängige Praxis der M. GmbH gewesen, sobald sie Kenntnis von einer UID ihrer Kunden erlange, diese in die Kundenstammdaten aufnehme und entsprechend auf den Rechnungen aufdrucke.

In rechtlicher Hinsicht folgerte der angefochtene Bescheid weiters, gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 entstehe die Steuerschuld für den innergemeinschaftlichen Erwerb (igE) im Bestimmungsland der gekauften Waren d.h. das ist der Ort des igE in dem Mitgliedstaat bewirkt werde, wo sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befinde. Verwende der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat (als dem Bestimmungsmitgliedstaat) erteilte UID, so gelte der Erwerb solange in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates (zusätzlich) bewirkt, bis der Erwerber nachweise, dass der Erwerb bereits durch den anderen Mitgliedstaat (Bestimmungsland) besteuert ist.

Die Bf. habe als Erwerber der ig. Lieferungen die österreichische UID-Nummer und nicht die des Bestimmungslandes verwendet. Auf Grund dieser Verwendung der "falschen" UID-Nummer entstehe eine zusätzliche Erwerbsteuerpflicht gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994. Der Hinweis der Bf., sie habe die österreichischen UID nicht aktiv verwendet und habe dies auch nicht gewusst, wurde nicht anerkannt, zumal eine entsprechende Informationspflicht der Bf. zugerechnet werden könne.

Die Erwerbsteuer wurde entsprechend festgesetzt und hiervon kein Vorsteuerabzug gewährt.

Von einer ursprünglich geplanten Streichung der in den Rechnungen der M. GmbH ausgewiesenen Vorsteuern wurde unter Hinweis auf Rz. 1825 UStR Abstand genommen.

In ihrer rechtzeitig überreichten Beschwerde führt die Bf. aus:

1. betreffend Zuordnung der bewegten Lieferung bei Reihengeschäften:

Die Zuordnung der bewegten Lieferung im Rahmen von Reihengeschäften hänge von einer umfassenden Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls ab und sei nicht einzig auf Grund der Transportbeauftragung vorzunehmen, wie dies die österreichische Finanzverwaltung mache. Das EuGH Urteil C-587/10 , "VSTR" vom 27.9.2012 wird unter Hinweis auf die Relevanz der Bestimmung des Zeitpunkts zu dem die Befähigung wie ein Eigentümer zu verfügen, dem Endempfänger übertragen wird, zitiert. Im EuGH Urteil C-430/09 , "Euro Tyre", vom 16.12.2010 habe der Gerichtshof entschieden, dass bei der Bestimmung der bewegten Lieferung die Absichten, die der Ersterwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte, soweit wie möglich zu berücksichtigen sind, sofern sie durch objektive Gesichtspunkte gestützt werden. Aus Rz. 35 des Urteils sei abzuleiten, dass die Wahl der verwendeten UID entscheidend ist, ob die bewegte Lieferung dem Ersterwerber oder dessen Abnehmer zuzurechnen ist. Beim Dreiecksgeschäft würde die Verwendung der UID des Abgangslandes die Vereinfachungsregelung hinfällig machen und an die steuerpflichtige Inlandslieferung würde sich eine innergemeinschaftliche Lieferung (igL) anschließen.

Bei der Transportbeauftragung durch den mittleren Unternehmer sei hinsichtlich der Zuordnung der bewegten Lieferung relevant, ob der mittlere Unternehmer, der den Transport beauftragt hat, dem Erstlieferanten mitgeteilt habe, dass der Gegenstand, bevor er den Abgangsstaat verlassen hat, an einen anderen weiterverkauft werde. In einem solchen Fall sei die Lieferung des Ersterwerbers an den Letzterwerber die igL.

Die Bf. habe den Letztabnehmern (den Dritten in der Reihe) bereits im Inland die Verfügungsmacht verschafft - dies ergäbe sich auf Grund der verwendeten Incoterms (FCA). Der Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs erfülle den Tatbestand der Lieferung (Hummel, UR, 2007, Seite 757, zitiert in: Achatz/Ruppe, § 3 Rz. 33). Im gegenständlichen Fall habe der Erstlieferant M. GmbH auf Grund der ausgestellten CMR gewusst, dass die Ware von der Bf. an eine andere Bf.- Konzerngesellschaft verkauft werde.

Wenn lt. EuGH bereits eine nachträgliche Verständigung über den Weiterverkauf ausreiche, müsse dies umso mehr für eine Verständigung vor der Lieferung gelten. Die Vorgangsweise, die erste Lieferung (zwischen M. GmbH und Bf.) als ruhend zu behandeln und die zweite Lieferung zwischen Bf. und deren Abnehmer als bewegte Lieferung zu sehen, sei richtig. Dies stünde nicht im Widerspruch zu VwGH 2006/14/0107 vom 25.6.2007, da durch den Gefahrenübergang besondere Umstände vorlägen, die dies rechtfertigen. Verstärkt wurde diese Begründung durch die entsprechende Verwendung der UID. Die Übergabe der Ware an den vom Letztabnehmer beauftragten Spediteur sei geeignet, dem Letzterwerber das zivilrechtliche Eigentum an den Waren in Österreich zu verschaffen. Die Verschaffung des zivilrechtlichen Eigentums führe zur Verschaffung der umsatzsteuerrechtlichen Verfügungsmacht (VwGH 2014/15/0015 vom 4.9.2014, VwGH 2010/15/0078 vom 23.9.2010, UFS Wien RV/1617-W/06 vom 11.10.2007).

2. betreffend (zusätzlicher) innergemeinschaftlicher Erwerb (igE) gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 in Österreich:

Aus dem EuGH-Urteil, Euro Tyre, sei abzuleiten, dass der Auftritt des Ersterwerbers unter der UID des Abgangsstaates keinen Zweiterwerb gem. Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG auslösen könne.

Die Bf. ist nicht Empfänger der bewegten Lieferung und kann daher in Ermangelung eines "ig. Ersterwerbs" keinen "Zweiterwerb" in Österreich verwirklicht haben.

Dass die falsche Zuordnung der bewegten Lieferung durch den Ersterwerber zu einem zusätzlichen igE führt, finde in der EuGH Judikatur keine Deckung, da die Endbesteuerung im Bestimmungsland nicht gefährdet werde.

Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 erfordere, dass der Erwerber eine vom Bestimmungsland verschiedene UID verwende, was ein aktives Tun voraussetze. Eine im Briefkopf eingedruckte UID des Leistungsempfängers reiche nicht aus - eine Auffassung, die sich auch im Umsatzsteueranwendungserlass des deutschen BMF vom 1.10.2010 (Stand 3.8.2015, BStBI I S. 846) finde. Die Auffassung, dass die Bf. der Verwendung der österreichischen UID widersprechen hätte müssen, sei unrichtig, da dies nur für Fälle der Abrechnung im Gutschriftsverkehr vorgesehen sei.

 

In ihrer Beschwerdevorentscheidung führte die belangte Behörde u.a. Folgendes aus:

Es konnten keine durch objektive Gesichtspunkte gestützten Hinweise auf eine Verschaffung der Verfügungsmacht an den Letztempfänger durch die Bf. vor der Übergabe der Ware im Bestimmungsland gefunden werden. Die Bf. habe die Transporte beauftragt und bezahlt, sie sei gegenüber dem beauftragten Transportunternehmer für die Dauer des Transportauftragsverhältnisses weisungsberechtigt. Der Transportauftraggeber habe die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht über die transportierte Ware, er könne bis zur Ausfolgung der Ware den Transport stoppen, umleiten oder zurückbeordern. Er verfüge bis zur Übergabe am Bestimmungsort wie ein Eigentümer über diese körperlichen Gegenstände.

Angesichts der vielen Spielarten sachenrechtlicher Normierungen von Eigentumsübertragung in den EU-Mitgliedsstaaten konnte für Zwecke der Mehrwertsteuer in der MwStSystRL nicht am zivilrechtlichen Eigentumsübergang angeknüpft werden, sondern musste mit der "Verfügungsmacht" ein eigenes umsatzsteuerliches Rechtsinstitut geschaffen werden, deren Verschaffung bestimmte steuerliche Konsequenzen auslöst.

Incoterms ("weltweit anerkannte, standardisierte Regeln über die Verteilung von Pflichten, Kosten und Risiko im internationalen Warenverkehr") komme auch nach Ruppe/Achatz, UStG, Kommentar4, § 3 Rz 33, allenfalls Indizwirkung hinsichtlich der Verschaffung der Verfügungsmacht zu; die weitergehende Auffassung von Hummel werde offensichtlich nicht geteilt. Lieferkonditionen haben je nach Rechtsordnung des Landes, in dem sie zur Anwendung kommen (Trennungs- oder Einheitsprinzip und nationale Besonderheiten) unterschiedliche Indizwirkung für den zivilrechtlichen Eigentumsübergang. In Österreich mag ihnen vielleicht Indizwirkung für das zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag, Titel) zukommen, nicht jedoch für das Verfügungsgeschäft (Modus). Es lasse sich nicht beurteilen, ob im Falle eines Rechtsstreits die Lieferkondition EXW, wie in den Verträgen vereinbart, oder die Lieferkondition FCA , wie auf den Rechnungen ausgewiesen und lt. Behauptung der Bf. in der Schlussbesprechung faktisch gültig, von einem Gericht als anzuwenden festgestellt werden würde. Im Zweifelsfall könne eine in einem zweiseitigen Rechtsgeschäft (Vertrag) vereinbarte Regelung nicht durch einen einseitigen Akt eines Vertragspartners geändert werden. Lieferkonditionen sprechen über den Zeitpunkt des zivilrechtlichen Übergangs von Gefahren, z.B. der Gefahr des zufälligen Untergangs, ab.

Die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht werde damit nicht verschafft. Erst wenn die wirtschaftliche Substanz des Gegenstands endgültig zugewendet ist, liege eine Verschaffung der Verfügungsmacht an den Abnehmer vor. Die Aussagekraft von einander nicht entsprechenden Lieferkonditionen in Dokumenten, die dieselben Geschäftsfälle betreffen, sei noch einmal eingeschränkt.

Auch wenn sich die Verschaffung des zivilrechtlichen Eigentums mit der Verschaffung der umsatzsteuerlichen Verfügungsmacht decken kann, sei die umsatzsteuerliche Verfügungsmacht eigenständig zu beurteilen und nicht allgemein mit der Verschaffung des zivilrechtlichen Eigentums gleich zu setzen. Das Umsatzsteuerrecht stelle jedenfalls nicht auf das zivilrechtliche Verpflichtungsgeschäft der österreichischen Rechtsordnung ab, aber auch das sachenrechtliche Verfügungsgeschäft entspreche nicht immer der umsatzsteuerlichen Verschaffung der Verfügungsmacht. Die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums ist für die Lieferung weder unbedingt erforderlich, noch immer ausreichend (Ruppe Achatz, UStG Kommentar4, § 3 Rz. 36 m.w.N.).

Die Bf. irre, wenn sie meint, durch Verwendung der UID eines bestimmten Landes oder auf eine andere Art ein Wahlrecht hinsichtlich der bewegten Lieferung im Reihengeschäft ausüben zu können. Im Gegenteil: der Unternehmer sei verpflichtet, die "richtige" UID-Nummer zu verwenden und der Anwendung einer "falschen" UID-Nummer durch den Lieferanten zu widersprechen, wenn er unliebsame Rechtsfolgen, wie z.B. die des "Zweiterwerbs" gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG 1994 vermeiden will. Dulde ein Unternehmer als Empfänger der bewegten Lieferung die Verwendung einer UID-Nummer, die nicht die des "Bestimmungslandes" der igL ist, so werde damit in diesem Land ein sogenannter "Zweiterwerb", verwirklicht, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtige. Dies gilt für die Verwendung oder die Duldung jeder von der UID-Nummer des Bestimmungslandes verschiedenen UID, somit auch für die des Abgangslandes der igL.

Betreffend Kommunikation und Transparenz zwischen der M. GmbH und Bf. wurde weiters ausgeführt:

Die M. GmbH hätte bei den igL. analog den (beim do. Finanzamt angefragten) Ausfuhrlieferungen steuerfrei an die Bf. liefern/verrechnen und bei den igL. die UID-Nummer des Bestimmungslandes der Bf. verwenden bzw. die Bf. darauf aufmerksam machen müssen, dass eine Registrierung im Bestimmungsland erforderlich sei. Die Bf. hätte der Verwendung ihrer österreichischen UID sofort widersprechen müssen. Die Rechtsmeinung, dass, wenn die Beteiligten wussten oder an Hand von CMR das Vorliegen von Reihengeschäften erkennen konnten, die bewegte Lieferung um eine oder mehrere Stufen "zurückrutscht" werde nicht geteilt, zumal ein solches Wissen keine Auswirkung auf die Verschaffung der Verfügungsmacht habe. Teilte man die Rechtsansicht der Bf., so würde - einen ordnungsgemäß ausgestellten CMR vorausgesetzt - die bewegte Lieferung immer nach "hinten rutschen", unabhängig davon, wer gerade über den Gegenstand disponieren kann und wer über ihn die Verfügungsmacht hat.

Unstrittig sei, dass ein zusätzlicher Erwerb gemäß Art. 3 Abs. 8 zweiter Satz UStG einen Ersterwerb auf Grund der Warenbewegung in einem anderen Mitgliedstaat voraussetze. Der EuGH hatte in seiner Entscheidung vom 22. April 2010, Rs. C-536/08 und C-539/08 mangels Verwendung einer UID des Abgangslands beim Zweiterwerb keine Gelegenheit zu diesem Thema Stellung zu nehmen.

Verwende der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte UID, so gelte der Erwerb zusätzlich in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als bewirkt. In diesem Fall sei der Erwerber nicht zum Abzug der auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entrichteten Mehrwertsteuer als Vorsteuer berechtigt (EuGH 22.04.2010, Rs C-536/08 und Rs C-539/08 , X und Facet BV/Facet Trading BV).

Der Erwerbsort der verwendeten UID verdränge den Erwerbsort des Endes der Warenbewegung grundsätzlich nicht, sondern trete vielmehr hinzu. Der Erwerbsort der verwendeten UID sei solange aufrecht, bis der Erwerber nachweist, dass der Erwerb bereits durch den Mitgliedstaat des Endes der Warenbewegung besteuert worden ist. Es sei dies eine auflösende Bedingung. Bis zu deren Eintritt können die beiden Orte unbegrenzt lange nebeneinander Geltung beanspruchen. Kann der Unternehmer den Nachweis führen, dass der Erwerb in dem Mitgliedstaat des Endes der Warenbewegung besteuert worden sei, fällt der zweite Erwerbsort weg. Dabei werde sich der Nachweis nicht auf eine tatsächliche Besteuerung beziehen, sondern vielmehr darauf, dass der Erwerb in dem Bestimmungsmitgliedstaat tatsächlich erklärt wurde. Erfolgt der genannte Nachweis, sei die Korrektur der Steuer nach den Grundsätzen des § 16 UStG 1994 - also ex nunc -durchzuführen.

Innerhalb offener Frist beantragte die Bf. die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht vorzulegen und über die Beschwerde eine mündliche Verhandlung vor dem gesamten Senat abzuhalten.

Nach Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht durch die belangte Behörde am 27.7.2016 ergänzte die Bf. ihr Beschwerdevorbringen am 28.9.2016 und führte aus, es stelle sich die Frage, ob überhaupt ein Reihengeschäft vorliege, da die M. GmbH in ihrem Werk in F. (Österreich) Lagerräumlichkeiten zur Verfügung stellte, die exklusiv für die Produktlagerung der an die Bf. verkauften Produkte genutzt werden und entsprechende Lagergebühren bezahlt würden. Ihres Erachtens liege daher eine gebrochene Lieferung bzw. es lägen zwei Lieferungen vor. Gemäß dem abgeschlossenen Vertrag würden die von der M. GmbH erzeugten Produkte "ex Works" geliefert, wobei Gefahr und Risiko mit der Lieferung in den Lagerräumlichkeiten auf die Bf. übergehe. Sie werde mit der Einlagerung wirtschaftlicher Eigentümer und könne darüber nach Belieben verfügen.

Sollte man jedoch nach wie vor von einem Reihengeschäft ausgehen, so wäre die Transportbeauftragung (allein) für die Zuordnung der Warenbewegung nicht entscheidend. Die Verwendung der UID des Ursprungslandes durch den Ersterwerber (Bf.) könne ein Hinweis sein, dass er eine im Inland steuerpflichtige Leistung erhalten möchte, da er noch vor dem Grenzübertritt die Verfügungsmacht seinem Zweiterwerber übertragen habe. Eine innergemeinschaftliche Lieferung innerhalb von Österreich sei schon begrifflich ausgeschlossen, weshalb die Verwendung der österreichischen UID durch die Bf. auch nicht zu einem fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb nach Art. 3 Abs. 8 UStG führen könne und ein solcher im Ursprungsland nicht denkmöglich sei. Das BFH habe in einer Entscheidung vom 2.6.2016, RV/2101353/2014 erkannt, dass auch bei einer Transportbeauftragung durch den ersten oder zweiten Unternehmer und unter Befolgung des Grundsatzes, die Teilnehmer nicht über Gebühr zu belasten, die innergemeinschaftliche Lieferung zwischen dem Erst- und dem Zweiterwerber stattgefunden habe. Durch die Aufnahme der Lieferung in die ZM (zusammenfassende Meldung) und der Erwerbsbesteuerung durch den Zweiterwerber werde dem Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsland Genüge getan. Die zusätzliche Besteuerung nach Art. 3 Abs. 8 UStG stelle eine nicht rechtfertigende überschießende Maßnahme dar, die mit dem Grundsatz der Steuerneutralität nicht vereinbar sei.

In einer weiteren Ergänzung vom 12.9.2017 führt die Bf. unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 26.7.2017, Rs. C-386/16 , "Toridas", aus, der EuGH habe erneut darauf hingewiesen, dass dabei insbesondere zu klären sei, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, zugunsten des Endabnehmers stattgefunden habe. Falls nämlich die zweite Übertragung dieser Befähigung, d.h. die Zweitlieferung, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattfand, könne diese nicht der Erstlieferung an den Ersterwerber zugeordnet werden. Demnach handle es sich bei der zweiten Lieferung immer dann um die "bewegte Lieferung", wenn die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, an den Dritten in der Lieferkette übertragen wurde, bevor die Beförderung der Ware stattgefunden habe. Nach der Rechtsprechung des EuGH handle es sich bei Reihengeschäften bei der ersten Lieferung, wenn der Zwischenhändler (also der Zweite in der Lieferkette) den Erstlieferanten darüber informiert, dass die Waren unmittelbar an einen in einem dritten Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen weiterverkauft werden, bevor sie aus dem erstem Mitgliedstaat ausgeführt und zum dritten Steuerpflichtigen befördert wurden, um die nicht bewegte Lieferung.

Insbesondere betont die Bf. nochmals, dass die Gefahrenübertragung an den Letztabnehmer bereits in Österreich auf dem Betriebsgelände des Zwischenhändlers erfolgte. Zivilrechtlich sei das Eigentum aufgrund des Transports durch verkehrsübliche Versendung mit der Übergabe an den Transporteur in Österreich auf den jeweiligen Letztabnehmer übergegangen. Die M. GmbH sei vor der Beförderung der Waren darüber informiert worden, dass die Waren unmittelbar von ihr an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Zweiterwerber weiterverkauft wurden. Daher handle es sich bei den zwischen der M. GmbH und der Bf. um unter gemäß § 3 Abs. 7 UStG 1994 fallende "ruhende" Lieferungen, weil sich die betreffenden Waren zum Zeitpunkt, indem die Bf. die Verfügungsmacht erlangte, in Österreich befanden. Aus diesen Gründen scheide auch ein innergemeinschaftlicher Erwerb aus, weil sie keinen solchen getätigt habe.

Mit Schreiben vom 22.9.2017 wurde die belangte Behörde von der Beschwerdeergänzung vom 12.9.2017 in Kenntnis gesetzt und darauf hingewiesen, der EuGH habe sich in der Rs. Toridas dahingehend geäußert, der Ersterwerber hätte die Verfügungsmacht bereits vor Ausführung der innergemeinschaftlichen Lieferung (2. Umsatz) erlangt und daher sei die erste Lieferung als "ruhende" zu betrachten. Sie werde daher eingeladen, an der Feststellung mitzuwirken, wann das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen wurde. Insbesondere sei zu klären, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer zu verfügen, zu Gunsten des Erstabnehmers stattgefunden habe. Falls nämlich die zweite Übertragung dieser Befähigung, d.h. die Zweitlieferung, vor der innergemeinschaftlichen Beförderung stattfand, könne diese nicht der Erstlieferung zugeordnet werden.

In ihrem Antwortschreiben vom 10.10.2017 wird seitens der belangten Behörde auf die bisherigen Vorbringen (Anfragebeantwortung des Finanzamtes an die M. GmbH vom 10.11.2011, Sachverhaltsdarstellung der M. GmbH vom 5.2.2015, Aktenvermerk vom 16.7.2015 und dem BP-Bericht vom 25.6.2015 sowie die Begründungen in den Beschwerdevorentscheidungen sowie weiters darauf, dass Lagergebühren zu keiner Zeit erkannt wurden) verwiesen.

Mit Telefax-Eingabe vom 30.11.2017 wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Anrufung des (gesamten) Senates zurückgenommen.

 

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Maßgebliche gesetzliche und gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen:

 

UStG 1994

§ 3 Abs. 7:

Eine Lieferung wird dort ausgeführt, wo sich der Gegenstand zur Zeit der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet.

 

§ 3 Abs. 8:

Wird der Gegenstand der Lieferung durch den Lieferer oder den Abnehmer befördert oder versendet, so gilt die Lieferung dort als ausgeführt, wo die Beförderung oder Versendung an den Abnehmer oder in dessen Auftrag an einen Dritten beginnt. Versenden liegt vor, wenn der Gegenstand durch einen Frachtführer oder Verfrachter befördert oder eine solche Beförderung durch einen Spediteur besorgt wird. Die Versendung beginnt mit der Übergabe des Gegenstandes an den Spediteur, Frachtführer oder Verfrachter.

 

Innergemeinschaftliche Lieferung

 

Art. 7

Abs. 1: Eine innergemeinschaftliche Lieferung (Art. 6 Abs. 1) liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen vorliegen:

1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet;
2. der Abnehmer ist

a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,

b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber und

3. der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung ist beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat steuerbar.

Der Gegenstand der Lieferung kann durch Beauftragte vor der Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet bearbeitet oder verarbeitet worden sein.

Art. 3 Abs. 8:

Der innergemeinschaftliche Erwerb wird in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet. Verwendet der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, so gilt der Erwerb solange in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als bewirkt, bis der Erwerber nachweist, daß der Erwerb durch den im ersten Satz bezeichneten Mitgliedstaat besteuert worden ist. Im Falle des Nachweises gilt § 16 sinngemäß.

 

Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (2006/112/EG ) - ABl 2006 Nr L 347/1 in der Fassung der Richtlinie 2010/88/EU vom 7.12.2010, ABl Nr L 326/1.

 

Art. 31

Wird der Gegenstand nicht versandt oder befördert, gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Lieferung befindet.

Art. 32

Wird der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet.

Art. 40

Als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen gilt der Ort, an dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befinden.

Art. 138

Abs. 1: Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.

 

Im Beschwerdefall erhält die Bf. von ihren Konzerngesellschaften C. im Gemeinschaftsgebiet eine Bestellung und beauftragt die österreichische M. GmbH mit der Produktion. Als Zielort wird i.d.R. ein Lagerort im übrigen Gemeinschaftsgebiet auf der Rechnung vermerkt. Die Bf. tritt unter ihrer österreichischen UID-Nummer auf und erhält eine Rechnung mit offenem Umsatzsteuerausweis. Sie macht den Vorsteuerabzug geltend und behandelt ihre Lieferung an den Warenempfänger als innergemeinschaftliche Lieferung und nimmt sie in die zusammenfassende Meldung auf. Weiters veranlasste sie den Warentransport von Österreich in das übrige Gemeinschaftsgebiet und bezahlte die Transportkosten.

Die Erwerbe scheinen mangels gegenteiliger Feststellungen der Abgabenbehörden im Gemeinschaftsgebiet von C. der jeweiligen Erwerbsbesteuerung unterzogen worden zu sein.

Entsprechend der österreichischen und deutschen Verwaltungspraxis war für die Beurteilung der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung die Transportverantwortlichkeit maßgeblich. Folglich kommt man bei Weiterführung dieser Rechtsauffassung zum Schluss, dass die erste Lieferung die bewegte und damit die innergemeinschaftliche und der Umsatzsteuerausweis dem Grunde nach unrichtig sei. Auf Grund gegebener Verwaltungspraxis wurde der Vorsteuerabzug zugelassen, jedoch ein innergemeinschaftlicher Erwerb kraft verwendeter (inländischer) UID angenommen. Die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb angefallene und vorgeschriebene Erwerbsteuer wurde nicht zum Abzug zugelassen.

An der Feststellung, zu welchem Zeitpunkt die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, stattgefunden hat, hat die belangte Behörde - trotz ausdrücklichen Hinweises - keine weiteren Ermittlungen durchgeführt.

Entsprechend dem Urteil des EuGH 16.12.2010, Rs. C-430/09 , Euro Tyre, sei davon auszugehen, dass die Abholung der Waren bei der Erstlieferantin durch Vertreter des Ersterwerbers als Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf diesen anzusehen und der ersten Lieferung zuzurechnen (Rz. 32). Dieser Umstand allein genüge jedoch nicht, um daraus abzuleiten, dass die erste Lieferung die innergemeinschaftliche Lieferung darstellt. Es könne nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die zweite Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, ebenfalls im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der ersten Lieferung erfolgt, und zwar bevor die innergemeinschaftliche Beförderung erfolgt. In einem solchen Fall könne die innergemeinschaftliche Beförderung nicht mehr dieser Lieferung zugerechnet werden. In dem Fall, in dem der Erwerber die Befähigung, über den Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, im Liefermitgliedstaat erlangt und sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern, wie es bei Lieferungen unter der Bedingung geschieht, dass die Waren am Lager des Lieferanten abgeholt werden, sind so weit wie möglich die Absichten zu berücksichtigten, die der Erwerber (Bf.) zum Zeitpunkt des Erwerbs hätte (Rz. 34). Haben die Käufer als Ersterwerber die Absicht bekundet die Waren in einen anderen Mitgliedstaat als den Liefermitgliedstaat zu befördern, und sind sie mit ihrer von diesem anderen Mitgliedstaat zugewiesenen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetreten, konnte die Lieferantin davon ausgehen, dass die von ihr getätigten Umsätze innergemeinschaftliche Lieferungen darstellten (Rz. 35). Gegenständliches ist hier nicht der Fall - im Gegenteil: Die Bf. ist mit ihrer inländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetreten und die Lieferantin hat die Steuerbefreiung gar nicht für sich beansprucht.

In diesem Zusammenhang kommt der EuGH weiters zum Schluss, nach der Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber könnte jedoch der die erste Lieferung durchführende Lieferant für denjenigen gehalten werden, der die Mehrwertsteuer auf diesen Umsatz schuldete, wenn ihm dieser Erwerber mitgeteilt hatte, dass der Gegenstand, bevor er den Liefermitgliedstaat verlassen habe, an einen anderen Steuerpflichtigen weiterverkauft werde, und der Lieferant es im Anschluss an diese Mitteilung unterlassen hat, dem Erwerber eine berichtigte Rechnung unter Einschluss der Mehrwertsteuer auszustellen (Rz. 36). Was schließlich die Bedingung der Versendung oder Beförderung des Gegenstands an Orte außerhalb des Liefermitgliedstaats betrifft, ist klarzustellen, dass es nicht auf die Frage ankommt, wer während der innergemeinschaftlichen Beförderung die Befähigung besitzt, über die Gegenstände zu verfügen, dass aber der Umstand, dass diese Beförderung vom Eigentümer der Gegenstand oder für seine Rechnung durchgeführt wird, gleichwohl eine Rolle spielen könnte bei der Entscheidung, ob diese Beförderung der ersten oder der zweiten Lieferung zugerechnet wird. In den Fällen jedoch, in denen die Beförderung durch die Person, die an beiden Vorgängen beteiligt ist, oder für deren Rechnung durchgeführt wird, ist dieser Umstand nicht ausschlaggebend (Rz. 41). Damit hat der EuGH dem bloßen Abstellen auf die Transportverantwortlichkeit eine Absage erteilt. In diesem Erkenntnis hat der EuGH die Steuerbefreiung auf Grund des Vertrauensschutzes auf Grund der verwendeten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Bestimmungsstaats der ersten Lieferung zugerechnet. In wertender Auslegung besteht das Ziel, das mit der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten, zu der diese Bestimmung gehört, verfolgt wird, darin, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt. Die wäre auch bei Annahme der bewegten Lieferung beim Ersterwerber (Bf.) der Fall.

Im zuletzt bekannten EuGH-Urteil vom 26.7.2017, Rs. Toridas, C-386/16 , hält dieses zwar an den Grundsätzen der bisherigen Judikatur fest. Offenbar sieht der Gerichtshof aber in der Mitteilung über den Weiterverkauf der Waren, bevor diese das Land verlassen, ein maßgebliches Kriterium dafür, dass die bewegte Lieferung nicht der ersten, sondern der zweiten zuzuordnen ist (Rz. 36, 37). In der Literatur wird daraus geschlossen, dass der EuGH das Kriterium der Absichtsbekundung für die Zuordnung der Warenbewegung wieder stark in den Vordergrund stellt. Die bewegte Lieferung soll laut Tenor des Urteils der zweiten Lieferung in der Reihe zugeordnet werden, wenn der erste Abnehmer den ersten Lieferer vor der Lieferung darüber informiert, dass er die Waren unmittelbar an einen in einem dritten Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen weiterverkaufen werde ("Reihengeschäfte: EuGH definiert neue [alte] Kriterien für Transportzuordnung", Langer, Ronny in: Küffner-Maunz-Langer-Zugmaier, Umsatzsteuer Newsletter 22/2017). Der verwendeten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer misst der EuGH nicht mehr die streitentscheidende Bedeutung zu. Gegenständlich wollten sowohl die Erstlieferantin als auch die Bf. die erste Lieferung als umsatzsteuerpflichtige Lieferung betrachten und verwendeten die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Liefermitgliedstaates Österreich. Damit scheidet schon konkludent die Geltendmachung der Steuerbefreiung aus.

Aus der oa. Rechtsprechung des EuGH lässt sich ableiten, dass die Transportbeauftragung (allein) nicht entscheidend für die Zuordnung der Warenbewegung sein kann.

Nach Ansicht der Bf. ist die Verfügungsmacht über die Ware bereits in Österreich von der M. GmbH auf sie und von ihr auf die EU-Warenempfänger übergegangen. Weitergehende Feststellungen hat die belangte Behörde nicht getroffen.

Die Bf. gab der M. GmbH ihre österreichische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bekannt, damit konnte die M. GmbH ihre Lieferung nicht mehr als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandeln und stellte daher Umsatzsteuer in Rechnung.

Die belangte Behörde geht nun angesichts ihrer Rechtsansicht davon aus, die Bf. hätte an sich im EU-Ausland die Ware erworben, jedoch nicht die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Bestimmungsmitgliedstaats, sondern die österreichische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (des Liefermitgliedstaats) verwendet und daher gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 einen zusätzlichen Erwerb aus der Verwendung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu versteuern. Die entsprechend vorzuschreibende Erwerbsteuer sei entsprechend der EuGH-Judikatur nicht abzugsfähig.

Eine innergemeinschaftliche Lieferung innerhalb von Österreich ist aber schon begrifflich ausgeschlossen, weshalb die Verwendung der österreichischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch die Bf. auch nicht zu einem fiktiven innergemeinschaftlichen Erwerb nach Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 führen kann. Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, die Besteuerung des Erwerbs wenigstens in einem Mitgliedstaat sicherzustellen. Da der Lieferer in seiner zusammenfassenden Meldung die UID jedes Erwerbers, die diesem in einem anderen Mitgliedstaat erteilt worden ist und unter der die innergemeinschaftlichen Lieferungen an ihn ausgeführt worden sind, anzugeben hat und diese Informationen in den Mitgliedstaat gelangen, der die UID erteilt hat, ist die Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat gewährleistet. Wie durch die Verwendung einer UID des Abgangsstaates die Besteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat gewährleistet werden soll, lässt sich nicht erklären. Angesichts des Zwecks, die Besteuerung wenigstens in einem Mitgliedstaat sicherzustellen, ist eine Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen, wenn es an einem innergemeinschaftlichen Erwerb fehlt, weil die Ware nicht in einen anderen Mitgliedstaat gelangt ist (vgl. Marchal in: Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Kommentar zum [d] Umsatzsteuergesetz, § 3d, Rz. 17, 18). Eine solche Besteuerung ist gegenständlich allerdings bereits im Ursprungsland als steuerpflichtiger Umsatz erfolgt. Eine Doppelqualifikation einerseits als steuerpflichtigen Umsatz des (Erst-) Lieferanten und andererseits ein innergemeinschaftlicher Erwerb des Erwerbers im gleichen Staat erscheint mit diesen Überlegungen nicht vereinbar und dürfte aus reiner Wortinterpretation herrühren.

Auch die österreichische Finanzverwaltung (BMF 010219/0105-VI/4/2016 vom 01.03.2016) geht davon aus, dass im Falle eines verunglückten Dreiecksgeschäftes, der Ersterwerber sich nicht im Bestimmungsland registrieren lassen muss, wenn er nachweist, dass der Erwerb im Bestimmungsland besteuert wurde. In diesem Fall fällt auch der Doppelerwerb weg. Die Vorgänge im Beschwerdefall können auch als missglücktes Dreiecksgeschäft interpretiert werden. Abgesehen davon ist ein fiktiver Erwerb nach Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 im Ursprungsland nicht denkmöglich (anders UStRL Rz 3777).

Unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles, wie dies beim Reihengeschäft geboten ist, und unter Befolgung des Grundsatzes, die Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr nicht über Gebühr zu belasten, ist der Beschwerdefall so zu beurteilen, dass die innergemeinschaftlichen Lieferungen zwischen der Bf. und dem Warenempfänger stattfanden. Die Bf. erfasste die Lieferungen auch in den ZM. Feststellungen über eine Nichterfassung der Erwerbe in den Bestimmungsmitgliedstaaten hat die belangte Behörde nicht getroffen. Damit wurde dem Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsland Genüge getan. Einen anderen Zweck verfolgt die Binnenmarktregelung ohnehin nicht. Ebenso fehlen Hinweise auf Missbrauch oder Steuerhinterziehung.

Die zusätzliche Besteuerung nach Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 im Ursprungsland (Österreich) stellt im Beschwerdefall eine nicht zu rechtfertigende überschießende Maßnahme dar, die mit dem Grundsatz der Steuerneutralität nicht vereinbar ist.

Daher war der Beschwerde stattzugeben und von der Vorschreibung einer Erwerbsteuer abzusehen.

 

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Frage, ob die Vorlage der UID des Abgangsortes bei einem Reihengeschäft den Tatbestand des Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 erfüllt, hat grundsätzliche Bedeutung. Es liegt zu dieser Frage auch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Die Revision ist daher zulässig.

 

 

Graz, am 30. November 2017

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

Art. 3 Abs. 8 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 3 Abs. 7 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994

Verweise:

EuGH 26.07.2017, C-386/16
EuGH 16.12.2010, C-430/09

Stichworte